Am 29. November 2020 gewann Dr. Frank Nopper die Stichwahl zum neuen Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart. Er tritt somit als Nachfolger von Fritz Kuhn in ein Amt ein, welches er für die kommenden acht Jahre ausüben wird. Die vorliegende Arbeit soll klären, inwiefern die Oberbürgermeisterwahl 2020 in Stuttgart als eine nationale Nebenwahl zu betrachten war. Ferner soll nachvollziehbar werden, inwieweit sich die damit einhergehende Bedeutung der Wahl für die Bürgerinnen und Bürger in Auswirkungen auf das Wahlverhalten abzeichnet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Relevanz
1.2 Forschungsfrage
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Haupt- und Nebenwahlen
2.1 Die „Less-at-stake“-Dimension
2.2 Die Kampagnendimension
3 Die OB-Wahlen in Stuttgart
3.1 Wahlergebnis
3.2 Wahlbeteiligung
3.3 Bedeutung der Wahlergebnisse
3.4 Wahlentscheidungsgründe
4 Methode
5 Analyse
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ergebnisse der Wahlgänge
Abbildung 2: Parteineigung der Befragten
1 Einleitung
Am 29. November 2020 gewann Dr. Frank Nopper die Stichwahl zum neuen Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart. Er tritt somit als Nachfolger von Fritz Kuhn in ein Amt ein, welches er für die kommenden acht Jahre beschreiten wird.
1.1 Relevanz
Neben der langen Amtsperiode nimmt der Oberbürgermeister in seiner Amtstätigkeit den Vorsitz sämtlicher städtischen Ausschüsse und des Gemeinderates ein und ist jeweils stimmberechtigt (vgl. LpB 2020). Ferner obliegt ihm die Leitung der Stadtverwaltung sowie die Repräsentation und Rechtsvertretung der Stadt Stuttgarts. Somit ist beim Amt des Oberbürgermeisters in Stuttgart von einem für das Stadtgeschehen sehr bedeutsamen und einflussreichen Amt zu sprechen. Es ist daher aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger von Bedeutung, dass durch dieses kommunalpolitische Amt ihre Interessen unter seinem Einfluss adäquat vertreten werden.
1.2 Forschungsfrage
Die vorliegende Arbeit soll klären, inwiefern die Oberbürgermeisterwahl 2020 in Stuttgart als eine nationale Nebenwahl zu betrachten war. Ferner soll nachvollziehbar werden, in wie weit sich die damit einhergehende Bedeutung der Wahl für die Bürgerinnen und Bürger Auswirkungen auf das Wahlverhalten abzeichnet.
1.3 Aufbau der Arbeit
Zunächst sollen die zentralen Begriffe der Arbeit definiert und erläutert werden. Hierzu wird mithilfe von Karlheinz Reiff und Helmut Schmitt ein Einblick in die Second-Order-Election-These hinsichtlich der Merkmale und Charakteristika von Nebenwahlen vermittelt und in ihrer Anwendbarkeit auf die Oberbürgermeisterwahl auf die Probe gestellt. Im Anschluss wird die Wahl des Stuttgarter Oberbürgermeisters 2020 beleuchtet und eine Analyse der Kampagnen sowie des Wahlkampfes durchgeführt und die Wahlergebnisse dargelegt. Darauffolgend wird erläutert, welche methodische Vorgehensweise für die anschließende Analyse gewählt wurde und wie diese Auswahl des Herangehens zu begründen ist. Schließlich werden die Ergebnisse der Analyse evaluiert und eine Schlussfolgerung im Hinblick auf die Forschungsfrage herausgearbeitet und diese beantwortet.
2 Haupt- und Nebenwahlen
Sofie Marien et al. bewerten die Einordnung von Wahlen auf regionaler Ebene, wie etwa die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart, in reine Nebenwahlen als strittig und im Bezug auf die Rahmenbedingungen für Second-Order-Elections werden hier regionale Wahlen nicht als mit der Europawahl vergleichbar angesehen (vgl. Marien et al. 2015, S. 901). Vielmehr stehen diese Wahlen in ihrer Einordnung in der Mitte zwischen Hauptwahl und klassischer Nebenwahl, wie etwa der Europawahl. Dies zeigt sich nach Colin Rallings und Michael Thrasher auch in der Wahlbeteiligung, die bei den lokalen Wahlen geringer als die Hauptwahl, jedoch höher als bei den EU-Wahlen ausfiel (vgl. Rallings, Thrasher 2005, S. 585 ff.).
2.1 Die „Less-at-stake“-Dimension
Nach Karlheinz Reif und Hermann Schmitt steht bei Nebenwahlen für die einzelnen Wähler*innen weniger auf dem Spiel als bei einer Hauptwahl. Das Europaparlament beispielsweise kann weniger Einfluss durch Gesetze auf den Alltag der Bürger*innen ausüben als die Bundesregierung. Dieses kleinere Risiko hat für kleinere Parteien oder unbekanntere Kandidaten den Vorteil, dass sich die Wähler*innen häufiger an eine Stimme für diese wagen, da die abgegebene Stimme bei Nichterreichen des gewünschten Erfolgs durch die niedrigere Bedeutung des Wahlergebnisses weniger als verloren wahrgenommen wird (vgl. Reif, Schmitt 1980, S. 9).
Hierbei spielt auch der Zeitpunkt der Wahl eine wichtige Rolle, denn das Stagnieren der Zustimmung für die Regierungsparteien nach der Hauptwahl mündet in ein Sinken in der Mitte der Wahlperiode auf ein Minimum (vgl. Reif, Schmitt 1980, S. 10). Ist die Nebenwahl zeitlich in der Nähe dieses Tiefpunktes an Zustimmung, so äußern Wähler*innen ihre Unzufriedenheit dadurch, dass sie ihre Stimme der Opposition geben, um Druck auf die Regierenden auszuüben (vgl. Reif, Schmitt, 1980, S. 10).
Bei Nebenwahlen kommt nach Sofie Marien und Ruth Dassonneville ein lokaler Aspekt dazu, der Wähler*innen selbst entgegen ihrer Parteiidentifikation beeinflussen kann. So hat die persönliche Bindung zwischen Wähler*innen und Kandidat*innen einen weitaus höheren Einfluss als Parteizügehörigkeit, denn lokale Wahlen wählt meist keine Institutionen, deren politische Kompetenzen an ideologischen Debatten teilhaben (vgl. Marien et al. 2015, S. 901).
Auf der anderen Seite erlebt die Nebenwahl einen Nachteil, da sich weniger Bürgerinnen und Bürger dazu bewegt sehen, an der Wahl zu partizipieren, denn es steht augenscheinlich weniger auf dem Spiel, wodurch sich der wahrgenommene Nutzen für die Wähler*innen verringert (vgl. Reif, Schmitt 1980, S. 9). Einen weiteren Auslöser für die geringere Wahlbeteiligung bei Nebenwahlen sehen Reif und Schmitt in der geringeren Aufmerksamkeit, die ihnen von den Massenmedien sowie weitläufig bekannten Politiker*innen und politischen Aktivist*innen zuteilwird, was sowohl darin resultiert, dass die Nebenwahl als weniger wichtig wahrgenommen wird, als auch in einem Informationsdefizit der Bevölkerung, was zur Folge hat, dass deutlich weniger Menschen überhaupt von der Nebenwahl Bescheid wissen (vgl. Reif, Schmitt 1980, S. 9).
2.2 Die Kampagnendimension
Aus den zuvor aufgeführten Gründen schlussfolgernd wird dem Betreiben von Wahlkampagnenarbeit bei einer Nebenwahl eine umso größere Wichtigkeit zuteil, als es bei Hauptwahlen der Fall ist. Denn die Verteilung der Medienaufmerksamkeit insbesondere gegenüber der Berichterstattung über Wahlprogramme der Parteien fällt ungleich zum Nachteil der Nebenwahl aus (vgl. Reif, Schmitt 1980, S. 13).
3 Die OB-Wahlen in Stuttgart
3.1 Wahlergebnis
Den ersten Wahlgang der Wahl des Oberbürgermeisters am 8. November 2020 konnte Dr. Frank Nopper bereits für sich entscheiden (vgl. Abbildung 1), gefolgt von Veronika Kienzle sowie Marian Schreier (vgl. LpB 2020). Da es bei einer Wahl zum Oberbürgermeister allerdings für den ersten Wahlgang erforderlich ist, eine absolute Mehrheit, also mehr als 50 % der Stimmanteile zu erreichen, wurde die Neuwahl zum zweiten Wahlgang am 29. November 2020 durchgeführt, bei welcher eine einfache Mehrheit ausreichend war. Diese wurde erneut von Dr. Frank Nopper mit 42,3 % der Stimmen gewonnen (vgl. LpB 2020). Erstaunlich war der Zuwachs der stimmen für den Kandidaten Marian Schreier, welcher den zweiten Wahlgang mit 36,9 % absolvierte (vgl. Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung1: Ergebnisse der Wahlgänge
3.2 Wahlbeteiligung
Von den über 445.000 Wahlberechtigten gingen 49 % zum ersten Wahlgang und 44,7 % setzten ihr Kreuz bei der Neuwahl am 29. November 2020. Somit erzielte der erste Wahlgang die höchste verzeichnete Wahlbeteiligung in den letzten 24 Jahren (vgl. LpB 2020).
3.3 Bedeutung der Wahlergebnisse
Nachdem der erste Wahlgang aufgrund fehlender absoluter Mehrheit nicht zur Ernennung des Wahlsiegers führen konnte, bestand für die Kandidat*innen die Möglichkeit, ihre Kandidatur für die Neuwahl bis 11. November 2020, 18:00 Uhr zurückzuziehen. Neben Grünen-Kandidatin Veronika Kienzle, welche im ersten Wahlgang die zweithöchste Stimmenanzahl zu verbuchen hatte, machten hiervon auch Martin Körner, Malte Kaufmann, John Heer sowie Sebastian Reutter gebrauch (vgl. LpB 2020). Dies erklärt unter anderem auch den beachtlichen Zuwachs an Stimmen für Dr. Frank Nopper und Marian Schreier in der Neuwahl.
3.4 Wahlentscheidungsgründe
Welche Kriterien Einfluss auf die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler in Stuttgart ausüben, für welchen der Kandidat*innen sie ihre Stimme im ersten Wahlgang, bzw. bei der Neuwahl abgeben, soll hier anhand einer Meinungsumfrage des Instituts für Kommunikationswissenschaften der Universität Hohenheim betrachtet werden.
Aufbau und Teilnehmerauswahl
Die Umfrage der Universität wurde in Form einer sogenannten Panelumfrage durchgeführt. Dies bedeutet, dass die Teilnehmer*innen mehrfach im Laufe der Wahl befragt wurden (vgl. Universität Hohenheim 2020, S. 4). Im ersten Durchgang der Befragungen wurden aus dem Melderegister 10.000 Teilnehmer*innen per Zufall ausgewählt und postalisch zur Teilnahme eingeladen. Von den 1.739 bearbeiteten Fragebögen der ersten Befragung füllten 1.642 Teilnehmer die Umfrage vollständig aus, in der zweiten Befragung wurden 931 Fragebögen bearbeitet und 907 hiervon vollständig. Die Teilnehmerzahl der zweiten Befragung waren jene Teilnehmer*innen der ersten Umfrage, welche die Angabe tätigten, die Erlaubnis einer erneuten Befragung zu erteilen, woraufhin sie durch die Befragenden der Universität erneut online kontaktiert wurden (vgl. Universität Hohenheim 2020, S. 4). Der Altersdurchschnitt der Befragungsteilnehmer*innen lag bei 46 Jahren, wobei sich das Altersspektrum von 16 bis 90 Jahren erstreckte. Die Geschlechterverteilung ist mit 49 % weiblich, 51 % männlich und 3 Personen des diversen Geschlechts ausgeglichen. Zwar umfassen die Umfrageteilnehmer*innen sämtliche Bildungsstufen, jedoch merkt die Universität an, dass es ein überdurchschnittliches Maß an Teilnehmer*innen mit hohem Bildungsniveau, wodurch der Umfrage ein hohes Aufkommen an Teilnehmer*innen mit vermehrtem politischem Interesse unterstellt werden kann (vgl. Universität Hohenheim 2020, S. 4). Von den Befragten gaben 66 % an, einer Partei zugeneigt zu sein (siehe Abbildung 2). Anzumerken ist der Umfrage hierzu, dass die Dr. Frank Nopper präferierenden Befragte unterrepräsentiert sind. Seine Umfrageergebnisse wichen rund 5 Prozentpunkte vom tatsächlichen Wahlergebnis des ersten Wahlganges ab, was in der Zweiten Befragungsrunde durch variierende Gewichtung der Daten ausgeglichen werden soll (vgl. Universität Hohenheim 2020, S. 5).
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