Die Arbeit untersucht den Ansatz der Erlebnispädagogik näher und bereitet ihn für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung auf.
Zu Beginn gilt es, theoretische Grundsätze erlebnispädagogischer Prozesse zu erläutern. Dabei wird die Schwierigkeit aufgezeigt, den Begriff "Erlebnispädagogik" zu definieren. Anschließend wird die Bedeutung erlebnisorientierter Maßnahmen für die sonderpädagogische Erziehungspraxis aufgezeigt.
Der zweite Teil der Arbeit stellt Konzepte der praktischen Vielfalt moderner Erlebnispädagogik vor. Hierbei wird auf das sogenannte „Outward Bound-Konzept“ eingegangen, das vor allem auf Kinder und Jugendliche mit dem Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung zugeschnitten ist. Diese extreme Form erlebnispädagogischer Aktivitäten kann jedoch nicht für den Alltag der allgemeinen Schulen gewährleistet werden. Daher werden im abschließenden Teil der Arbeit ausgewählte erlebnispädagogische Spielformen näher erläutert, die im Rahmen der allgemeinen Schule durchgeführt werden können.
Für den theoretischen Teil der Arbeit sind die Literaturtitel von Torsten Fischer und Jens Lehmann, "Studienbuch Erlebnispädagogik. Einführung in Theorie und Praxis", sowie Willy Klawe und Wolfgang Bräuer, "Erlebnispädagogik zwischen Alltag und Alaska", hervorzuheben. Die in dieser Arbeit vorgestellten praktischen Beispiele wurden von Eberhard Bolay und Berthold Reichle in dem Buch "Waldpädagogik. Handbuch der waldbezogenen Umweltbildung" aufbereitet. Hubert Kölsch und Franz-Josef Wagner geben in dem Buch "Erlebnispädagogik in der Natur" Beispiele an, die sowohl in der freien Natur als auch auf dem Schulgelände durchgeführt werden können.
Inhalt
1 Einleitung
2 Theoretische Grundsätze erlebnispädagogischer Prozesse
3 Praktische Vielfalt moderner Erlebnispädagogik
4 Feedback aus der Praxis: Kiste, Eule, Memory und Foto
5 Fazit
1 Einleitung
Im Rahmen des Seminars „Diagnostik, Beratung und Förderung bei sonderpädagogischem Förderbedarf“ im Wintersemester 2012/ 2013 an der Universität Potsdam wurden eine Reihe von pädagogischen Konzepten vorgestellt, die im Zusammenhang mit sonderpädagogischen Förderbedarf von Nutzen sind. Die vorliegende Arbeit wird den im Rahmen des Seminars vorgestellten Ansatz der Erlebnispädagogik näher untersuchen und für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung aufbereiten.
Zu Beginn gilt es, theoretische Grundsätze erlebnispädagogischer Prozesse zu erläutern. Dabei wird die Schwierigkeit aufgezeigt, den Begriff „Erlebnispädagogik“ zu definieren. Außerdem werden wichtige Vertreter angeführt, die das Konzept der „Erlebnispädagogik“ in Deutschland etabliert haben. Anschließend wird die Bedeutung erlebnisorientierter Maßnahmen für die sonderpädagogische Erziehungspraxis aufgezeigt. Der zweite Teil der Arbeit stellt Konzepte der praktischen Vielfalt moderner Erlebnispädagogik vor. Hierbei wird auf das sogenannte „Outward Bound-Konzept“ eingegangen, das vor allem auf Kinder und Jugendliche mit dem Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung zugeschnitten ist. Diese extreme Form erlebnispädagogischer Aktivitäten kann jedoch nicht für den Alltag der allgemeinen Schulen gewährleistet werden. Daher werden im abschließenden Teil der Arbeit ausgewählte erlebnispädagogische Spielformen näher erläutert, die im Rahmen der allgemeinen Schule durchgeführt werden können. Zur besseren Veranschaulichung der theoretischen und praktischen Themen dienen Abbildungen in den jeweiligen Kapiteln. Für den theoretischen Teil der Arbeit sind die Literaturtitel von Torsten Fischer und Jens Lehmann, „Studienbuch Erlebnispädagogik. Einführung in Theorie und Praxis“, sowie Willy Klawe und Wolfgang Bräuer, „Erlebnispädagogik zwischen Alltag und Alaska“, hervorzuheben. Die in dieser Arbeit vorgestellten praktischen Beispiele wurden von Eberhard Bolay und Berthold Reichle in dem Buch „Waldpädagogik. Handbuch der waldbezogenen Umweltbildung“ aufbereitet. Hubert Kölsch und Franz-Josef Wagner geben in dem Buch „Erlebnispädagogik in der Natur“ Beispiele an, die sowohl in der freien Natur als auch auf dem Schulgelände durchgeführt werden können. Das Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit bietet neben der verwendeten Literatur, weitere Hinweise zur Erlebnispädagogik sowie Ideen für einen möglichen Waldbesuch.
2 Theoretische Grundsätze erlebnispädagogischer Prozesse
2.1 Gegenstand und Begrifflichkeit
Der Begriff „Erlebnispädagogik“ wird mit Namen wie Maria Montessori (1870 - 1937), Hermann Lietz (1868 - 1919) oder Kurt Hahn (1886 - 1972) in Verbindung gebracht. Letzterer gilt als einer der bedeutendsten Wegbereiter der Erlebnispädagogik und Erfinder der Erlebnistherapie.1 Auf die „Erlebnistherapie“ des Reformpädagogen Kurt Hahn wird oftmals Bezug genommen, um das Konzept der Erlebnispädagogik eindeutig und konsensfähig definieren zu können. Die Vielzahl vager Bezeichnungen für ein und denselben Gegenstand zeigt jedoch die Schwierigkeit einer klaren Definition auf. So ist oftmals von erlebnisorientierten Maßnahmen, ganzheitlicher Pädagogik, Abenteuerpädagogik oder lediglich von Projekten die Rede.2 Willy Klawe und Wolfgang Bräuer weisen in ihrem Buch „Erlebnispädagogik zwischen Alltag und Alaska“ darauf hin, dass sich hinter dem Begriff „Erlebnispädagogik“ „unterschiedliche historische und theoretische Wurzeln und vielfältige Praxisansätze verbergen“3. Dennoch versuchen sich Torsten Fischer und Jens Lehmann in ihrem „Studienbuch Erlebnispädagogik“ an einer umfassenden Beschreibung und definieren Erlebnispädagogik als eine
zielgerichtete und auf Ganzheitlichkeit angelegte Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung erlebnispädagogischer Prozessgestaltung mit dem Ziel, Selbst- und Umweltveränderungen in einem emotionalen, motivationalen, sozial-kognitiven und praktisch-aktionalen Kontext zu bewirken.4
Der Begriff „Erlebnis“ findet sich nicht nur bei Fischer und Lehmann, sondern dient als zentraler Bestandteil jeglicher Auseinandersetzung mit diesem pädagogischen Konzept. Die Autoren Klawe und Bräuer erklären, dass ein Erlebnis meist im Rahmen eines Abenteuers realisiert wird, welches oft etwas Unbekanntes, potentiell Gefährliches, aber auch Spannendes darstellt. Eine solche erlebnispädagogisch orientierte Gestaltung von Lern- und Erfahrungsprozessen komme den grundlegenden Bedürfnissen des Jugendalters entgegen.5 Diese Bedürfnisse seien gekennzeichnet durch Erlebnisse, Entwicklung und der Suche nach dem eigenen Selbst. Jugendliche müssten die Grenzen und Möglichkeiten des eigenen Könnens erfahren, Kompetenzen der Kommunikation und Kooperation entwickeln sowie bei der Suche nach dem Selbstbild und persönlichen Platz in der Welt unterstützt werden.6
Eberhard Bolay und Berthold Reichle unterstreichen den Gedanken, dass das „Erlebnis“ einen zentralen Stellenwert in der Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen hat. Die Welt sei arm an echten Erlebnissen und so müssten Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihrer Erfahrungen passiv, ohne eigene Anstrengung und oftmals vermittelt durch Medien machen. Die beiden Autoren heben ebenfalls Kurt Hahn in den Vordergrund, der 1920 sein Internat auf Schloss Salem am Bodensee gründete und nach den Prinzipien Ordnung, Kameradschaft und Idealismus führte.7 Hahn gab der Gesamtpersönlichkeit der Schülerperson Gelegenheit zur Entwicklung und Entfaltung, ohne auf der Stufe der bloßen Wissensvermittlung zu verharren.
2.2 Bedeutung für die (sonderpädagogische) Erziehungspraxis
In der Erlebnispädagogik geht es stets um die Auseinandersetzung des Einzelnen mit sich selbst, der Umwelt und der Gesellschaft. Im körperlichen Training finden Jugendliche dabei Selbstüberwindung und Selbstentdeckung. Bolay und Reichle unterstreichen, dass die Tiefe des Erlebnisses den Lerneffekt bestimmt, nicht dessen Dauer.8
In der Literatur findet sich häufig der Hinweis, dass für die Erlebnispädagogik meist die Natur ein Mittel darstellt, durch das eine Persönlichkeit wächst. „Stellt die Natur Hindernisse, die es zu überwinden gilt, werden besondere Erlebnisse möglich“9, formulieren Bolay und Reichle. Hierbei muss es sich nicht immer um extreme Situationen wie Bergsteigen oder Wildwasserfahrten handeln, sondern es gibt eine Vielzahl anderer (Spiel-)Formen, die im Verlauf der vorliegenden Arbeit genauer vorgestellt werden. Fest steht, dass das Erleben immer ganzheitlich und unmittelbar ist. Die pädagogische Planung ist jedoch meist mit einem Restrisiko behaftet, da Erlerbnisse zwar ermöglicht werden, jedoch den Jugendlichen überlassen ist, was dabei zum persönlichen Ereignis wird und zur Selbstentfaltung beiträgt.10
Echtes Lernen findet eher in einem abenteuerlichen Umfeld statt. Das Abenteuer soll das emotionale Umfeld für aufgewecktes Lernen liefern, die Teilnahme herausfordern, eine Atmosphäre des Verständnisses gegenüber Misserfolgen aufbauen (da bei den Übungen der Erfolg nicht unter allen Umständen gesichert ist), den Einstieg in ein aktives und engagiertes Leben eröffnen und den Willen, sich neuen und unbestimmten Situationen zuzuwenden, stärken.11
Bereits Kurt Hahn formulierte in der „Erlebnistherapie“, dass in dem Erlebnis heilende Kräfte liegen. Daher werden vor allem delinquente Jugendliche, die im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung Förderbedarf aufweisen, mit dem erlebnispädagogischen Konzept konfrontiert. Durch Outdoor-Aktivitäten wie Segeln, Klettern oder Höhlentouren werden diese Schüler in schwierige Situationen geführt. Hierbei wird vor allem auf Lernprozesse Wert gelegt, in denen die Schüler physische, psychische und soziale Herausforderungen annehmen, ihre Persönlichkeit entwickeln und befähigt werden, ihr Leben und ihre Umwelt verantwortlich mitzugestalten.12
Das pädagogische Modell „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ nach Johann Heinrich Pestalozzi – siehe Abbildung 1 – veranschaulicht das in der Erlebnispädagogik weit verbreitete Prinzip sehr gut. Die Abbildung 1 zeigt, dass die Komponenten Kopf, Herz und Hand in einem unauflösbaren Zusammenhang stehen. „An jeder der drei unterschiedlichen Ecken des Dreiecks kann in den Lernprozess eingestiegen werden“13, fassen Bolay und Reichle zusammen. Die drei Ecken stehen für die Dimensionen des ganzen Menschen, also für die „klassische Trias von Körper, Geist und Seele“14. Das Konzept soll verdeutlichen, dass das Lernen niemals bloß als kognitiver Prozess gesehen werden darf (Kopf), sondern Körperliches wie Bewegung und Wohlbefinden (Hand) sowie Emotionen (Herz) grundlegend für Lernprozesse sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1
Erlebnispädagogik kann vor allem in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen angewendet werden, bei denen der Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung diagnostiziert wurde. Die praktischen Beispiele moderner Erlebnispädagogik werden dies im Folgenden zeigen.
3 Praktische Vielfalt moderner Erlebnispädagogik
3.1 Outward Bound-Konzeption
Seit 1983 werden auf dem Segelschiff „Thor Heyerdahl“ für Jugendliche und junge Erwachsene Kursprogramme – sogenannte Outward Bound-Konzepte15 – angeboten, die sich konsequent an den Elementen der Erlebnistherapie Kurt Hahns orientieren. Die ein- bis zweiwöchigen Segeltörns wenden sich an
Von den Mädchen und Jungen zwischen 15 und 25 Jahren, die aus allen Bevölkerungsschichten kommen, wird erwartet, dass sie Rücksicht auf Schwächere nehmen, gerne und freiwillig kommen, dass sie bereit sind, Neues auf sich einwirken zu lassen und auf alte Gewohnheiten zu verzichten.16
Torsten Fischer und Jörg-W. Ziegenspeck formulieren in ihrem Buch „Erlebnispädagogik. Grundlagen des Erfahrungslernens“ Ziele der Outward Bound-Konzeption für die „Thor Heyerdahl“:17
a) Kognitive Lernziele
Seemännische Fertigkeiten (Segelmanöver), handwerkliche Kenntnisse, hauswirtschaftliche Kenntnisse (Küchenarbeiten), allgemeine Umweltkunde, Schiffspflege und Wetterkunde u.a.
b) Affektiv-emotionale Lernziele
Förderung der eigenen Identität; Steigerung des Selbstwertgefühls; intrinsische Motivation entwickeln; Versagenserlebnisse ohne Resignation ertragen lernen; Frustrationstoleranz entwickeln; Konfliktbewältigung lernen; Achtung vor der Intimität und Autonomie des anderen haben u.a.
c) Soziale Lernziele
Verantwortung für sich und andere übernehmen und tragen lernen; Zuverlässigkeit; Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit als Bedingung des gemeinsamen Lebens erfahren und schätzen lernen; Kooperation und Verantwortungsbewusstsein u.a.
d) Motorische Lernziele
Durch Schiffsbewegungen in Seegang, das Steigen in die Masten, durch Segelsetzen … werden Grob- und Feinmotorik gleichermaßen geschult.
Nach dem pädagogischen Modell von Pestalozzi werden auch hier – im Gegensatz zu theoriebildenden Lernsituationen – Fertigkeiten und Kenntnisse auf dem Segelschiff praktisch vermittelt, so dass das Lernen in erster Linie über die Hand und das Herz und nicht ausschließlich den Kopf erfolgt.
[...]
1 Vgl. Fischer, Torsten; Lehmann, Jens: Studienbuch Erlebnispädagogik. Einführung in Theorie und Praxis, Bad Heilbrunn 2009, S. 37 f.
2 Vgl. Klawe, Willy; Bräuer, Wolfgang: Erlebnispädagogik zwischen Alltag und Alaska. Praxis und Perspektiven der Erlebnispädagogik in den Hilfen zur Erziehung, München 2001, S. 11.
3 Ebd., S. 11.
4 Fischer; Lehmann: Studienbuch Erlebnispädagogik, S. 53.
5 Vgl. Klawe; Bräuer: Erlebnispädagogik zwischen Alltag und Alaska, S. 12.
6 Vgl. ebd., S. 12.
7 Vgl. Bolay, Eberhard; Reichle, Berthold: Waldpädagogik. Handbuch der waldbezogenen Umweltbildung (Teil 1: Theorie), Stuttgart 2007, S. 49.
8 Vgl. ebd., S. 50.
9 Ebd., S. 50.
10 Vgl. Bolay; Reichle: Waldpädagogik, S. 50.
11 Vgl. Fischer; Lehmann: Studienbuch Erlebnispädagogik, S. 129.
12 Vgl. Bolay; Reichle: Waldpädagogik, S. 51.
13 Ebd., S. 112.
14 Vgl. ebd., S. 112.
15 OUTWARD BOUND ist ein Begriff aus der Seefahrt und bedeutet, dass ein Schiff klar zum Auslaufen ist und steht sinnbildlich für den Aufbruch zu ganzheitlichen Lernerfahrungen. Vgl. Outward Bound. Das größte Klassenzimmer der Welt, URL: http://www.outwardbound.de/ faq-erlebnispaedagogik.html [10.02.2013].
16 Zitiert nach: Fischer; Lehmann: Studienbuch Erlebnispädagogik, S. 67.
17 Vgl. ebd., S. 271.