In der vorliegenden Arbeit wird der künstlerische Prozess einer Schülerin im Alter von 8 Jahren im Hinblick auf kreativitätstheoretische Annahmen untersucht. Zu Beginn folgt eine Analyse der bestehenden formalen, sowie inhaltlichen Rahmenbedingungen, bevor im dritten Abschnitt das finale Produkt beschrieben wird. Weiter folgt die Dokumentation der Beobachtungen im künstlerischen Prozess und deren theoriegeleitete Reflexion. Bevor das Fazit folgt, setzt sich die Autorin im fünften Abschnitt noch mit der Frage auseinander, ob dieser künstlerische Prozess als kreativ einzuordnen ist.
Immer wieder liest man, wie wichtig die Kreativität in der kindlichen Entwicklung sei. So sollte man vor allem als Pädagoge bzw. als Pädagogin der Kunst umfassendes Wissen über diesen Bereich verfügen, um Kindern auch eine passende Förderung bieten zu können. Bevor ich das Seminar "Kreativität" besuchte, galt die Kreativität für mich als ein sehr diffuser Begriff, welchen ich zwar im Alltag einige Male verwendete, jedoch nie genau wusste, was einen kreativen Prozess eigentlich genau ausmacht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rahmenbedingungen
2.1. Formale Bedingungen
2.2. Inhaltliche Bedingungen
3. Vorstellung des Produkts
4. Der künstlerische Prozess
4.1. Dokumentation der Beobachtungen im Prozess
4.2. Theoriegeleitete Reflexion
5. Persönlich gesetzte Fragestellung
5.1. Ist dieser künstlerische Prozess als „kreativ" einzuschätzen?
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Die „Kindheit [...] ist das Zeitalter der Kreativität" (Baacke, 1984, S. 145).
Immer wieder liest man, wie wichtig die Kreativität in der kindlichen Entwicklung sei. So sollte man vor allem als Pädagoge bzw. als Pädagogin der Kunst umfassendes Wissen über diesen Bereich verfügen, um Kindern auch eine passende Förderung bieten zu können. Bevor ich das Seminar „Kreativität" bei Herrn Heyl besuchte, galt die Kreativität für mich als ein sehr diffuser Begriff, welchen ich zwar im Alltag einige Male verwendete, jedoch nie genau wusste, was einen kreativen Prozess eigentlich genau ausmacht.
In der vorliegenden Arbeit werde ich den künstlerischen Prozess einer Schülerin im Alter von 8 Jahren im Hinblick auf kreativitätstheoretische Annahmen untersuchen. Zu Beginn folgt eine Analyse der bestehenden formalen, sowie inhaltlichen Rahmenbedingungen, bevor ich im dritten Abschnitt das finale Produkt beschreibe. Weiter folgt die Dokumentation der Beobachtungen im künstlerischen Prozess und deren theoriegeleitete Reflexion. Bevor ich mein Fazit erläutere, setze ich mich im fünften Abschnitt noch mit der Frage auseinander, ob dieser künstlerische Prozess als kreativ einzuordnen ist.
2. Rahmenbedingungen
2.1. Formale Bedingungen
Im Rahmen eines Tagesfachpraktikums des integrierten Semesterpraktikums im Wintersemester 2019/2020 entstand die Beobachtung des künstlerischen Prozesses der 8 Jahre alten Hannah. Die Einheit, welche zwei Doppelstunden Kunstunterricht füllte, wurde von einer Kommilitonin an einer Schule in Staufen durchgeführt. Auf meiner Erfahrung beruhend und den daraus resultierenden Vergleichsmöglichkeiten, ist die Grundschule bezüglich dem Fach Kunst und Werken überdurchschnittlich ausgestattet: Sie verfügt über eine Kunstwerkstatt, einen Werkraum und einen konventionell ausgestatteten Kunstraum. Zusätzlich wird die Kunstwerkstatt sowie ein Bastelprojekt in der offenen Ganztagesschule als externe Möglichkeit am Nachmittag angeboten.
Die Unterrichtseinheit zum Thema „Erfindungen" wurde in der Kunstwerkstatt gehalten, welche unter einem Großteil der Schüler_innen sehr beliebt ist, darunter auch bei Hannah. Unter der Kunstwerkstatt versteht man im Allgemeinen nicht nur eine räumliche Einrichtung, sondern auch ein didaktisches Prinzip, welches mit offen gestalteten Unterrichtsmethoden einhergeht, (Heyl, Offene Dialoge in der Kunstwerkstatt - Keiner weiß, was es werden wird, 2015). Die Werkstatt in der Schule in Staufen umfasst einen Materialraum, in welchem sich die Schüler_innen selbstständig bedienen können, sowie ein Werkraum, wo unterschiedliche Werkzeuge zur Verfügung stehen.
2.2. Inhaltliche Bedingungen
Das allgemeine Thema der Unterrichtseinheit war die Erfindung. Im Einstieg berichtete die Studentin von einem persönlichen Erlebnis: Ihr Cousin erzählte ihr, dass er im späteren Berufsleben gerne Erfinder werden möchte. Daraufhin stellte sich die Frage, was Erfindungen überhaupt ausmachen und die Studentin erklärte, dass Erfindungen getätigt werden, um Probleme zu lösen. Sie regte die Schüler_innen an, darüber nachzudenken, mit welchen Problemen sie im Alltag konfrontiert werden. Es wurden einige Ideen im Plenum gesammelt, bevor es in die Kunstwerkstatt ging.
Der inhaltliche Ausgangspunkt der Stunde war also ein bestimmtes Problem, das von den Schüler_innen durch eine eigene Erfindung gelöst werden soll, welche mit Hilfe von Materialien der Kunstwerkstatt in ein künstlerisches Produkt umgesetzt werden soll.
3. Vorstellung des Produkts
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: "Eine Kuppel zur Schule“ Quelle: Eigene Aufnahme
In der Abbildung 1 ist das Produkt zu sehen, welches eine transportfähige Kuppel darstellen soll, mit der die Schüler_innen der Schule von der Schule nach Hause fahren können.
Die Hälfte eines Faltkartons und den dazugehören Seitenlaschen bilden den rechteckigen, circa 40x55 cm großen Grundriss, auf welchem die weiteren Gegenstände teilweise mit Kleber befestigt wurden. An zwei gegenüberliegenden Ecken hat Hannah jeweils eine Milchtüte be-festigt, welche die zwei Stationen der Gondel darstellen sollen. In die Deckel der Milchtüten wurde mit Hilfe eines Nagels ein Loch durchgebohrt, um dann eine Paketschnur durch zu fä-deln, die dann die Milchtüten miteinander verbindet. An der Paketschnur ist eine aus Frisch-haltefolie bestehende Kugel, in welcher der Mensch während dem Transport sitzt, durch ein weiteres Stück Paketschnur befestigt. Dadurch, dass die Kugel durch eine Lasche am oberen Seil befestigt wurde, kann diese auch zwischen den Milchtüten bewegt werden.
Des Weiteren findet man in den anderen Ecken des Grundrisses noch zwei durch rechteckige Lederstücke dargestellte Himmelsliegen, ein umgedrehter Lampenschirm als Vogelkäfig, sowie auf der gegenüberliegenden Seite ein aufschiebbarer Karton als Ticketschalter. Dem Halbmond wurde keine bestimmte Funktion zugesprochen.
Um das Werk als Rezipient vollständig betrachten und zu können, ist meines Erachtens ein Rundumgang nötig.
4. Der künstlerische Prozess
4.1. Dokumentation der Beobachtungen im Prozess
Beginnend im Sitzkreis vor der Tafel stieg die Studentin ein, indem sie die Schüler_innen angeregt hat, darüber nachzudenken, mit welchen Problemen sie im Alltag konfrontiert werden. Es wurde erklärt, dass man die Lösungen solcher Probleme als „Erfindung" bezeichnet.
Relativ schnell meldeten sich die ersten Schüler_innen, um ihre Ideen in das Plenum zu tragen. Darunter auch Hannah, die der Studentin und ihren Mitschüler_innen zuerst ihren Ausgangspunkt, das Problem, erklärte. Im Sommer sei es immer sehr heiß draußen und, da Hannah und ihr Bruder Timo einen längeren Fußweg zur Schule bzw. nach Hause haben, würde dieser bei der Hitze sehr anstrengend sein. So präsentierte Hannah ihre Idee von einer Kuppel, in welcher man als Schüler_in vom eigenen Haus zur Schule bewegt werden kann. Als Beobachterin empfand ich es als erstaunlich, wie strukturiert und klar die Schülerin ihr mentales Modell verbalisieren konnte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Pappkarton Quelle: Eigene Aufnahme
Als das Signal für die Materialsuche gegeben war, fand Hannah nach relativ kurzer Zeit einen Karton, welchen man durch Aufschieben von zwei Seitenteilen öffnen konnte.
Diesen ließ sie jedoch vorerst am Platz liegen und wechselte dann immer wieder zwischen dem Material- und dem Werkraum. Als Beobachter zweifelte ich im ersten Moment, ob vielleicht Orientierungslosigkeit ein Grund für den ständigen Raumwechsel sein könnten. Bei genauerer Beobachtung ihres Verhaltens und vor allem ihrer konzentrierten Mimik, machte sie jedoch vielmehr den Eindruck, als würde sie eine klare Vorstellung von ihrer momentanen Handlung haben. Immer wieder hält sie ein Gegenstand in der Hand und prüfte diesen mit einem kritischen Blick, bevor sie viele davon erstmal wieder zurücklegte. Mir schien es, als wäre sie auf der Suche nach einem geeigneten Material, um ihre anfängliche Idee der Transportkuppel umsetzen zu können.
Kurze Zeit später wurden von einem Mitschüler im Materialfundus Zuckerwürfel entdeckt, welche innerhalb weniger Minuten große Aufmerksamkeit von den Schüler_innen erhielten. Auch für Hannah blieb diese Entdeckung nicht unbemerkt, weshalb sie sich fast instinktiv eine Hand voll Würfel schnappte. Daraufhin war ich als Beobachterin überrascht, da sie bis zu diesem Zeitpunkt ihr Material stets kritisch prüfte, ob es sich überhaupt eignen könnte. Auf mich machte es dein Eindruck, dass die Begeisterung einiger Mitschüler_innen in ihr das Gefühl auslösten, dass das Material wertvoll sein muss und sie dadurch die Würfel als besonderes Material einschätzte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Zuckerwürfel Quelle: Eigene Aufnahme
Zurück am Platz schob sie die Pappschachtel auseinander und platzierte die Zuckerwürfel vorerst im unteren Teil des Kartons und stellte diesen beiseite.
Im Folgenden kam Hannah aus dem Materialraum zurück und brachte zwei Milchtüten mit in den Werkraum an ihren Platz. In jeder Hand hatte sie einen Tetrapack, hielt sie mit ausgestreckten Armen auseinander und schauten zwischen den Packungen hin und her. Mit einem kritischen Blick und einem abschließenden Nicken stellte sie die Milchtüten an ihren Platz und begab sich dann an den Werkzeugtisch, an welchem sie nach einem Nagel suchte. Auch während dieser Phase wirkte Hannah sehr sicher in ihrem Handeln und stellte keine Fragen an die Lehrperson oder an die Studierenden. Mir schien es, als würde ihr akademisches Selbstkonzept (Shavelson, Hubner, & Stanton, 1976) im diesem Bereich der künstlerischen Tätigkeit sehr ausgeprägt sein, so dass sie ihre Fähigkeiten gut einschätzt und sie sich auf diese verlassen konnte.
Zunächst schraubte sie die Deckel der Milchtüten ab und legte sie nebeneinander auf den Tisch. Dann nahm sie sich den Nagel zur Hand und bohrte damit ein Loch, erst durch den einen, dann durch den anderen Deckel. Zu diesem Zeitpunkt war mir als Beobachterin noch nicht bewusst, was ihr Gedanken dahinter war und warum sie die Deckel durchlöcherte. Des Weiteren hatte ich zwar die Vermutung, dass die Milchtüten die zwei Stationen, die Schule und das eigene Zuhause, darstellen sollten, war mir dabei jedoch nicht sicher, weshalb ich mich dazu entschied, zuerst abzuwarten.
Im nächsten Schritt holte sie Paketschnur im Materialraum und prüfte dann, wie lang sie das Stück abschneiden will. Auch hier hielt sie die Schnur mit beiden gestreckten Armen auseinander und wanderte mit ihrem Blick von der einen zur anderen Hand. Wieder schaute sie kritisch und nickte, dann schnitt sie die Schnur in der Länge ab. Als sie im folgenden Schritt die Schnur dann durch die Deckel fädelte, wurde meine Vermutung meines Erachtens bestätigt: Die Schnur müsste die Verbindung zwischen den zwei Stationen, also den zwei Milchtüten sein. Nun schraubte sie die Deckel mit der durchgefädelten Schnur wieder auf die Milchtüten drauf und legte diese auf die Seite ihres Tisches.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: "Die Kuppel" Quelle: Eigene Aufnahme
Der Beginn der nächsten Phase konnte ich leider nicht beobachten, da ein Schüler mich um Hilfe gebeten hat. Kurz danach habe ich Hannah im Materialraum gefunden, während sie mit einer Rolle Frischhaltefolie beschäftigt war.
In diesem Moment hielt sie schon eine kleine Kugel in der Hand, welche sie dann additiv durch das Hinzufügen von Frischhaltefolie vergrößerte, indem sie die Frischhaltefolienstücke um die bestehende Kugel herumwickelte. Es war spannend zu beobachten, da es schien, als hätte Hannah eine bestimmte Größenvorstellung der Kugel im Kopf, da sie mit dem Wickel-Vorgang erst aufhörte, als die Kugel einen bestimmten Durchmesser erreichte. Des Weiteren beschrieb sie im Einstieg das Material der Kuppel als Glas, welches durch die Transparenz der Frischhaltefolie dargestellt wird. Zudem knotete sie aus der Paketschnur eine Schlaufe, deren zwei übrigen Enden dann an der Kuppel befestigt wurden.
Im Folgenden beobachtete ich einen Prozess, bei welchem es mir schwerfiel, Hannahs Handlungsschritte nachvollziehen zu können, da ich als Künstlerin das vorliegende Problem völlig anders gelöst hätte. An dieser Stelle war es wichtig, dass ich als Beobachterin nicht in der reinen Erwachsenenperspektive blieb (Beck & Scholz, 2000), sondern die gedanklichen Prozesse der Schülerin zu verfolgen und somit zu versuchen „[...] das Handeln des Kindes darin grundsätzlich als kompetent und sinnvoll anzunehmen" (Heyl, Beobachtungen im künstlerisch-kreativen Prozess, 2012, S. 263)
Hannah begann damit ihre Konstruktion aus Milchtüten, Verbindung aus Seil und Deckel sowie der Kuppel aus Frischhaltefolie aufzubauen, indem sei die Milchtüten aufstellte und die Schlaufe der Kuppel durch die Paketschnur fädelte. Mehrmals versuchte sie die Milchtüten aufzustellen, die jedoch immer wieder umfielen. Dabei hatte sie auch den Anspruch, dass die Verbindungsschnur gespannt ist, was jedoch wiederrum dazu beigetragen hat, dass die Milchtüten umfallen. Hannah überlegte kurz und ging dann in den Materialraum, wo sie sich nach eigener Aussage auf die Suche nach einem Boden machte, auf welchem sie die Milchtüten befestigen konnte. Da Hannah eine bestimmte Vorstellung davon hatte, wie groß der Abstand zwischen den „Stationen" sein soll, suchte sie offensichtlich nach einer Unterlage, die ihre Größenvorstellung erfüllt. Dabei holte sie immer wieder verschiedene Untergründe, meist Kartonage, herbei und stellte die Milchtüten darauf, um auszuprobieren, ob die Milchtüten mit dem Abstand des Seiles darauf passen. Nach kurzer Zeit fand sie dann einen Faltkarton, der ihren Kriterien entsprach und stellte die Milchtüten darauf, klebte diese jedoch entgegen ihres anfänglichen Planes erst einmal nicht fest. Ab diesem Zeitpunkt kam Hannah nichtmehr an ihren Platz zurück, sondern kniete im Materialraum vor ihrer Konstruktion. Jetzt hatte sie vor das Seil in der gewünschten Länge zu fixieren, indem sie es an der Oberseite der Deckel mit Tesafilm festkleben wollte. Durch das Spannen des Seiles fielen jedoch die Milchtüten auch nach mehrmaligem Aufstellen immer wieder um. Des Weiteren passten die Milchtüten noch nicht auf den Pappkarton, da die Schnur dazwischen zu lang war.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Milchtüten in Distanz Quelle: Aufnahme von Herr Heyl
Hannahs darauffolgender Problemlöseansatz verwunderte mich als Beobachterin. In den folgenden zehn Minuten fädelte sie das Seil auf beiden Seiten immer wieder ein Stückchen mehr in die Milchtüten hinein und befestigte es mit einer großen Menge Tesafilm. Dabei führte sie, nach jedem Versuch das Seil auf die richtige Länge zu kürzen, eine bestimmte Bewegung aus. Wie auch am Anfang hält sie die Milchtüten mit ausgestreckten Armen auseinander und überprüft die Distanz. Rein logisch betrachtet hätte ich eine der Milchtüten an einer Stelle befestigt und die andere Milchtüte an der anderen Seite auf die richtige Distanz gespannt und die Schnur dann erst in der richtigen Länge fixiert. Doch Hannah führte immer wieder diese Bewegung aus ihrem Körper heraus aus und fädelte nach und nach in beide Milchtüten ein Stück Seil ein. Es schien mir, als hat für sie dabei nicht nur die Problemlösung, sondern vielmehr die Bewegung als solches eine wichtige Rolle gespielt. Um etwas zu spannen, wie beispielsweise ein Gummi, zieht man im Alltag meistens mit beiden Händen gleichmäßig, weshalb diese Bewegung für Hannah wahrscheinlich naheliegend war.
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