Diese Hausarbeit entstand im Rahmen des Studiums der Sozialen Arbeit. Inhaltlich geht es um das deutsche Vereins- und Organisationswesen und dessen Auswirkungen auf die Integration, speziell von Migrantinnen. Die Bedeutung wird am Anfang kurz abgesteckt.
Folgend wird auf die Entwicklung, Bedeutung und die gesellschaftliche Position von Migrationsorganisationen eingegangen. Anschließend werden auch die Faktoren Gendermainstreaming und interkulturelle Öffnung, sowie dessen Auswirkungen näher beleuchtet. In diesem Zuge werden auch mögliche Zugangsbarrieren aufgezeigt. Die spezielle Rolle von Migrantinnenorganisationen werden ebenfalls miteinbezogen. Abschließend werden geeignete Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vereins- und Organisationswesen in Deutschland
a. Definition und Bedeutung von Organisationen & Vereinen
b. Migrationsorganisationen
3. Gender-Mainstreaming und Interkulturelle Öffnung
a. Gender-Mainstreaming
b. Interkulturelle Öffnung
4. Vorurteile gegenüber Migrantinnen als evtl. Zugangsbarriere
5. Die spezielle Rolle der Migrantinnenorganisationen
6. Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit
7. Fazit
8. Anhang
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Freiwilliges Engagement in Vereinen und Organisationen sind das Fundament der Demokratie. Dies ist allerdings nur gegeben, wenn möglichst unterschiedliche soziale Gruppen vertreten sind und vertreten werden. In der deutschen Migrationsgesellschaft gehören hierzu folglich auch die Menschen mit Migrationshintergrund. In Hinblick auf Integration, wird dem ehrenamtlichen Engagement in Vereinen/ Organisationen eine wichtige Rolle zugeschrieben. So gilt unter anderem das Engagement von MigrantInnen als Indikator für eine gelungene Integration. Gleichzeitig soll durch Ehrenamt und Teilhabe an bürgerschaftlichen Organisationen aber auch Integration gelingen.
Doch zu denken, dass nun MigrantInnen gleichberechtigt in deutschen bürgerlichen Organisationen vertreten sind, ist keines Falls eine Selbstverständlichkeit. Denn diese Treffen oft auf viele Zugangsbarrieren, die nur durch kritische Reflexion abgebaut werden können. Und schaut man sich die Geschichte des Vereins- und Organisationswesen an, wird deutlich, dass nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund besonders von den Barrieren betroffen sind, sondern auch Frauen ohne Migrationshintergrund lange Zeit genauso wenig selbstverständlich waren. Nun stellt sich die Frage: Wie stehen die Bedingungen, wenn eine Person beide Kriterien erfüllt, also weiblich ist und auch einen Migrationshintergrund besitzt? Hier müssen dann vor allem auch Gender- und interkulturelle Aspekte genauer betrachtet werden. Diese Hausarbeit soll sich mit genau dieser Thematik befassen und aufzeigen, was die Soziale Arbeit im Kontext tut oder vielleicht noch tun könnte.
Das Thema wurde im Zuge des Moduls: Einführung in die interkulturelle Pädagogik gewählt und stützt sich auf den Artikel „Freiwilliges Engagement von Migrantinnen. Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit durch Empowerment“ von Emra Illgün-Birhimeoglu. Zuerst sollen das Vereins- und Organisationswesen in Deutschland und dessen Bedeutung kurz abgesteckt werden, folgend soll es um die Entwicklung, Bedeutung und die gesellschaftliche Position von Migrationsorganisationen gehen. Danach wird auf die Faktoren Gendermainstreaming und interkulturelle Öffnung eingegangen, die eine wichtige Rolle spielen. Anschließend sollen eventuelle Zugangsbarrieren aufgezeigt werden. Zudem wird daraufhin die spezielle Rolle von Migrantinnenorganisationen erläutert.
Danach soll es darum gehen, welche Möglichkeiten die Soziale Arbeit hat, positive Entwicklungen in Bezug auf Gendermainstreaming und auch interkultureller Öffnung zu erreichen. Die Hausarbeit schließt mit einem Fazit ab.
2. Vereins- und Organisationswesen in Deutschland
a. Definition und Bedeutung von Organisationen & Vereinen
Allgemein lassen sich Organisationen wie folgt definieren: „Organisationen sind soziale Gebilde die dauerhaft ein bestimmtes Ziel verfolgen und über eine formale Struktur verfügen, durch welche die Mitglieder auf die Ziele der Organisation ausgerichtet werden, wofür bestimmte Ressourcen bereitgestellt werden.“1
Vereine sind die häufigste Organisationsform und haben neben der oben genannten Definition noch eine differenziertere: „Im Sinn des BGB ist ein Verein eine auf gewisse Dauer berechnete Personenvereinigung mit körperschaftlicher Verfassung, die als einheitliches Ganzes gedacht wird, daher einen Gesamtnamen führt und im Bestand vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist. Vereine werden von Mitgliedern getragen, von denen „alle Macht ausgeht”. Sie bestimmen in Versammlungen über Satzungen und Grundsatzfragen, wählen die nachgeordneten Organe (Vorstand, Präsidium) und kontrollieren deren Aufgabenerfüllung.“2
Das Vereins- und Organisationswesen in Deutschland ist sehr vielfältig und von dynamischer Struktur, so durchdringt es die gesamte Gesellschaft in allen Bereichen. Bezeichnungen und Rechtsformen wie: Vereine, Verbände, Stiftungen, gemeinnützige Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Bürgerinitiativen haben sich herausgebildet. Sie alle stellen die institutionelle und infrastrukturelle Seite des deutschen Zivilengagements dar. Auch gibt es Dachverbände, die aus einem Zusammenschluss von mehreren Vereinen/ Organisationen entstehen. Diese haben die übergeordnete koordinative und politische Aufgabe der Interessenvertretung, aller in ihr vereinten Vereine und Organisationen, und aktiven Gestaltung der Gesellschaft.
Bis heute kann die Gesamtzahl der Vereine/ Organisationen nur geschätzt werden, da es keine verbindliche Registrierung gibt.
Eine Ausnahme bilden nur, die an das Recht gebundenen, Organisationsformen, wie eingetragene Vereine und Stiftungen. Schätzungsweise jedoch kommen zu den eingetragenen Vereinen mehrere hunderttausend Vereine, die nicht eingetragen sind.3 Doch unter den eingetragenen lässt sich ein klarer Anstieg verzeichnen.4
Allein in den Jahren 1960 bis 2017 versiebenfachte sich die Anzahl der registrierten Vereine und Organisationen auf etwa 605.000.5 In den letzten Jahren jedoch hat die Anstiegsdynamik leicht nachgelassen und die Anzahl an Neugründungen ging zurück. So waren es im Jahr 2016 nur noch 14.000.5Dazu kommt, dass auch die Anzahl der Vereins-/Organisationslöschungen in den letzten Jahren anstieg und im Jahr 2006 bei ca. 9.000 lag.5 Doch nicht nur die Zahlen haben sich mit den Jahren verändert, sondern auch die thematischen Ausrichtungen der Vereine/Organisationen. Während von 2005 bis 2008 besonders Kultur-, Interessen- und Freizeitvereine einen Anstieg erlebten, waren es in den Jahren 2008 bis 2014 vor allem die Bereiche: Soziales/Wohlfahrt, Freizeit, Beruf, Wirtschaft, Umwelt und Politik.6 Dies verdeutlicht, dass auch die thematischen Ausrichtungen keine Konstanten sind, sondern von den Problemen, Aufgaben und Trends der jeweiligen Zeit abhängen.
Doch zivilgesellschaftliche Vereine und Organisationen haben noch mit weiteren Veränderungen umzugehen. Immer stärker wird die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Handelns und Denkens deutlich, die eine Ökonomisierung der Arbeit nahezu unumgänglich macht. Dies bringt auf der einen Seite den Vorteil einer Wirtschaftlichkeit mit sich, auf der anderen Seite aber entstehen dadurch auch neue Herausforderungen, wie z.B. Planungsschwierigkeiten, bei einer unvorhersehbaren Einnahmeentwicklung und einem neu entstandenen Effizienz- und Konkurrenzdruck.7 Zudem wird es immer schwieriger, Freiwillige zu akquirieren, die vor allem nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig engagiert bleiben. Besonders schwer scheint dies für die ehrenamtlichen Leitungspositionen zu sein. Nur jede vierte Organisation gibt an, dass sie in diesem Bereich genug freiwillige Helfer findet.8
Dieser Mangel an Freiwilligen, vor allem auch in den Führungspositionen, könnte teilweise auch auf das früher noch geltende Beteiligungsverbot von Frauen im Vereins- und Organisationswesen zurückzuführen sein. Denn bis ins 20. Jahrhundert hatten Frauen kein politisches Mitspracherecht und die Beteiligung an politischen Vereinen war Frauen bis 1908 durch das Vereinsrecht der Länder strikt verboten. Erst das Reichsvereinsgesetz von 1908 ermöglichte eine Mitgliedschaft.9 Trotz der Aufhebung des Verbotes ist auch heute noch nicht von einer ausgeglichen Genderstruktur in Vereinen und Organisationen auszugehen und auch eine interkulturelle Struktur ist nur in sehr wenigen Vereinen zu finden.
b. Migrationsorganisationen
Doch neben den Vereinen und Organisationen der Mehrheitsgesellschaft bildeten sich auch eigene Migrationsorganisationen. Diese werden wie folgt definiert: „Migrationsorganisationen werden daher allgemein als Verbände verstanden, deren Ziele und Zwecke sich wesentlich aus der Situation und den Interessen von Menschen mit Migrationsgeschichte ergeben und deren Mitglieder zu einem Großteil Personen mit Migrationshintergrund sind und in deren internen Strukturen und Prozessen Personen mit Migrationshintergrund eine beachtliche Rolle spielen.“10
Die Ursprünge der Migrationsorganisationen lassen sich in den 1950er – 60er Jahren mit der Arbeitskräfteanwerbung finden. Neben den daraus entstehenden positiven wirtschaftlichen Folgen, tauchten aber auch neue soziale Probleme, wie Sprach- und Verständigungsschwierigkeiten, Familientrennung, und die Ungewissheit über den Zeitpunkt der Rückkehr, auf. Als dies erkannt wurde, fingen deutsche Wohlfahrtsverbände an, Betreuungs- und Fürsorgefunktionen11 für die ausländischen Arbeitskräfte zu übernehmen. Dabei übernahm jeder Wohlfahrtsverband seine eigene Zielgruppe, so kümmerte sich z.B. die Caritas um katholische MigrantInnen, die Arbeiterwohlfahrt um TürkInnen und die Diakonie um GriechInnen. Aus diesen Hilfen, entstanden dann im Laufe der Einwanderungsgeschichte auch viele selbstorganisierte Organisationen von MigrantInnen, in denen sich die Menschen mit eigenen Migrationshintergrund zusammenschlossen und immer noch schließen um andere Einwanderer im fremden Land zu unterstützen.
Die Strukturen der Migrationsorganisationen sind meist lokal und in Vereinsform angelegt, jedoch sind auch bundesweite Dachverbände zu finden. Eine deutschlandweite Anzahl- und Strukturerhebung gibt es bislang nicht. Das Ziel der Migrationsorganisationen ist in erster Linie die Hilfe und Unterstützung bei der Integration von MigrantInnen. Die Vereine sind meist ehrenamtlich organisiert. Da viele der ehrenamtlich Tätigen selbst Migrationserfahrungen gesammelt haben, sind sie besonders dafür geeignet, die Schwierigkeiten und Herausforderungen der Zielgruppe zu verstehen und passende Unterstützung zu ermöglichen.
So unterschiedlich und vielfältig wie das deutsche Vereins- und Organisationswesen, sind auch die Migrationsorganisationen, mit Bereichen wie z.B. Freizeit- und Sport, Kultur, Religion, Politik, Jugend- oder Elternhilfe. Auch verfügen die einzelnen Vereine und Organisationen oft über ein breitgefächertes Angebot, welches auf die speziellen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und Mitgliederinnen ausgerichtet ist, hierzu gehören zum Beispiel Dolmetscherdienste, Beratung, Kurse und Fortbildungsveranstaltungen, Angebote im Bildungsbereich, Elternbildung, oder auch Integrationsprojekte. Außerdem vertreten sie aktiv die Interessen ihrer MitgliederInnen und werden so immer öfter auch zu wichtigen Ansprechpartnern der Politik, Wirtschaft und Verwaltung.
In den letzten Jahren hat sich mit der neu aufkommenden Vielfalt der Migrationsformen, auch das Netzwerk der Migrantenorganisationen verändert. Es wurde dichter, vielfältiger und auch professioneller. So haben sich viele z.B. durch Fort- und Weiterbildungen professionalisiert.
Die Effektivität des Ziels der Integration ist jedoch nicht unumstritten. Vorwürfe der Segregation und auch Abgrenzung zur Mehrheitsgesellschaft sind zu finden.12 Die große Bandbreite an unterschiedlichen Typen und Funktionen der Migrationsorganisationen macht eine exakte Bewertung unmöglich. Neu angefacht wurde die Diskussion um die tatsächlichen Funktionen durch die Terroranschläge vom 11. September 2001,12 besonders kritisch wurden die großen religiösen Vereinigungen beäugt.
Im Oktober 2003 ging es ebenfalls bei einem Fachkongress der Bundeszentrale für politische Bildung um die genaue Funktion von Migrantenorganisationen. Hier sollte auch die Frage erörtert werden, ob Migrationsorganisationen eher als "Identitätswächter oder Integrationslotsen"12 dienen würden. Das Ergebnis des Fachkongresses war, dass man einzelne Migrationsvereine und -organisationen erkannte, bei denen Tendenzen der Abgrenzung zu erkennen waren. Trotzdem wurde mehrheitlich auf das große Integrationspotenzial durch Vermittlung von Alltagswissen, Bereitstellung von Hilfsangeboten und auch die Orientierungshilfe in der noch unbekannten neuen Gesellschaft, hingewiesen. So wurde beschlossen, dass Migrationsorganisationen auch weiterhin ein wichtiger Bestandteil der deutschen Integrationspolitik sein sollen und müssen, da sie eine äußerst wichtige und hilfreiche Basis bilden.
3. Gender-Mainstreaming und Interkulturelle Öffnung
Wie oben schon erwähnt, haben viele Vereine und Organisationen mit einem Mangel an freiwilligen Helfern zu kämpfen. Dieser Mangel könnte durch die Auseinandersetzung mit zwei entscheidenden Faktoren gemindert werden: dem Gender-Mainstreaming und der Interkulturellen Öffnung.
a. Gender-Mainstreaming
Ein großes Problem im deutschen Vereins- und Organisationswesen, aber auch in Migrationsvereinen, stellt immer noch die fehlende oder mangelhafte Umsetzung des Gender- Mainstreaming dar. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Gender Mainstreaming wie folgt: „Gender Mainstreaming bedeutet, dass die Politik, dass aber auch Organisationen und Institutionen jegliche Maßnahmen, die sie ergreifen möchten, hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und von Männern untersuchen und bewerten, sowie gegebenenfalls Maßnahmen zur Gleichstellung ergreifen.“13
Durch fehlendes oder nicht gelingendes Gender-Mainstreaming sind Frauen in den meisten Vereinen/ Organisationen immer noch in der Unterzahl. Selbst in den geschlechtsheterogenen Vereinen/ Organisationen lässt sich erkennen, dass die höheren Positionen vergleichsweise von weniger Frauen besetzt sind.
[...]
1 vgl. Kieser 2015, S.4
2 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Zivilgesellschaftliche Organisationen als Infrastruktur des Zivilengagements.
3 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Zivilgesellschaftliche Organisationen als Infrastruktur des Zivilengagements.
4 vgl. Anhang 1
5 vgl. Anhang 1
6 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Zivilgesellschaftliche Organisationen als Infrastruktur des Zivilengagements.
7 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Zivilgesellschaftliche Organisationen als Infrastruktur des Zivilengagements.
8 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Zivilgesellschaftliche Organisationen als Infrastruktur des Zivilengagements.
9 vgl. Eggemann; Hering 1999, S.22
10 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Was sind Migranten(selbst)organisationen?
11 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Migrantenorganisationen.
12 vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Migrantenorganisationen.
13 vgl. bpb - Bundeszentrale für politische Bildung: Gender Mainstreaming.