Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft. Reform des § 219a StGB
Zusammenfassung
Leseprobe
Gliederung
A. Einleitung 1
B. Hintergrund der aktuellen Debatte 1
I.Verurteilung der Gießener Ärztin 1
II.Anwendungsbereich des §219a StGB 2
C. Aufhebung des §219a StGB 3
I. Gründe für die Aufhebung des §219a StGB 3
1. Entstehungsgeschichte 3
2. Fehlender Strafgrund 4
3. Vereinbarkeit mit der Berufsordnung 5
4. Anstieg der Verfahren nach §219a StGB 6
5. Vereinbarkeit mit EU-Recht 7
6. Vereinbarkeit der Norm mit Grundrechten 7
7. Verfassungsmäßigkeit des §219a StGB 9
II. Zusammenfassung 11
III. Telelogische Reduktion der Norm 11
D. Änderung des §219a StGB 12
I. Streichung von Tatbestandsmerkmalen 13
1. Begründung 13
2. Ziele 13
3. Einwände 14
4. Stellungnahme 14
II. Neuer Ausnahmetatbestand 15
1. Begründung 16
2. Ziele 16
3. Bewertung 17
IV. Alternative 17
1. Begründung 18
2. Ziel 18
3. Bewertung 18
F. Zukünftige Entwicklung 19
G. Ergebnis 19
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob §219a StGB (Werbeverbot für Abtreibungen) abgeschafft oder jedenfalls reformiert werden sollte. Die Lösung der Frage ist von besonders großem Interesse, weil die Verurteilung einer Ärztin aus Gießen zu einer heftigen rechtspolitischen Diskussion über die Aufhebung oder Änderung des §219a StGB geführt hat. Verschiedene Gesetzesentwürfe zur Aufhebung oder Änderung des §219a StGB wurden bereits in den Bundestag eingebracht und kontrovers diskutiert. Zuletzt hat die Bundesregierung am 18.02.2019 einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht.1 Bei der Abstimmung überwiegten die Stimmen für eine entsprechende Reform mit 371 Stimmen, während 277 Stimmen gegen eine entsprechende Reform stimmten.2 Es haben sich trotz des Reformvorschlags viele verschiedene Ansichten gebildet, sodass es sich hierbei um ein gegenwärtig äußerst umstrittenes Thema handelt. Auch wurde die Norm unter Protesten seitens der Bevölkerung kritisiert. All dies führt zu den Überlegungen, ob die Norm noch zeitgemäß ist und ob weitergehende Veränderungen an der Norm notwendig sind. Vor allem die Frage, ob es sich bei der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche um strafrechtlich relevantes Unrecht handelt, wird Gegenstand der Arbeit sein.
B. Hintergrund der aktuellen Debatte
Anlass für die aktuelle Debatte ist sowohl die Verurteilung der Gießener Ärztin, als auch der weite Anwendungsbereich des §219a StGB.
I.Verurteilung der Gießener Ärztin
Die Verurteilte Ärztin bot auf ihrer Homepage die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen an. Über einen Link konnte eine Datei heruntergeladen werden, die allgemeine Informationen zum Schwangerschaftsabbruch als auch der Durchführung und den Methoden die von der Ärztin angeboten werden enthielt. Ein Anbieten i.S. des §219a I Nr.1 StGB liegt immer dann vor, wenn die Bereitschaft erklärt wird, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an einem Abbruch mitzuwirken.3 Ebenso ist die rein aufklärende sachliche Information über die Gelegenheit eigener oder fremder Dienste, von Hilfsmittel oder Methoden der Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen von der Strafandrohung erfasst, wenn das Anerbieten wie im vorliegenden Fall, von einer Gegenleistung abhängig gemacht ist.4 Insbesondere die Eigen- oder Fremdwerbung für Arztpraxen ist verboten.5 Im Ergebnis ist das Amtsgericht darauf gekommen, dass sich die Angeklagte wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft gem. §219a StGB strafbar gemacht hat und sie zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro verurteilt.6 Das Urteil des Amtsgerichts wurde vom LG Gießen mit Urteil vom 12.10.2018 bestätigt.7
II.Anwendungsbereich des §219a StGB
Es ist problematisch, dass der Anwendungsbereich der aktuellen Fassung des §219a StGB zu weit gefasst ist. Die Norm erfasst neben dem Werben bereits sachliche Informationen über die Bereitschaft eines Arztes, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.8 Das Tatbestandsmerkmal des „Vermögensvorteils wegen“ ist auch schnell erfüllt. Ärzte beanspruchen als Freiberufler üblicherweise ein Honorar, sodass jeder öffentliche Hinweis auf die Bereitschaft zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen strafbar ist, solange die ärztliche Leistung nicht entgeltfrei angeboten wird.9 Unklar bleibt für viele, warum Ärzte sich strafbar machen, wenn sie schlicht über ihr eigenes Tätigkeitsfeld informiert.10 So ist es für viele wenig einleuchtend, dass die Werbung für eine an sich legitime Handlung strafwürdig sein soll.11 Dies bietet Anlass für Kritik. Im Folgenden wird geklärt, ob diese Kritik berechtigt ist und ob es tatsächlich einen Reformbedarf gibt.
C. Aufhebung des §219a StGB
Die Ausarbeitung beschränkt sich dabei auf die Aufhebung und Änderung der Norm, wobei auch Gründe für die Beibehaltung der Norm aufgeführt werden.
I.Gründe für die Aufhebung des §219a StGB
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass §219a StGB aufgehoben werden sollte. Im Folgenden werden mögliche Gründe für die Aufhebung der Norm aufgeführt und bewertet.
1.Entstehungsgeschichte
Man könnte meinen, dass die Vorschrift nicht mehr zeitgemäß ist. Die Norm sei 1933 von den Nationalsozialisten verankert worden, als §218 StGB vorsah, dass Schwangerschaftsabbrüche mit Zuchthaus oder Gefängnis zu bestrafen waren und ab 1943 teils sogar mit dem Tod.12 Mit der Neuregelung der §§218 ff. StGB ist nun auch zu untersuchen, ob §219a StGB den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt.13
Es ist kein tragfähiges Argument zu behaupten, dass §219a StGB aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt und allein aus diesem Grund aufgehoben werden muss. Abgesehen davon, dass die formelle Urheberschaft des Gesetzes die Verfassungsmäßigkeit des Straftatbestandes nicht berührt, wurde die Vorschrift während der kriminalrechtspolitisch liberalen Zeit der Weimarer Republik konzipiert.14 Maßgeblich ist allein, dass die Norm dem Grundgesetz nicht widerspricht (Art.123 I GG). Die §§218 ff. StGB haben eine komplexe Gesetzgebungs- und Verfassungsgeschichte, bei der bereits das Problem der kollidierenden Rechte des ungeborenen und der Mutter erkannt wurde.15 1974 wurde die Fristenlösung beschlossen16. Daraufhin wurde 1976 dann das Indikationenmodell beschlossen17, bis dann die heute geltende Fristenregelung mit Beratungspflicht beschlossen wurde.18 Durch die §§218 ff. StGB versuchte das BVerfG der Schutzpflicht für das Grundrecht auf Leben (Art.2 II 1 GG) gerecht zu werden.19 §219a StGB soll auch auf tatbestandslose und rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche angewendet werden.20 Die Persönlichkeitsentfaltung werdender Mütter und vitale Integritätsinteressen von Embryonen bzw. Föten sollen durch die Norm zu einem Ausgleich gebraucht werden.21 Durch die gänzliche Abschaffung der Norm wird der genannte Schutz nicht mehr gewährleistet. Eine gesetzliche Regelung ist absolut notwendig, um den Schutz des ungeborenen zu gewährleisten. Außerdem flankiert §219a StGB das Beratungsmodell (§219 StGB), das die Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der liberalen Fristenlösung (§218a I StGB) ist.22 Außerdem wird dadurch statuiert, dass der Schwangerschaftsabbruch ist unrecht ist und nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des §218a StGB straffrei gestellt wird.23
2.Fehlender Strafgrund
Wie bereits erwähnt wurde, erfasst §219a StGB auch die Fälle der reinen sachlichen Information. Die Überschrift der Norm spricht jedoch von „Werbung“ für den Schwangerschaftsabbruch. Man könnte die Norm in der Hinsicht kritisieren, dass es an einem Strafgrund bei der reinen sachlichen Information fehlt.
Die Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs ist möglich, aber Ärzte haben nicht die Möglichkeit Patienten darüber zu informieren.24 In einer anderen Entscheidung legte das BVerfG dar, dass es Ärzten ohne negative Folgen für sie möglich sein muss darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet.25 Es ist äußerst fragwürdig, weshalb man keine seriösen, fachlich-fundierten und schnell verfügbaren Sachinformationen von dem behandelnden Arzt erhalten sollte.26 Deshalb könnte man die Aufhebung der Norm in Betracht ziehen, damit sich Ärzte die rein sachlich über den Schwangerschaftsabbruch informieren, nicht strafbar machen.
3.Vereinbarkeit mit der Berufsordnung
Die Norm lässt sich nicht mit der Berufsordnung für Ärzte vereinbaren, denn nach §27 II MBO-Ä sind Ärzten sachliche berufsbezogene Informationen gestattet. Die Norm regelt generalklauselartig die Abgrenzung zwischen zulässiger Information und berufswidriger Werbung.27
Die Abweichung des StGB von der Berufsordnung führt zu Rechtsunsicherheit bei Ärzten. Einerseits sind ihnen nach der Berufsordnung sachliche Informationen gestattet, andererseits kann der Tatbestand des §219a StGB dadurch verwirklicht werden. Man könnte meinen, dass eine Regelung in der Berufsordnung für Ärzte ausreicht, da im Strafrecht das Ultima-ratio-Prinzip gilt28 und eine Regelung im StGB unverhältnismäßig wäre. Nach diesem Prinzip darf der Staat das Strafrecht einsetzen, wenn weniger einschneidende Mittel nicht eingreifen.29 Andererseits führt die Tatsache, dass Ärzten nach §27 II MBO-Ä sachlich berufsbezogene Informationen gestattet ist, nicht dazu, dass solch eine Vorschrift nicht im StGB geregelt sein sollte. Im Übrigen beschränkt sich das Werbeverbot nicht auf Ärzte, sodass eine Verweisung auf werberechtliche Beschränkungen des Arztrechts nicht weiterführend ist.30 Auch die Überlegung, dass §219a StGB aufgehoben und eine entsprechende Norm lediglich in der Berufsordnung geregelt sein sollte, führt zu keinem überzeugenden Ergebnis. Der Grund dafür ist, dass eine ähnliche Regelung wie §219a StGB, in der Berufsordnung, nur für die in Deutschland zugelassenen Ärzte gelten würde.31 Außerdem ist Berufsrecht schwieriger durchzusetzen als staatliches Recht. Aus diesem Grund wäre eine Regelung im StGB, grundsätzlich sinnvoller.
4.Anstieg der Verfahren nach §219a StGB
Ein anderer Grund, der für die Aufhebung der Norm spricht, könnte der Anstieg der Verfahren nach §219a StGB sein, denn die Zahl der eingeleiteten Verfahren nach §219a StGB seien gestiegen.32 Angesichts der möglichen Konsequenzen solcher Verfahren besteht Handlungsbedarf. Abtreibungsgegner suchen gezielt nach Ärzten die öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anbieten.33 Diesen Ärzten droht neben dem strafrechtlichen Verfahren, unter Umständen auch ein approbationsrechtliches Verfahren.34 Bei diesem Verfahren wird den Ärzten das Ruhen bzw. der Widerruf der Approbation angeordnet.35 Bei letzterem muss die Berufsunwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit des Arztes festgestellt werden.36
Im Jahr 2017 wurde jedoch lediglich eine Person wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verurteilt37, während 2017 genau 21 Fälle des §219a StGB erfasst wurden.38 Man hat mit dem Hellfeld jedoch nur einen Ausschnitt des Kriminalitätsgeschehens im Blick.39 Auch wenn in der PKS nur die die der Polizei bekannt gewordenen und durch sie endbearbeiteten Fälle erfasst werden40, finden jedoch pro Jahr ca. 100.000 Abtreibungen statt, bei denen keine Reibungen mit §219a StGB entstehen.41 Angesichts der hohen Zahl an Abtreibungen, bei denen es zu keinem strafrechtlichen Verfahren führt, ist es nicht überzeugend den Anstieg der Verfahren als Grund für die Aufhebung des §219a StGB heranzuführen.
5.Vereinbarkeit mit EU-Recht
Außerdem könnte die Vereinbarkeit der Norm mit EU-Recht in Frage gestellt werden. EU-Recht muss beachtet werden, da Schwangerschaftsabbrüche ärztliche Dienstleistungen (Art.56 AEUV) darstellen.42 Jedoch lässt das Unionsrecht eine Einschränkung dieser Grundfreiheiten aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Gesundheit zu (Ordre Public).43
6.Vereinbarkeit der Norm mit Grundrechten
An der Norm könnte bemängelt werden, dass sie mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist. So könnte die Norm mit wesentlichen Grundrechten wie, die Berufsfreiheit aus Art.12 I GG, die Informationsfreiheit aus Art.5 I GG und der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG nicht vereinbar sein.
a)Berufsfreiheit
Grundsätzlich dürfen Ärzte in der Öffentlichkeit darüber informieren, welche Leistungen sie in ihrer Praxis anbieten. Durch die Regelung in §219a StGB ist es den Ärzten jedoch nicht möglich, öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, sodass ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit vorliegt. Die Berufsausübung kann jedoch gem. Art.12 I 2 GG durch Gesetz geregelt werden. Solch eine Regelung trifft §219a StGB.
[...]
1 Drucks. 19/7834, 1.
2 Wakonigg, hdp, S.1
3 SK-StGB, Rudolphi, §219a Rn.8
4 LG Bayreuth, ZfL 2007, 16.
5 Kraatz, Arztstrafrecht,S.186 Rn.230
6 AG Gießen Urteil vom 24.11.2017, Medstra 218, 126.
7 LG Gießen Urteil vom 12.10.2018, NJW-Special 1/2018, 26
8 StGB, Fischer, §219a Rn.6; Kaiser/Eibach, Medstra 2018, 273.
9 StGB, Lackner/Kühl, §219a Rn.4, LG Bayreuth, MedR 06, 345.
10 Kaiser/Eibach, Medstra 5/2018, 273.
11 Schweiger, ZRP 2018, 98.
12 BT-Drucks. 19/93, 1.
13 Gesamtes Medizinrecht, Bergmann/Pauge/Steinmeyer, §219b Rn.7.
14 Kubiciel, ZRP 2018/1, 13, 14.
15 Hilgendorf/Kremnitzer, Human Dignity and Criminal Law, S.20.
16 Strohner, Die Strafbarkeit der schwangeren Frau, S.29.
17 Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, §143 Rn.1.
18 Rengier, Strafrecht besonderer Teil II, §11 Rn.2.
19 BVerfGE 88, 203, 258.
20 Arzt/Weber/Heinrich, Strafrecht besonderer Teil, S.142 Rn.40
21 Gärditz, ZFL 2018/1, 18, 19.
22 Kubiciel, ZFL 2018/3, 110.
23 BVerfG, NJW 1993, 1751, 1754.
24 BT-Drucks. 19/630, 1.
25 BVerfG vom 24.05.2006, NJOZ 2008, 151, 156.
26 StGB, Satzger/Schluckebier/Widmaier, §219a Rn.1.
27 Bahner, Das neue Werberecht für Ärzte, S.54
28 Duttge, Medstra 3/2018, 129, 130.
29 Hillenkamp, Hessisches Ärzteblatt 2/2018, 92, 93.
30 StGB, Fischer, §219a Rn.4
31 Rahe, JR 2018/5, 232, 237.
32 BT-Drucks.19/630, 4.
33 BT-Drucks. 19/93, 1.
34 Preuß, Medstra 3/2018, 131; Ratzel/Luxenburger, Handbuch Medizinrecht, S.120
35 Jenschke/Kasih/Vaczi, Arztrecht, S.147.
36 Frister/Lindemann/Peters, Arztstrafrecht, S.397 Rn.18
37 Statisches Bundesamt 2017, Fachserie 10 Reihe 2,6.
38 PKS 2016, Grundtabelle – Vollendete Fälle.
39 Neubacher, Kriminologie , S.37 Rn.2
40 BT-Drucks. 19/6519, 6.
41 Duttge, Medstra 2018/3, 129; Merkel, ZFL 2018/3, 114, 117.
42 Frommel, ZFL 1/2018, 17.
43 EUV/AEUV, Streinz, Art.62 Rn.2; Kubiciel, ZfL 3/2018, 110,113.