Diese Arbeit soll die Frage beantworten, ob es sich bei der Lansdowne’schen Statue um eine ambivalente Figur zwischen Statik und Dynamik oder zwischen Ruhe und Bewegung handelt.
Zum Vorschein kam die 1,95 m große Skulptur des Lieblingshelden der griechisch-römischen Antike 1790 oder 1791 während einer Grabung auf dem Grundstück des Conte Giuseppe Fede in der Umgegend der Villa Hadriana in Tivoli. Sehr rasch erwarb sie dort der Brite Thomas Jenkins, ein in Rom ansässiger Maler, Kunstsammler, Antikenhändler und Bankier. Dieser verkaufte die Statue einige Zeit später an William Petty-Fitzmaurice, den 1st Marquess of Lansdowne und vormaligen 2nd Earl of Shelburne, auf dessen Titel ihre Forschungs- Bezeichnung zurückgeht.
Inhalt
1. Einleitung
2. Beschreibung und Kopienkritik
2. 1. Aufbau und Ansichtigkeit
2. 2. Kopfrepliken und Kopistenstile
3. Ruhe und Bewegung
3. 1. Zeit und Veränderung
3. 2. Die Wahl des Augenblicks
3. 3. Energie und Pathos
4. Schlussbetrachtung
5. Bilder und Verzeichnisse
5. 1. Abbildungsnachweise
5. 2. Quellenverzeichnis antiker Autoren
5. 3. Literaturverzeichnis
5. 4. Bildtafeln
1. Einleitung
Zum Vorschein kam die 1,95 m1 große Skulptur des Lieblingshelden2 der griechisch-römischen Antike 1790 oder 1791 während einer Grabung auf dem Grundstück des Conte Giuseppe Fede in der Umgegend der Villa Hadriana in Tivoli3. Sehr rasch erwarb sie dort der Brite Thomas Jenkins, ein in Rom ansässiger Maler, Kunstsammler, Antikenhändler und Bankier4. Dieser verkaufte die Statue einige Zeit später an William Petty-Fitzmaurice, den 1st Marquess of Lansdowne und vormaligen 2nd Earl of Shelburne, auf dessen Titel ihre Forschungs-Bezeichnung zurückgeht5.
Die Skulptur verblieb fast anderthalb Jahrhunderte in den Räumlichkeiten des Lansdowne’schen Hauses in London, bis Teile derselben im 20. Jh. einer Straßenverbreiterung weichen mussten. 1930 wurden viele der Skulpturen Lord Lansdownes auf einer Auktion versteigert, doch den Herakles Lansdowne (Taf. 1 u. 2) hielt die Familie von der Auktion zurück und überführte ihn in ihr Landhaus Bowood6. 1951 erstand Jean Paul Getty – ein amerikanischer Öl-Milliardär und Kunstmäzen – den Herakles Lansdowne zu einem Spottpreis für seine Privatsammlung7. So gelangte die Skulptur wenig später in das von ihm gegründete „J. Paul Getty Museum“ in Pacific Palisades (nahe Malibu), wo sie sich seit 2006 – nach zeitweiliger Auslagerung in das „Getty Center“ in Los Angeles – wieder befindet8.
Da Fragmente nicht den Geschmack der Zeit trafen, wurde die Restauration der Skulptur nach ihrer Entdeckung Ende des 18. Jahrhunderts wohl in die Hände Carlo Albacinis gelegt9, bevor sie nach der Insel verschifft wurde. Der italienische Bildhauer komplettierte etwa Keule und Nase des Herakles, außerdem den linken Unterschenkel, ein Stück des rechten Oberschenkels sowie Teilstücke der Arme10. Entrestauriert wurde die Statue in den 1970er Jahren, als man bemerkte, dass die eisernen Stifte, die im Zuge der Restauration durch Albacini eingesetzt worden waren, infolge Korrosion anschwollen und so an einigen Stellen drohten, den Marmor zu sprengen; sie wurden durch bleierne ersetzt11. Bei dieser Entrestaurierung wurde von Dr. Frel ferner erkannt, dass die Skulptur sowohl am Kopf als auch an der gesamten linken Körperhälfte abgearbeitet worden war, um einen Schaden zu minimieren, der sich über diese Seite des Körpers hingezogen hatte12. Beide Schultern und der Kopf der Statue waren außerdem davon betroffen. Eine Zeit lang wurde die Skulptur bar der meisten Restaurierungszusätze ausgestellt (Abb. 1), unlängst jedoch wieder um alle komplettierenden Elemente ergänzt.
Der Herakles Lansdowne ist eine der am häufigsten besprochenen – ergo auch eine der umstrittensten antiken Skulpturen13. Aufgrund der Fülle von Aufsätzen und Monographien – insbesondere älteren Datums –, die den Herakles Lansdowne wenigstens berühren, ist der Auswahl der für diese Arbeit konsultierten Sekundärliteratur ein exemplarischer Charakter immanent. Viel ist von Archäologen diesseits wie jenseits des Ozeans darüber gestritten worden, welchem Meister des 4. Jhs. v. d. Z. die Statue zuzuschreiben sei, wobei die Zahl derer, die den Herakles Lansdowne Skopas von Paros oder dessen Umfeld zurechneten, überwog14. In dieser Arbeit soll jedoch nicht die Frage im Mittelpunkt stehen, ob die Skulptur von Skopas’ Hand stammt, die Arbeit einer seiner Schüler ist oder gar als ein Werk des Lysipp anzusprechen sein könnte. Vielmehr soll auf den folgenden Seiten die Lansdowne’sche Statue daraufhin untersucht werden, ob es sich bei ihr um eine ambivalente Figur zwischen Statik und Dynamik, zwischen Ruhe und Bewegung handelt.
2. Beschreibung und Kopienkritik
2. 1. Aufbau und Ansichtigkeit
Fest steht die Statue auf ihrem rechten Bein, während das Spielbein mit leicht gebeugtem Knie zur linken Seite gesetzt ist. Gleichwohl ist auch der Fuß des Spielbeins ganz auf den Boden aufgesetzt, nicht etwa nur der Ballen, was Stabilität und Standfestigkeit evoziert. Die Gewichtsverteilung auf Stand- und Spielbein erzeugt eine Neigung des Beckens, welche chiastisch von der Gegenschräge der Schultern ausgeglichen wird. „Großflächige, pralle Muskelpartien“15 bestimmen das Erscheinungsbild des Heroenkörpers. In der rechten Hand hält Herakles das Fell des Nemëischen Löwen, dessen Tatzen auf der Plinthe aufsetzen, mit der Linken schultert er seine bewährte Keule. Der Kopf ist zur Spielbeinseite hin gewendet, was die Figur in den Raum sich öffnen und in diesen ausstrahlen lässt. Die Gestalt „entfalte“ sich förmlich in die Weite, vermerkt Heinrich Bulle, dem überdies das „Auswärtsweisen der Unterschenkel-Achse“ des linken Beins nicht verborgen bleibt, in dem die gleiche Richtung anklingt, die auch Kopfwendung und Keule artikulieren16.
Bisweilen ist auf die Nähe des Herakles Lansdowne zum Doryphoros (Taf. 3) das Haltungsmotiv betreffend hingewiesen worden. Steven Lattimore deutete den Herakles Lansdowne sogar als kaiserzeitliches Pasticcio, in dem ein sonst nicht nachweisbarer Kopftypus des vierten Jahrhunderts mit dem Körper des Doryphoros kontaminiert worden sei17. Allerdings beschränkt sich die Gemeinsamkeit im Aufbau der Figuren bei näherer Betrachtung auf die Haltung der Arme18. Kansteiner hebt auch die Schulterlinie des Herakles Lansdowne hervor, die sich beim Doryphoros weniger stark zur Standbeinseite hinneige19. In puncto Ansichtigkeit stellt er fest, dass das Standmotiv des Herakles vom Betrachter, der frontal auf die Statue blicke, unmittelbar als entspanntes Stehen erkannt werden könne und folglich kein Umschreiten der Figur erfordere, das beim Doryphoros notwendig sei, um Klarheit über den artifiziellen Charakter des „Schrittstandes“ zu gewinnen20. Daraus folgt: die Skulptur ist auf Vorderansichtigkeit hin konzipiert21, was durch die frontale Darbietung des Löwenfells, das – wie Nikolaus Himmelmann konstatiert – zur „Verbreiterung der Figur und zur Entwertung der Nebenseiten“ beitrage, noch unterstrichen wird22.
Frappierender als die Ähnlichkeiten zum Doryphoros, mit denen es – so wurde oben gezeigt – nicht allzuweit her ist, mögen die Gemeinsamkeiten mit dem sogenannten Agias23 aus Delphi (Taf. 4) wirken, da hier auf den ersten Blick haltungsmotivisch alles, ausgenommen die Position der Arme, mit dem Herakles Lansdowne übereinzustimmen scheint: Die Wendung des Kopfes in Richtung des Spielbeins, die mit der ganzen Sohle aufgesetzten Füße, der über dem rechten Bein kontrahierte Oberkörper – all das findet sich beim marmornen Agias, für dessen Bronzevorbild Lysipp verantwortlich zeichnet, wieder. Trotzdem gilt es, auf einige Unterschiede hinzuweisen, die das Epigonenhafte der Figur des Agias gegenüber jener des Herakles Lansdowne relativieren – zumal eine sichere Datierung in beiden Fällen nicht gänzlich unumstritten ist24. Auf den zweiten Blick wird augenfällig, dass die Schulternschräge beim Herakles Lansdowne stärker ausgeprägt und der Oberkörper über dem Standbein ergo stärker kontrahiert ist, was logisch mit der Last des Löwenfells zusammenhängt. Darüber hinaus ist der breitere und mithin festere Stand des Herakles zu konstatieren. Die charakteristische Pendelbewegung25, welche der Betrachter beim Anblick des lysippischen Apoxyomenos (Taf.5) mit dessen Stand zu assoziieren geneigt ist, lässt sich auch beim Agias noch in abgeschwächter Form erahnen26. Stewart bezieht die Nomen „Spannungsgeladenheit“ und „Plötzlichkeit“ auf den Stand des Athleten. Halb beschreibend, halb interpretierend fährt er fort: „The Agias, restless and highly strung despite his victory, shifts uneasily from one foot to the other […]“27.
2. 2. Kopfrepliken und Kopistenstile
Überliefert wird der statuarische Typus des Herakles Lansdowne neben drei weiteren Repliken des Körpers28 sowie Varianten und Umbildungen in erster Linie von 21 Repliken des Kopfes29. Es erscheint statthaft, zunächst eine kurze Beschreibung des Lansdowne’schen Kopfes (Abb. 12 u. 13) zu geben und ihn dann zu den weiteren Repliken (Abb. 14 u. 15) in Beziehung zu setzen: Scharf ist die breite, flächige Stirn vom Ansatz der kurzen, gelockten Haare abgesetzt, deren plastische Ausgestaltung die Wirkung von Licht und Schatten begünstigt. Die einzelnen Löckchen fallen wild – ja löwenhaft – durcheinander und das Haar hat gegenüber Skulpturen des 5. Jhs. deutlich an Volumen gewonnen30. Das Haupt wird von einem einfachen Haarband „bekränzt“. Eine scharfe Kante zieht sich auch entlang der Brauen über den vergleichsweise tief liegenden Augen31, deren Lider ebenfalls scharf begrenzt und die an den Außenseiten durch Hautfalten dezent verschattet sind. Der Mund mit der schmalen Ober- und vollen Unterlippe ist leicht geöffnet und der Blick in die Ferne – gleichsam in die Zukunft gerichtet32. Der Kopf ist beim Herakles Lansdowne kubischer33 gestaltet als etwa bei der Herakles-Herme aus Genzano (Abb. 14), die sich im British Museum befindet. Als erster Forscher machte 1893 Furtwängler auf die Gemeinsamkeiten des Herakles Lansdowne mit einer Anzahl von Heraklesköpfen aufmerksam, die Botho Graef einige Jahre zuvor in seinem Aufsatz „Herakles des Skopas und Verwandtes“34 zusammengestellt hatte. Diese seien „nur eine leichte pathetische Steigerung“ gegenüber dem Kopf der Statue Herakles Lansdowne35.
Joachim Raeder nimmt mit Bernhard Schweitzer36 an, dass die Statue des Herakles Lansdowne stark durch den hadrianischen Zeitstil ihres Kopisten beeinflusst wurde. Er konstatiert: Ein Vergleich des Kopfes des Herakles Lansdowne mit seinen Repliken oder auch mit originalen Werken des mittleren 4. Jhs. zeige die starke Veränderung des zu vermutenden Vorbildes. Jene seien durch ein zartes, gerundetes Formgefüge, durch feine, fast malerische Modellierungen, durch schräg gestellte, tief liegende, von dem überhängenden Orbital verschattete Augen und einen pathetischen Ausdruck gekennzeichnet, wohingegen der Kopf des Herakles Lansdowne stark achsenbezogen und in seinen Formen vereinfacht sei37. Weiter führt er aus: „Die hohe, breite Stirn38 erscheint als glatte, nur schwach gegliederte, rechteckige Fläche, die streng durch den flach geführten Haarsaum, die scharf geschnittenen Brauen und die vorspringenden Jochbeinknochen begrenzt ist.“39 Die Augenbildung mit dem linsenförmigen Augapfel, der von der Karunkel leicht abgesetzt ist, den kantigen Nasenrücken, das eingetiefte Philtrum, das hart begrenzte Lippenrot und die wulstige Unterlippe führt Raeder als weitere Indizien einer starken Beeinflussung durch den hadrianischen Zeitstil an, sodass das Gesicht „mit mehr Berechtigung als hadrianisch als klassisch bzw. nachklassisch“ zu bezeichnen sei40.
Verglichen mit den Köpfen vom Tempel der Athena Alea in Tegea (Taf. 8), die auf Skopas – respektive dessen ausführende Handwerker – zurückgehen41, hat der Herakles Lansdowne eine höhere Stirn und ein volleres Kinn. Die Hautfalte über den Außenseiten der Orbitale ist beim Herakles Lansdowne verhältnismäßig schwach ausgeprägt, wie unter anderen Gelehrten auch Steven Lattimore vermerkt42. Auch lasse das Gesicht den Ausdruck emotionaler Intensität vermissen, der für viele Tegea-Köpfe charakteristisch sei43 – ein Umstand, der wohl wesentlich dem Zeitstil des kaiserzeitlichen Kopisten geschuldet ist44. Von Himmelmann ist unlängst darauf hingewiesen worden, man habe den „hadrianisch glatten Kopf der Statue Lansdowne und seine stark variierenden Repliken“ nach dem attischen Grabrelief „vom Ilissos“ (Abb. 21 u. 22) – insonderheit nach dessen „tiefem Blick“ zu ergänzen45. In dieser Arbeit wird der Standpunkt vertreten, dass die Repliken des Typs Genzano46, welche den Tegea-Köpfen stilistisch am nächsten stehen47 – etwa der heute leider verschollene, einst bei Jandolo aufbewahrte Kopf (Abb. 23) –, das mutmaßliche Original des Skopas treuer überliefern als der Kopf der Statue Herakles Lansdowne. Die „klassizistische“ und „kalte“ Replik Lansdowne48 verweist also über ihre Kopfrepliken vom Genzano-Typus auf die weit mehr noch von Pathos charakterisierten skopasischen Köpfe des Athena-Alea-Tempels in Tegea49.
3. Ruhe und Bewegung
3. 1. Zeit und Veränderung
Ulrich Schädler untersucht in dem Aufsatz „Zeit, Prozess und Handlung in der griechischen Plastik der Spätklassik und des Hellenismus“ einige dem Praxiteles zugeschriebene Figuren unter anderem darauf, ob und inwiefern sie in der Art ihrer Darstellung die vierte Dimension zum Ausdruck bringen. Er legt seiner Arbeit die Zeittheorie des Aristoteles zugrunde50. Nach Aristoteles bestehe Zeit aus zwei Teilen, einem vergangenen und einem, der noch nicht begonnen habe (Zukunft). Beide seien durch das „Jetzt“ voneinander getrennt, das jedoch nur eine Grenze im Zeitkontinuum markiere. Veränderung schließlich nenne man den Wandel von etwas Bestimmtem zu etwas Bestimmtem hin51. Um nochmals Schädler zu bemühen: Wenn „Zeit als Maß eine Einheit ist, die von zwei Seiten begrenzt ist, und Veränderung von einem Ausgangspunkt zu einem Endpunkt verläuft und damit ebenfalls begrenzt ist, so muß jedes Kunstwerk, das Zeit und Veränderung sichtbar machen will, diese beiden Grenzen zeigen“52.
Als Ausgangspunkt für seine Betrachtung wählt Schädler den Apollon Sauroktonos des Praxiteles (Abb. 24). Obwohl das Werk laut Plinius „Eidechsentöter“ genannt worden sei53, habe der Bildhauer nicht den Augenblick des Aufspießens für die Darstellung gewählt, sondern den diesem zeitlich unmittelbar vorangestellten Moment des Zielens. Schädler bemerkt, der Bildhauer lasse den Betrachter dennoch nicht im Unklaren „über den weiteren Ablauf und das Ende der Handlung“54. Die Handlung werde durch die rechte Hand des Sauroktonos sowie durch die Eidechse bzw. den linken Arm Apolls, der das Ende ihres (Lebens)-Weges beschreibe, als Veränderung von etwas Bestimmtem zu etwas Bestimmtem hin determiniert und das Maß der verstreichenden Zeit werde mittels der räumlichen Distanz zwischen Pfeilspitze und Eidechse veranschaulicht55. Gerade aufgrund dieser Art des Aufbaus wird die folgende Aktion durch den Rezipienten antizipiert – wird gleichsam in dessen Vorstellung das mit einer unbeweglichen Skulptur eigentlich nicht darstellbare Szenario lebendig.
Der Hermes des Praxiteles (Abb. 26) verrät dem Betrachter zwei Dinge: Zum einen muss der Momentaufnahme ein Sich-Ausstrecken des Dionysosknaben nach dem Gegenstand in Hermes’ rechter Hand vorausgegangen sein, zum andern lässt die Position, in der Hermes und der Knabe dargestellt sind, eine zu erfolgende Armbewegung des Götterboten erwarten56. Die Statuengruppe veranschauliche demnach, so Schädler, sowohl die auf einen Punkt in der Zukunft zielende, zeitlich ausgedehnte Handlung der Gegenwart, als auch die Gegenwart als Produkt einer vorangegangenen Handlung57.
Zum Schluss dieser Betrachtungen soll noch einmal der Blick auf eine hellenistische Statuengruppe gelenkt werden, die in römischer Kopie erhalten ist: Auf den sogenannten Gallier und sein Weib (Abb. 27 u. 28). Die Plastik ist Teil des Großen Attalischen Weihgeschenkes und wurde als Siegesmonument der Pergamener über die Galater von Attalos I. wohl um 223 v. d. Z.58 für die Burg von Pergamon gestiftet. Deutlich erkennt der Betrachter hier – ähnlich der Komposition des Hermes mit dem Dionysos-Knaben –, dass der schon leblos in sich zusammengesunkene, im Rumpf verdrehte Leib der Frau das Ziel einer in der unmittelbaren Vergangenheit ausgeführten Aktion gewesen sein muss, wie auch das sich in die Zukunft erstreckende Handeln des Mannes anhand der über dem Schlüsselbein in die Halsgrube bereits etwa zwei Finger tief eingesenkten Spitze seines Schwertes ohne große Schwierigkeiten abzulesen ist: Von der Spitze bis zum Heft des Schwertes verläuft die just einsetzende Handlung, die durch den Betrachter beim Anblick der Gruppe vorweggenommen wird.
Im Gegensatz zu den hier kurz vorgestellten Plastiken scheint die vierte Dimension in der Darstellung der Figuren des Herakles Lansdowne und etwa des ebenfalls Skopas zugeschriebenen Meleager59 (Taf. 12) zu fehlen. Es gibt keine Fixpunkte, an denen der Betrachter einen Anfangs- oder Endpunkt von sich gegebenenfalls einstellender Veränderung festmachen könnte. Ob dies tatsächlich bedeutet, dass diese Plastiken keinen temporären Aspekt vorstellen, soll im nächsten Kapitel untersucht werden.
3. 2. Die Wahl des Augenblicks
Die Frage nach der Wahl des Augenblicks in der griechischen Plastik ist besonders mit den Namen zweier großer Dichter verknüpft: Lessing und Goethe60. Während der Erstgenannte 1766 in seinem „Laokoon“ postulierte, je mehr wir sähen, müssten wir hinzudenken können und je „mehr wir darzu denken, desto mehr“ müssten „wir zu sehen glauben“61, schrieb Letzterer 1798 – gleichfalls in einer Abhandlung über den Laokoon62: „Wenn ein Werk der bildenden Kunst sich wirklich vor dem Auge bewegen soll, so muß ein vorübergehender Moment gewählt seyn; kurz vorher darf kein Theil des Ganzen sich in dieser Lage befunden haben, kurz nachher muß jeder Theil genöthigt seyn, diese Lage zu verlassen; dadurch wird das Werk Millionen Anschauern immer wieder neu lebendig seyn63.“ Diese an der hellenistischen Laokoon-Gruppe entwickelten Vorstellungen sollten allerdings nicht für die gesamte griechische Großplastik verabsolutiert werden64 – zumal die „Momenthaftigkeit“ hier auf „das Äußerste gesteigert“ ist65. Statuen und Statuen-Gruppen, die diese Art der „augenblicklichen“ Komposition zeigen, sind gewissermaßen streng transitorisch, während Figuren, die einen länger andauernden Aspekt von Zeit vorstellen, als zeitlich begrenzt oder unbegrenzt zuständlich angesprochen werden66. Zwar führen zuständliche Plastiken zumeist nicht den Zustand „davor“ oder jenen „danach“ vor Augen67, doch ist allen Bildwerken grundsätzlich ein Aspekt von Zeit immanent68. Dieses in Moser von Filsecks Dissertation formulierte Axiom steht offensichtlich im Widerspruch zu Schädlers engerem Zeitbegriff, den er aus Aristoteles’ Zeittheorie ableitet69. Eine endgültige Entscheidung zugunsten oder zuungunsten der Verwendung des aristotelischen Zeitbegriffes, dessen eingehende Untersuchung im Bezug auf die Plastik des 4. Jhs. ein Desiderat bleibt, wird in dieser Arbeit nicht getroffen, es soll jedoch im Folgenden der Auffassung Moser von Filsecks Raum gegeben werden. Nach ihr sind Zuständlichkeit und Transitorik ganz allgemein Formen der im Bildwerk wirksam werdenden Zeit, Ruhe und Bewegung Ausdruck des Verhältnisses zum Raum70. Die Figur des 4. Jhs. sei in ihrer Gesamterscheinung nie vollkommen transitorisch wie auch nie gänzlich zuständlich, sondern vielmehr ambivalent gewesen; nur habe sich diese Ambivalenz zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Statik und Dynamik nicht in der Wahl des Augenblicks als eines Wendepunktes zwischen just diesen beiden „Zuständen“ wie im 5. Jh. artikuliert, sondern im dialogischen Verhältnis von Individuum und Umwelt, entweder vermittelst spezifischer Aktion, des Blicks der Augen – „oder allein durch das dreidimensionale Ausgreifen in den Raum“71. Nimmt der Betrachter beim Meleager eine Position schräg rechts vor der Skulptur ein, so wird er fast mit Sicherheit um die Statue herum geleitet werden – trotz der frontalen Darbietung des Hundes und (bei manchen Repliken) des Eberkopfes. Dies hat m. E. seine Ursache darin, dass es sich beim Standmotiv des Meleager um ein transitorisches oder zeitlich kurz begrenzt zuständliches handelt, denn der Heros wird kaum lange Zeit in dieser Beinstellung verharren können72. Zusätzlich wird der oben beschriebene Effekt sicherlich durch den rechten Arm Meleagers determiniert, dessen unterer Teil sich einer frontalen Betrachtung entzieht. Nicht so – wie bereits festgestellt – bei der Lansdowne’schen Replik des Herakles73.
Wie verhält es sich mit diesem? Während die Gebärdensprache des Herakles Lansdowne – nicht anders als die des Doryphoros – als ebenso zuständlich 74, ja statisch, beschrieben werden muss, wie das Standmotiv, verweisen sowohl das besonders starke Ausgreifen der Figur in den Raum als auch ihr pathetischer Gesichtsausdruck auf ein gerüttelt Maß Dynamik.
3. 3. Energie und Pathos
Um das aufkommende Interesse der Bildhauer des 4. Jhs an Emotionen und Charaktereigenschaften75 – respektive an deren Darstellung – zu verdeutlichen, soll hier eine Anekdote Xenophons knapp paraphrasiert werden76: Sokrates sucht einen Bildhauer namens Cleiton auf und stellt die Frage, wie dieser es fertigbringe, seinen Figuren gleichsam Leben einzuhauchen. Der Philosoph setzt suggestiv nach, ob es nicht in dem Umstand begründet sei, dass er das Inkarnat je nach Pose gerunzelt oder gestrafft, die Muskeln angespannt oder entlastet und die Gliedmaßen kontrahiert oder gestreckt bilde. Als der Künstler dieses bejaht, bohrt Sokrates weiter: „Müssen dann nicht auch der furchterregende Ausdruck im Antlitz von Kämpfern und die triumphierende Miene des Siegers in der Nachahmung ihre Entsprechung finden?“ Wieder bejaht der Bildhauer und Sokrates schließt mit der Feststellung: „Es folgt also, dass der Bildner in seinen Figuren die Aktivitäten der Seele wiedergeben muss77.“ Dass Skopas es in besonderem Maße vermochte, seinen Skulpturen den Anschein von Lebendigkeit zu schenken, ist den Berichten antiker Autoren über seine Mänade zu entnehmen78. Diese sprechen etwa davon, nicht die Natur oder Bakchos, sondern die Kunst des Skopas habe die Bakche in Raserei versetzt79 – und in einem anonym überlieferten Epigramm heißt es: „Haltet die Bakche! Sonst springt sie, auch wenn sie aus Stein ist, über die Schwelle und entkommt aus dem Tempel80.“ Bei der Mänade des Skopas handelte es sich jedoch in jedem Fall um eine bewegte, transitorische Skulptur, nicht um eine vorwiegend zuständliche wie die des Herakles Lansdowne. Ist die Dresdner Statuette (Taf. 14) eine verkleinerte Wiederholung der Figur des Skopas, wie in der archäologischen Forschung vielfach angenommen wird, so wurde auch in Skopas’ Statue das „Hingegebensein, das Mitgerissenwerden des ganzen Körpers durch den Tanz“ dadurch für den Betrachter noch scheinbar realer, dass er veranlasst wurde, „sich selbst in Bewegung zu versetzen, und zwar um die Gestalt herum, um die sich spiralartig das Gewand von unten rechts nach oben links zieht, bis schließlich die ganze Bewegung ausklingt in dem zurückgeworfenen Kopf“81.
[...]
1 S. Stewart 1977, 142.
2 Vgl. Howard 1978, 6.
3 Ibid. 8; Lattimore 1975, 21; vgl. Kansteiner 2000, 113.
4 S. Howard 1978, 11.
5 William Petty-Fitzmaurice war einige Jahre zuvor (1782-1784) britischer Premierminister gewesen. S. ibid. 10.
6 Ibid. 20 f.
7 Vgl. ibid. 21. Für 6000 britische Pfund soll die Statue verkauft worden sein. S. ibid. 39, Anm. 26.
8 Inventarnummer: 70.AA.109.
9 Fendt spricht von „Albacinischen Ergänzungen“, wohingegen Howard nur äußert, es sei sehr wahrscheinlich, dass dieser es gewesen sei, der die Statue restauriert habe. S. Fendt 2012, 55, Anm. 211; Howard 1978, 19. – Cavaceppi wird für eine Bearbeitung wegen seines hohen Alters zu dieser Zeit eher nicht mehr in Betracht zu ziehen sein. Vgl. ibid. 19.
10 S. hierzu den Conservation Report von Zdravko Barov, den Howard seiner Monographie über den Herakles Lansdowne voranstellt. Howard 1978, 3 f. Für Bilder während der Entrestauration s. ibid. 57–63.
11 Ibid. 3.
12 S. Fendt 2012, 55, Anm. 211; Howard 1978, 3 f.
13 S. Raeder, 226.
14 Ein ausgezeichneter, knapper Abriss über die Forsschungsgeschichte findet sich bei Kansteiner 2000, 4 f.
15 Raeder 1983, 227.
16 Vgl. Bulle 1948, 13; s. auch Lygkopoulos 1983, 167, der in dem Aufbau des Herakles insofern ein Novum erblickt, als die Statue aufgrund des „eigenwillig“ zur Spielbeinseite gerichteten Kopfes und des leicht zur Standbeinseite gebogenen Oberkörpers die „Geschlossenheit aller früheren Figuren“ aufbreche. Ebenso Stewart 1982, 52.
17 Lattimore 1975, 26. – Ganz anders etwa Bernhard Schweitzer, der die „Evidenz“ der „einzigen Kopie, welche die ganze Statue“ gebe (gemeint ist die Replik Lansdowne) „in sich selbst“ findet, denn: „Es gibt kein zweites Heroenbild zwischen 370 und 360, das ähnlich aus einem Guß wäre.“ In ihm habe „sich ein bahnbrechender Meister zu seiner Reife gefunden und zum erstenmal dem Lebensstil und den Zeitgedanken des Jahrhunderts eine plastische Gestalt gegeben.“ Schweitzer 1952, 107. – Neben dieser Einschätzung, die sich auf die Wahrnehmung des Rezipienten stützt, vgl. Kansteiner 2000, 9 f. und 80–84.
18 Vgl. Lygkopoulos 1983, 167.
19 Die Höhendifferenz zwischen rechtem und linkem Armansatz betrage beim Herakles Lansdowne rund 5 cm, beim Doryphoros (Replik Minneapolis) ca. 1,5 cm. Hinzu komme, dass der linke Ellenbogen des Herakles weiter vom Rumpf entfernt sei und weiter nach hinten ausgreife. – Ferner unterscheiden sich die Hodensäcke der beiden Skulpturen insofern, als beim Herakles-Lansdowne der schwerere Hoden sich aufseiten des Standbeins findet, wohingegen es sich beim Doryphoros umgekehrt verhält. Kansteiner 2000, 10.
20 S. Kansteiner 2000, 10. – Zum Schrittstand des Doryphoros vgl. Hafner 1997, 48–54, der für eine kurze Besprechung des Phänomens die Amazone des Polyklet mit einbezieht. Geprägt hat den Begriff jedoch Himmelmann, auf dessen maßgeblichen Aufsatz auch Hafner verweist: Himmelmann 1967, 27–39.
21 Ähnlich äußert sich auch Nikolaus Himmelmann, der, nachdem er die Eklektizismus-Theorie unter Rückgriff auf den Doryphoros kurz angerissen hat, postuliert: Ganz im Gegenteil lasse „der Vergleich mit der motivisch ähnlichen polykletischen Figur beim Herakles Lansdowne gerade die typische Bauweise des 4. Jahrhunderts erkennen.“ Kennzeichen sei „vor allem eine zunehmende Frontalisierung, die dadurch bewirkt“ werde, dass Stand- und Spielbein in derselben Ebene lägen und weiter auseinander gesetzt seien. Himmelmann 2009, 135.
22 Ibid. 135.
23 S. hierzu generell Gardiner 1909, 447–476; Hyde 1907, 396–416; Stewart 1978, 303–313; Philippart 1924, 3–12; Preuner 1899; Evans 1996.
24 Äußerlich sind die Athletenfiguren des Daochos-Weihgeschenks in Delphi fest zwischen 339 und 334 datiert, doch wird dies vereinzelt in Zweifel gezogen. Für die Datierung s. Lawrence 1972, 205; vgl. Lygkopoulos 1983, 169, der 338 bis 332 als Eckdaten nennt. – „Der Herakles“, postuliert Lygkopoulos, müsse „aber älter sein“; sein Stand sei „schwerer“ und er insgesamt „schwerfälliger“. Ibid. 169. – Kansteiner weist sowohl die Möglichkeit, aufgrund „der Körpermodellierung Hinweise auf das zeitliche Verhältnis von Agias und Herakles Lansdowne“ finden zu können, als auch die Behauptung Lygkopoulos’, der Oberkörper des Agias sei im Vergleich zu den Beinen „kürzer“ geworden, als falsch zurück. Kansteiner 2000, 81. Gleichwohl scheint mir die Beobachtung Lygkopoulos’, Agias sei „gelängter“, Herakles „gedrungener“, korrekt zu sein. Lygkopoulos 1983, 169.
25 Auch „Pendelrhythmus“, vgl. dazu Moser von Filseck 1988, 207.
26 In Lygkopoulos’ Dissertation ist dazu zu lesen: „Das linke Spielbein ist zur Seite abgespreizt und ruht mit der ganzen Sohle auf dem Boden. Man würde meinen, die Figur müßte damit Ruhe und Standfestigkeit erreicht haben. Das ist aber nicht der Fall, weil die Funktion der Beine nicht ganz eindeutig ist. Das Körpergewicht verteilt sich ganz gleichmäßig auf beide Beine. Das erzeugt den starken Eindruck der Labilität.“ Lygkopoulos 1983, 169.
27 Stewart 1978, 306. – Stewart schreibt über die oben angeführte Pendelbewegung in Bezug auf den Agias: „[…] it comes as no surprise to find a version of it here – though not apparently in its undefiled state.“ Ibid. 312.
28 Der gebotenen Kürze wegen können die Körperrepliken des Herakles Lansdowne hier nicht besprochen werden. Es sei aber dennoch auf einen Torso in der Villa Borghese verwiesen, dessen Oberflächengestaltung dem Original des Herakles aufgrund etwa der „prononcierten Angabe von Adern im Bereich des Unterleibs“ sehr wahrscheinlich näher kommt als die Herakles-Statue aus Lansdowne’schem Besitz. S. dazu Kansteiner 2000, 6 f. und ibid. Abb. 3.
29 Vgl. Kansteiner 2000, 9.
30 Vgl. Howard 1978, 26.
31 Howard spricht von „deep-set eyes“, doch kommt es letztlich darauf an, mit welchen anderen Plastiken die Statue bezüglich dieser Eigenschaft verglichen wird. Vgl. Howard 1978, 26.
32 Stewart und Bulle interpretieren die Darstellung als Momentaufnahme direkt nach Erfüllung der ersten Aufgabe. Ersterer schreibt etwa: „It shows the hero after his fight with the Nemean lion (the first Labor), facing the future and all it holds in store for him.“ Und expliziter noch auf S. 52: „His steadfastness is firmly rooted in his past achievements, represented by the lionskin, testimony to his first Labor, in his right hand; yet by gazing far into the distance he also seems to challenge the future, as it lies before him.“ Stewart 1982, 7. 52; vgl. auch Bulle 1948, 13, wo es u. a. heißt: „strahlend breit und herausfordernd“ trete die „übergewaltige Leiblichkeit des stärksten Helden der Welt entgegen, die er nach dieser rühmlichsten Tat der Löwenbezwingung noch von vielen Unholden befreien soll.“ – Obgleich die Betrachtung der Figur auch bei mir selbst diese Assoziationen unweigerlich hervorgerufen hat, gilt es m. E. einige Fakten nicht unberücksichtigt zu lassen: Auch nach jeder beliebigen weiteren Tat blieben die Attribute des Halbgottes dieselben – hinzu kämen ggf. noch die Äpfel der Hesperiden. Zwar scheint die Tatsache, dass Herakles das Fell des Nemëischen Löwen (noch?) nicht umgehängt hat, diesen allgemeinen Eindruck des Innehaltens nach der ersten Tat zu bestätigen, doch existieren andererseits viele Skulpturen, die einen unbekleideten, das Löwenfell haltenden Herakles nach Erlangung der Hesperiden-Äpfel – also nach Erfüllung der elften Aufgabe – vorstellen; verwiesen sei hier nur auf den berühmten Herakles Farnese (Taf. 7). Das Fell in einer Weise wie beim Herakles Lansdowne darzustellen, bietet dem Bildhauer nicht nur die Möglichkeit, das Thema des nackten Mannes zu variieren, sondern auch eine ausgezeichnete Stütze für die Skulptur – zumal im Falle der Lansdown’schen Replik, die nicht gleich anderen Herakles-Figuren auf einer Keule ruht. S. zum Herakles Farnese generell Krull 1985.
33 Die kubische Form des Kopfes werde, so Raeder, vor allem „durch den harten Umbruch der Stirnpartie zu den Schläfen unterstrichen.“ S. Raeder 1983, 227.
34 S. für die Aufreihung der Köpfe insbesondere die Seiten 189–199 des Aufsatzes von Graef 1889. Obwohl Graef Wolters beipflichtet, dass das Original „nicht als Herme, sondern als Statue componirt“ gewesen und folglich „unter dem vorhandenen Vorrat von Heraklesstatuen zu suchen“ sei, bringt er die Statue Herakles Lansdowne mit den von ihm besprochenen skopasischen Köpfen in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis, ibid. 212. Vgl. auch Wolters 1886, 55, der in dem Heraklestypus Genzano zunächst ein praxitelisches Werk zu erblicken glaubte. Dass sich seine diesbezügliche Meinung nach der Beobachtung Furtwänglers geändert haben könnte, deutet ein Satz aus einem 1915 in zehnter Auflage erschienenen Werk an, den Kansteiner zitiert. Wolters spricht dort von der „schönen Statue Lansdowne“ und „zahlreichen Wiederholungen ihres Kopfes in Hermenform“. Vgl. Kansteiner 2000, 4 sowie Wolters 1915, 330.
35 Furtwängler 1893, 515.
36 Vgl. hierzu Schweitzer 1952, 108–110.
37 Raeder 1983, 226 f.
38 Schweitzer betrachtet die „Verbreiterung der Stirn nach oben am Herakles Lansdowne“ als „ganz unskopasisch“. (Unbewusste?) Anleihen sieht er den Kopisten aus hadrianischer Zeit bereits beim frühkaiserlichen Klassizismus machen, indem eine Eigentümlichkeit julisch-claudischer Bildnisköpfe auf Stilformen übertragen worden sei: Schweitzer 1952, 110. – Für Besonderheiten hadrianischer Kopien s. auch generell die Dissertation von Lauter 1966 sowie Lauter 1970, 28. 34. 94.
39 Raeder 1983, 227
40 Ibid. 227.
41 Der Tempel der Athena Alea in Tegea wurde unter Skopas’ Leitung in der ersten Hälfte des vierten Jhs. nach einem verheerenden Brand im Jahr 395 v. d. Z. wiedererrichtet. Es wird angenommen, dass Skopas nicht nur der Architekt des Tempels gewesen ist, als den ihn Pausanias vorstellt (Paus. VIII. 45. 4–7), sondern auch für den Bauschmuck verantwortlich zeichnet. S. Stewart 1977, 9; vgl. auch Gardner 1906, 170; Palagia 1984, 109. – Bates konstatiert: „It is true that we are nowhere explicitly told that Scopas was the author of these pediment groups; but the facts that he was the architect of the temple, and that the heads have distinctive features of their own which cannot be connected with any other known sculptor, have rightly been regarded as sufficient evidence for attributing them to him.“ Bates 1909, 155. Vgl. Stupperich 1980, 280. – Pausanias schreibt wenigstens zwei Skulpturen im Inneren des Tempels dem Parier Skopas zu: Asklepios und Hygieia (Paus. VIII. 47. 1).
42 S. dazu Lattimore 1975, 24.
43 Ibid. 24.
44 Vgl. Lygkopoulos 1983, 167. Er datiert das Original der Replik Lansdowne auf um 345 v. d. Z. – Andere Kopfrepliken, etwa jene aus Dresden, weisen Einflüsse anderer Epochen auf. So könnte der leichte Backenbart des Kopfes in Dresden auf einen Geschmack in der neronischen Zeit zurückgehen. S. hierzu Kansteiner 2000, 9 sowie generell Cain 1993.
45 Himmelmann 2009, 135.
46 Die Zusammengehörigkeit der Statue Lansdowne mit den Genzano-Repliken ist von Geominy nachgewiesen worden, doch gibt es auch Gegenstimmen. S. Geominy 1984, 465 f. Er resümiert nach seiner Beweisführung, was bleibe, das sei „ein Kopftypus, zu dem wir den ursprünglichen Körpertypus wahrscheinlich nicht kennen.“ Ibid. 466. – Für die Vertreter einer Trennung der beiden Typen Herakles Lansdowne und Herakles Genzano s. die Anmerkung 26 bei Kansteiner 2000, 5; vgl auch de Caro 1987,102 –104.
47 Insbesondere die Bildung der Augenpartien ist hier anzuführen.
48 So Lygkopoulos 1983, 167.
49 Eine andere These vertritt Linfert in seiner Dissertation 1966, wo es u. a. heißt, es sei dann offenbar gar nicht so, dass die „brutalsten“, erregtesten der Köpfe (in Tegea) Skopas am nächsten stehen. Viel deutlicher ließen sich unbedeutende, „langweilige“ Köpfe auf Skopas zurückführen, obgleich diese sicher nicht von ihm ausgeführt worden seien. Linfert 1966, 39. – Er betrachtet den Herakles Lansdowne nichtsdestoweniger als peloponnesische Schöpfung, die nicht von Skopas’ Hand herrühre. Ibid. 35.
50 Diese entwirft Aristoteles im IV. Buch der Physik, wobei die Bücher V–VIII noch zahlreiche ergänzende Bemerkungen enthalten.
51 S. Schädler 1999, 356.
52 Schädler 1999, 356.
53 Plin. nat. XXXIV. 70.
54 Schädler 1999, 356.
55 Ein Gleiches gilt von dem ebenfalls Praxiteles zugeschriebenen Wein einschenkenden Satyr (Abb. 25): Hier bezeichnen die Kanne in dessen rechter über den Kopf gehaltener Hand einerseits und das in dessen linker Hand auf Höhe der Leisten befindliche Auffanggefäß andererseits den Weg, welchen der Wein zurückzulegen hat, und lassen ergo auf die Zeitspanne schließen, in der sich der Vorgang vollziehen muss. Vgl. Schädler 1999, 356.
56 Hermes wird Dionysos den Gegenstand, nach dem sich jener ausgestreckt hat, nähern müssen, da ein weiteres Sich-Ausstrecken des Kindes anatomisch unmöglich ist. Vgl. Schädler 1999, 357.
57 S. Schädler 1999, 357.
58 Vgl. die Jahresangabe „um 220 v. Chr.“ bei Hölscher 2006, 226.
59 Zur Zuweisung des in 31 Repliken überlieferten Meleager-Typus an Skopas s. Stewart 1977, 104–107.
60 Auch Schelling widmete dem Thema einige Aufmerksamkeit. S. Moser von Filseck 1988, 338. Anm. 664.
61 Lessing 1805, 21.
62 Goethes Aufsatz ist die vorläufig letzte in einer Reihe einschlägiger Stellungnahmen zu der Statuen-Gruppe (Abb. 32), seitdem Winckelmann das Thema in „Gedanken über die Nachahmung“ angestoßen hatte. Vgl. Mülder-Bach 2004, 4.
63 Goethe 1830, 39.
64 Brommer resümiert: „Die archaische Einzelstatue kennt den Augenblick noch nicht und ist daher auch nicht von ihm berührt; die klassische erhebt sich über ihn in bewußtem Abstand und die hellenistische sucht ihn auf, ja verfällt ihm.“ S. Brommer 1969, 16. – Es ist ferner auch nicht zu verkennen, dass etwa der oben behandelte Apollon Sauroktonos sich vor dem geistigen Auge des Betrachters bewegt, obschon kein mittlerer Punkt aus einem sukzessive sich vollziehenden Bewegungsablauf herausgegriffen wurde, sondern für die Darstellung der Ausgangspunkt der Handlung gewählt wurde. Das Werk gibt keinen Aufschluss darüber, wie lange der Gott sich schon an den Baumstamm lehnt. Denn bei dem, was in Ruhe ist, ist kein Zeitpunkt fassbar, „wann zuerst“ es mit dem Ruhen anfing. Vgl. Aristot. phys. VI. 8. 239a.
65 Vgl. Brommer 1969, 14. – Der Ablauf des Geschehens in der 4. Dimension ist hier geradezu mit Händen zu greifen: „Der sich aufbäumende und schreiende Laokoon selbst wird im Moment des Sterbens dargestellt, während sein Sohn zur Rechten bereits gestorben und sein Sohn zur Linken noch nicht von den Schlangen gebissen worden ist.“ Blümle 2013, 43.
66 Vgl. Moser von Filseck 1988, 169.
67 Zumindest das Standmotiv des Apollon Sauroktonos ist deshalb ein zuständliches zu nennen. Vgl. Moser von Filseck 1988, 226 f.
68 S. ibid. 169.
69 Vgl. Schädler 1999, 356. Auch den „fruchtbaren Moment“ lässt Schädler nicht für die Darstellung von Prozessen gelten, denn ein solcher Augenblick könne „lediglich allgemein Wandel assoziieren lassen, nicht aber Wandel von etwas Bestimmtem zu etwas Bestimmtem […], was Aristoteles als Veränderung“ bezeichne. Doch erst Veränderung in ihrem Ausmaß mache nach Aristoteles’ Auffassung Zeit überhaupt wahrnehmbar.“ Ibid. 357.
70 S. Moser von Filseck 1988, 279.
71 Ibid. 228. – Selbst dieses einfache Ausgreifen in den Raum erfolge immer auch in der 4. Dimension. S. ibid. 280.
72 Über die Schrittstellung Meleagers bemerkt Stewart: „Meleager no longer stands, as Herakles did, foursquare to face the world; his stance is more equivocal, as he looks out toward the future while physically turning away from it.“ Stewart 1977, 106.
73 Diese ist einzig auf Frontansichtigkeit hin konzipiert. Vgl. S. 3 dieser Arbeit.
74 Eine „zuständliche Aktion“ nennt Moser von Filseck das Halten des Speeres im Falle des Doryphoros. S. Moser von Filseck 1988, 184.
75 S. Howard 1978, 27.
76 Xen. mem. III. 10. 6–8. In einer anderen Anekdote berichtet Xenophon von Sokrates’ Unterhaltung mit dem Maler Parrhasius, die eine ähnliche Richtung nimmt. S. dazu Xen. mem. III. 10. 1–5.
77 Xen. mem. III. 10. 8.
78 Zusammengestellt sind die antiken Schriftquellen zur Mänade des Skopas bei Vorster 2014, 442 –448. Leider ist die für eine Zuschreibung notwendige Übereinstimmung der literarischen Quellen mit der Statuette in Dresden nicht gegeben, da in den Schriftquellen von einer Ziege die Rede ist, die von der Mänade gehalten worden sei. S. ibid. 449. – Stewart sieht in der Dresdner Mänade die Kopie eines Frühwerkes des Skopas. Vgl. Stewart 1977, 91–93; vgl. auch Neugebauer 1913, 50–75.
79 Vgl. Vorster 2014, 442 f. (DNO 2311 u. 2313).
80 S. Vorster 2014, 444 (DNO 2314).
81 Brommer 1969, 19.