Diese Arbeit befasst sich mit der sogenannten Pragmatischen Sanktion, mit der die Erbfolge Maria Theresias in der österreichischen Monarchie international gesichert werden sollte. Es werden sowohl die Reaktionen der österreichischen Erblande als auch jene der europäischen Mächte auf die Pragmatische Sanktion untersucht. Dies soll zeigen, ob die Pragmatische Sanktion als ein außenpolitischer Erfolg bezeichnet werden kann oder nicht.
Die Pragmatische Sanktion stellt einen wichtigen Wendepunkt in der Politik und Tradition der Habsburgermonarchie dar, war doch zum ersten Mal eine weibliche Erbfolge möglich. Diese Regelung hatte weitreichende Konsequenzen, da Kaiser Karl VI., der letzte männliche Habsburger am 20. Oktober 1740 starb – dies hätte, normalerweise, das Ende des Geschlechts der Habsburger und ihrer Dynastie bedeutet. Doch die Pragmatische Sanktion sollte verhinderte das Aussterben der Dynastie der Habsburger – doch lediglich dann, wenn diese auch von den anderen Mächten Europas akzeptiert würde. Deshalb soll die zentrale Frage dieser Arbeit sein: Hat die Pragmatische Sanktion ihr Ziel erreicht? Wurde sie von den Erblanden und anderen europäischen Mächten akzeptiert und war sie damit erfolgreich? Hat sie „funktioniert“? War sie außergewöhnlich?
Inhalt
Einleitung
Chronologie
Hintergründe
Rechtliche Grundlagen
Reaktion der Erblande und der europäischen Mächte
Tirol
Ungarn
Kroatien
Heiliges römisches Reich
Sachsen
Preußen und Frankreich
Russland
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Pragmatische Sanktion stellt einen wichtigen Wendepunkt in der Politik und Tradition der Habsburgermonarchie dar, war doch zum ersten Mal eine weibliche Erbfolge möglich. Diese Regelung hatte weitreichende Konsequenzen, da Kaiser Karl VI., der letzte männliche Habsburger am 20. Oktober 1740 starb1 – dies hätte, normalerweise, das Ende des Geschlechts der Habsburger und ihrer Dynastie bedeutet. Doch die Pragmatische Sanktion sollte verhinderte das Aussterben der Dynastie der Habsburger – doch lediglich dann, wenn diese auch von den anderen Mächten Europas akzeptiert würde. Deshalb soll die zentrale Frage dieser Arbeit sein: Hat die Pragmatische Sanktion ihr Ziel erreicht? Wurde sie von den Erblanden und anderen europäischen Mächten akzeptiert und war sie damit erfolgreich? Hat sie „funktioniert“? War sie außergewöhnlich? Doch zuerst werde ich kurz die Hintergründe beleuchten, die zur Pragmatischen Sanktion führten, danach will ich mich den rechtlichen Grundlagen dieser widmen. Zum Schluss wird die Reaktion der anderen europäischen Herrscher – insbesondere jene von August dem Starken – auf diese Sanktion untersucht. Schließlich stellt die Pragmatische Sanktion ein Schlüsselereignis der österreichischen (Verfassungs-)Geschichte dar.
Chronologie
Die wichtigsten Daten im Hinblick auf die Pragmatische n Sanktion, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen:
- 1699: Geburt von Maria Josepha (Tochter Josephs I.)
- 1701 – 1714: Spanische Erbfolgekrieg
- 1703: Pactum mutuae sucessionis
- 1711: Tod Josephs I.
- 19. April 1713: Pragmatische Sanktion als Urkunde veröffentlicht
- 1716: Geburt des einzigen Sohnes von Karl VI. (Leopold Johann); starb allerdings noch im selben Jahr
- 13. Mai 1717: Geburt von Maria Theresia
- 1720: Anerkennung der Pragmatischen Sanktion durch Österreich ob und unter der Enns, Kärnten, Steiermark, Görz, Krain, Triest, Böhmen, Mähren, Schlesien und Tirol
- 1722/1723: Anerkennung durch Vorarlberg, Siebenbürgen und Ungarn
- 1724: Anerkennung durch die österreichischen Niederlande
- 1725: Anerkennung durch die Lombardei und Spanien
- 1726: Anerkennung durch Russland
- 1728: Anerkennung durch Preußen
- 1731: Anerkennung durch Großbritannien
- 1732: Anerkennung durch das heilige römische Reich
- 20. Oktober 1740: Tod Karls VI.
- 1740 – 1748: Österreichischer Erbfolgekrieg
- 1748: Frieden von Aachen (und damit vollkommene Anerkennung der Pragmatischen Sanktion durch alle europäischen Mächte)
- 1848: Franz Joseph I. wird aufgrund der Thronfolgeordnung der Pragmatischen Sanktion Kaiser von Österreich
- 1918: Ende der Habsburgermonarchie (damit verlor auch die Pragmatische Sanktion ihre Gültigkeit)
Dies zeigt bereits, dass – entgegen der weit verbreiteten Annahme – die Pragmatische Sanktion nicht eigens dafür verfasst wurde, um Maria Theresia zur Kaiserin und Herrscherin von Österreich zu erheben.
Ebenso ist zu erkennen, dass das heilige römische Reich sowie andere Mächte Europas die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion garantierten, es aber dennoch zum österreichischen Erbfolgekrieg kam. Damit scheint die Pragmatische Sanktion zumindest außenpolitisch ihr Ziel verfehlt zu haben.
Hintergründe
Um den Sinn der Pragmatischen Sanktion und deren Besonderheit zu verstehen, müssen zuerst die Umstände näher betrachtet werden, die Kaiser Karl VI. dazu bewegten, diese zu veranlassen. Hintergrund für ein derartiges Verfassungsdokument war der spanische Erbfolgekrieg: mit dem Vertrag Pactum mutuae sucessionis von 1703 strebte Kaiser Leopold I. ursprünglich zwei neue habsburgische Linien an – eine österreichische und eine spanische.2 Leopold I. verzichtete für sich und für seinen älteren Sohn zugunsten von Karl VI. auf das spanische Erbe – wichtig ist allerdings, dass dieser Vertrag eine gegenseitige Erbfolge der beiden habsburgischen Linien vorsah.3 Damit sollte das spanische Erbe gesichert werden. Die verbreitete Annahme, die Pragmatische Sanktion wäre explizit für Maria Theresia verfasst worden, ist falsch. Ab 1724 gewann die Pragmatische Sanktion eine neue Bedeutung, da zu diesem Zeitpunkt die Geburt eines männlichen Nachfolgers Karl VI. unrealistisch war; damit war das vorrangige Ziel nun, das österreichische Erbe zu bewahren und einen Zerfall der Monarchie zu verhindern.4 Die Pragmatische Sanktion sollte damit die Erbfolge sowohl in Österreich als auch zwischen den beiden (angedachten) habsburgischen Linien – nämlich der spanischen und der österreichischen - regeln.
Rechtliche Grundlagen
Die rechtlichen Grundlagen der Pragmatischen Sanktion veranschaulichen die Bedeutung dieser Regelung für Österreich und Europa, sowie die Reaktionen der anderen europäischen Herrscher auf diese. Der Vertrag Pactum mutuae successionis von 1703 sah bereits vor, dass im Falle des Fehlens eines männlichen Erben, die älteste Tochter des letzten Herrschaftsinhabers erbberechtigt sein solle.5 Ebenso war eine gegenseitige Erbfolge der josephinischen Linie und der karolinischen Linie vorgesehen.6 1713 wurde diese Erklärung notariell beglaubigt und galt damit als „Verfassungsdokument“, bereits Karl VI. bezeichnete die Pragmatische Sanktion als eine immerwährende Satzung.7 Eine der wichtigsten Punkte – neben dem Erbrecht der Erbtöchter – war die Festlegung, dass das habsburgische Reich nicht geteilt werden dürfe, d.h. unteilbar sei.8 Dies stellt eine Besonderheit in der österreichischen Verfassungsgeschichte dar, da die Habsburgermonarchie nach damaligen Recht lediglich eine Personalunion mit z.T. rechtsfremden Ländern (z.B. Ungarn) war, d.h. die Länder der Monarchie keine staatsrechtliche Einheit bildeten.9 Somit wurde aus dem Prinzip der Personalunion eine Unionsmonarchie (indivisibiliter et inseparabiliter unio).10 Somit wurde das Personalfolgeprinzip hausrechtlich eingeführt.11 Aufgrund der Tatsache, dass große Teile Schlesiens im Zuge des österreichischen Erbfolgekrieges verloren gingen, kann gesagt werden, dass die Pragmatische Sanktion in diesem Falle ihr Ziel (nämlich die Unteilbarkeit der Länder) nicht erreicht hat, zumindest außenpolitisch gesehen. Die Besonderheit der Pragmatischen Sanktion lag v.a. darin, dass dadurch eine weibliche Erbfolge ermöglicht wurde; bis zu diesem Zeitpunkt galt eine Dynastie nach dem Tod des Mannesstamms als ausgestorben. Die Pragmatische Sanktion stellt daher eine Abkehr vom salischen Recht dar, welches eine weibliche Thronfolge (bzw. Erbfolge) ausschloss.12 Damit stellte dieses „Verfassungsdokument“ im Vergleich zu Thronfolgeregelungen in anderen europäischen Reichen, in welchen lediglich männliche Nachkommen erbberechtigt waren13, eine Ausnahme dar. Einzigartig ist die Pragmatische Sanktion in diesem Falle allerdings nicht, da bereits in Großbritannien eine weibliche Erbfolge bei Fehlen eines männlichen Erben möglich war.14
Die Pragmatische Sanktion beachtete die Erbansprüche der Töchter Josephs I. und deren Gemahlen (u.a. Friedrich August II. und Karl Albrecht von Bayern) bzw. umging diese absichtlich, um die Einheit der Habsburgermonarchie zu bewahren; doch eben jener Schritt, der die Erbansprüche anderer Herrscher verhindern sollte, führte letztendlich zum österreichischen Erbfolgekrieg.15
Alle Länder der Habsburgermonarchie stimmten der Pragmatischen Sanktion zu, womit eine für das ganze Herrschaftsgebiet gültige Thronfolge geschaffen wurde.16 Damit wurden diese neuen Bestimmungen als Staatsgrundgesetz von allen Kronländern akzeptiert17 und damit zum Grundgesetz der gesamten Monarchie.18
Die innenpolitische und rechtliche Bedeutung der Pragmatischen Sanktion lässt sich auch daran erkennen, dass diese bis zum Ende der Monarchie bestand hatte; so wurde Franz Joseph I. 1848 aufgrund der Thronfolgeordnung der Pragmatischen Sanktion österreichischer Kaiser, nachdem Kaiser Ferdinand I. der Gütige abdankte und Franz Karl auf die Thronfolge verzichtete.19
Reaktion der Erblande und der europäischen Mächte
Karl VI: lies die Pragmatische Sanktion auch von den Mitgliedern des hl. Römischen Reichs anerkennen und schloss auch mit den anderen europäischen Mächten (Frankreich, England etc.) Verträge ab, die die Einhaltung der Bestimmungen der Pragmatischen Sanktion garantieren sollten.20 Am 19. April 1713 wurde die Pragmatische Sanktion als Urkunde veröffentlicht und mit der Publikation am 6. Dezember 1724 schließlich zum Grundgesetz der Gesamtmonarchie.21
Tirol
In Tirol wurde die Pragmatische Sanktion am 9. Dezember 1720 durch den offenen Landtag verhandelt, mit Ausnahme der Fürstbischöfe von Trient und Brixen, welche sich lediglich dem heiligen römischen Reich Untertan fühlten, nicht aber den österreichischen Erblanden.22 Es gab einige Bedenken, dass diese Bestimmung negative Folgen für die Wirtschaft und die Landesfreiheit haben könnte, ebenso waren einige separatistische Tendenzen des Landes Tirol bemerkbar.23 Dies zeigt, dass es keineswegs eine durchgängige Akzeptanz der Pragmatischen Sanktion in den österreichischen Erblanden gab. Die Stände Tirols akzeptierten die Pragmatische Sanktion schlussendlich doch, da jeder Widerstand gegen den Kaiser ohnedies aussichtslos erschien.24 Die neue Erbfolgeregelung war in Tirol nur deshalb anerkannt worden, da die Möglichkeiten eines militärischen Widerstands nicht gegeben waren. Von einem wirklichen Erfolg der Pragmatischen Sanktion allein kann hier also nicht gesprochen werden, lediglich die militärische Überlegenheit des Kaisers sicherte die Annahme der neuen Regelung. Jedoch ist nicht zu leugnen, dass das neue Erbfolgegesetz die Verbindung zwischen Tirol und den anderen österreichischen Erblande stärkte.25
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1 Vgl. Martin Scheutz, Arno Strohmeyer (Hg.), Von Lier nach Brüssel: Schlüsseljahreösterreichischer Geschichte (1496 – 1995) (StudienVerlag, Wien 2010), 140.
2 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 138.
3 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 138f
4 Vgl. Karl Otmar Freiherr von Aretin, Das Alte Reich, 1648-1806: Kaisertradition und österreichische Grossmachtpolitik (1684-1745) (Klett-Cotta Verlag 1993), 295.
5 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 138f
6 Vgl. Albrecht Philipp, August der Starke und die pragmatische Sanktion: Die Zeit des ersten Wiener Friedens (Bremen 2011), 16f
7 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 139.
8 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 139.
9 Vgl. Franz Zeilner, Verfassung, Verfassungsrecht und Lehre des öffentlichen Rechts in Österreich bis 1848: eine Darstellung der materiellen und formellen Verfassungssituation und der Lehre des öffentlichen Rechts : die Vorgängerfächer des Verfassungsrechts, die bedeutendsten Universitätslehrer und die wesentliche Literatur im öffentlichen Recht (2008), 31.
10 Vgl. Harm Klueting, Das Reich und Österreich 1648 – 1740 (LIT Verlag, Münster 1999), 121.
11 Vgl. Franz Zeilner, Verfassung, Verfassungsrecht und Lehre des öffentlichen Rechts in Österreich bis 1848: eine Darstellung der materiellen und formellen Verfassungssituation und der Lehre des öffentlichen Rechts : die Vorgängerfächer des Verfassungsrechts, die bedeutendsten Universitätslehrer und die wesentliche Literatur im öffentlichen Recht (Peter Lang, Frankfurt am Main 2008), 31.
12 Vgl. Karl August Eckhardt, Monumenta Germaniae Historica: Legum Sectio I, 4. Band (1962), 223.
13 Vgl. auch Eobald Toze, Einleitung in die allgemeine und besondere Europäische Staatskunde, 1. Band (1785), 80f
14 Vgl. Toze, Einleitung in die allgemeine und besondere Europäische Staatskunde, 1. Band (1785), 446.
15 Vgl. Harm Klueting, Das Reich und Österreich 1648 – 1740 (LIT Verlag, Münster 1999), 120f
16 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 140.
17 Vgl. Alois Niederstätter, Geschichte Österreichs (W. Kohlhammer Verlag 2007), 133.
18 Vgl. Henrik Marczali, Ungarisches Verfassungsrecht (1993), 225.
19 Vgl. Rudolf Hoke, Österreichische und deutsche Rechtsgeschichte (Böhlau Verlag, Wien 1996), 353.
20 Vgl. Scheutz, Von Lier nach Brüssel (Wien 2010), 140.
21 Vgl. Michael Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte: Vom Alten Reich bis Weimar (1495 bis 1934) (Springer Verlag, Berlin 2008), 173.
22 Vgl. Nikolaus Grass, Die Pragmatische Sanktion und Tirol, In: Der Donauraum, Zeitschrift des Forschungsinstitutes für den Donauraum (9. Jahrgang, Wien 1964) 15 – 17, hier: 15.
23 Vgl. Nikolaus Grass, Die Pragmatische Sanktion und Tirol, In: Der Donauraum, Zeitschrift des Forschungsinstitutes für den Donauraum (9. Jahrgang, Wien 1964) 15 – 17, hier: 16.
24 Vgl. Nikolaus Grass, Die Pragmatische Sanktion und Tirol, In: Der Donauraum, Zeitschrift des Forschungsinstitutes für den Donauraum (9. Jahrgang, Wien 1964) 15 – 17, hier: 16.
25 Vgl. Nikolaus Grass, Die Pragmatische Sanktion und Tirol, In: Der Donauraum, Zeitschrift des Forschungsinstitutes für den Donauraum (9. Jahrgang, Wien 1964) 15 – 17, hier: 17.