In dieser Hausarbeit wird Humes Darstellung der Diskussion analysiert und eigene Gedanken zum Problem der Theodizee wiedergegeben. Hierfür werden im ersten Teil der Arbeit die Grundpositionen der dargestellten Theodizee-Diskussion zusammengefasst und im zweiten Teil den Ablauf der Diskussion und die hierin dargestellten Argumente vorgestellt.
In der abschließenden Schlussfolgerung wird dann erörtern, in welchen Bereichen den vorgestellten Weltanschauungen zugestimmt werden kann und welche Ansichten eher abwegig erscheinen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Theodizee-Problem in den Dialogen über natürliche Religion
1.1. Demea
1.2. Kleanthes
1.3. Philo
2. Darstellung des Theodizee-Problems
2.1. Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leid
2.2. Start der Diskussion
2.3. Monolog des Philo
2.3.1. Der Schmerz
2.3.2. Physikalische Gesetze
2.3.3. Unvollkommene Kreationen
2.3.4. Die Natur als unvollkommene Maschinerie
2.4. Konsequenzen der Ausführungen
Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Aber warum gibt es so viele Kriege auf der Welt, wenn Gott doch so ein guter ist?“ ist eine der ersten Fragen, die schon Kleinkinder im Kindergarten aussprechen. Das Problem der Theodizee ist ein so auffälliger Widerspruch für die menschliche Logik, dass es heranwachsenden Kindern ebenso ins Auge sticht wie vergeistigten Philosophen.
Infolgedessen wird dieses Problem der Religionsphilosophie von einer, Jahrtausende währenden Debatte begleitet. Der christliche Apologet Lactantius (ca. 250-320 n.Chr.) schreibt bereits im dritten Jahrhundert nach Christi die erste Ausführung des Theodizee-Problems dem griechischen Philosophen Epikur (ca. 341-271 v.Chr.) zu und gibt sie in folgender weise wieder: Wenn Gott will und nicht kann, so ist er ohnmächtig; und das widerstreitet dem Begriffe Gottes. Wenn Gott kann und nicht will, so ist er mißgünstig, und das ist gleichfalls mit Gott unvereinbar. Wenn Gott nicht will und nicht kann, so ist er mißgünstig und ohnmächtig zugleich, und darum auch nicht Gott, Wenn Gott will und kann, was sich allein für die Gottheit geziemt, woher sind dann die Übel, und warum nimmt er sie nicht hinweg?1
Von hier aus entwickelt sich eine weit gefächerte Diskussion, an der zahlreiche Geistliche über Jahrhunderte hinweg partizipieren. Von Augustinus in der Spätantike zu Thomas von Aquin im Spätmittelalter bis hin zu Gottfried Wilhelm Leibniz zum Anfang der Aufklärung, scheint es zum guten Ton der Religionsphilosophen zu gehören, die Theodizee beständig neu zu denken und umzuformulieren. David Hume tritt als Philosoph der Aufklärung älteren, theistischen Positionen skeptisch gegenüber, lässt jedoch in seinen „Dialogen über die natürliche Religion“ alle Parteien unkommentiert zu Wort kommen.
In dieser Hausarbeit möchte ich Humes Darstellung der Diskussion analysieren und meine eigenen Gedanken zum Problem der Theodizee wiedergeben. Hierfür werde ich im ersten Teil der Arbeit die Grundpositionen der dargestellten Theodizee-Diskussion zusammenfassen und im zweiten Teil dann den Ablauf der Diskussion und die hierin dargestellten Argumente vorstellen.
In der abschließenden Schlussfolgerung werde ich dann erörtern, in welchen Bereichen ich den vorgestellten Weltanschauungen zustimme und welche Ansichten mir eher abwegig erscheinen.
1. Das Theodizee-Problem in den Dialogen über natürliche Religion
Hume verwendet einen anderen Ansatz als seine Vorgänger in der Darstellung des Theodizee-Problems. Anstatt eine klare Position zu vertreten, stellt er in den Dialogen über natürliche Religio n drei kontrahierende Positionen unkommentiert vor. Wer letztendlich Recht hat, bleibt dem Leser überlassen, was ganz im Sinne des liberalen und aufklärerischen Mottos Sapere aude steht. Die Gespräche werden von Philo, Kleanthes und Demea geführt und jede der drei Persönlichkeiten vertritt eine archetypische Position zum Theodizee-Streit:
1.1. Demea
Demea kann als Vertreter der konservativen Theologie verstanden werden. Er beharrt auf der Ansicht, dass Gott nur außerhalb von empirischen Beweisführungen existieren kann. Bei Demea manifestieren sich die typischen Glaubensgrundsätze des Katholizismus: Der reine Glaube steht über dem irdischen Verstand und der wahre Christenmensch lässt sich nicht durch weltliche Beweisführungen beeinflussen, sondern spürt die Wahrheit des reinen Glaubens in seinem Herzen: „Meiner Meinung (…) fühlt jeder Mensch auf gewisse Weise die Wahrheit der Religion in seinem eigenen Herzen. Es ist das Bewusstsein seiner Schwäche und seines Elends, nicht irgendein rationales Argument, das ihn dazu bringt, Schutz bei jenem Wesen zu suchen, von dem er und die ganze Natur abhängig sind.“2
Auch die Vorstellung von einem göttlichen Wesen mit menschlichem Charakter gehört zu den Versuchungen, die den reinen Glauben auf die Prüfung stellen, jedoch mit wahrer Religion nichts gemein haben. Allein die stetige Bedingtheit des Menschen und die hieraus resultierenden, niedrigen Motive des menschlichen Handelns, verbieten es dem wahren Gläubigen, an eine anthropomorphistische Version Gottes zu glauben:
„All jene Gefühle der menschlichen Seele (…) haben einen klaren Bezug auf den Zustand und die Lage des Menschen und sind darauf berechnet, unter den gegebenen Lebensumständen das Dasein eines solchen Wesens zu erhalten und seine Antriebe zu fördern. Es scheint daher nicht richtig, dergleichen Gefühle auf ein höchstes Wesen zu übertragen und es sich von ihnen angetrieben vorzustellen.3 “
Neben dieser reinen, unbedingten und transzendenten Form des Glaubens, sieht Demea in der Religion aber auch ein ganz praktisches und funktionales Instrument. Denn wer kann dem Menschen in seinen schlimmsten Stunden Trost spenden, wenn nicht der Glaube an eine höhere, jenseitige Entität?
„Welche Zuflucht hätten wir denn inmitten der unzähligen Übel des Lebens, wenn uns nicht Religion den Weg der Sühne wiese und wenn sie nicht jene Schrecknisse milderte, die uns unaufhörlich umtreiben und quälen?“4
1.2. Kleanthes
Kleanthes ist ein Vertreter progressiver christlicher Glaubensgemeinschaften. Er verteidigt die Perspektive einer anthropomorphistischen Theologie, geht also von einem Gott aus, der dem Menschen in Gestalt und Charakter ähnlich ist. Seine Position versucht er vor allem mit Argumenten der intelligent-Design-These zu untermauern: „Die kunstvolle Art, wie Mittel und Zwecke in der ganzen Natur aufeinander abgestimmt sind, entspricht genau (…) menschlicher Planung, Erfindung, Weisheit und Intelligenz.“ Da biologische Erscheinungen die Gesetze der Physik ähnlich nutzen wie der Mensch, schließt Kleanthes auf einen intelligenten Designer mit anthropomorphistischen Zügen. Als typisches Beispiel für ein solches Design kann die exakte Anordnung der Pflanzenblätter nach dem goldenen Schnitt genannt werden oder die Geißeln von Bakterien, die in ihrem Aufbau sehr stark an eine Schiffschraube erinnern und irreduzierbar komplex sind.5 Bäume und andere Pflanzen wachsen der Sonne entgegen und entwickeln Blätter, die eine möglichst effiziente Lichtabsorption gewährleisten.6 Viele weitere Beispiele aus der Natur zeigen einen effizienzorientierten ökonomischen Aufbau, der auch bei Maschinen das Design bestimmt. Durch diese Effizienzorientierung des Designs natürlicher Organismen versucht Kleanthes den anthropomorphen Gottesbeweis durchzuführen: „Die erstaunliche, die ganze Natur durchwaltende Zusammenstimmung der Mittel gleicht vollkommen (…) den Werken menschlicher Erfindung, menschlichem Denken und menschlicher Planung, Weisheit und Intelligenz. Da also die Wirkungen einander ähnlich sind, so werden wir nach allen Regeln der Analogie zu dem Schlusse hingeleitet, dass auch die Ursachen einander ähnlich sind und das der Urheber der Natur irgend etwas dem menschlichen Geiste Ähnliches sein muss (…)“7.
1.3. Philo
Philo vertritt eine skeptische bis atheistische Position und kann darum als der progressivste Charakter in der Diskussion verstanden werden. Nach seiner Weltanschauung kann das Dilemma des Theodizee-Problems nur durch eine ganz und gar gottlose Welt aufgelöst werden:
„Das Ganze bietet nichts dar als das Bild einer blinden Natur, die, von einer gewaltigen leben zeugenden Grundkraft geschwängert, gedankenlos und ohne mütterliche Fürsorge ihre unreifen Missgeburten aus ihrem Schoße ausschüttet.“8
Während er Demeas Beobachtungen der Welt vollkommen zustimmt, sind die schlussendlichen Konsequenzen, die er aus dem Unheil der Welt zieht, vollkommen entgegensetzt.
Um die Entwicklung dieser entgegengesetzten Standpunkte genauer zu untersuchen, wird im Folgenden die Darstellung der Theodizee-Problematik in Humes Dialogen über natürliche Religion in drei Abschnitten zusammenfasst:
2. Darstellung des Theodizee-Problems
2.1. Die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leid
Das Theodizee-Problem wird von Hume in den Kapiteln 10 und 11 der Gespräche über natürliche Religion dargestellt. Ausgangspunkt der Problematik sind Demeas Ausführungen über den wahren Glauben und das menschliche Leid am Anfang des 10.Kapitels. Da der wahre Glaube nach Demea nicht durch „irgendein rationales Argument“ entsteht, sondern durch „das Bewusstsein“ der menschlichen Schwäche, hat Religion nach Demea auch ganz funktionalen Charakter: „Welche Zuflucht hätten wir denn inmitten der unzähligen Übel des Lebens, wenn uns nicht Religion den Weg der Sühne wiese und wenn sie nicht jene Schrecknisse milderte, die uns unaufhörlich umtreiben und quälen?“9
Auf den weiteren Seiten des zehnten Kapitels werden von Philo und Demea die Schrecknisse, denen der Mensch sich auf der Welt stellen muss, geschildert. Beide stimmen größtenteils darin überein, dass die Existenz auf diesem Planeten von Leid und Elend erfüllt ist: „Und so ist jedes Tier auf allen Seiten, vorne und hinten, oben und unten von Feinden umgeben, die unablässig auf sein Elend und seine Zerstörung abzielen.“10
Einzig beim Menschen sind die beiden sich uneins. Demea spricht dem Menschen eine, im Tierreich, erhabene Rolle zu, da er durch die „Vereinigung in Gesellschaft (..) Löwen, Tiger und Bären bezwingen“ kann „deren größere Stärke und Behendigkeit ihn natürlicherweise zu ihrer Beute machen würde.“11
Hier hält Philo dagegen, dass der Mensch diesen kleinen Vorteil mit zahlreichen Nachteilen bezahlen muss: Zunächst nennt er Dämonen, die aus den abergläubischen Vorstellungen der menschlichen Gesellschaft entspringen und dem Menschen „jede Lebenslust vergällen“. Selbst der Tod, „die Zuflucht des Menschen vor allen anderen Übeln, bietet ihm nur die schreckensvolle Aussicht auf endlose und ungezählte Leiden“12.
Als zweites greift Philo dann die menschliche Gesellschaft als Ganzes an. Denn „für wieviel Leid und Elend „ist die menschliche Gesellschaft „nicht der Anlass? Der Mensch ist der größte Feind des Menschen.“13 Hier werden von Philo Ansichten vertreten, die an Hobbes Homo homini lupus erinnern und die natürliche Erhabenheit des Menschen im göttlichen Auftrag widersprechen.
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1 Laktanz: De ira die S.102
2 David Hume: Gespräche über natürliche Religion S.114
3 Ebda. S.55
4 David Hume: Gespräche über natürliche Religion S.114
5 Siegfried Scherer: Was Darwin nicht wissen konnte; Zeit: circa 55:00 (unter: https://www.youtube.com/watch?v=3gRbh5No8mg )
6 Tony van Ravenstein: Optimal Spacing of Points on a circle S.18 (unter: https://www.mathstat.dal.ca/FQ/Scanned/27-1/vanravenstein.pdf); Christina Imp: Phyllotaxis S.2/3 (unter: https://imsc.uni-graz.at/baur/lehre/WS2014-LAK-Seminar/1-Imp.pdf)
7 David Hume: Gespräche über natürliche Religion S.32
8 Ebda. S.146
9 David Hume: Gespräche über natürliche Religion S.114
10 Ebda. S.117
11 Ebda. S.117
12 Ebda. S.118
13 Ebda.