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Sprache-Bild-Relation. Zum Verhältnis von visueller Wahrnehmung und sprachlicher Determinierung des Menschen

©2013 Hausarbeit 13 Seiten

Zusammenfassung

Ist die hohe Position der visuellen Wahrnehmung innerhalb der Sinneshierarchie des modernen Menschen tatsächlich auf eine verstärkte Masse medialer Vermittlungsprozesse zurückzuführen, oder ist der Mensch von Natur aus im Rahmen seiner empirischen Wahrnehmung auf visuelle Dominanz angewiesen? Und wenn dies der Fall ist, wie lässt sich gerade wegen dieser Entwicklung das Bildungspotential von Bildern trotz allem zutage führen? Diesen Fragen geht die vorliegende Arbeit nach.

Den Thesen, unter anderem von Postman, wurden im Seminar zunächst drei unterschiedliche Theorien zum kognitiven Bildbegriff aus der Semiotik (Ferdinand de Saussurre), der Philosophie (Platon) und der Psychologie bzw. Erziehungswissenschaft (Dehn) gegenübergestellt, um sich schließlich in einem zweiten Teil der Sitzung anhand von Beispielen dem tatsächlichen Bildungspotential von Bildern im Vergleich zum Text zu widmen.

Die Wahrnehmung jüngerer Generationen ist zwangsläufig aufgrund von Werbung, Filmen, Fotoapparaten zunehmend visuell geprägt. Daran kann es keine Zweifel geben. Dadurch stellt sich im Allgemeinen jedoch bekanntermaßen die Frage, ob durch die zunehmend visuelle Wahrnehmung nicht verlernt wird, sich die Welt (im Sinne des klassischen Bildungsbegriffs) sinnlich, durch eigene Erfahrungen, die nicht mittels Bildschirm als Medium übermittelt sind, anzueignen. Die eben genannten Aussagen gipfeln letztlich sogar in der Auffassung, dass der Mensch heutzutage sogar quasi Geißel seiner eigenen Mediennutzung und somit vollkommen unfähig zur direkten Erfahrung der Welt geworden ist bzw. werden wird.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Darstellung verschiedener Theorien zum kognitiven Bildbegriff
2.1 Das kognitive Bild in der Semiotik
2.2 Das kognitive Bild in der Philosophie
2.3 Der psychologisch-erziehungswissenschaftliche Bildbegriff

3 Überlegungen zum Bildungsgehalt von Bildern

4 Das Konzept der Visual literacy

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

7. Anhang

1 Einleitung

Eine weitverbreitete Meinung der älteren Generation über die Jugend von heute ist oft: „Meine Kinder sitzen nur noch vor dem Fernseher!“, „Die Jugend von heute liest einfach keine Bücher mehr!“ oder: „Junge Menschen hängen die ganze Zeit nur noch am Computer!“ Sicherlich können derartige Aussagen nicht verallgemeinert werden. Aber ein gewisser Wahrheitsgehalt ist ihnen dabei trotzdem nicht abzusprechen. So ist die Wahrnehmung jüngerer Generationen zwangsläufig aufgrund von Werbung, Filmen, Fotoapparaten zunehmend visuell geprägt. Daran kann es keine Zweifel geben. Dadurch stellt sich im Allgemeinen jedoch bekanntermaßen die Frage, ob durch die zunehmend visuelle Wahrnehmung nicht verlernt wird, sich die Welt (im Sinne des klassischen Bildungsbegriffs) sinnlich, durch eigene Erfahrungen, die nicht mittels Bildschirm als Medium übermittelt sind, anzueignen. Die eben genannten Aussagen gipfeln letztlich sogar in der Auffassung, dass der Mensch heutzutage sogar quasi Geißel seiner eigenen Mediennutzung und somit vollkommen unfähig zur direkten Erfahrung der Welt geworden ist bzw. werden wird. Unter anderem Neil Postman benennt dieses scheinbar zentrale Problem moderner Gesellschaften und moderner Bildungsinstitutionen in seiner sehr drastischen Medienkritik, in der er alle Formen moderner, bildlicher Wahrnehmung (Fernsehen, Computer etc.) als Weg des „Infotainment“ und als Mittel zur Verdummung der Menschheit diskreditiert (vgl. Postman 1997).

Ohne Zweifel hat der zugesprochene Wahrheitsgehalt aller Bildformen im vergangenen Jahrhundert nachweislich in der Gesellschaft eine Aufwertung ohnegleichen erfahren. Zudem kann heute wahrlich von einer „Flut der Bilder“ im alltäglichen menschlichen Leben gesprochen werden. Doch verschlechtert die heute so überschwängliche Präsenz von Bildern aller Art (sei es im Film, in Bildbänden usw.) einen Bildungsprozess des Menschen in der Schule und innerhalb der Gesellschaft? Hier liegt ohne Zweifel ein gewisses Gefahrenpotential, da Bilder (insbesondere in der modernen Zeit der Bild-Bearbeitungsprogramme) dem unreflektierten Betrachter zumeist reine Wahrheiten präsentieren sollen und somit die individuelle Erfahrung, den Vorgang des „ Sich-Selbst-ein-Bild-machens “ ungemein einschränken können. Werden Bilder aus reiner Bequemlichkeit rezipiert, also lediglich zur Zerstreuung verwendet, wird dies für die Bildung des Individuums wahrscheinlich nicht zuträglich sein. wenn Bilder in erster Linie als

gegebene Tatsachen begriffen werden, ohne weiter zu denken. Doch ist die hohe Position der visuellen Wahrnehmung innerhalb der Sinneshierarchie des modernen Menschen tatsächlich auf eine verstärkte Masse medialer Vermittlungsprozesse zurückzuführen, oder ist der Mensch von Natur aus im Rahmen seiner empirischen Wahrnehmung auf visuelle Dominanz angewiesen? Und wenn dies der Fall ist, wie lässt sich gerade wegen dieser Entwicklung das Bildungspotential von Bildern trotz allem zu Tage führen bzw. fördern?

Dieser Fragestellung sind wir im Rahmen des Seminars aus verschiedenen Perspektiven näher gekommen, auch unter der Berücksichtigung, inwieweit sich die Erfahrungen via medialer Vermittlungsprozesse heutzutage noch dem Begriff der Bildung zuordnen lassen. Den Thesen, unter anderem von Postman, wurden im Seminar zunächst drei unterschiedliche Theorien zum kognitiven Bildbegriff aus der Semiotik (Ferdinand de Saussurre), der Philosophie (Platon) und der Psychologie bzw. Erziehungswissenschaft (Dehn) gegenübergestellt, um sich schließlich in einem zweiten Teil der Sitzung anhand von Beispielen dem tatsächlichen Bildungspotential von Bildern im Vergleich zum Text zu widmen.

2 Darstellung verschiedener Theorien zum kognitiven Bildbegriff

2.1 Das kognitive Bild in der Semiotik

Die alltagssprachliche Redewendung Ich kriege das Bild nicht mehr aus meinem Kopf! stellt eine sehr vereinfachte Variante von dem dar, was der französische Linguist und Semiotiker Ferdinand de Sausurre mit seinem Werk „Die Natur des sprachlichen Zeichens“ dargestellt hat. De Saussure ordnet dem sprachlichen Zeichen und dem bezeichneten Gegenstand an sich keine echte Bedeutung zu, da diese Auffassung bereits „fertige Vorstellungen [voraussetzen würde], die schon vor den Worten vorhanden waren“ (De Saussure 2001: S. 76). Den bisherigen Auffassungen, dass sprachliche Zeichen von vorne herein mit bestimmten Bedeutungen verknüpft werden könnten, stellt de Saussure die zwei Seiten eines sprachlichen Zeichens, das Lautbild (signifiant/ Bezeichnung) einerseits und die Vorstellung (signifié/ das Bezeichnete) andererseits gegenüber, welche beide losgelöst vom eigentlichen Gegenstand durch zwischenmenschliche Kommunikation entstehen würden. Gemäß dieser Auffassung setzen verbale Äußerungen (z.B. die

Lautabfolge für Hund) nicht gleichzeitig den Verweis auf den bezeichneten Gegenstand (den realen Hund) voraus. Vielmehr entsteht auf der Basis einer visuellen, haptischen, olfaktorischen oder akustischen Wahrnehmung des Gegenstandes zunächst eine geistige Vorstellung, die Entstehung eines Bildes im Geiste, mitsamt aller über Kommunikation vermittelten für diesen bestimmten Gegenstand konstituierenden Eigenschaft (in der Regel in Form eines geistigen Bildes dargestellt) und schließlich erfolgt die Zuordnung derselben zu einem bestimmten Lautbild. So schreibt de Saussure: „Das sprachliche Zeichen vereinigt in sich nicht einen Namen und eine Sache, sondern eine Vorstellung und ein Lautbild“ (de Saussure 2001: S. 77). Sprachliche Zeichen sind demzufolge weder als identitätsstiftend noch als gegenstandsgebunden anzusehen. Sie erhalten ihre Bedeutung laut semiotischer Theorie lediglich in Verbindung mit einer geistigen Vorstellung und zwar nach dem man sich im Kopf ein Bild des jeweiligen Gegenstandes gemacht hat. Folglich gehen der Sprache (und somit auch der Schrift) in gewisser Weise stets in den Gedanken entstandene Bilder voraus – das hieße nach de Sausurre: Ohne Bilder keine Sprache, ohne Bilder keine Schrift, ohne Bilder kein Text. Hieraus ließe sich aus semiotischer Betrachtung die Vermutung anstellen, dass es eine generelle Bildorientierung des Menschen sowieso von vorne herein aufgrund seiner biologischen und sozialen Eigenschaften geben muss, und eine Überhöhung der Sprache und der Literatur als primäre Bildungsinitiatoren nie wirklich vorhanden war.

2.2 Das kognitive Bild in der Philosophie

Ähnliche Auffassungen wie zum kognitiven Bildbegriff in der Semiotik lassen sich auch in den Ursprüngen der Philosophie, vor allem beim griechischen Philosophen Platon nachweisen. In einer seiner bekanntesten philosophischen Überlieferungen, dem Höhlengleichnis, formuliert Platon die Idee als den Ursprung aller menschlichen Wahrnehmungen. Er versteht unter einer Idee ein ideales Objekt, das aber dem Menschen aufgrund seines eingeschränkten Wahrnehmungsapparates nicht wahrhaftig zugänglich ist. In der realen Welt könne der Mensch lediglich Abbilder dieser Ideen wahrnehmen, die wahre Gestalt eines Objektes (egal um welchen es sich dabei handelt) bliebe dem Menschen jedoch stets verborgen. Auf de Saussure bezogen, lassen sich hier durchaus Ähnlichkeiten zum Begriff des signifié als ein Teil des sprachlichen Zeichens finden. Mehr noch: Platons Ideentheorie stellt die bildliche Wahrnehmung einerseits als am Nächsten zur Realität dar, betont jedoch andererseits auch gleichzeitig dessen inharänten Manipulationscharakter (dadurch dass wir nur Abbildungen, also Verfälschungen der Realität wahrnehmen können). Unter dem Begriff der Idee versteht Platon somit die, im Rahmen seines Höhlengleichnisses formulierten Auffassung, dass alles von Menschen Erschaffene auf bestimmten Idealbildern im Reich der Ideen (also in der menschlichen Vorstellung) aufbaut, deren Umsetzung den Menschen in der Welt aber nur in Anlehnung an die Idealbilder gelinge. Insbesondere aus diesem Grund sah Platon auch vor, dass alle Literaten aus dem von ihm erdachten idealen Staat verjagt werden sollten, da sie gemäß seinem philosophischen Verständnis den Frevel besaßen, die ideale Welt beschreiben zu wollen und behaupteten, dies auch tatsächlich zu können.

Letztlich kann bezüglich des kognitiven Bildbegriffs gesagt werden, dass also auch aus philosophischer Perspektive beim Menschen ein kognitives Bild bereits vor der Erschaffung von Gegenständen und der kommunikativen Verhandlung über deren Bezeichnung vorhanden sein muss. Objekte werden folglich erst nach der Entstehung des inneren Bildes durch sprachliche Ausdrücke markiert. Deshalb könnte auch in der Philosophie von einer vorrangigen Bildorientierung des Menschen gesprochen werden, was dem geringeren Bildungspotential von bildlich vermittelten Inhalten gegenüber sprachlichen Inhalten widersprechen würde.

2.3 Der psychologisch-erziehungswissenschaftliche Bildbegriff

Anhand der Erkenntnisse der Neuropsychologie und der Erziehungswissenschaft soll im Folgenden aufgezeigt werden, inwieweit Bilder als Initiator medial-vermittelter Bildungsprozesse dienen können und inwiefern Bilder bereits innerhalb der Didaktik genutzt werden, um Lernprozesse bei Kindern innerhalb des Schulunterrichtes anzuregen. Die Deutschdidaktikerin Mechthild Dehn hat sich in einer Reihe ihrer Aufsätze umfangreich mit dem Thema des Bildungspotentials von Bildern, insbesondere beim Schreibenlernen, auseinandergesetzt. Sie bezieht sich in ihren Ausführungen auf den kognitiven Bildbegriff von Nussbaumer, der innerhalb eines von ihm entwickelten Modells das Zusammenwirken dreier Ebenen bei der Betrachtung eines Bildes betont: Dem Bildwissen, dem Weltwissen und dem Handlungswissen (vgl. Dehn 2007, S. 31). Innerhalb dieses „kognitiv[en] Bildbegriffes“ (ebd.), wird das Sehen eines Bildes hierbei als Konstruktion verstanden, bei dem der Betrachter auf eigene Erfahrungen, mentale Muster und kognitive Modelle zurückgreift. Dehn stellt hierzu fest, dass sowohl das Handlungswissen als auch das Weltwissen nicht nur für das Bild- sondern auch für das Textverstehen maßgeblich sind (vgl. ebd.), was einer Präferierung von Texten als ideales Lernmedium widersprechen würde. In den Neurowissenschaften konnte diesbezüglich auch nachgewiesen werden, dass das menschliche Hirn bei der Wahrnehmung von realen Bildern genauso aktiv ist, wie wenn man sich die entsprechenden Bilder nur in den eigenen Gedanken vorstellt (vgl. Boehm 2004: S. 43 oder Singer 2004: S. 67). Auch in der Neuropsychologie und in den Erziehungswissenschaft lässt sich folglich zumindest von einer scheinbaren Gleichberechtigung der Bildungspotentiale von Text und Bild sprechen.

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Details

Seiten
Jahr
2013
ISBN (eBook)
9783346464040
ISBN (Buch)
9783346464057
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Schlagworte
Medienwissenschaft Sprachwissenschaft Visuelle Wahrnehmung Visual literacy Medien Bildung
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