Die Arbeitsbewältigungsfähigkeit von Beschäftigten spielt nicht zuletzt unter dem Druck der demographischen Trendwende eine zunehmende Rolle für betriebliche Gesundheitspolitik. Mit dem Arbeitsbewältigungsindex (ABI) steht ein bewährtes Instrument zur Messung der individuellen Arbeitsbewältigungsfähigkeit zur Verfügung. In der Betriebsmedizin ist die Anwendung dieses Instrumentes zur individuellen Beratung der Beschäftigten seit über 15 Jahren Usus. Ziel dieser Arbeit ist es zu ermitteln, inwieweit das in diesem Kontext erhobene Datenmaterial auch für ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) von Interesse und Nutzen sein kann. Zur Beantwortung der Fragestellung wurde eine systematische Literaturrecherche für den Zeitraum 1995 bis 2015 durchgeführt. Im Ergebnis lassen sich neun mögliche Anwendungsarten des ABI identifizieren und ableiten. Fünf davon zeigen als mögliche Funktionsinstrumente innerhalb eines BGM erhebliches Potenzial. Die Verwendung des ABI etwa als Kennzahl oder als Orientierungshilfe sich entwickelnder BGM-Strukturen wird modernen BGM-Definitionen gerecht, indem der ABI zu den Themen Arbeit, Alter und Gesundheit sensibilisiert, BGM-Prozesse unterstützt und die betriebliche Partizipation stärkt. Die Ausweitung seiner Anwendung über die Grenzen eines betriebsärztlichen Dienstes hinaus erscheint, wenige Einschränkungen beachtend, daher dringlich angeraten.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entwicklung der Fragestellung
3. Begriffsdefinitionen und Abgrenzung
3.1 Arbeitsbewältigungsindex
3.2 Betriebliches Gesundheitsmanagement
4. Theoretischer Hintergrund und Bestandsaufnahme
4.1 Konzepte des Arbeitsbewältigungsindex
4.2 Kritik am Arbeitsbewältigungsindex
4.3 Regeln zum betrieblichen Einsatz des Arbeitsbewältigungsindex
5. Methodik
6. Ergebnisse
6.1 Originäre Anwendungsformen des Arbeitsbewältigungsindex
6.2 Ableitbare Anwendungsarten des Arbeitsbewältigungsindex (BGM)
6.3 Ergänzender Einsatz des Arbeitsbewältigungsindex
7. Diskussion und Interpretation
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
10. Anlagen
Wenn bei bestimmten Begriffen, die sich auf Personengruppen beziehen, nur die männliche Form gewählt wurde, so ist dies nicht geschlechtsspezifisch gemeint, sondern geschah ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit.
Kurzzusammenfassung:
Die Arbeitsbewältigungsfähigkeit von Beschäftigten spielt nicht zuletzt unter dem Druck der demographischen Trendwende eine zunehmende Rolle für betriebliche Gesundheitspolitik. Mit dem Arbeitsbewältigungsindex (ABI) steht ein bewährtes Instrument zur Messung der individuellen Arbeitsbewältigungsfähigkeit zur Verfügung. In der Betriebsmedizin ist die Anwendung dieses Instrumentes zur individuellen Beratung der Beschäftigten seit über 15 Jahren Usus. Ziel dieser Arbeit ist es zu ermitteln, inwieweit das in diesem Kontext erhobene Datenmaterial auch für ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) von Interesse und Nutzen sein kann. Zur Beantwortung der Fragestellung wurde eine systematische Literaturrecherche für den Zeitraum 1995 bis 2015 durchgeführt. Im Ergebnis lassen sich neun mögliche Anwendungsarten des ABI identifizieren und ableiten. Fünf davon zeigen als mögliche Funktionsinstrumente innerhalb eines BGM erhebliches Potenzial. Die Verwendung des ABI etwa als Kennzahl oder als Orientierungshilfe sich entwickelnder BGM- Strukturen wird modernen BGM-Definitionen gerecht, indem der ABI zu den Themen Arbeit, Alter und Gesundheit sensibilisiert, BGM-Prozesse unterstützt und die betriebliche Partizipation stärkt. Die Ausweitung seiner Anwendung über die Grenzen eines betriebsärztlichen Dienstes hinaus erscheint, wenige Einschränkungen beachtend, daher dringlich angeraten.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Wirksamkeitsprüfung im PDCA-Zyklus als In- und Output-Va- S. 6 riable
Abb. 2 Konzept der Arbeitsfähigkeit S.
Abb. 3 Präventionsabhängige ABI-Entwicklung S.
Tabellenverzeichnis
Tab. 1 Die sieben Dimensionen des Arbeitsbewältigungsindex
Tab. 2 Suchsyntax, Datenbanken und Anzahl der jeweiligen Rechercheergebnisse
Abkürzungsverzeichnis
ABI Arbeitsbewältigungsindex
AF Arbeitsfähigkeit
BAuA Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
BEM Betriebliches Eingliederungsmanagement
BGM Betriebliches Gesundheitsmanagement
KFZA Kurz-Fragebogen zur Arbeitsanalyse
PDCA plan, do, check, act; die vier Phasen des Deming-Zyklus
WAI Work Ability Index (deutsch: Arbeitsbewältigungsindex ABI)
1. Einleitung
Der Arbeitsbewältigungsindex (kurz: ABI oder im Englischen WAI für Work Ability Index) ist ein in den 1980er Jahren in Finnland entwickeltes Fragebogeninstrument, bestehend aus elf Fragen, welches im Ergebnis auch, aber nicht ausschließlich, einen Gesamtpunktwert, den ABI-Wert liefert. Ursprünglich dazu entwickelt, um Frühverrentungsprognosen anstrengen zu können, besteht seine hauptsächliche Verwendung heute in der direkten Beratung von Beschäftigten durch ihren Betriebsarzt anhand der beantworteten Fragestellungen (vgl. Zepke & Stieger, 2010, S. 141; Ilma- rinen & Tempel, 2007, S. 85; Hasselhorn et al., 2005, S. 33f). Dies kann sowohl in Form von Interviews als auch im gegenseitigen Dialog (ABI-Dialog) erfolgen (vgl. Tempel, 2010, S. 232). In großen Unternehmen, mit entsprechend arbeitsmedizinisch zu betreuender Gesamtmitarbeiterzahl, führen diese Procedere auch zu einer dementsprechend großen Datenmenge, welche weit über die Summe der einzelnen Gesamtpunktwerte eines ABI hinausgeht.
Da es sich beim Arbeitsbewältigungsindex um ein sehr heterogenes Konstrukt handelt, es werden Fragen zu insgesamt sieben Dimensionen gestellt (etwa zu Arbeitsanforderungen, Gesundheitszustand, Leistungsreserven; vgl. Tab. 1), eignet er sich herausragend als Standardfragebogen bzw. als „Standardanamnese“ im Rahmen betriebsärztlicher Vorsorge- und Untersuchungstätigkeit. Dies insbesondere auch deshalb, weil der Fragebogen sehr individuell-gesundheitsorientiert ausgelegt ist und viele seiner Fragestellungen (Dimensionen 3, 5 und 7) eben diese zu erfassen versuchen (vgl. Hasselhorn & Freude, 2007, S. 14-15).
Bei der Firma xy sind Auszüge des Arbeitsbewältigungsindex seit mehreren Jahren Bestandteil der betriebsärztlichen Standardanamneseerhebung. Seit dem 01. Januar 2014 ist der Arbeitsbewältigungsindex in seiner unmodifizierten1 Kurzversion2 gänzlich in die Standardanamnese jeder Vorsorge bzw. Untersuchung integriert. Obwohl seine Beantwortung freiwillig ist, konnte der Arbeitsbewältigungsindex dennoch alleine im Jahr 2014 bei 1.818 Beschäftigten erhoben werden. Bedingt durch einen typischerweise dreijährigen Nachuntersuchungszyklus werden prognostisch Ende des Jahres 2016 ABI-Bögen und ABI-Werte zu den allermeisten Beschäftigten vorliegen; zum einen, weil diese sehr häufig Pflichtvorsorgen oder Eignungsuntersuchungen unterliegen und zum anderen, weil die Inanspruchnahme von Angebotsvorsorgen traditionell hoch ist. Der Anteil der Beschäftigten, welche Angebotsvorsorgen nicht wahrnehmen und keinerlei Pflichtvorsorge oder Eignung unterliegen, lag in den vergangenen Perioden stets bei unter 10%. Daher kann zukünftig mit einer „ABI-Dichte" von über 90% der Belegschaft gerechnet werden.
Tab. 1: Die sieben Dimensionen des Arbeitsbewältigungsindex
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus diesem „Problem" der jetzigen und baldigen Datenmenge heraus entwickelt sich die Fragestellung dieser Arbeit, inwieweit diese Daten, über den betriebsärztlichen Dienst hinaus, im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) nutzbar sind bzw. gemacht werden könnten (siehe Kapitel 2). Zur Beantwortung dieser Frage wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Ausführlich dargestellt wird die Methode im 5. Kapitel. Zuvor werden in Kapitel 3. und 4. wichtige Begriffsdefinitionen und Abgrenzungen vorgenommen. Darüber hinaus wird ausführlich, in Form einer praktischen Bestandsaufnahme, auf den derzeitigen Forschungsstand zum Arbeitsbewältigungsindex eingegangen. Das 6. Kapitel listet die Ergebnisse der Literaturrecherche auf, so dass diese im anschließenden 7. Kapitel angemessen diskutiert und interpretiert werden können. Die Arbeit schließt mit einem Fazit im 8. Kapitel, welches auch Forschungs- und praktischen Handlungsbedarf benennt.
2. Entwicklung der Fragestellung
Das sich noch im Aufbau befindliche betriebliche Gesundheitsmanagement der Firma xy verfügt noch über kein geformtes Berichtswesen in dem Sinne, als dass festgelegt wäre, in welchen Zeitabständen welche Kennzahlen erhoben und kommuniziert werden. Allein aus dieser greifbaren Chance heraus, den zukünftig nahezu „flächendeckend“ vorhandenen Arbeitsbewältigungsindex möglicherweise Bestandteil eines Gesundheitsberichtes werden zu lassen und aufgrund seiner etwaigen Verwendung als Kennzahl ganz im Sinne einer erweiterten Wirtschaftlichkeitsanalyse (vgl. Ueberle & Greiner, 2010, S. 253f), lohnt nach Meinung des Verfassers ein genauerer Blick auf seine Eignung hierfür und sein ganzes vermeintliches Potenzial. Die in dieser Arbeit zu beantwortende Fragestellung lautet daher:
Inwieweit kann ein in der Arbeitsmedizin zur individuellen Beratung erhobener Arbeitsbewältigungsindex auch innerhalb eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) von Nutzen sein? Welche anderen mit BGM assoziierte Anwendungsarten lassen sich in der Literatur identifizieren? Was gilt es zu beachten?
Die Zielsetzung dieser Arbeit ist, das unterstreicht die Fragestellung nach Meinung des Verfassers deutlich, praktischer Natur. Ihre Ergebnisse und Ableitungen sollen als Handlungsanleitung für Akteure betrieblicher Gesundheitspolitik verstanden und umgesetzt werden können. Weitere im Rahmen der Literaturrecherche identifizierte Anwendungsarten, die nicht mit BGM im Zusammenhang stehen, können in dieser Arbeit ebenso wenig berücksichtigt werden, wie etwa andere Gesundheitsdaten oder Kennzahlen außerhalb des Arbeitsbewältigungsindex.
3. Begriffsdefinitionen und Abgrenzung
3.1 Arbeitsbewältigungsindex
Der Arbeitsbewältigungsindex muss verstanden werden als das „Potenzial eines Menschen (...) eine bestimmte Arbeitsanforderung zu einem gegebenen Zeitpunkt zu erfüllen, zu bewältigen" (Ilmarinen & Tempel, 2007, S. 84). Demnach misst der ABI dieses Potenzial in Form eines quantifizierbaren Ergebnisses. Dieses legt dar, in welchem Ausmaß ein Mensch in Anbetracht seiner persönlichen Ressourcen die ihm vorliegenden Arbeitsbedingungen zu bewältigen vermag (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 14). Entscheidend hierbei ist die Tatsache, dass somit nicht generelle Leistungsfähigkeit, sondern die von persönlichen Vorraussetzungen und momentan konkret wirkenden Arbeitsbedingungen abhängige „Arbeitsfähigkeit", eben „Arbeitsbewältigungsfähigkeit", gemessen wird. Tempel et al. (2010, S. 184) konkretisieren diesen Umstand, indem sie schreiben, dass mit dem ABI die „subjektive Beanspruchung eines Menschen" gemessen sei und der Index ein Ausdruck der „Balance" zwischen der gestellten Arbeitsanforderung und der Fähigkeit diese zu bewältigen ist. „Arbeitsfähigkeit", so Prümper & Richenhagen (2011, S. 136), „ist also immer ein Paar, das durch eine Person und eine Situation (aktuelle Arbeitsanforderung: Anm. d. Verf.) gekennzeichnet ist". Ihr Zusammenwirken hat stetigen Einfluss auf diese Balance, kann weiterentwickelt oder stabil gehalten, aber auch allzu leicht reduziert werden (Prümper, 2012, S. 235).
Je höher der ABI-Wert, desto größer und ausgewogener erscheint die Balance zwischen den beiden zuvor dargestellten Größen (Ilmarinen & Tempel, 2007, S. 84). Niedrige Werte zeigen zwar ein Missverhältnis auf und begründen hiermit einen Handlungsbedarf im weiteren Sinne, mögliche Ursachen können jedoch „nur" abgeleitet, nicht abgelesen werden (vgl. z. B. auch Elsner, 2005). Dem Ergebnis entsprechend erfolgt eine Einstufung in eine von vier Kategorien mit Benennung daraus abzuleitender Notwendigkeiten:
- sehr guter Index, Erhaltung der Arbeitsfähigkeit,
- guter Index, Förderung der Arbeitsfähigkeit,
- mäßiger Index, Verbesserung der Arbeitsfähigkeit und
- schlechter Index, Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.3
Unabhängig vom Ergebnis spiegelt der ABI folgerichtig immer zwei Seiten wider, Stärken in Form von Ressourcen und Schwächen in Form von Beanspruchungen (Tempel, 2010, S. 233). Diesem Umstand verdient der ABI seine betriebsärztliche Attraktivität, trägt er somit doch zur Identifizierung jener Beschäftigten bei, die arbeitsmedizinische Betreuung in besonderem Maße nötig zu haben scheinen (Tempel & Giesert, 2005, S. 17).
3.2 Betriebliches Gesundheitsmanagement
Einem uneinheitlichem Verständnis von BGM vorbeugend, bedarf es an dieser Stelle einer einkreisenden Begriffsdefinition. Dies erscheint unabdingbar, um die oben dargestellte Fragestellung nach möglichen Anwendungsarten innerhalb eines BGM zielgerichtet beantworten zu können. Verstünde man BGM im Sinne dieser Arbeit im Wesentlichen „nur" als erweiterte betriebliche Gesundheitsförderung, ergäben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit automatisch deutlich weniger Anwendungsbereiche für den ABI als bei einem ganzheitlichen Ansatz von BGM.
BGM soll demnach an dieser Stelle mehr sein als punktuelle Einzelmaßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung, vielmehr ein kontinuierlicher, die Beschäftigten begleitender Prozess (BAuA, 2013, S. 115), welcher gesundheitsbezogene Aspekte zur Zielgrundlage aller unternehmerischen Entscheidungen macht (Faller, 2010, S. 25). Rosenbrock (2003, S. 22) fügt dieser Definition die Bedeutung der Partizipation „aller betrieblichen Akteure" bei, dem der ABI mittels Erhebung am Beschäftigten selbst sicherlich zumindest entgegenkommt4. Nur durch Partizipation, so Rosenbrock, ist eine Veränderung der Betriebskultur möglich und dies sei das hauptsächliche Kriterium eines betrieblichen Gesundheitsmanagements. Hierfür ist nicht zuletzt aber auch die „Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse" von Nöten, „die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum Gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeiter zum Ziel haben" (Badura et al., 2010, S. 33). Diese Trias aus Strukturen, Prozessen und Partizipation möge an dieser Stelle kennzeichnend sein für die in der Folge genutzte Merkmalsdefinition von BGM.
Strukturelle Definitionen ergänzen diese Trias, indem sie einerseits die notwendige Differenzierung eines BGM von den Ansätzen eines erweiterten Arbeitsschutzes und einer betrieblichen Gesundheitsförderung unterstreichen, andererseits aber auch den Umstand betonen, dass sich ein funktionierendes BGM diesen beiden ersten Ansätzen bedienen und mit weiteren „Ansätzen des Personal- und Gesundheitsmanagements" kombinieren muss, um Wirksamkeit entwickeln zu können (Sachverständigenrat, 2006, S. 253). Prozesshafte Auslegungen von BGM schließen sich dem an; kommt doch gerade der Wirksamkeitsüberprüfung sowohl als Prozessergebnis als auch als erneuter Prozessauslöser eine besondere Bedeutung zu (Abb. 1). Beispielhaft sei hier der am Deming-Kreis5 orientierte Bielefelder Lernzyklus genannt (Diagnose => Interventionsplanung => Intervention => Evaluation => Diagnose => ...), welcher am Ende eines 10-Punkte-Planes betriebspolitischer und struktureller Mindeststandards den „Fahrplan" eines BGM aufzeigen kann (Walter, 2010, S. 148f). Andere prozesshafte Auslegungen sind mitunter umfangreicher, im Grunde aber ähnlich (Deming-Kreis), ergänzen etwa eine Phase der „Sensibilisierung" der betrieblichen Akteure für bestimmte Themen im Vorfeld oder unterstreichen die Bedeutung der bereits festgehaltenen Partizipation (vgl. Pieck, 2010, S. 107).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Wirksamkeitsprüfung im PDCA-Zyklus als In- und Output-Variable (eig. Darstellung)
4. Theoretischer Hintergrund und Bestandsaufnahme
4.1 Konzepte des Arbeitsbewältigungsindex
Das dem ABI zugrunde liegende Konzept ist das der Arbeitsfähigkeit (Abb. 2)6. Es fußt auf einer repräsentativen Längsschnittstudie und stellt das bereits oben beschriebene Potenzial eines Beschäftigten, bestehend aus Stärken und Schwächen, eben die mit dem ABI einschätzbare Arbeitsfähigkeit7, in den Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Hasselhorn & Freude, 2007, S. 9; Tempel, 2010, S. 225). Eine „nachhaltige Förderung" der Arbeitsfähigkeit, und dies schließt Wiederherstellung, Verbesserung und Erhalt im Sinne des ABI mit ein, ist nur möglich, wenn die vier sich gegenseitig beeinflussenden „Handlungsfelder" gleichsam betrachtet und bearbeitet werden (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 11). Die körperliche und mentale Gesundheit ist im Rahmen des Konzeptes dabei sicherlich nicht nur symbolisch an „oberster Stelle" zu sehen (steht sie doch für das Individuum selbst), jedoch ist Gesundheit auch in hohem Ausmaße nicht in der Lage, Defizite in den anderen drei Bereichen adäquat auszugleichen (Tempel, 2010, S. 225).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Konzept der Arbeitsfähigkeit (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 12)
Neben der individuellen Gesundheit beeinflussen drei weitere Handlungsfelder die Arbeitsfähigkeit (Tempel, 2010, S. 227f):
- Arbeitsinhalte und („alternsgerechte“) Arbeitsbedingungen, welche ohne Ausnahme mittels (auch psychischen) Gefährdungsanalysen erfasst sein müssen,
- die Kompetenz(en) des Beschäftigten in Form von Bildung und Wissen, Erfahrung und Sozialkompetenz,
- sowie die Arbeitsorganisation, etwa das Ausmaß von Handlungsspielräumen, die Arbeitskultur aber insbesondere auch die Qualität der Führung dem Beschäftigten gegenüber.
Ilmarinen und Tempel (2007, S. 87) unterstreichen die Notwendigkeit der Bearbeitung dieser vier Handlungsfelder in Summe, um einen ABI interpretieren zu können. Dies sei unabhängig von seinem Ergebnis notwendig, zeige die Analyse doch stets „Stärken und Schwächen“ gleichermaßen auf. Damit öffnet sich zeitgleich die Chance die vier Handlungsfelder ebenso als Präventionsfelder zu verstehen. Finnische Studien zeigen auf, dass verbessertes Führungsverhalten, Maßnahmen der Arbeitsgestaltung und individuelle Gesundheitsförderung (in dieser Reihenfolge) den stärksten positiven Einfluss auf Arbeitsfähigkeit ausüben, und dies auch noch in hohem Alter (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 7 & 34f; Prümper & Richenhagen, 2011, S. 140f). In diesem Zusammenhang ist ebenfalls festzuhalten, dass, wenn auch wenig überraschend, die Kombination von Maßnahmen mehrerer Handlungsfelder einen signifikant stärkeren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit ausübt als keine oder isolierte Maßnahmen (Abb. 3).
Der ABI-Wert für sich, in Form von sehr niedrigen Punktwerten, erweist sich wiederum als starker Prädiktor für Arbeitsunfähigkeit und das Risiko vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit. Dies konnte in mehreren Studien dargelegt werden (vgl. Hasselhorn & Freude, 2007, S. 14). Finnische Studien an über 100.000 Arbeitnehmern zeigen auf, dass 38% der niedrigen ABI-Werte-Träger fünf Jahre später frühverrentet waren; bei den Personen mit hohen ABI-Werten waren es nur 1%.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Präventionsabhängige ABI-Entwicklung (Richenhagen, 2003)
[...]
1 vgl. BAuA, 2013, S. 68
2 Neben der Kurzversion des ABI existiert auch eine Langversion. Die abgefragten Dimensionen sind identisch, jedoch wird in der Langversion in einem Ausmaß nach eigen- und fremddiagnostizierten Erkrankungen gefragt (Dimension 3), dass das Ausfüllen der Langversion nur gemeinsam mit einem Arzt möglich ist. Die Kurzversion hingegen kann vom Beschäftigten selbstständig alleine ausgefüllt werden (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 23 & 50f).
3 Das dem ABI zugrunde liegende Konzept der Arbeitsfähigkeit wird im 4. Kapitel dargestellt.
4 Für einige Autoren ist der ABI allerdings wenig partizipativ, allenfalls informativ (Georg & Peter, 2005, S. 22).
5 oder PDCA-Zyklus (plan, do, check, act)
6 Auf eine Darstellung des Konzeptes des Hauses der Arbeitsfähigkeit wird an dieser Stelle verzichtet. Hierbei handelt es sich um eine weitere Darstellung des Konzeptes der Arbeitsfähigkeit, welches nahezu identisch ist und hauptsächlich zur Veranschaulichung dient (Hasselhorn & Freude, 2007, S. 9).
7 Der Begriff Arbeitsbewältigungsfähigkeit wird im Konzept synonym verwendet.