In dieser Arbeit werde ich Michel Houellebecqs Buch „Extension du domaine de la lutte“ (EDL) in Betracht ziehen. EDL markiert 1994 den Beginn Houellebecqs Karriere als Romanautor. In EDL basiert die Handlung auf den Protagonisten. Seine Gedanken und Taten offenbaren sich in Funktion seiner Beziehungen. Der Umgang mit den anderen ergibt also in EDL die Hauptfigur, worauf das ganze Werk basiert. Deswegen die Beziehungen in EDL zu verstehen, bedeutet auch die gesamten Romanabläufe begreifen zu können. Ich werde in dieser Hinsicht den Umgang des Protagonisten mit anderen Figuren untersuchen und mich auf die literarische Erscheinungsform dieser Figurenkonstellation konzentrieren, um daraus wichtige Hinweise für die Charakterisierung des Protagonisten zu extrapolieren.
In seinen Werken schreibt der französische Schriftsteller Houellebecq über das Leben zeitgenössischer fiktionaler Menschen, von denen und deren sozialen Umgebung ein kontroverses Bild darstellt wird. Einerseits lässt Houellebecq dem Leser einen Einblick in die verwickelten innerlichen Welten seiner Protagonisten haben, die sich hinter einem monotonen Alltag verbergen und anderseits treten mörderische Szenarien und Handlungen von exzessiver Sexualität plötzlich in die Erzählung der langweiligen Arbeitsroutine ein. Die Abwesenheit eines explizierten moralkritischen Ansatzes in seinen Handlungen hat Houellebecq ein umstrittenes Ruhm bei dem Publikum verschaffen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Analyse des sozialen Raum in EDL
2.1 Der Protagonist und die Frauen
2.2 Die Arbeitsbeziehungen des Protagonisten
2.3 Das Kampf geht mit Tisserand weiter
2.4 Der Priester-Freund : Jean-Pierre Buvet
3 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
In seinen Werken schreibt der französische Schriftsteller Houellebecq über das Leben zeitgenössischer fiktionaler Menschen, von denen und deren sozialen Umgebung ein kontroverses Bild darstellt wird. Einerseits lässt Houellebecq dem Leser einen Einblick in die verwickelten innerlichen Welten seiner Protagonisten haben, die sich hinter einem monotonen Alltag verbergen und anderseits treten mörderische Szenarien und Handlungen von exzessiver Sexualität plötzlich in die Erzählung der langweiligen Arbeitsroutine ein. Die Abwesenheit eines explizierten moralkritischen Ansatz in seinen Handlungen hat Houellebecq ein umstrittenes Ruhm bei dem Publikum verschaffen. Einige Kritiker bezeichnen ihn als « écrivain phare de sa génération » (Carlson in Ayati: 2015, 1), andere als « écrivain déplaisant, odieux » (Rocha Soares in Ayati: 2015, 1).
In dieser Arbeit werde ich sein Buch Extension du domaine de la lutte in Betracht beziehen. EDL markiert 1994 den Beginn Houellebecqs Karriere als Romanautor.
Der Protagonist ist ein anonymer 30-jähriger, der in der französischen Hauptstadt wohnt und als Informatiker in einer privaten Firma arbeitet. Er hat ein Problem, Beziehungen mit den anderen aufzubauen und mag die Welt nicht. Mit dem Fortschreiten des Romans nähert er sich an einen depressiven Zustand.
In EDL basiert die Handlung auf den Protagonisten. Seine Gedanken und Taten offenbaren sich in Funktion seiner Beziehungen. Der Umgang mit den anderen ergibt also in EDL die Hauptfigur, worauf das ganze Werk basiert. Deswegen die Beziehungen in EDL zu verstehen, bedeutet auch die gesamten Romanabläufe begreifen zu können.
Ich werde in dieser Hinsicht den Umgang des Protagonisten mit anderen Figuren untersuchen und mich auf die literarische Erscheinungsform dieser Figurenkonstellation konzentrieren, um daraus wichtige Hinweise für die Charakterisierung des Protagonisten zu extrapolieren.
2 Analyse des sozialen Raum in EDL
2.1 Der Protagonist und die Frauen
Houellebecqs Roman EDL beginnt mit der Erzählung einer Arbeitsfeier, die von einem Kollegen des Protagonisten organisiert wurde. Schon von der ersten Zeile ist die Präsenz eines Ich-Erzählers offenbart „ j´étais invité “1. Der Erzähler ist also eine Figur2 des Romans und durch ihre Fokalisierung gewinnt der Leser ausgewählte Eindrücke der Feier, worüber es berichtet wird. Der erste Bericht des homodiegetischen Erzählers3 ist die Beschreibung eines Stripteases.
À un moment donné il y a une connasse qui a commencé à se déshabiller. Elle a ôté son T-shirt, puis son soutien-gorge, puis sa jupe, tout ça en faisant des mines incroyables. Elle a encore turnoyé en petite culotte pendant quelques secondes, et puis elle a commencé à se resaper, ne voyant plus quoi faire d’autre. D´ailleurs c´est une fille qui ne couche avec personne. Ce qui souligne bien l´absurdité de son comportement. 4
Der Erzähler fühlt keine Sympathie für die Figur, die das Subjekt der erzählten Szene ist. Er bezeichnet sie als „ connasse “5 und hält sie als unglaubwürdig, da er behauptet, dass, obwohl sie mit keinem schläft, macht sie durch ihr Striptease übertriebene Anstalten, die jedoch zu keiner erotischen Konklusion kommen. Deshalb kann er nicht ihr Verhalten nachvollziehen „ Ce qui souligne bien l´absurdité de son comportement.“.
Das Kommentar des Erzählers ist überwiegend subjektiv6. Das kann anhand des Einsatzes von Elementen bewertender Sprache gezeigt werden: „connasse“, „en faisant des mines incroyables“, „l´absurdité de son comportement“7. Der Leser bekommt keinen abweichenden Eindruck der beschriebenen Frau. Die eben genannte Passage kann eine erste indirekte Charakterisierung, der Hauptfigur8, darstellen, die auf seinem Verhalten gegenüber den Frauen berührt.
Eine Fortführung dieser indirekten Charakterisierung befindet sich nur wenige Zeilen entfernt: „ Ce sont deux filles pas belles du tout, les deux boudins9 du service en fait.“10.
Die Auswahl der Wörter des Protagonisten weisen auf eine ausgeprägte beleidigende Konnotation in seinen ersten Kommentaren über Frauen. Sie sind außerdem von Wörtern der Wortfelder von der äußerlichen Erscheinung11 und von der Sexualität12 begleitet.
In den erwähnten Textpassagen beurteilt der Protagonist Frauen überwiegend nach den folgenden Kriterien: das Niveau seiner sexuellen Anziehung ihnen gegenüber und ob ihr Verhalten seinen Vorstellungen einer männer-zentrierten weiblichen Sexualität entsprechen. Ist der Protagonist frauenfeindlich?
In den analysierten Auszügen aus EDL wird die Neigung des Protagonisten zu negativen Gefühlen gegenüber den Frauen hervorgehoben. Das Wort Hass wird allerdings im Text nicht explizit erwähnt.
Wenn weitere Textstellen in Betracht bezogen werden, schreibt sich die problematische Beziehung des Protagonisten zu den Frauen in einen größeren Rahmen von politisch-soziologischen Theorien ein, die im folgenden Aphorismus des Erzählers kondensiert werden: „ La sexualité est un système de hiérarchie sociale “13. In EDL wird also das Kampf, das die Bedingung für die Entstehung einer Hierarchie ist, Metapher der Sexualität. Bohrer geht auch darauf ein und unterstreicht wie in Houellebecqs Werken, Sexual- und Gewaltakten dem Tierreich anzuschließen seien.14 Das Kampf überträgt sich in EDL wie im Tierreich auf alle Lebensbereichen: „ À Paris on peut crever sur place dans la rue, tout le monde s´en fout.“15 ; „ Le libéralisme économique, c´est l´extension du domaine de la lutte, son extension à tous les âges de la vie et à toutes les classes de la société.“16.
2.2 Die Arbeitsbeziehungen des Protagonisten
Der Protagonist leidet unter den hierarchischen Dynamiken seiner Welt. Das stellt sich besonders in seinen Arbeitsbeziehungen heraus.
Catherine Lechardoy confirme dès le début toutes mes appréhensions. Elle a 25 ans, un BTS informatique, des dents gâtées sur le devant; son agressivité est étonnante (…) Elle me propose d´aller prendre un café. Évidemment, j´accepte.17
Catherine ist die Ansprechpartnern im Landwirtschaftsministerium, die der Protagonist treffen muss, um ihr die neue angebotene Software „Sycomore“18 vorzustellen. Sie belegt also die Rolle einer Kundin im dargestellten sozialen Raum.
Die Beschreibung vom Eindruck von Catherine ähnelt die, die schon vom Text erwähnt wurden: ihr Alter19, ein physischer Mangel20 wird ermittelt, ihr Verhalten21 stört den Protagonisten. Trotzdem lassen sich auch wesentlichen Unterschiede bemerken: es wird einen Schwerpunkt auf ihre Ausbildung22 gelegt, die noch mal ihre Überlegenheit in der Hierarchie gegenüber dem Protagonisten zusätzlich zu ihrem Status als Kundin betont. Der darauffolgende Effekt sind Beunruhigung23 und Unterwerfung24 eher als Verhöhnung25. Die Frauenfeindlichkeit des Protagonisten stellt sich hier nicht mehr heraus.
Wie sehen die Beziehungen vom Protagonisten mit seinen männlichen Kollegen aus? Im Teil 1, K. 4 erfolgen die ersten Begegnungen mit Kollegen am Arbeitsplatz. Zwei Figuren werden in der Erzählung vorgestellt. Der Protagonist empfindet für keine der zwei Sympathie.
Henry La Brette est mon supérieur hiérarchique direct; nos relations en général sont empreintes d´une sourde hostilité (..) J´aurais pu rétorquer: «Eh bien, je démissionne»; mais je ne l´ai pas fait.26
Hier werden noch mal Hierarchien im Vordergrund gestellt: „ (elle a) un BTS informatique “, „ Henry La Brette est mon supérieur hiérarchique direct“.27 Obwohl die geschilderte Beziehung feindselig ist, wird sie vom Protagonisten akzeptiert, da Henry La Brette einer seiner Leiter ist und daher einen höheren Platz im hierarchischen System belegt, wovon die Hauptfigur nicht herausgehen möchte: „ ma société a développé une authentique culture d´entreprise (…) je ne peux pas démissionner sur un coup de tête“28.
Im Weiteren Verlauf des Kapitels wird ein weiteres Mitglied der Firmenhierarchie eingeführt und zwar der Kollege Bernard29: „ un type légèrement plus jeune que moi, qui vient de rejoindre l’entreprise (…) sa médiocrité est éprouvante. ”30.
Seine Stelle in der Hierarchie ist nicht klar definiert. Dieses Faktor wird durch das unpersönliche und ungenaue Charakter, das der Bezeichnung „ type „31 durch die Verwendung von dem unbestimmten Artikel „ un “ gegeben wird und darüber hinaus dadurch, dass er neu32 in der Firma ist. Die Hauptfigur findet auch Bernard störend33. In diesem Fall wird der Protagonist nicht von einem Übergeordneten34 eingeschüchtert, sondern von der „ médiocrité “35 einer Person gestört. Die Begeisterung von Bernard über die Monotonie der Gesellschaft wird im Text durch die Aufzählung36 von bürokratischen und finanziellen Angelegenheiten gezeigt, wofür er sich interessiert. Sein Ausgang aus der berichteten Szene, wird durch den Anfang einer Antithese markiert: „ le silence retombe “37, die in die Beschreibung des Stadtteils der Firma hinausläuft: „ Nous travaillons dans un quartier complètement dévasté, évoquant vaguement la surface lunaire.“38. Die betrachtete düstere urbane Landschaft scheint Bernard nicht zu stören. Seine „ médiocrité “ hat seine Anpassung erleichtert: „ Je pense même qu´il est heureux dans la mesure qui lui est impartie, bien sûr dans sa mesure de Bernard“.39 Ist der Protagonist anders als Bernard? Sie sind doch beide Single und ohne Kinder40, gleichaltrig und arbeiten in der gleichen Firma. Ihre Außenwelt ist sehr ähnlich, allerdings nicht ihre Innenwelten.
[...]
1 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 1.
2 „ Eine literarische Figur ist eine körperlich manifeste, kommunizierende Bewusstseinsinstanz innerhalb eines literarischen Textes “ Schneider, Jost, Einführung in die moderne Literaturwissenschaft S. 34.
3 Ich beziehe mich im Text auf die Erzählerkategorien von Gerard Genette
4 Ebd.: 1. Teil, K. 1.
5 „Très familier Femme idiote et désagréable.“LeRobert Dico en Ligne, (21.11.2020).
6 Das kann anhand des Einsatzes von Elementen bewertender Sprache gezeigt werden: „connasse“, „en faisant des mines incroyables“, „l´absurdité de son comportement“ Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, 1. K.1.
7 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, 1. K.1.
8 Das wird später in der Erzählung offenbart: „Les pages qui vont suivre constituent un roman ; j´entends, une succession d´anecdotes dont je suis le héros“ Ebd.: 1. Teil, K.1.
9 „Familier Fille mal faite, petite et grosse.“LeRobert Dico en Ligne, (21.11.2020).
10 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 1.
11 „ (pas) belles “, „ boudins “ Ebd.: 1. Teil, K. 1.
12 „ soutien-gorge “, „ jupe “, „ petite coulotte “, „ (ne) couche avec (personne) “ Ebd.: 1. Teil, K. 1.
13 Ebd.: 2. Teil, K. 7.
14 Bohrer, Karl Heinz, „Hassen, um gehasst zu werden. Houellebecqs Version des Phantastischen“, S. 457.
15 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 7.
16 Ebd.: 2. Teil, K. 8.
17 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 7.
18 Ebd.: 1. Teil, K. 5.
19 „ Elle a 25 ans “ Ebd.: 1. Teil, K. 7. Ich vermute, dass es sich hier um einen Bezug auf sexuelle Anziehung handelt. Im Rahmen der Arbeit ist es nicht möglich dieser Hypothese nachzugehen.
20 „ des dents gâtées sur le devant “Ebd.: 1. Teil, K. 7.
21 „ son agressivité est étonnante “ Ebd.: 1. Teil, K. 7.
22 „ un BTS informatique “ Ebd.: 1. Teil, K. 7.
23 „ Catherine Lechardoy confirme dès le début toutes mes appréhensions “ Ebd.: 1n Teil, K. 7.
24 „ Elle me propose d´aller prendre un café. Évidemment, j´accepte “ Ebd.: 1. Teil, K. 7.
25 „ connasse “, „ boudins “, „ Les ultimes résidus, consternants, de la chute du féminisme “ Ebd.: 1. Teil, K. 1.
26 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 4.
27 Ebd.: 1. Teil, K. 7 und 4.
28 Ebd.: 1. Teil, K. 4.
29 „ Je crois qu´il s´appelle Bernard.“ Ebd.: 1. Teil, K. 4.
30 Ebd.: 1. Teil, K. 4.
31 „ Familier Homme en général, individu. “LeRobert Dico en Ligne, (22.11.2020) .
32 „ (…) vient de rejoindre l’entreprise“ Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 4.
33 „ sa médiocrité est éprouvante “ Ebd.: 1. Teil, K. 4.
34 Hiermit werden Catherine Lechardoy und Henry La Brette gemeint.
35 „ Insuffisance d´une pers. quant à la valeur, aux capacités, aux résultats; manque d’élévation morale ou intellectuelle ” Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales, (22.11.2020).
36 „ Il n’arrête plus de parler (…) les SICAV, les obligations françaises, les plans d’épargne-logement “ Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 4.
37 Ebd.: 1. Teil, K. 4.
38 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte; 1. Teil, K. 4.
39 Ebd.: 1. Teil, K. 4.
40 „ Depuis ma séparation avec Véronique, il y a deux ans, je n´ai en fait connu aucune femme “Ebd.: 1. Teil, K. 3; „ Qu´est-ce qu´il peut bien faire de sa vie ? (…) Un type comme lui devrait avoir des enfants“ Ebd.: 1. Teil, K. 4.