In dieser Seminararbeit soll auf die Fragestellung eingegangen werden, wie stark die Einkommens- und Vermögensungleichheit ansteigt und welche Maßnahmen politische Akteure zu ergreifen haben, um die Entwicklung zu stoppen.
Daher soll zuerst kurz die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland beleuchtet werden.
Daraufhin wird untersucht, wie sich steigende Ungleichheit auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auswirkt beziehungsweise auswirken kann, um den möglichen Handlungsbedarf abzuleiten. Schließlich werden die Ursachen für steigende Ungleichheit identifiziert, um daraus Handlungsoptionen zu entwickeln, die geeignet sind, auf eine Reduzierung der Ungleichheit hinzuwirken.
„Die Corona-Pandemie muss ein Weckruf sein, extreme Ungleichheit und Armut endlich bei der Wurzel zu packen“. Durch die andauernde Coronakrise rückt das Thema der Ungleichheit wieder in den Vordergrund. Regelmäßig prangern die Oxfam-Studien die wachsende Ungleichheit auf der Welt an. So auch in ihrem aktuellen Bericht aus dem Januar 2021. 2020 war das Jahr, in dem so viele Arbeitnehmer wie noch nie zuvor Kurzarbeitergeld bezogen, aber auch gleichzeitig ein Jahr, in dem die reichsten 10 Personen in Deutschland ihr Vermögen um ein Drittel steigerten.
Während die 1.000 reichsten Menschen Verluste in der Coronakrise in nur neun Monaten wettmachten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sich die Ärmsten von den wirtschaftlichen Folgen erholt haben. Nicht nur international wächst die Ungleichheit, wie die Oxfam-Studie anprangert, sondern auch intranational in Deutschland. Der deutsche Ökonom Max Krahe beschreibt die Situation wie folgt: Bürger, die ausschließlich von ihrem Lohn lebten, verdienen heute aufgrund der Pandemie oft weniger oder sind arbeitslos. Demgegenüber stünden die finanziell Starken, die im März 2020 genug Geld hatten, um in den Aktienmarkt zu investieren. Letztere profitierten aus der Pandemie finanziell sogar. Doch die Corona-Pandemie bringt nur die Spitze des Eisbergs zum Vorschein. Schon in den Jahren vor der Pandemie vergrößerte sich die Schere zwischen Reich und Arm in Deutschland, häufig finden sich die Ursachen dieser Entwicklung in politischen Entscheidungen.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit
3. Auswirkungen von Einkommens- und Vermögensungleichheit
3.1. Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum
3.2. Auswirkungen auf Demokratie und politische Teilhabe
3.3. Soziale Mobilität
4. Ursachen von Einkommens- und Vermögensungleichheit und Ableitung von Handlungsoptionen
4.1. Chancenungleichheit durch ungleiche Bildungschancen
4.2. Technologischer Wandel
4.3. Steuerpolitik
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der verwendeten Quellen aus dem Internet
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ungleichheit, Demokratiezufriedenheit und Vertrauen
Abbildung 2: Entwicklung von Sozialprodukt und Arbeitnehmereinkommen 1995 – 2019
1. Einleitung
„Die Corona-Pandemie muss ein Weckruf sein, extreme Ungleichheit und Armut endlich bei der Wurzel zu packen“ (Oxfam, 2021, zitiert nach ZDF, 2021). Durch die andauernde Corona-Krise rückt das Thema der Ungleichheit wieder in den Vordergrund. Regelmäßig prangern die Oxfam-Studien die wachsende Ungleichheit auf der Welt an. So auch in ihrem aktuellen Bericht aus Januar 2021. 2020 war das Jahr, in dem so viele Arbeitnehmer wie noch nie zuvor Kurzarbeitergeld bezogen, aber auch ein Jahr, in dem die reichsten 10 Personen in Deutschland ihr Vermögen innerhalb von 48 Monaten um ein Drittel steigerten (FAZ, 2021). Auch wenn am Anfang der Pandemie häufig Phrasen wie „[…] vor dem Virus sind alle gleich“ (Deutschlandfunk, 2020) zu hören war, so zeigen die aktuellen Zahlen, dass dies nicht stimmt (Deutschlandfunk, 2020).
„Während die 1.000 reichsten Menschen Verluste in der Corona-Krise in nur neun Monaten wettmachten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sich die Ärmsten von den wirtschaftlichen Folgen erholt haben“ (Oxfam, 2021, zitiert nach ZDF, 2021).
Doch nicht nur international wächst die Ungleichheit, wie die Oxfam Studie anprangert, sondern auch intranational in Deutschland. Der deutsche Ökonom Max Krahe beschreibt die Situation wie folgt: Bürger, die ausschließlich von ihrem Lohn lebten, verdienen heute aufgrund der Pandemie oft weniger oder sind arbeitslos. Demgegenüber stünden die finanziell Starken, die im März 2020 genug Geld hatten, um in den Aktienmarkt zu investieren. Letztere profitierten aus der Pandemie finanziell sogar (Spiegel, 2021). Doch die Corona-Pandemie bringt nur die Spitze des Eisbergs zum Vorschein. Schon in den Jahren vor der Pandemie vergrößerte sich die Schere zwischen Reich und Arm in Deutschland, häufig finden sich die Ursachen der Entwicklung in politischen Entscheidungen.
Im Rahmen dieser Seminararbeit soll auf die Fragestellung eingegangen werden, wie stark die Einkommens- und Vermögensungleichheit ansteigt und welche Maßnahmen politische Akteure zu ergreifen haben, um die Entwicklung zu stoppen. Daher wollen wir zuerst kurz die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland beleuchten. Daraufhin untersuchen wir, wie sich steigende Ungleichheit auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auswirkt bzw. auswirken kann, um den möglichen Handlungsbedarf abzuleiten. Schließlich wollen wir die Ursachen für steigende Ungleichheit identifizieren, um daraus Handlungsoptionen zu entwickeln, die geeignet sind, auf eine Reduzierung der Ungleichheit hinzuwirken.
2. Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit
Im Folgenden soll kurz auf die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit in Deutschland eingegangen werden. Die Einkommens- und Vermögensungleichheit sollen dabei getrennt voneinander betrachtet werden, da sich diese im Zeitverlauf unterschiedlich entwickeln. Als Maß der Ungleichheit soll überwiegend der Gini-Koeffizient verwendet werden, welcher zwischen null und eins liegt. Dabei bedeutet der Wert null, dass eine komplett gleiche Verteilung vorliegt, wohingegen der Wert eins auf eine absolute Ungleichverteilung hinweist (Grabka, 2014, S. 301).
Insgesamt lässt sich ein Anstieg der Ungleichheit der verfügbaren Haushaltseinkommen über die letzten Jahrzehnte feststellen. Insbesondere um die Jahrtausendwende stieg die Einkommensungleichheit stark an (WSI, 2020, S. 2). Zu einem Höhepunkt der Einkommensungleichheit kam es im Jahr 2005, als der Gini-Koeffizient bei 0,289 lag. Obwohl dieser in den darauffolgenden Jahren sank, ging es ab 2010 wieder bergauf bis er schließlich im Jahr 2016 einen erneuten Höhepunkt von 0,295 erreichte. Laut Statista (2020) schwankt der Gini-Koeffizient seitdem um einen Wert von 0,29 mit einem Ausreißer im Jahr 2018 von 0,311.
Die Vermögensungleichheit liegt im Vergleich zur Einkommensungleichheit seit 2007 mit einem Gini-Koeffizienten von 0,759 (Stand 2017) auf einem konstanten, aber erheblich höheren Niveau und gehört zu den Ländern im Euroraum, die die höchsten Vermögensungleichheiten aufweisen (Grabka/Halbmeier, 2019, S. 739). Aufgrund der Untererfassung der Vermögen in Deutschland, die daraus resultiert, dass vor allem sehr wohlhabende Personen nicht an Stichprobenumfragen teilnehmen, ist jedoch von einer noch höheren Vermögensungleichheit auszugehen (Grabka/Halbmeier, 2019, S. 737/740).
Es ist zu erwarten, dass vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie sowohl die Einkommens- als auch Vermögensungleichheit wieder ansteigen wird, wie schon in der Einleitung angedeutet wurde.
Dass ein Zusammenhang zwischen Einkommen und Vermögen besteht, zeigen Frick und Grabka (2009). Basierend auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels weisen sie eine Korrelation zwischen der Höhe des Haushaltseinkommens und der Höhe des Nettovermögens nach. Denn häufig ergeben sich aus hohen Vermögen auch hohe Einkünfte aus Zinsen und Dividenden (Grabka, 2014, S. 304). Umgekehrt lässt sich vermuten, dass Personen mit höheren Einkommen über die Zeit mehr Vermögen akkumulieren können als Personen mit niedrigeren Einkommen. Aufgrund dieses Zusammenhangs sollen im Folgenden sowohl die Einkommens- als auch die Vermögensungleichheit betrachtet werden.
3. Auswirkungen von Einkommens- und Vermögensungleichheit
3.1. Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum
Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern sich eine steigende Einkommens- und Vermögensungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes auswirkt. Marcel Fratzscher (2016a, S. 6) weist darauf hin, dass Einkommens- und Vermögensungleichheit für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes nicht zwangsläufig schlecht sein muss. Ein gewisses Maß an Ungleichheit ist wünschenswert, da dieses Anreize für die Menschen setzt, ihre Produktivität zu verbessern und die Entscheidungsfreiheit der Menschen widerspiegelt (Fratzscher, 2016a, S. 6). Problematisch ist Ungleichheit im Einkommen und Vermögen dann, wenn sie diese Entscheidungsfreiheit nicht mehr repräsentiert und sie „[…]Ergebnis einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist, in der viele Menschen ihre Talente nicht nutzen können und kein fairer Wettbewerb herrscht“ (Fratzscher, 2016a, S. 6). In Deutschland sieht er ebendieses Problem, dass die vorhandene Ungleichheit der wirtschaftlichen Entwicklung schadet und bezieht sich dabei auf eine OECD-Studie. Aus dieser geht hervor, dass die deutsche Wirtschaft um 6 % mehr hätte wachsen können, wenn die Einkommensungleichheit auf dem Niveau der 1990er Jahre verblieben wäre (Fratzscher, 2016a, S. 7). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine andere Studie, in der die Auswirkungen einer zunehmenden Einkommensungleichheit auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland untersucht werden. Auf Basis einer kontrafaktischen Simulation kommt man hier zu dem Schluss, dass bei einer konstanten Einkommensungleichheit seit 1991, basierend auf dem Gini-Koeffizienten der Nettohaushaltseinkommen, die deutsche Wirtschaftsleistung (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) im Jahr 2015 um 40 Milliarden Euro höher hätte ausfallen können (Albig/Clemens/Fichtner/Gebauer/Junker/Kholodilin, 2016, S. 5). Das Modell berücksichtigt dabei sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Folgen von Einkommensungleichheit auf die wirtschaftliche Entwicklung. Kurzfristig kommt es über den Anreizkanal zu einem positiven Effekt. Für die Beschäftigten besteht jetzt ein Anreiz, produktiver zu arbeiten, da sich dies auf ihre persönliche Einkommenssituation auswirkt. Dementsprechend steigt die Produktivität insgesamt (Albig et al., 2016, S. 4). Gegenteilig führt eine wachsende Ungleichheit über den Humankapitalkanal und Sparquotenkanal zu einer negativen wirtschaftlichen Entwicklung. Der Humankapitalkanal bezeichnet dabei das Phänomen, dass Niedrigeinkommensbezieher aufgrund ihres geringen Einkommens kaum Möglichkeiten haben, eine bessere oder auch längere Bildung zu finanzieren. Auf die Niedrigeinkommensbezieher bezieht sich auch der Sparquotenkanal. Diese können nur wenig sparen, wohingegen Bezieher hoher Einkommen durch eine Umverteilung begünstigt werden und mehr sparen können. Insgesamt erhöht sich daher die Sparquote, was zu einer sinkenden Nachfrage nach Konsum führt (Albig et al., 2016, S. 4). Es zeigt sich, dass der Anreizkanal nach etwa 10 Jahren die negativen Wirkungen des Sparquotenkanals ausgleicht. Gleichzeitig gewinnt der Humankapitalkanal an Bedeutung und wird nach einer erheblichen Verzögerung von 25 Jahren zur dominanten Einflussgröße, die sich mindernd auf die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes auswirkt (Albig et al., 2016, S. 4). Demnach ist es vor allem wichtig, durch bildungspolitische Maßnahmen auf eine Verbesserung der Chancengleichheit hinzuwirken und eine größere Durchlässigkeit im Bildungswesen zu gewährleisten (Albig et al., 2016, S. 5). Dieser Punkt soll im Kapitel 4.1 genauer betrachtet werden, in dem wir uns mit den Handlungsoptionen, wie man der wachsenden Ungleichheit entgegnen kann, beschäftigen. Zu beachten ist bei dem Ergebnis von Albig et al., dass die Gleichungen des Modells wesentlichen Unsicherheiten unterliegen und die Verteilung der Einkommen als exogen gegeben angesehen wird (Albig et al., 2016, S. 22).
Laut einer anderen Studie ist das Ergebnis, dass sich Ungleichheit negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirkt, für Deutschland nicht haltbar. Es kommt vor allem auf das Level der Ungleichheit in einem Land an, ob und wie sich diese auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Eine lineare Beziehung zwischen Ungleichheit und Wirtschaftswachstum kann nicht festgestellt werden (Kolev/Niehues, 2016). Gemäß Chen (2003, zitiert nach Kolev/Niehues, 2016, S. 6) ist der Zusammenhang eher durch eine nach unten geöffnete Parabel zu beschreiben. Somit ist es erst ab einem bestimmten Maß an Ungleichheit wahrscheinlicher, dass diese die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt. Laut der Studie ist das ab einem Gini-Koeffizienten der Nettoeinkommen von 0,35 der Fall (Kolev/Niehues, 2016, S. 3). Der Gini-Koeffizient der Nettoeinkommen lag in Deutschland im Jahr 2016 bei 0,29 und somit unter 0,35 und damit nicht in einem riskanten Bereich (Kolev/Niehues, 2016, S. 3). Zudem macht es einen Unterschied, ob es sich um ein eher armes (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) Land handelt, in dem die ärmere Bevölkerung oft keinen Zugang zu Bildung hat oder ob ein Industrieland wie Deutschland betrachtet wird, in dem ein gewisses Maß an Ungleichheit zu vermehrten Anreizen für Unternehmensgründungen und Innovationen führen und sich somit sogar positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken kann (Kolev/Niehues, 2016, S. 3).
Insgesamt zeigt sich, dass es sich als schwierig gestaltet, einen eindeutig positiven bzw. negativen Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Wirtschaftswachstum herzustellen, eine zunehmende Ungleichheit ab einem bestimmten Ausmaß und langfristig gesehen für das Wirtschaftswachstum jedoch eher bedenklich ist. Gemäß Andreas Peichl, Forscher am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, wird das Wirtschaftswachstum von vielen Faktoren beeinflusst, von denen sich die Ungleichheit in der Realität nur schwer isolieren lässt (Pennekamp, 2016). Trotzdem lassen sich Implikationen zur Reduzierung von Ungleichheit ableiten. Peichl empfiehlt beispielsweise, dass in Deutschland mehr Investitionen im Bereich der frühkindlichen Bildung getätigt werden sollten. Somit könnte nicht nur Ungleichheit reduziert, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung gefördert werden (Pennekamp, 2016). Auf diesen Punkt wollen wir in Kapitel 4.1 näher eingehen.
3.2. Auswirkungen auf Demokratie und politische Teilhabe
Armin Schäfer, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, beschäftigte sich 2010 in seiner Forschungsarbeit „Die Folgen sozialer Ungleichheit für die Demokratie in Westeuropa“ mit der Frage, ob es einen signifikanten Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und der Demokratiezufriedenheit einer Gesellschaft gibt.
Schäfer stellt die These auf, dass in sozial ungleichen Ländern die Demokratiezufriedenheit und das Vertrauen in staatliche Institutionen in der Bevölkerung geringer ausfällt als in weniger ungleichen Ländern (Schäfer, 2010, S. 1). Dabei beschreibt er zunächst das „Demokratie Paradoxon“, um den akuten Handlungsbedarf zu verdeutlichen. Das sogenannte Demokratie Paradoxon beschreibt die Situation, dass die Staatsform der Demokratie weltweit als politische Ordnung nicht nur akzeptiert, sondern immer beliebter wird, währenddessen insbesondere in den stabilen Demokratien die Unzufriedenheit mit der Demokratie, den Parlamenten und den Regierungen wächst. Als ein Erklärungsansatz wird angeführt, dass in den vergangenen Jahren die Einkommensunterschiede zwischen den Ländern abgenommen haben. Viele Entwicklungsländer erreichten ein gewisses Entwicklungsniveau, welches demokratiefördernd sei. Gleichzeitig jedoch nähme seit den 1970ern die Ungleichheit innerhalb einer Nation zu. Ungleichheit beschädige das Ansehen der Demokratie und das Vertrauen in die Politik. Als Beleg für diese These wird auf die fallende Wahlbeteiligung bei steigender sozialer Ungleichheit seit 1970 in den OECD-Staaten hingewiesen (Schäfer, 2010, S. 136 zitiert nach Franklin, 2004, S. 120). Dieser Hinweis auf die geringere Wahlbeteiligung ist zwar eine notwendige Bedingung für die Belegung der These, aber noch keine hinreichende. Michael Zürn, Autor des „ der Tagesspiegel“ hält eine andere Ursache für das Demokratie Paradoxon denkbar (Zürn, 2009). Zürn beschreibt wie Schäfer die Entwicklung der sinkenden Zufriedenheit mit der Demokratie und dem sinkenden Vertrauen in die Politik. Im Unterschied zu Schäfer sieht er nicht die wachsende soziale Ungleichheit als Hauptursache für das Paradoxon, sondern die Globalisierung. Aufgrund der Globalisierung könnten Nationalstaaten immer seltener „effektive Politik im Alleingang umsetzen“ (Zürn, 2009). Durch supranationale Entscheidungen stiege das Gefühl, dass politische Institutionen der Nationalstaaten untergraben werden würden. Zudem änderte sich die Entscheidungsfindung auf internationaler Ebene. Während früher überwiegend auf das Abstimmungsverfahren der Einstimmigkeit gesetzt wurde, kämen nun immer mehr Mehrheitsentscheidungen zum Tragen. Somit vergrößere sich die Anzahl der Personen, die mit politischen Entscheidungen trotz ihrer Durchführung unzufrieden sind. Als weiteren Punkt führt Zürn das Wettbewerbsproblem an. Aufgrund der Globalisierung könnten sich Staaten weniger erhöhte Sozialleistungen oder höhere Mindestlöhne leisten, da Nationalstaaten ansonsten „international als Standort nicht mehr konkurrenzfähig (…) im Wettbewerb um das internationale Kapital (seien)“ (Zürn, 2009). Dieser letzte Punkt zumindest lässt eine Synergie zu Schäfers Auffassung herstellen. Aufgrund internationaler Konkurrenz musste der Arbeitsmarkt in der Vergangenheit flexibilisiert werden. Dies führte zu einer Schlechterstellung der Arbeitnehmer und somit auch zu einer wachsenden Ungleichheit. Diese Entwicklung kann auch sehr gut in der Vergangenheit des EU-Binnenmarkts mit den Rechtsurteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGHs) verfolgt worden. Mit den Rechtsprechungen zu den Fällen „Laval“ und „Viking“ hat der EuGH Maßnahmen gegen die Vereinbarung von Billigtarifen am ausländischen Betriebssitz, um das nationale Lohnniveau zu sichern, als nicht zu rechtfertigen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit gewertet (Vgl. C-438/05). Mit diesem Urteil wurde den europäischen Unternehmen ermöglicht, sich in den Mitgliedstaaten niederzulassen, bei denen die Personalkosten am geringsten sind. Gleichzeitig heißt dies für die Nationalstaaten, dass sie bei höheren sozialen Standards eine Auswanderung einheimischer Unternehmen zu befürchten haben.
Schäfer (2010, S.140) stellt zudem eine Umfrage der European Social Survey vor, die seine These stützt und das politische Engagement einer Person in Abhängigkeit vom Einkommen und der Bildung veranschaulicht. Die Umfrage zeigt die Wahrscheinlichkeit politischer Partizipation, wenn eine Person über ein „hohes Einkommen“ oder über ein „niedriges Einkommen“ verfügt. Bildet man einen Beteiligungsquotienten lässt sich nicht nur schlussfolgern, dass Personen mit höherem Einkommen sich politisch stärker engagieren, sondern auch, dass durch den Aufstieg unkonventioneller Beteiligungsformen die Stimmung der Bevölkerung häufig verzerrend zulasten der sozial Schwachen wahrgenommen werden kann. Mit dem Begriff sozial schwach wird hier die finanzielle Armut bezeichnet. So zeigen die Daten beispielsweise, dass Personen, die ein hohes Einkommen und einen hohen Bildungsstand erreicht haben, doppelt so häufig an Petitionen teilnehmen und dreieinhalb Mal so häufig sich in Organisationen einbringen. Die Beteiligungsdisparität ist bei Wahlen mit einem Beteiligungsquotienten von 1,09 am geringsten. Es wird konstatiert, „(j)e anspruchsvoller das Beteiligungskriterium, desto niedriger ist das Engagement sozial Schwacher“. Erklärt wird die Beobachtung mit dem stärkeren Interesse und dem besseren Verständnis für Politik bei Personen mit höherem Einkommen und höherer Bildung. Verständnis führe zu einer größeren Zufriedenheit mit der Staatsform der Demokratie und größerem Vertrauen in die Parlamente und Regierungen. Zudem verstehen sie besser unkonventionelle Beteiligungsformen für ihre Anliegen zu nutzen. Die Politikverdrossenheit steige mit wachsender Ungleichheit auch, weil viele Menschen ihre Einflussmöglichkeiten als gering einschätzen. (Schäfer, 2010, S. 151 zitiert nach Goodin/Dryzek 1980). Darauf, dass die Demokratiezufriedenheit mit steigender Ungleichheit sinkt, deutet auch Abbildung 1 hin:
Abbildung 1: Ungleichheit, Demokratiezufriedenheit und Vertrauen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Dargestellt wird das durchschnittliche Vertrauen in die Politik sowie die Demokratiezufriedenheit, bezogen auf die soziale Ungleichheit. Als Indikator für die Ungleichheit wird der Gini- Koeffizient herangezogen. Der Abbildung nach ist ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen der Einkommensungleichheit und der Demokratiezufriedenheit herzuleiten (Schäfer, 2010, S. 144). Was für politische und soziale Konsequenzen träge mangelndes Vertrauen in politische Institutionen mit sich? Mit Verweis auf die Forscher Scholz/Lubell und Hetherington sieht Schäfer als Folge geringer Demokratiezufriedenheit mangelnde Bereitschaft, Steuern zu zahlen. Des Weiteren würde die Unterstützung der Wähler für Politik für sozialbenachteiligte Gruppen wegfallen. Wähler unterstützten vermehrt nur Positionen, von denen sie selbst profitierten (Schäfer, 2010, S. 151). Fraglich ist jedoch, ob die mangelnde Bereitschaft, Steuern zu entrichten oder für Themen wie dem Klimaschutz zu stimmen, mit der Abneigung gegenüber der Regierung zu kurz gegriffen ist. Denn häufig sind vor allem die ärmeren Menschen diejenigen, die höhere Steuern am stärksten treffen. Eine weitere Folge ist mit der Abwahl des US-Präsidenten Donald J. Trumps in den USA zu erkennen. Bei mangelndem Vertrauen in die Demokratie verliert die Regierung ihre Legitimität in der Bevölkerung. Es wird für die Exekutive nicht nur mühevoller das Land zu führen, sondern wird sie noch von innenheraus angegriffen. Dies fängt mit der Diskreditierung öffentlicher Institutionen an und geht über Aufruf zu Straftaten bis hin zur Stürmung des Kapitols in Washington (Tagesschau, 2021). Somit kann die These, dass wachsende soziale Ungleichheit die Demokratiezufriedenheit gefährdet als belegt gewertet werden. Doch Schäfers Schlussfolgerung, seine Ergebnisse widersprächen die häufige These, dass soziale Ungleichheit zur Politisierung der Gesellschaft führt, ist zu kurz gegriffen. So kamen bei der US-Wahl 2020 trotz der hohen Ungleichheit und politischen Unzufriedenheit so viele Menschen an die Wahlurne wie seit über 100 Jahren nicht mehr (RP-Online, 2020). Dies zeigt auf, wie komplex das Thema ist. Es lässt sich vermuten, dass bei einer angefangenen wachsenden Ungleichheit zunächst eine politische Verdrossenheit eingreift, sollte diese aber einen gewissen Kipppunkt übersteigen, wird die Gesellschaft wieder politisch polarisiert.
3.3. Soziale Mobilität
Die soziale Mobilität ist ebenfalls von zentraler Bedeutung für die Einkommensungleichheit in Deutschland. Laut WSI-Verteilungsbericht von 2016 hat sich die Verteilung der Einkommen seit 1990 in hohem Maße verhärtet (Spannagel, 2016, S. 1). Besonders in Ostdeutschland ist es unwahrscheinlich, schnell aus der Armut herauszukommen, wenn man sich erst einmal darin befindet (Spannagel, 2016, S. 1). Sowohl das Risiko zu verarmen als auch die Armutsquote generell sind angestiegen (Spannagel, 2016, S. 15; Fratzscher, 2016a, S. 4). Gegensätzlich zeigt sich, dass einkommensstarke bzw. vermögende Menschen in dieser Position verharren und sich um einen Abstieg kaum Sorgen machen müssen (Spannagel, 2016, S. 1). In Deutschland ist die soziale Mobilität gering und gehört im Vergleich zu anderen Ländern zu den niedrigsten. Das bedeutet, dass vor allem die soziale Herkunft beeinflusst, inwiefern man auf- oder absteigen kann (Spannagel, 2016, S. 15). Dies ergibt sich insbesondere durch die in Deutschland vorhandene Bildungsungleichheit, auf welche in Kapitel 4.1 eingegangen wird. Auch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen (2017) kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass in Deutschland eine eher niedrige Einkommensmobilität vorherrscht. Diese verhindert wiederum, dass die Einkommensungleichheit hierzulande gemindert werden kann (BMF, 2017). Inwiefern jedoch ein kausaler Zusammenhang von sozialer Mobilität und Einkommensungleichheit besteht, ist nicht abschließend geklärt. Wissenschaftlich untersucht wird dieser Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und intergenerationaler sozialer Mobilität (gemessen an der intergenerativen Einkommenselastizität) mit der durch Alan Krueger bezeichneten Great-Gatsby-Kurve (Krueger, 2012, S. 4; Berthold/Gründler, 2014, S. 709). Diese basiert in ihrer ersten Form auf den viel diskutierten Ergebnissen von Miles Corak, der eine Korrelation zwischen diesen Einflüssen nachweisen konnte. Auf Grund des sehr geringen Datensamples wird ein kausaler Zusammenhang der beiden Variablen jedoch angezweifelt (Berthold/Gründler, 2014, S. 710). Berthold und Gründler (2014, S. 710) untersuchten ein deutlich größeres und aktuelleres Datensample. Sie halten es vielmehr für wahrscheinlich, dass die soziale Mobilität die Einkommensungleichheit beeinflusst (Berthold/Gründler, 2014, S. 710). Auch andere Studien (Chetty/Hendren/Kline/Saez, 2014; Clark, 2014) können keine eindeutige Wirkungsrichtung bestimmen, sehen aber dennoch einen Zusammenhang zwischen den beiden betrachteten Größen. Ob Ursache oder Folge der Einkommensungleichheit, die soziale Mobilität spielt eine zentrale Rolle im Hinblick auf Einkommensverteilung und Bekämpfung der Ungleichheit (Berthold/Gründler, 2014, S. 712). Berthold und Gründler (2014, S. 712) sind der Meinung, dass sich zahlreiche Probleme, die sich aus der Einkommensungleichheit ergeben, von selbst erledigen, sofern nur die soziale Mobilität erhöht wird. Sie schlagen deshalb vor, dass man sich innerhalb der Bildungspolitik vermehrt auf die Gewährleistung von Chancengleichheit konzentrieren sollte (Berthold/Gründler, 2014, S. 712). Inwiefern es hier Potenzial gibt, die Einkommensungleichheit durch verbesserte Bildungschancen zu reduzieren, wird in Kapitel 4.1 aufgezeigt.
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