Diese Arbeit geht der Frage nach, wie sogenannte "Frozen Conflicts" entstehen und schließlich wieder ‚auftauen‘, also eskalieren können. Hierfür wird als Beispiel die ehemalige Sowjetrepublik Georgien gewählt, welche mit Südossetien und Abchasien gleich zwei Gebiete im Land hat, die eine eigene staatliche Souveränität anstreben.
Der Zerfall der Sowjetunion, der zwischen den Jahren 1990 und 1991 stattfand, stellt eine Zäsur für die internationalen Beziehungen dar. So veränderte das Ende der Bipolarität das globale Machtgefüge, wodurch sich vor allem die Situation in der osteuropäischen Region weitreichend umstrukturierte. Der Zerfall der Sowjetunion hinterließ ein Vakuum der Macht im postsowjetischen Raum, was eine Vielzahl von Konflikten und Unabhängigkeitsbestrebungen zur Folge hatte.
Diese entstanden durch den Prozess des "state buildings" in einem ethnisch sehr heterogenen Gebiet, wo verschiedene Völker für die eigene staatliche Souveränität kämpften. Einige dieser Auseinandersetzungen sind bis heute nicht gelöst, weswegen sie als Frozen Conflicts, beziehungsweise verschleppte oder ungelöste Konflikte bezeichnet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen
2.1 Frozen Conflicts
2.2 Eskalation
3. Anwendung der Definition auf die Frozen Conflicts in Georgien
3.1 Die Entstehung des eingefrorenen Konflikts in Abchasien
3.2 Der eingefrorene Konflikt in Südossetien
4. Die erneute Eskalation von Frozen Conflicts
4.1 Allgemeine Gründe für eine Eskalation von eingefrorenen Konflikten
4.2 Übertragung auf das Beispiel Georgien
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Zerfall der Sowjetunion, der zwischen den Jahren 1990 und 1991 stattfand, stellt eine Zäsur für die internationalen Beziehungen dar. So veränderte das Ende der Bipolarität das globale Machtgefüge, wodurch sich vor allem die Situation in der osteuropäischen Region weitreichend umstrukturierte. Der Zerfall der Sowjetunion hinterließ ein Vakuum der Macht im postsowjetischen Raum, was eine Vielzahl von Konflikten und Unabhängigkeitsbestrebungen zur Folge hatte. Diese entstanden durch den Prozess des state buildings in einem ethnisch sehr heterogenen Gebiet, wo verschiedene Völker für die eigene staatliche Souveränität kämpften. Einige dieser Auseinandersetzungen sind bis heute nicht gelöst, weswegen sie als Frozen Conflicts, beziehungsweise verschleppte oder ungelöste Konflikte bezeichnet werden (vgl. Saparov 2015: 7 ff.).
Die Arbeit soll nun der Frage nachgehen, wie diese eingefrorenen Konflikte zunächst entstehen und schließlich wieder ,auftauen‘, also eskalieren können. Hierfür wird als Beispiel die ehemalige Sowjetrepublik Georgien gewählt, welche mit Südossetien und Abchasien gleich zwei Gebiete im Land hat, die eine eigene staatliche Souveränität anstreben. Hier sind nach den Sezessionskriegen Anfang der 90er Jahre nicht nur die Eigenschaften eines eingefrorenen Konfliktes erkennbar. Es hat zugleich auch eine Eskalation des Konfliktes stattgefunden, welche im Georgienkrieg 2008 gipfelte (vgl. Wittkowsky 2016).
Für ein besseres Verständnis des Prozesses der Eskalation von verschleppten Konflikten werden deswegen zunächst eben jene Begriffe näher erläutert. Die in der Definition von Frozen Conflicts ausgemachten einfrierenden Kriterien werden dann auf die Regionen in Georgien angewendet, um die Veränderungen erkennbar zu machen, die zu einer Eskalation führten. Anschließend werden allgemeine Gründe für die Intensivierung dieser Situation hervorgehoben. Diese werden daraufhin wiederrum auf Südossetien und Abchasien übertragen, damit schließlich ein Fazit gezogen werden kann, wie dieser Konfliktzustand entstehen kann und wie es zu einer Rückkehr zur offenen, militärischen Konfrontation kommt.
2. Definitionen
Im Folgenden werden zunächst die Begriffe Frozen Conflicts und Eskalation im Kontext dieser Konflikte näher erläutert, damit die Kriterien auf die Gebiete in Georgien angewendet werden können. Ein genaues Verständnis der zentralen Begriffe dieser Arbeit ist außerdem die Voraussetzung dafür, das gewaltsame Auftauen dieser Situation nachvollziehen zu können.
2.1 Frozen Conflicts
Um zu klären, wie ein verschleppter Konflikt eskalieren kann, muss dieser zunächst definiert werden, beziehungsweise soll die Frage beantwortet werden, wodurch militärische Auseinandersetzungen erstarren, da eine Intensivierung der Situation mit einer Variation der nachfolgend beschriebenen einfrierenden Faktoren einhergeht.
Wie bereits erwähnt, entstanden während und unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion mehrere Kriege im postsowjetischen Raum. Zu diesen zählen unter anderem die 1990 ausgebrochenen Kämpfe in Südossetien und Bergkarabach, außerdem kam es 1992 ebenfalls zu militärischen Kampfhandlungen in Abchasien und Transnistrien. Die genannten militärischen Konfrontationen werden aufgrund von mehreren gemeinsamen Faktoren, welche im Folgenden aufgezählt werden, als Frozen Conflicts bezeichnet. Jedoch ist hier anzumerken, dass der Zustand ungelöster Konflikte eigentlich kein genuin postsowjetisches Phänomen ist, jedoch wird der Begriff meistens nur auf Entwicklungen in dieser Region angewendet (vgl. Bebler 2015: 10 f.).
Ein auszumachendes Merkmal von eingefrorenen Konflikten ist, dass es sich bei der ursprünglichen militärischen Auseinandersetzung um einen Sezessionskrieg handelt. Also einen innerstaatlichen Territorialkonflikt, bei dem sich die Sezessionisten ihrer Unabhängigkeit vom Mutterstaat erkämpfen wollen, mit dem Ziel, einen eigenen souveränen Staat zu bilden (vgl. Meister 2016). Des Weiteren werden diese Konflikte nur unzureichend durch einen Waffenstillstand eingedämmt und nicht durch ein vollumfängliches Friedensabkommen gelöst. So befinden sich beide Akteure in einem schwebenden Zustand, in dem kein dauerhafter Frieden in Sicht ist. In dem unklaren Konfliktzustand stehen sich nun der Mutterstaat und die sezessionistische Region gegenüber, wobei letztere, außer der internationalen Anerkennung, die wesentlichen Merkmale von Staatlichkeit entwickelt hat. Es haben sich somit de-facto- Staaten gebildet, welche weiterhin im Konflikt mit dem Zentralstaat stehen. Die Intensität der Konfrontation ist jedoch nach dem Waffenstillstand lediglich auf einem niedrigen Niveau (vgl. Bebler 2015: 10 ff.).
Ebenfalls spielt das realistische Konzept der balance of power eine wichtige Rolle für das Einfrieren der Situation. So trägt ein ungefähres, militärisches Gleichgewicht der beiden Seiten zu einer Stabilisierung des vorherrschenden Sachverhalts bei. Durch das Mächtegleichgewicht ist es für keinen der Akteure möglich den Konflikt durch kriegerische Mittel für sich zu entscheiden, was einer militärischen Lösung der Situation im Weg steht (vgl. MacFarlane 2009: 24).
Diese militärische Dimension, welche die Konfliktbewältigung behindert, beeinflusst auch die innenpolitischen Verhältnisse, die den Status Quo weiter festigen. So wird das Einfrieren von Konflikten dadurch begünstigt, dass zwischen der sezessionistischen Minderheit und der Bevölkerung des Mutterstaates unüberbrückbare, teilweise tief verwurzelte gesellschaftliche Differenzen vorherrschen, die die Akteure voneinander entfremden und gegenseitiges Vertrauen blockieren, was allerdings die Voraussetzung für einen vollumfänglichen Frieden darstellt. Gründe für diese gegenseitige Ablehnung können zum Beispiel Kriegsverbrechen oder der Einsatz geächteter Waffen im Konflikt sein, beziehungsweise eine Diskrepanz zwischen den beiden Gesellschaften aufgrund der Ethnie, Geschichte oder Religion. Auch Repressionen der Mehrheit gegenüber der Minderheit tragen zu einer Verhärtung der Fronten bei. Die innergesellschaftlichen Zerwürfnisse verhindern ebenfalls die Kompromisslösung zwischen den politischen Führern beider Parteien, da ein Entgegenkommen einem Verrat an der eigenen Bevölkerung gleichkommen würde, was wiederrum einen Machtverlust durch den Wegfall des gesellschaftlichen Rückhaltes zur Folge hätte. Man befindet sich also in einem innenpolitischen Dilemma, welches das Erstarren des Konflikts weiter begünstigt (vgl. ebd.: 24f.).
Auch wirtschaftliche Aspekte spielen beim Einfrieren von Konflikten eine Rolle. Durch den Schwebezustand der Auseinandersetzung und unklare Territorialität kann eine Seite diese unüberschaubare Situation nutzen, um wirtschaftliche Profite für sich zu realisieren. Diese Gewinne werden meist durch groß organisierten Schmuggel erzielt. Die Einnahmen würden bei der Lösung des Konfliktes wegfallen, weswegen das Interesse an einen permanenten Frieden geschmälert wird. (vgl. ebd.: 25).
Der letzte Faktor, der zu dem Zustand eines Frozen Conflicts führt, stellen externe Akteure dar. Hier ist vor allem Russland als Regionalmacht zu erwähnen, das wesentlich für den Erhalt des Status Quo verantwortlich ist. „Russland spielt [...] eine zentrale und höchst ambivalente Rolle. Es ist politisch, militärisch und wirtschaftlich zutiefst involviert und nutzt die Konflikte bei den Bemühungen, seine Kontrolle über die Innen- und Außenpolitik der betroffenen Staaten zu bewahren und möglichst auszubauen“ (Fischer 2016: 6). In den 1990er Jahren war Russland durch eine starke, innenpolitische und wirtschaftliche Krise geschwächt, weswegen es an einer schnellen Eindämmung der Sezessionskriege interessiert war, damit die Region, beziehungsweise das eigene Land stabilisiert wird. So vermittelte Russland in den Kriegen den Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien und verhinderte damit einen ausgeprägten Friedensprozess. Damit stellte man zugleich ebenfalls einen Einflussausbau auf die Region sicher. Es entwickelte sich also durch die Einfrierungsstrategie eine win-win-Situation für Russland (vgl. Wittkowsky 2016).
Auch das fehlende Interesse anderer globaler Mächte, wie den USA, Europa oder internationaler Organisationen wie die NATO oder den vereinten Nationen, verhindern eine nachhaltige Konfliktlösung und begünstigen das Entstehen von Frozen Conflicts (vgl. Fischer 2016: 7 ff.).
Eingefrorene Konflikte beschreiben also die Auseinandersetzung zwischen dem Mutterstaat und dem entstandenen, de-facto-Staaten, der durch einen Waffenstillstand weitgehend unterbunden wurde, aber kein vollumfänglicher Friede, beziehungsweise keine Konfliktlösung erkennbar sind. „Schwache Staatlichkeit, die Instrumentalisierung der Konflikte durch die bestimmenden Eliten zur Legitimation ihrer Herrschaft sowie die Marginalisierung der Zivilgesellschaften spielen dabei eine zentrale Rolle“ (vgl. Meister 2016).
2.2 Eskalation
Ebenfalls muss der Begriff der Eskalation im Zusammenhang mit ungelösten Konflikten definiert werden, damit der Weg in die Eskalation nachvollziehbar ist. Hierfür wird die Begriffserklärung von Karl von Clausewitz verwendet. Von Clausewitz war ein preußischer Kriegsphilosoph und General während der napoleonischen Eroberungen und befasste sich umgehend mit den Prinzipien der Eskalation und Deeskalation (vgl. Beckmann/ Jäger 2011: 114f).
So ist nach Clausewitz Eskalation ein zweidimensionaler Begriff, der sich zusätzlich aus mehreren Stufen zusammensetzt. Zum einem beinhaltet er eine aktive Seite, also ein gewolltes Hinaufsteigern von Konflikten. Andererseits ist es auch ein passiver Prozess, der auf ungewollten Fehlentscheidungen, Fehleinschätzungen und irrationaler Aggressivität beruht (vgl. Brücher 2011: 126).
Wenn der erste aktive Schritt der Eskalation erfolgt ist, entwickelt die Eskalation eine Eigendynamik, welche durch drei Wechselwirkungen zwischen den Akteuren getragen wird. Zum einen die Wechselwirkung der Gewalt, womit die Aktion-Reaktion-Beziehung von Gewaltakten gemeint ist. Da ein Sieg nur auf die Kosten des anderen erreicht werden kann, folgt daraus eine Intensivierung bis hin „zum Äußersten, zum maximalen Gewalteinsatz“ (ebd.: 130f.).
Die zweite Wechselwirkung stellt die der Furcht dar. Sie besagt, dass die Beziehung zwischen den beteiligten Parteien nach Beginn der Eskalation von Furcht vor dem eigenen Tod geprägt ist. So sind alle Interaktionen zwischen den Akteuren durch ein manifestiertes Misstrauen geprägt, sodass auch eigentlich versöhnliche Gesten als Täuschungen gewertet werden und die Situation weiter verstärkt. So kommt es hier zum Äußersten des Kampfes aufgrund der Furcht um das eigene Leben (vgl. ebd.: 134f.).
Zuletzt nennt Clausewitz noch die Wechselwirkung der Macht. Hier steht vor allem das Machtstreben der Akteure im Fokus, da jede Eskalation auch das Ziel verfolgt, die eigene Macht auszuweiten, was im Umkehrschluss die Macht des anderen einschränkt. Dieser Punkt bestärkt zusätzlich die Wechselwirkung der Gewalt. Die drei Wechselwirkungen lassen also die beteiligten Akteure nur noch als irrationale Objekte im fortschreitenden Konflikt reagieren (vgl. ebd.).
Eskalation ist demnach ein durch aktive Handlungen oder durch Veränderung der Rahmenbedingungen herbeigerufener Zustand, in welchem sich die Konfliktparteien in einer Spirale der Gewalt, Furcht und Macht befinden, die in einer totalen (militärischen) Konfrontation münden. Aufgrund des irrationalen Verhaltens der Beteiligten zueinander ist ein dauerhaftes Verlassen der Spirale aus eigener Kraft ohne externes Eingreifen nur schwer möglich (vgl. Schrader 2018).
3. Anwendung der Definition auf die Frozen Conflicts in Georgien
In diesem Abschnitt werden die vorher ausgemachten Merkmale, die zum Einfrieren eines Konflikts beitragen oder diesen Prozess begünstigen, auf die beiden georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien angewendet, damit die Veränderungen des Zustandes, die zu einer Eskalation der Auseinandersetzung führten, besser zu begreifen sind.
3.1 Die Entstehung des Frozen Conflicts in Abchasien
Der 1992 ausgebrochene Sezessionskrieg zwischen der separatistischen Region Abchasien und Georgien transformierte sich durch verschiedene Faktoren in einen eingefrorenen Konflikt.
Einer der Gründe für das Einfrieren des innerstaatlichen Kriegs, der die Abspaltung Abchasiens vom Mutterstaat als Ziel hatte, wurde durch einen von Russland ausgehenden Waffenstillstand 1993 eingedämmt. Der eigentliche Konflikt wurde also nur unzureichend beendet und weist 7 keinen permanenten Frieden auf, sondern schwillt mit niedriger Intensität zwischen den Akteuren weiter an. Aufgrund des bestehenden Schwebezustands der Auseinandersetzung befinden sich Georgien und der entstandene de-facto-Staat Abchasien in einem Status Quo, der den Konflikt erstarren lässt (vgl. Manutscharjan 2009: 87 ff.).
Die erfolglose Konfliktlösung zwischen den beiden Akteuren wurde auch durch ein relatives militärisches Gleichgewicht bestärkt. Dies resultierte aus der Unterstützung der abchasischen Sezessionskämpfern durch russische Truppen. So unterstützte das russische Militär aktiv Abchasien, um ihren Einfluss auf die Region aufrechtzuerhalten, beziehungsweise den , schwierigen Nachbarn‘ Georgien zu destabilisieren. Diese balance of power, welche auch nach dem Waffenstillstand durch die Stationierung russischer ,Friedenstruppen‘ beibehalten wurde, verhinderte eine militärische Niederschlagung der Unabhängigkeitsbestrebungen seitens Georgiens und trug zum Erhalt des Status Quo bei (vgl. ebd.: 84 ff.).
Ebenfalls spielten gesellschaftliche Zerwürfnisse im innerstaatlichen Konflikt eine wesentliche Rolle, die zum Einfrieren des Konflikts geführt haben. So herrschten nicht nur historisch verwurzelte Differenzen zwischen beiden Ethnien vor, die bis ins siebte Jahrhundert zurückführen (vgl. Quiring 2016: 54), sondern es kam auch vor und während des Krieges zu innenpolitischen Veränderungen, welche die Fronten verhärteten. Das Erstarken des georgischen Nationalismus direkt nach der Staatsgründung im Jahr 1990 durch den ersten Präsidenten Gamsachurdia setzte die Minderheiten durch Repressionen immens unter Druck. Die Unterdrückungen trugen einerseits zum Ausbruch des abchasischen Sezessionskrieges bei. Andererseits verstärkten sie zusätzlich die Differenzen der beiden Bevölkerungsgruppen (vgl. Manutscharjan 2009: 87 ff.). Dieser Prozess wurde auch durch Kriegshandlungen der beteiligten Akteure weiter gefestigt. Im blutig geführten Krieg kam es neben einer massenhaften Vertreibung von mehr als 200000 Georgiern aus Abchasien ebenso zu ethnischen Morden und mehreren tausend Kriegsopfern (vgl. Wittkowsky 2016). Somit kam es zu einer stetig zunehmenden gesellschaftlichen Ablehnung der Gegenseite, was eine umfangreiche Konfliktbewältigung blockiert.
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