Die Hausarbeit erläutert die Bedeutung von biografischem Lernen für die Erwachsenenbildung. Ziel der Arbeit ist es, die Frage zu beantworten, inwiefern biografische Ansätze das Lernen von Erwachsenen sowie insbesondere die Erwachsenen- und Weiterbildung beeinflussen. Ein Schwerpunkt wird darauf gesetzt, inwiefern Erwachsene durch biografische Selbstreflexion lernen. Neben dem steigenden Bewusstsein darüber, dass Menschen ihr Leben lang lernen, begründet sich die Relevanz der Fragestellung ebenfalls durch die steigende Bildungsbeteiligung Erwachsener in Deutschland.
In Kapitel 2 werden zunächst theoretische Grundlagen vermittelt, indem der Begriff des biografischen Lernens sowie dessen Stellenwert in der Erwachsenenbildung erläutert und anschließend in einen historischen Kontext eingeordnet wird. Kapitel 3 widmet sich biografischen Ansätzen in der Erwachsenen- und Weiterbildung. In diesem Zusammenhang werden sowohl biografisches Lernen als auch die Biografieforschung in der Erwachsenen- und Weiterbildung beleuchtet. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der biografischen Selbstreflexion von Erwachsenen, welche insbesondere anhand eines Forschungsprojekts über biografische Selbstreflexion in der Lebensmitte thematisiert wird. Des Weiteren werden die zwei zentralen Aussagen der Hausarbeit vor dem Hintergrund des Forschungsbeispiels, der theoretischen Ausarbeitung und dem aktuellen Forschungsstand diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
2 DAS KONZEPT DES BIOGRAFISCHEN LERNENS
2.1 Erläuterung von biografischem Lernen
2.2 Historischer Kontextvon biografischen Ansätzen
3 BIOGRAFISCHE ANSÄTZE IN DER ERWACHSENEN- UND WEITERBILDUNG
3.1 Biografisches Lernen in der Erwachsenen- und Weiterbildung
3.2 Die erwachsenenpädagogische Biografieforschung
4 BIOGRAFISCHE SELBSTREFLEXION VON ERWACHSENEN
4.1 Biografische Selbstreflexion in der Lebensmitte
4.2 Biografische Selbstreflexion als Lernmethode Erwachsener
5 FAZITUNDAUSBLICK
I. LITERATURVERZEICHNIS
1 Einleitung
"You cannot teach an old dog new tricks". Dieses Sprichwort ist bis heute tief in den Köpfen einiger Menschen verankert. Über einen langen Zeitraum stellten viele Menschen, darunter Psychologinnen und Pädagoginnen, die Lernfähigkeit Erwachsener in Frage (vgl. Bron, 2019, S. 33f.). Die Bedeutung von Lernen hat sich jedoch im Zuge der Bildungsdebatte der 1990er Jahre sowohl für einzelne Individuen, für Bildungseinrichtungen als auch für die Gesellschaft als Ganzes verändert (Al- heit & Dausien, 2002, S. 5). Heutzutage herrscht breiter Konsens darüber, dass Menschen in unterschiedlichen Lebenskontexten, Alltagssituationen sowie biografischen Übergängen lernen (Rothe, 2015, S. 33).,,Learning is the very basis of our humanity-it is the process of internalising the external world and being able to locate ourselves within it." (Jarvis 2001, S. 201).
Im Rahmen des neuen Lernverständnisses werden verschiedene Lernformen synergetisch miteinanderverbunden. Demnach soll Lernen lebensbegleitend stattfinden und sich systematisch auf die gesamte Lebensspanne ausdehnen. Hierbei ist es von essentieller Bedeutung, dass Lernumgebungen geschaffen werden, in welchen sich die jeweiligen Lernformen organisch ergänzen. Es ergibt sich jedoch ein Konflikt daraus, dass das neue Lernverständnis insbesondere von politischen und wirtschaftlichen Vorstellungen geprägt ist. Demnach wird hauptsächlich nach einer hohen Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigungsrate und Anpassungsfähigkeit der Arbeitskräfte gestrebt. Es gehtje- doch ebenso um die Stärkung der biografischen Gestaltungsfreiheit und das soziale Engagement der Individuen (Alheit & Dausien, 2002, S. 5).
Biografisches Lernen stellt eine alternative Variante des lebenslangen Lernens dar, welche das Wissen über die Beziehungen zwischen individuellen Biografien und Institutionen der Erwachsenenbildung erweitert (Lischka, 1995, S. 9). Es handelt sich hierbei um eine breite Konzeption des Lernens, welche sich nicht nur auf institutioneile Definitionen beschränkt, sondern kognitive und reflexive Dimensionen sowie emotionale, körperbezogene, präreflexive und nicht-kognitive Aspekte alltäglicher Lernpraktiken einschließt (Tedder & Biesta, 2007, S. 3). Biografisches Lernen beschäftigt sich mit der individuellen Seite des lebenslangen Lernens, welche die lebensgeschichtliche Perspektive des Lernenden als Ausgangspunkt nimmt und sich auf die Lernprozesse einzelner Akteur*lnnen konzentriert (Alheit & Dausien 2002, S. 11; Hallqvist, 2014, S. 499). Durch biografische Ansätze wird hervorgehoben, was Lernen im Leben von Erwachsenen tatsächlich bedeutet und bewirkt (Tedder & Biesta, 2007, S. 3). Das biografische Lernen bietet somit einen alternativen Weg, um Fragen im Zusammenhang mit der Politikgestaltung anzugehen. Die Bildungspolitik soll durch biografisches Lernen dazu gebracht werden, die Potenziale der autobiografischen Reflexionen und Erzählungen der Menschen anzuerkennen (Hallqvist, 2014, S. 499).
Es kommt im Rahmen des biografischen Lernens häufig zu überraschenden Enthüllungen, welche den Betroffenen nicht bewusst waren und welche durch Selbstreflexion verarbeitet werden müssen (Tedder & Biesta, 2007, S. 6). Durch biografische Selbstreflexion wird versucht, Erfahrungen transparent zu machen, welche die eigene Identität und das heutige Handeln prägen (Gudjons, Pieper & Wagener, 1986, S. 24). Nach Gudjons, Wagener-Gudjons und Pieper (2020) erweist sich „das Konzept der biografischen Selbstreflexion insbesondere in der Erwachsenenbildung als erstaunlich nüchtern, stabil und fruchtbar.“ (S. 11).
Auf diese Debatte Bezug nehmend erläutert die vorliegende Hausarbeit die Bedeutung von biografischem Lernen für die Erwachsenenbildung. Ziel der Arbeit ist es, die Frage zu beantworten, inwiefern biografische Ansätze das Lernen von Erwachsenen sowie insbesondere die Erwachsenen- und Weiterbildung beeinflussen. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Hausarbeit, kann nicht jeder relevante Aspekt zur Beantwortung dieser Fragestellung vollständig abgedeckt werden. Aus diesem Grund wird ein Schwerpunkt darauf gesetzt, inwiefern Erwachsene durch biografische Selbstreflexion lernen. Neben dem steigenden Bewusstsein darüber, dass Menschen ihr Leben lang lernen, begründet sich die Relevanz der Fragestellung ebenfalls durch die steigende Bildungsbeteiligung Erwachsener in Deutschland (BmBF, 2018, S. 56f.).
In Kapitel 2 werden zunächst theoretische Grundlagen vermittelt, indem der Begriff des biografischen Lernens sowie dessen Stellenwert in der Erwachsenenbildung erläutert und anschließend in einen historischen Kontext eingeordnet wird. Kapitel 3 widmet sich biografischen Ansätzen in der Erwachsenen- und Weiterbildung. In diesem Zusammenhang werden sowohl biografisches Lernen als auch die Biografieforschung in der Erwachsenen- und Weiterbildung beleuchtet. Das vierte Kapitel beschäfigt sich mit der biografischen Selbstreflexion von Erwachsenen, welche insbesondere anhand eines Forschungsprojekts über biografische Selbstreflexion in der Lebensmitte thematisiert wird. Desweiteren werden die zwei zentralen Aussagen der Hausarbeit vor dem Hintergrund des Forschungsbeispiels, der theoretischen Ausarbeitung und dem aktuellen Forschungsstand diskutiert. In Kapitel 5 wird abschließend ein Fazit gezogen, die Ausgangsfrage beantwortet und ein Ausblick gegeben.
2 Das Konzept des biografischen Lernens
2.1 Erläuterung von biografischem Lernen
Alheit und Dausien (2002, S.18) merken an, dass bislang sowohl eine einheitliche Defnition als auch eine systematisch ausgearbeitete Theorie des biografischen Lernens (engl, biographical learning) fehle. Die Literatur zum biografischen Lernen kennzeichnet sich nach Tedder und Biesta (2007, S. 3) jedoch durch ein allgemeines Interesse an Beziehungen zwischen Lernen und Biografie. Dies umfasst ein Interesse an der Biografie selbst als Lernfeld sowie dem Einfluss der Biografie auf Lern- Prozesse und -praktiken. Bei biografischem Lernen werden Entscheidungen, Erfahrungen und Entwicklungen bewusst und sichtbar gemacht, indem die eigene Lebensgeschichte verbalisiert oder verschriftlicht wird (vgl. Boiland, 2011; Bron & Thunborg, 2017; Bron, 2019; Meulemann & Birkelbach, 2017d). Die Geschichte verändert sich, wenn sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt wird, da sie durch Entwicklungen im Leben beeinflusst wird. Biografien werden somit immer wieder konstruiert und rekonstruiert, wenn sie erzählt und nacherzählt werden (Bron, 2019, S. 43). Interaktion und Kommunikation stellen wesentliche Bestandteile des biografischen Lernens dar (Alheit & Dau- sien, 2002, S. 16). Durch die Bewusstwerdung eigener Verstrickung in Geschichten, lernen Menschen sich selbst besser zu verstehen und entwickeln sich somit weiter (Boiland, 2011, S. 55). „D/'e eigene Lernbiografie wird als Hintergrundfolie gesehen, auf der sich biografische Selbstreflexion und biografische Kompetenz entwickeln kann.“ (ebd., S. 55). Biografische Selbstreflexion als Lernmethode Erwachsener stellt einen thematischen Schwerpunkt der vorliegenden Hausarbeit dar und wird daher in Abschnitt 4 ausführlich erläutert.
Während formales Lernen in Bildungseinrichtungen stattfindet, erfolgen non-formale Lernerfahrungen außerhalb dieser, beispielsweise am Arbeitsplatz und in Vereinen oder Verbänden. Informelle Lernprozesse sind hingegen eine nicht zwingend beabsichtigte Begleiterscheinung des Alltags (Alheit & Dausien, 2002, S. 4). Innerhalb biografischer Erfahrungen spielt die Unterscheidung zwischen den Lernprozessen eine untergeordnete Rolle, da diese innerhalb des Lebenslaufs eng miteinander verflochten sind (Nittel & Seitter, 2005, S. 514). Es gehört hingegen zu den Besonderheiten der Biografie, dass Erfahrungen aus einem institutioneilen und privaten Kontext ineinander integriert werden und sich zu einem neuen Sinngefüge zusammenschließen. Diese Eigenleistung von Menschen wird als Biografizität (engl, biographicity) bezeichnet (Alheit & Dausien, 2002, S. 11). Nach Siebert (2017) beschreibt „Biografizität[...] die Fähigkeit Erwachsener, ihre Lebenserfahrungen mit neuen gesellschaftlichen Entwicklungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vernetzen.“ (S. 74). Vernetzung bedeutet in diesem Kontext, dass die Umwelt in die eigene Lebenswelt integriert wird, um eine eigene Realität und Identität zu erschaffen (ebd.). Alheit (1995) betont im Zusammenhang mit Biografizität zusätzlich, dass Kontexte im eigenen Leben immer wieder neu gestaltet werden und somit als „formbar“ erlebt werden.
2.2 Historischer Kontext von biografischen Ansätzen
Biografische Ansätze haben sich in vielen verschiedenen Bereichen etabliert. Dazu zählen beispielsweise die Altenbildung (z. B. Kulmus, 2011), die Professionalisierung pädagogischer Berufe (z. B Rothe, 2008), die Alphabetisierungsarbeit (z. B. Arnold & Lucha, 2011) und die Persönlichkeitsentwicklung (z. B. Gudjons et al., 1986). Aufgrund des thematischen Schwerpunkts der vorliegenden Hausarbeit wird der historische Kontext biografischer Ansätze in diesem Abschnitt insbesondere innerhalb der Erwachsenenbildung beschrieben.
Sowohl der Begriff als auch das Konzept des biografischen Lernens wurde Anfang der 1990er Jahre von dem Soziologen Peter Alheit in der Erwachsenenbildung eingeführt, welcher das Konzept international verbreitete (vgl. Hallqvist, 2014, S. 497; Akin, 2015, S. 87). Er stellte das Konzept erstmals 1993 auf einer Konferenz in Genf vor, welche von dem Netzwerk für Lebensgeschichte und Biografieforschung organisiert wurde. Dieses Netzwerk, welches einen Teil der „European SocietyforRe- search on the Education of Adults“ (ESREA) darstellt, bildet einen wichtigen Rahmen für die Diskussion über biografisches Lernen (Hallqvist, 2014, S. 497). Als Ergebnis der Netzwerkkonferenzen 1993 in Genf und 1994 in Wien wurde der Sammelband The Biographical Approach in European Adult Education (Alheit, Bron-Wojciechowska, Brugger & Dominicé, 1995) veröffentlicht. Nach dem Konzept von Alheit et al. (1995) wird Lernen in Relation zu dem Lebenszyklus und der Biografie betrachtet.
Tedder und Biesta (2007, S. 3) betrachten die Ursache für das Hinwenden zu biografischen Methoden vor dem Hintergrund der schnellen Veränderungen in modernen Gesellschaften. Sie beschreiben eine biografische Wende (engl, biographical turn), welche durch die explizite Absicht motiviert ist, verschiedene Dimensionen des Lernens Erwachsener zu betrachten. Die biografische Wende sei unter anderem mit der Einführung neuer Forschungsmethoden und -verfahren innerhalb der Erwachsenenbildung verbunden, auf welche in Abschnitt 3.2 eingegangen wird. In methodologischer Hinsicht reichen biografische Ansätze in der Erwachsenenbildungsforschung bis zur Chicago School der 1920er Jahre zurück (West, 2010, S. 25). Dominicé (2000) beschreibt das Wiederaufleben biografischer Ansätze als Teil eines breiteren Trends in den Sozialwissenschaften. Nach Hallqvist (2014, S. 498) habe sich die Biografie aufgrund von allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen zu einem Lernfeld etabliert. Autobiografische Rückblicke gewinnen angesichts soziokultureller Bedingungen an Relevanz, da Traditionen eine schwächere Einflussmacht besitzen und Menschen nicht mehr standardisierten Lebensläufen folgen. Dies ist laut Alheit und Dausien (2002, S. 9) darauf zurückzuführen, dass sich Individuen zunehmend dazu drängen, sich ständig neu zu orientieren. Sie benötigen zum Umgang mit der enttraditionalisierten Moderne neue und flexible Kompetenzstrukturen, welche sich ausschließlich im Rahmen lebenslanger Lernprozesse aufbauen und entwickeln können. Dies macht grundlegende Veränderungen im Bildungssystem erforderlich, welche in dem anschließenden Kapitel thematisiert werden.
3 Biografische Ansätze in der Erwachsenen- und Weiterbildung
3.1 Biografisches Lernen in der Erwachsenen- und Weiterbildung
Das Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Alle Vorstellungen über das Erwachsenenleben wurden von Grund auf neu überdacht. Es besteht Einigkeit darüber, dass Erfahrung und Biografie unausweichliche Ausgangspunkte der Jugend- und Erwachsenenbildung darstellen (Gonzâlez-Monteagudo, 2017, S. 62). Der biografische Ansatz 4 stellt einen neuen Horizont für die Erwachsenenbildungsforschung dar, indem die Beziehung zwischen individuellen Biografien und Institutionen der Erwachsenenbildung durch zusätzliches Wissen erweitert wird (Hallqvist, 2014, S. 497).
Im Rahmen der Erwachsenenbildung ist es von besonderer Bedeutung, dass die eigenen Wirklichkeitskonstruktionen reflektiert werden und sich ein verantwortliches Selbst- und Weltverständnis angeeignet wird (Siebert, 2017, S. 93). Dies betrifft sowohl Lernende als auch Lehrende. Nach Graff (2008, S. 64) ist biografische Selbstreflexion im Kontext pädagogischer Professionalität ein wichtiges Instrument, um eine reflexive Haltung zu eigenen Mustern zu entwickeln. Das Lernen Erwachsener ist gemäß Siebert (2017) prinzipeil immer auch biografisches Lernen, da ,,[k]ein Lernprozess in der Erwachsenenbildung [...] am Nullpunkt [beginnt]. Lernstile, Lernmotive, Lernbarrieren sind biografisch verwurzelt. Nachhaltig gelernt wird nur das, was anschlussfähig ist an Vorkenntnisse und Erfahrungen. Ohne eine solche Anschlussfähigkeit bleibt neues Wissen meistens ,träge‘.“ (S. 72).
Das Erreichen von formalen Schulabschlüssen sowie die berufliche Weiterbildung haben im Erwachsenenalter sowohl einen strategischen Wertaspekt als auch eine persönliche und biografische Bedeutung. Hierbei werden oftmals biografisch erfahrene Bildungsdefizite sowie unerfüllte Bildungswünsche kompensiert (Alheit & Dausien, 2002, S. 14). „Lernen im Erwachsenenalter ist vor allem [...] eine Erweiterung und Differenzierung des geistigen Horizonts.“ (Siebert, 2017, S. 25). Innerhalb der biografischen Perspektive eines Individuums gibt es ein zeitlich strukturiertes Bedürfnis nach (Weiter-)Bildung und persönlicher Entwicklung, welche Lernprozesse im Sinne einer impliziten biografischen Struktur beeinflussen. Häufig werden Weiterbildungsangebote von Erwachsenen nicht nur genutzt, um vorgegebenen Bildungswegen zu folgen, sondern auch um Zeit für eigene Lernprozesse und Reflexionen zu gewinnen (Alheit & Dausien, 2002, S. 14).
3.2 Die erwachsenenpädagogische Biografieforschung
In den 1980er und 1990er Jahren kam im Bereich der Erwachsenenbildung ein großes Interesse an biografischen Forschungsansätzen auf (Hallqvist, 2014, S. 498). Die soziologische Biografieforschung bewegt sich im Rahmen der Erwachsenenbildung zunächst zwischen Lebenslaufforschung (z. B. Siebert, 1985), interpretativer Biografieforschung (z. B. Alheit, 1984) sowie Entwicklungs- und Sozialpsychologie (z. B. Knoll 1980). Heutzutage zählen das narrative Interview und die objektive Hermeneutik zu den populärsten Methoden der Biografieforschung. Im Gegensatz zu der Lebenslaufanalyse werden somit insbesondere qualitative Verfahren eingesetzt (Sackmann, 2013, S. 63). Das Aufkommen biografischer Forschungsansätze kann als Reaktion gegen solche Forschungsmethoden gesehen werden, die dazu tendieren, die subjektiven Erfahrungen der Lernenden zu vernachlässigen und den individuellen Lernprozess auf abstrakte Größen zu reduzieren (Hallqvist, 2014, S. 498; Tedder & Biesta, 2007, S. 3). „Die Bildungspraxis begegnet den biografischen Hintergründen der Teilnehmenden und Adressaten mit neuer Aufmerksamkeit, sucht [sic!] ihre Angebote auf sie abzustimmen und eröffnet Räume, in denen biografische Erfahrungen und biografisches Wissen thematisiert, expliziert und reflektiert werden können.“ (Rothe, 2015, S. 24).
Nittel und Seitter (2005, S. 514) nennen drei zentrale Gründe dafür, weshalb biografische Zugänge einen hohen Stellenwert bei der wissenschaftlichen Erschließung des Lernens von Erwachsenen aufweisen. Diese sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Erstens lassen sich pädagogisch relevante Prozesse im Leben Erwachsener gut durch biografieanalytische Ansätze erschließen, welche im Vergleich zu aufwendigen Längsschnittuntersuchungen mit einem vertretbaren forschungsökonomischen Aufwand verbunden sind. Der zweite Grund basiert auf der Tatsache, dass sich Veranstaltungen in der Erwachsenenbildung häufig durch Unverbindlichkeit und Freiwilligkeit auszeichnen. Es besteht dadurch ein dringender Bedarf der Untersuchung von Besuchsmotiven erwachsenenpädagogischer Veranstaltungen vor dem Hintergrund der gesamten biografischen Lebensführung. Drittens eignet sich die Biografieforschung in der Erwachsenenbildung gut zur Bildung gegenstandsbezogener Theorien (ebd.). „Empirisierung und Theoretisierung verbinden sich innerhalb der erwachsenenpädagogischen Biografieforschung insofern auf genuine Weise, als das Lernen Erwachsener gleichzeitig aus der biografisch verankerten Aneignungsperspektive empirisch rekonstruiert und im Lichte theoretischer (Modernisierungs-, Organisations- oder Professions-)Per- spektiven interpretiert wird.“ {ebd., S.514f.).
Darüber hinaus sind die individuelle Ansammlung von Erfahrungen und deren Geltungsmechanismen innerhalb der Biografieforschung von entscheidender Bedeutung für die Subjektbildung (Schlüter, 2008, S. 35). Im Zuge einer gestärkten biografischen Perspektive in der Erwachsenenbildungsforschung, lässt sich nach Rothe (2015, S. 24) ein größeres Interesse an den biografischen Subjekten beobachten. Biografische Subjekte erzählen im Rahmen narrativer biografischer Interviews ihre Lebensgeschichte. Anschließend werden die autobiografischen Selbstdarstellungen analysiert, so- dass sich unter anderem lebensgeschichtliche Muster der Lernaktivitäten sowie explizite und implizite Bedeutungen von Bildung erkennen lassen. Durch das aufkommende Interesse an den Biografien von Lernenden ergeben sich neue Spielräume der Selbstbestimmung von Individuen (ebd.).
[...]