Diese Hausarbeit befasst sich mit der buddhistischen Tugendethik und geht der Frage nach, ob diese als Ausgangspunkt genommen werden kann, das Mensch-Tier-Verhältnis wiederherzustellen.
In dieser Hausarbeit wird dabei im ersten Teil untersucht, wie das Prinzip der Gewaltlosigkeit gegenüber Tieren im Buddhismus ethisch begründet wird und wie die Rolle des Tieres genau aussieht. Im zweiten Teil dieser Untersuchung werden wichtige Tugend im Buddhismus (die Tugend der liebenden Güte und des Mitgefühls) beleuchtet und praktische Anleitungen für gelebte praktische Philosophie skizziert, die jeder Mensch unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit, seiner Ethnie oder seines Geschlechts nutzen kann.
Gliederung
1. Einleitung
2. Das Prinzip der Gewaltlosigkeit im Buddhismus (Ahimsa)
3. Die Tugend der liebenden Güte und des Mitgefühls
4. Verflochtene Empathie
5. Ausblick
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Emotionen spielen in der theoretischen Ethik eine untergeordnete Rolle. In dieser herrscht ein starker Dualismus zwischen Verstand und Gefühl. Gefühle als Grundlage für moralische Entscheidungen werden oft als unzulässig bezeichnet. Dieser Dualismus wurde vor allem von feministischen und antikapitalistischen Tierethiker*innen1 kritisiert, denn die starke Betonung der Vernunft gegenüber den Gefühlen gehöre zur patriarchalischen Ideologie. Nach Brian Luke wird mit diesem Dualismus Geschlechtlichkeit konstruiert. Der Mann wird als „rationales“ Wesen konstruiert, während hingegen die Frau als „hysterisches“, „irrationales“ und „emotionales“ Wesen konstruiert wird. Diese Konstrukte würden der Unterdrückung derjenigen Frauen dienen, die die jeweiligen sozialen Ordnungen moralisch kritisieren. Berechtigte Kritik werde damit als biologisch-geschlechtsspezifisches Phänomen abgetan und die Frau an sich sexistisch abgewertet. Das „männliche“ und formale Denken wird über das „gering geschätzte“ „weibliche“ Denken gestellt. Ein weiterer Grund für die Überhöhung der Vernunft sei die akademische Diskussionskultur selbst. Es gehe nicht darum, gemeinsam Wahrheiten zu finden, sondern den Diskussionspartner mit „rationalen“ Argumenten zu „besiegen“. Feministische Tierethiker*innen sehen hier ebenfalls eine Art der männlichen Identitätsbildung, da das Subjekt durch diesen „Kampf1 das Gefühl eines „rationalen und moralischen“ Selbst erlangen würde. Für Lori Gruen gehören Emotionen zu dem Reichtum der moralischen Erfahrungen.2 Die Ursache für die Ungerechtigkeiten und Zerstörungen durch die Menschen sei die Entfremdung dieser von der Natur, den anderen Menschen und den Tieren. Der Grund für diese Entfremdung sein die herrschenden dualistischen Ethiksysteme. Sie würden die Emotionen der Menschen, die Erfahrungen sowie relevante Informationen wie z.B Macht- oder Privilegiensysteme nicht beachten. So würden diese traditionellen Theorien moralische Probleme verkürzt und entfremdet darstellen und dazu führen, dass die moralische Vorstellungskraft und die moralischen Motivation schwächer werde.3 Um dieses Entfremdung rückgängig zu machen und das Mensch-Tier Verhältnis wiederherzustellen, entwickelte sie das Konzept des „entaglement empathy", der verflochtenen Empathie. Der Mensch soll durch die Entwicklung von Empathie die Entfremdung zwischen Mensch-Tier und Natur und damit auch die dualistischen Ethiksysteme überwinden. In der buddhistischen Ethik spielen Emotionen auch eine wichtige Rolle. Daher sollen die Praktizierenden Tugenden, wie z.B. Mitgefühl, liebende Güte und Mitfreude kultivieren. Zudem gilt im Buddhismus das Prinzip der Gewaltlosigkeit gegenüber allen fühlenden Lebewesen.
In dieser Hausarbeit wird im ersten Teil untersucht, wie das Prinzip der Gewaltlosigkeit gegenüber Tieren im Buddhismus ethisch begründet wird und wie die Rolle des Tieres genau aussieht. Im zweiten Teil dieser Untersuchung werden wichtige Tugend im Buddhismus (die Tugend der liebenden Güte und des Mitgefühls) beleuchtet und praktische Anleitungen für gelebte praktische Philosophie skizziert, die jeder Mensch unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit, seiner Ethnie oder seines Geschlechts nutzen kann. Zusammen mit dem Konzept der verflochtenen Empathie von Lori Gruen und den buddhistischen Tugenden und dem Prinzip der Gewaltlosigkeit kann ein Weg gezeichnet werden, um das Tier-Mensch Verhältnis wiederherzustellen.
2. Das Prinzip der Gewaltlosigkeit im Buddhismus (Ahimsa)
„Ahimsa" ist einer der Leitgedanken vieler indischen Religionen und kann als „Gewaltlosigkeit“ übersetzt werden.4 Bereits die frühen buddhistischen Lehrreden befassen sich mit diesem Prinzip. In der Lehrrede, in der die Entstehungsgeschichte der fünf buddhistischen ethischen Grundsätze (Silas) beschrieben wird, findet sich ein Dialog zwischen dem Buddha und seinen Schülerinnen. Er wird von ihnen gefragt, ob er einen Ethikkodex festlegen könnte. Es werden in der Lehrrede fünf ethische Grundsätze (Silas) genannt, die die Mönche und Nonnen strickt einzuhalten hätten. Der wichtigste und erste Grundsatz ist Ahimsa, d.h. die Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen. Dieses Prinzip beeinhaltet, dass das Subjekt seine Intentionen und Handlungen darauf richten soll, weder ein Lebewesen zu schaden noch zu töten. Doch auf welche Lebewesen genau dieses Prinzip angewendet werden soll ist umstritten. Einige Kommentatorinnen erweitern dieses Prinzip auf alle Lebewesen, Pflanzen eingeschlossen (Biozentrismus), während hingegen andere die Meinung vertreten, dass dieses Prinzip nur im Hinblick auf fühlende Lebewesen (Pathozentrismus) anwendbar sei.5 In den frühen buddhistischen Schriften werden Pflanzen nicht als fühlende Lebewesen eingeordnet. Belegbar ist allerdings, dass Tiere im frühen Buddhismus explizit als fühlende Wesen bezeichnet werden, da sie ein bewusstes Erleben haben und empfindlich sind für Leiden. Die Kritik, die der Buddha in den Lehreden an dem rituellen Opfern und Schlachten von Tieren übte, zeigt, dass Tiere eine moralische Relevanz haben. Zudem verbot er der Mönchsgemeinschaft Leder zu tragen und ermutigte sie, Tiere zu unterstützen. Dieses beinhaltete auch das Retten und Befreien von Tieren. Welche moralische Relevanz die Tiere im Vergleich zu den Menschen genau haben, ist dennoch nicht eindeutig festlegbar. Dieses hat unter anderem mit der buddhistischen Kosmologie zu tun. In dieser gibt es sechs Wiedergeburtsbereiche. Der Bereich der Tiere ist dem Bereich der Menschen untergeordnet. Die Ursache für die Wiedergeburt des Menschen in den Bereich der Tiere wird als Zeichen moralischer Fehlerhaftigkeit des Individuums bewertet.6 Zudem waren die Strafen im alten Indien für das Töten oder Schädigen von Tieren nicht so streng wie die Strafen für das Schädigen und Töten von Menschen. Durch diese Ungleichbehandlung resultiert Paul Francis Waldau, dass der Speziesismus auch im Buddhismus zu finden sei. Bronwyn Finnigan hingegen bewertet diese Ungleichheit nicht als Beleg für Speziesismus. Denn im frühen Buddhismus gelte sehr wohl das Tier als „moral patient“, weil sie fühlende Lebewesen sind und somit in das Prinzip der Gewaltlosigkeit mit einzuschließen sind ,7 Fünf ethische Begründungen werden im frühen Buddhismus benutzt, um das Prinzip der Gewaltlosigkeit auf Tiere anzuwenden. Eine Begründung lautet, dass das Töten und Schädigen von Tieren Leiden verursacht. In den buddhistischen philosophischen Schulen gibt es hier Meinungsunterschiede, ob das Leiden etwas intrinsisch schlechtes sei oder ob es in einem normativen Verständnis negativ ist. Das Argument gegen das Töten und Schädigen von Tieren kann wie folgt formuliert werden: Wenn das Töten und Schädigen von Tieren Leiden verursacht und Leiden intrinsisch schlecht ist und verhindert werden sollte, dann darf kein Tier getötet oder geschädigt werden. Nur wenige buddhistische Kommentatoren interpretieren das Leiden als etwas intrinsisch schlechtes, denn das Leiden kann zu Erkenntnisprozessen führen. Die Mehrheit der buddhistischen Kommentatoren stimmt allerdings zu, dass das Töten und Schädigen von Tieren verhindert werden sollte, weil dieses unnötiges Leiden verursacht und zudem unheilsame „karmische“ Folgen hätte. Das zweite Argument ist das Argument, welches auf das eigene Verlangen nach Glück und Vermeidung von Leiden basiert.8 Dieses argumentiert findet sich Im Samyutta Nikaya 55, einer buddhistische Lehrredenansammlung. Der Mensch soll wie folgt über das Leiden und Glück nachdenken „Mir ist mein Leben lieb, ich will nicht sterben, ich will Wohl und verabscheue Wehe. Würde mir jemand, obwohl mir mein Leben lieb ist, ich nicht sterben will, ich Wohl will und Wehe verabscheue, das Leben rauben, so wäre mir das nicht lieb und angenehm. Wenn nun aber ich einem anderen, dem ja auch sein Leben lieb ist, der nicht sterben will, der Wohl will und Wehe verabscheut, das Leben rauben würde, so wäre ihm das unlieb und unangenehm. Was für mich eine unliebe und unangenehme Sache ist, das ist auch für den anderen eine unliebe und unangenehme Sache. Was da für mich eine unliebe und unangenehme Sache ist, wie könnte ich das einem anderen aufladen.' Wer sich das so vor Augen führt, dem liegt selber das Umbringen von Lebendigem fern, andere regt er an, vom Umbringen von Lebendigem abzustehen, und er lobt es, wenn jemand vom Umbringen von Lebendigem absteht. ,Das ist der rechte Wandel in Werken.' darüber ist er sich völlig klar geworden.“9
Eine ähnliche Form dieses Argumentes findet sich auch im Dhammapada, einer Anthologiesammlung von Aussprüchen, die der Buddha gelehrt hätte, wieder: „All tremble at violence; life is dear to all. Putting oneself in the place of another, one should not kill nor cause another to kill.“10 Diese Aussprüche suggerieren, dass es eine Gleichheit gäbe zwischen dem Selbst und den anderen. Das Vermeiden von Töten und Schädigen von anderen wird mit dem eigenen Verlangen nach Glück und Vermeidung von Leid begründet. Zwar sind mit den „anderen“ nicht explizit Tiere genannt, aber dennoch kann diese Argumentation auch auf Tiere erweitert werden. Bronwyn Finnigan baut das Argument wie folgt auf: „I do not desire to suffer. If I were killed that would cause me to suffer. Animals are like me in not desiring to suffer. Killing animals causes them to suffer. So, I should not kill animals."11 Zudem argumentiert der Buddha, dass in dem Kreislauf der Wiedergeburten alle Lebewesen bereits miteinander verwandt gewesen wären. So wäre das Zufügen von Leid an Tieren genauso, als würde man Mitglieder der eigenen Familie schaden.12 Doch diese Art von Argumentationen sind anfällig für Einwände. Finnigan sieht in dieser Argumentation ein Dilemma. Das Problem ist, dass der Buddha in der zweiten „edlen Wahrheit“ das Verlangen als Ursache für das Leiden beschreibt. Nur durch das völlige Auslöschen des Verlangens könnte das Leiden beendet werden. Doch das Leiden beenden zu wollen und den Weg für das Auslöschen des Leides zu gehen ist wiederum selbst ein Verlangen. Dieser scheinbare Widerspruch kann als Paradoxie des Begehrens bezeichnet werden. Um dieses Paradoxon zu lösen, haben buddhistische Kommentatoren verschiedene Lösungen angeboten. Eine Lösung ist die Differenzierung von verschiedenen Arten von Verlangen. Die problematische Art, die dem Leiden zugrunde liege, wäre Begehren oder die Begierde (trsnä). 13 Nun stellt sich hier die Frage, ob das Leiden etwas schlechtes sei, weil man es vermeiden möchte, oder ob es vermieden wird, weil es etwas intrinsisch schlechtes sei. Hier sieht Finnigan ein Euthyphron-Dilemma. Welche Antwort bevorzugt wird hängt von der eigenen Sicht auf die Faktoren ab, durch die moralische Entscheidungen gefallen werden sollten, z.B., ob man den Faktor des Verlangens für relevant hält. Finnigan argumentiert, dass es bei Betrachtung der Lehrreden schlüssiger sei, dass Leiden vermieden werden sollte, weil es etwas intrinsisch schlechtes sei. Der Gedanke getötet zu werden, sei etwas unerfreuliches. Diese „Unerfreulichkeit“ bewertet Finnigan als eine Form des Leidens. Doch im buddhistischen Kanon gibt es vielfältige moralische Argumentationen, die diese Problematik betreffen. Diese Uneindeutigkeit in den Lehrreden bewerten die buddhistischen Kommentaren als „geschickten Mittel“ des Buddha, der sich an die Bedürfnisse und der Reife des jeweiligen Belehrten angepasst hätte. Der Buddha hätte somit einigen Schülerinnen den gerechtfertigten Grund dafür genannt, Tiere nicht zu töten oder ihnen zu schaden, nämlich, dass dieses Handlungen mit Leiden verbunden wären und Leiden selbst etwas schlechtes sei. Zusätzlich hätte der Buddha aber denjenigen Menschen, die nicht von dem Leiden der anderen berührt werden, das Argument angeboten, dass auf dem eigenen Verlangen nach Glück und dem Vermeiden von Leid basiert.14 Ein weiteres Argument, mit dem man das Prinzip der Gewaltlosigkeit auf Tiere erweitern kann, ist das „Nicht-Selbst“-Argument. Dieses ist ein ontologisches Argument. Der Buddha argumentiert in seinen Lehrreden, dass es kein essentielles Selbst gäbe, das durch die Zeit hindurch bestehen würde. Es gäbe somit auch keine egoistischen Gründe für das Töten und Verletzen von Tieren, um die eigenen Begierden zu befriedigen. Der Mensch wäre nämlich nur ein Konstrukt aus fünf Gruppen (Skandhas): der Körperlichkeit, der Gefühlsgruppe, der Wahrnehmungsgruppe, der Geistesformationsgruppe und der Bewusstseinsgruppe. Das „Nicht- Selbst“ Argument kann wie folgt aufgebaut werden: Egoistisches Eigeninteresse setzte voraus, dass es ein Selbst gäbe, dessen Interessen gegenüber anderen privilegiert werden sollte. Genau diese Annahme sei falsch; denn es gäbe kein essentielles Selbst, dass privilegiert werden könne. Zwar gäbe es psychologische Zustände, aber kein „festes“ Selbst, das Besitzer dieser Zustände wäre. Wenn das Leiden an sich beseitigt werden soll, dann sollten alle Leiden beseitigt werden. Somit müsse auch das Töten und Verletzen von Tiere aufgegeben werden, da Tiere ein Interesse hätten, nicht zu leiden. Das Problem ist hierbei, dass bei dieser Begründung das Subjekt zuerst die Grundannahme akzeptieren muss, dass es zwar psychologische Zustände gäbe, es aber kein „essentielles“ Selbst gäbe, was der Besitzer von diesen Zuständen wäre.15 Die letzte Argumentation basiert auf einer buddhistischen Tugend, nämlich der Tugend des Mitgefühls. Die Gewaltlosigkeitwird mit der Tugend des Mitgefühls (karuna) begründet: Es wäre ein Zeichen von Mitgefühl Tiere nicht zu töten oder anderweitig zu schaden. Deswegen solle kein Tier getötet oder ihm Schaden zugefügt werden. Buddha definiert Mitgefühl als eine innere Haltung, die nach dem Wohlergehen aller Lebewesen strebt. Die Tugend des Mitgefühls bietet der Buddha in den Lehrreden als Gegenmittel für die Grausamkeit an. Doch wie kann begründet werden, dass Menschen die Tugend des Mitgefühls entwickeln sollten? In den frühen buddhistischen Schriften wird damit argumentiert, dass Buddhas Lehren die „Wahrheit“ widerspiegeln würden. Daher fordert er alle Menschen auf mitfühlend zu allen Lebewesen zu sein. Für die Rechtfertigung dieser Sicht kann verschieden argumentiert werden. Da diese Tugend dazu führe das Leiden zu vermindern, könne es einen praktischen Nutzen haben und damit einen praktischen Wert besitzen. Es wäre eine Erweiterung des Argumentes, dass das Leiden etwas schlechtes sei und vermieden werden müssen. Zum Anderen könnte die Tugend des Mitgefühls selbst einen intrinsischen Wert haben.
3. Die Tugend der liebenden Güte (Metta) und des Mitgefühls (Karuna)
Auch wenn es, wie oben genannt verschieden Auslegungen der Gewaltlosigkeit gibt, ist das Prinzip der Gewaltlosigkeit essentiell, um das Mensch-Tier Verhältnis wiederherzustellen, denn ein Verhältnis auf Augenhöhe ist nur schwer zu realisieren, wenn durch Gewaltanwendung Macht auf den anderen ausgeübt wird und damit Hierarchien verfestigt werden. Nun werden die Buddhistische Tugenden wie das Mitgefühl (karuna) und die liebende Güte (Metta) vorgestellt. Sie sind wichtige Tugenden, um das TierMensch Verhältnisse wiederherzustellen, weil Mitgefühl den Menschen erst dazu befähigt, sich in den anderen hineinzuversetzen zu können und nur die liebende Güte zu einer wohlwollende Haltung gegenüber allen Lebewesen führen kann. Nur durch diese Tugenden kann eine Beziehung aufgebaut werden, die nicht auf Ausbeutung und primär egoistischen Gründen basiert. Diesen Tugenden kann ein praktischer Nutzen zugesprochen werden, nicht nur um das Leiden von Tieren und Menschen zu vermindern, sondern auch, um eine funktionierende Gesellschaft zu erhalten. Denn das Mitgefühl hat sich evolutionär entwickelt, damit die Menschen innerhalb einer Gruppe für sich und die anderen sorgen. Prof. Dr. Tania Singer vom Max-Planck-Institut bezeichnet Mitgefühl als eine in unserem Fürsorgesystem fest verwurzelte Fähigkeit, die durch entsprechende Mitgefühlsmeditationen gezielt trainiert werden könne.16 Die Fähigkeit sich in andere hineinzuversetzen ist die Grundlage für moralische Entscheidungen. Die Wissenschaft legt nahe, dass sonst nur die Folgen der Handlung bewertet werden können, nicht aber die Handlung an sich.17 Selbst wenn die Prämisse, dass Mitgefühl und Affekte einen intrinsischen Wert für moralische Entscheidungen hätte, nicht angenommen wird, muss der (evolutionär entwickelte) praktische Nutzen für das Funktionieren einer Gesellschaft angenommen werden. Zu dieser gehören auch die Tiere, vor allem die sogenannten „Nutztiere“ und „Haustiere“, die der Mensch völlig abhängig von sich gemacht hat und dadurch eine unmittelbare Verantwortung trägt. Sie müssen ebenfalls moralisch berücksichtigt werden, denn sie sind fühlende Lebewesen, genau wie die Menschen. Sie gehören damit zu den „moral patiens“. Die natürliche Fähigkeit des Mitgefühls kann allerdings durch die Sozialisation beeinflusst werden und dazu führen, dass diese Fähigkeit bei einigen Menschen nachlässt oder verkümmert, wie Studien nahelegen.18 Dualistische Ethiksysteme sein nach Lori Gruen einer der Gründe, die diese Fähigkeit einschränken und zur Entfremdung zwischen dem Mensch, dem Tier und der Natur führen können.19 Um diese natürliche Fähigkeit zu trainieren und diese Entfremdung zu überwinden, eignet sich ein näherer Blick auf die Tugenden der liebenden Güte (metta) und des Mitgefühls (karuna). Der Grund dafür, dass beide Tugenden so wichtig sind und zusammen entfaltet werden, ist, dass ohne die wohlwollende Einstellung, Empathie auch zu negativen Handlungen führen kann, wie z.B. dass Menschen sich am Kummer eines anderen erfreuen können (Schadenfreude). Das Subjekt würde den bedauernswürdigen Zustand des anderen teilen und diesen Zustand zur selben Zeit auch genießen.20 In der Moralphilosophie des Buddhismus sind die Tugenden Metta und Karuna Wesenszüge eines lobenswerten sittlichen und moralischen Charakters. Der Besitzer der Tugenden macht den Akteur folglich zu einer moralischen guten Person.21 Grausamkeit und Hass sind die jeweiligen Laster sind, die mit dem Trainieren dieser Tugenden vermindert oder ganz verhindert werden können.22 Laster sind nach Rosalind Hursthouse Merkmale eines moralisch schlechten Charakterzuges.23 Metta bedeutet übersetzt „Freundschaft“ und ist wichtige buddhistische Tugend. Es soll eine liebevolle Einstellung gegenüber allen Lebewesen entfaltet werden. Nach den kanonischen Texten soll diese Tugend durch Meditation aktiv trainiert werden. Das Ziel dieser Meditation ist es, alle Feindschaft, Übelkeit und Hass in dem Subjekt zu beseitigen. Das Subjekt soll bewusst eine freundschaftliche Gesinnungen gegenüber allen Lebewesen im Geist entfalten. Zunächst übt sich das Subjekt in der freundlichen Gesinnungen gegenüber sich selbst und erweitert diese dann Stück für Stück auf alle Lebewesen. Dr. Mudagamuew Maithrimurti von der Universität Leipzig ist davon überzeugt, dass die „alten Inder“ diesen Willensakt nicht als bloßen Wunsch bewertet hätten, sondern als existierende Kraft, die wirklich zu einer Erfüllung der Wünsche führen würde. Der Wunsch produziere nach dieser metaphysischen Annahme Glück und Wohl für alle Lebewesen.24 Diese Meditationsübung kann in vier Körperhaltungen absolviert werden: Im Liegen, im Stehen, im Gehen und im Sitzen. Die primäre Quelle für die Entfaltung von Metta findet sich im Metta Sutta. Die wohlwollende Geisteshaltung besteht in dem Wunsch, dass alle Lebewesen glücklich sein mögen, sich geborgen fühlen möchten und innerlich glücklich sein mögen. In der Lehrrede werden die Adressaten des Wunsches näher definiert. „Dies sind alle Lebewesen, die überhaupt existieren, nämlich die Beweglichen, Unbeweglichen, Langen, Großen, Mittelgroßen], Kleinen, Winzigen und Riesigen in ihrer Gesamtheit, die Sichtbaren und Unsichtbaren, die In-der-Nähe-Befindlichen, die In-der-Ferne-Befindlichen, die schon Geborenen, die noch nicht Geborenen. Mögen alle Lebewesen im Innersten glücklich sein.“25 Somit soll das Subjekt bewusst die Tiere in dem Wunsch einbeziehen. Eine modifizierte, säkulare Form dieser Meditation könnte wie folgt aussehen, die sich das Subjekt still oder laut vorspricht: „Möge ich glücklich sein und frei von Leiden sein. Möge meine Familie glücklich sein und frei sein von Leiden. Mögen meine Freunde glücklich sein und frei sein von Leiden. Mögen mir neutral gegenüberstehende Menschen glücklich sein und frei sein von Leiden. Mögen alle mir feindlich gestellte Menschen glücklich sein und frei sein von Leiden. Mögen alle Tiere glücklich sein und frei sein von Leiden, die mir positiv gegenüber stehen. Mögen alle Tiere glücklich sein, die mir neutral gegenüber stehen. Mögen alle Tiere glücklich sein, die wir Menschen als schädlich oder feindlich bezeichnen.“26 Somit kann nicht nur gegenüber den Menschen eine wohlwollende Haltung einübt werden, sondern auch gegenüber Tieren, die der Mensch normalerweise als „Feind“ oder „Schädling“ oder „Nahrungsquelle“ wahrnimmt. Abschließend wird sich traditionell folgendes gewünscht: „Möge keiner den anderen betrügen, möge niemand nirgendwo irgendjemanden verachten. Mögen sie nicht aus Groll und bösem Willen sich gegenseitig Leid zufügen [wollen].“27 Hier wird expliziert wieder der Aspekt der Gewaltlosigkeit gegenüber allen Lebewesen deutlich.
Die zweite wichtige Tugend im Buddhismus ist das Mitgefühl (Karuna). Auch hierbei ist eine ähnlich Geisteshaltung einzunehmen. Das Subjekt soll eine Haltung einnehmen, in dem er danach strebt die Lebewesen von ihrem Leiden zu befreien. Das Subjekt kann sich das Leiden des anderen vorstellen und verspürt so die Notwendigkeit diesem zu helfen. Dieses buddhistische Definition von Mitgefühl ist jedoch zu differenzieren vom Mitleid. Im Zustand des Mitleids leidet das Subjekt so stark mit dem anderen mit, dass dadurch eine Distanz oder eine Unfähigkeit hergestellt wird, die das Helfen erschwert. Das Ziel ist also keine Sentimentalität herzustellen, sondern ein selbstloses, nicht-anhaftendes Gefühl zu kultivieren, sodass das Subjekt die Dringlichkeit erkennt dem anderen zu helfen.28 Eine modifizierte säkulare Form könnte wie folgt aussehen: „Mögen ich Mitgefühl haben mit im Elend lebenden, notleidenden Menschen. Möge ich Mitgefühl haben mit im Elend lebenden, notleidenden ..{Tieren}., haben.“29
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1 Schmitz, Friederike (Hg.) (2014): Tierethik. Grundlagentexte. Orig.-Ausg., I.Aufl. Berlin: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2082).
2 Schmitz, Friederike (Hg.) (2014): Tierethik. Grundlagentexte. Orig.-Ausg., I.Aufl. Berlin: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2082), S.392.
3 Ebd., S. 393.
4 Halbfass, Wilhelm (1992): Tradition and reflection. Explorations in Indian thought. Delhi: Satguru (Sri Garib Dass Oriental Series, 133), S.88.
5 Finnigan, Bronwyn (2017): Buddhism and animal ethics. In: Philosophy Compass 12 (7), S.3.
6 Finnigan, Bronwyn (2017): Buddhism and animal ethics. In: Philosophy Compass 12 (7), S.4.
7 Ebd., S.4.
8 Finnigan, Bronwyn (2017): Buddhism and animal ethics. In: Philosophy Compass 12 (7), S.4.
9 https://legacy.suttacentral.net/de/sn55.7
10 http://www.buddhanet.net/e-learning/buddhism/dp10.htm (entnommen am 7.9.2020)
11 Finnigan, Bronwyn (2017): Buddhism and animal ethics. In: Philosophy Compass 12 (7), S.5.
12 Kemmerer, Lisa: Buddhist Ethics: Compassion for All, 2019. https://www.all-creatures.org/articles/an-tpr-buddhist.html (aufgerufen am 14.3.2019).
13 Ebd., S.5.
14 Finnigan, Bronwyn (2017): Buddhism and animal ethics. In: Philosophy Compass 12 (7), S.5.
15 Ebd., S.5.
16 https://www.mpg.de/7522240/mitgefuehl (aufgerufen am 15.3.2020)
17 Hubertus Breuer: Moral braucht Gefühl. Hirforschung und Ethik, Süddeutsche Zeitung, November 2019. https://www.sueddeutsche.de/wissen/hirnforschung-und-ethik-moral-braucht-gefuehl-1.835862
18 D. Bischof-Köhler: Empathie, Mitgefühl und Grausamkeit, In: Psychotherapie 14. Jahrg. 2009, Bd. 14, Heft 1 ©CIP-Medien, München, S.57.
19 Schmitz, Friederike (Hg.) (2014): Tierethik. Grundlagentexte. Orig.-Ausg., I.Aufl. Berlin: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2082), S.392.
20 D. Bischof-Köhler: Empathie, Mitgefühl und Grausamkeit, In: Psychotherapie 14. Jahrg. 2009, Bd. 14, Heft 1 ©CIP-Medien, München, S.56,
21 Schmitz, Friederike (Hg.) (2014): Tierethik. Grundlagentexte. Orig.-Ausg., I.Aufl. Berlin: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 2082), S.332.
22 Buddhaghosa; Nyanatiloka (1997): Der Weg zur Reinheit. Die größte und älteste systematische Darstellung des Buddhismus = Visuddhi-magga. 7. Aufl., (unveränd. Nachdr. der 3., rev. Aufl.). Uttenbühl: Jhana-Verl, S.339.
23 Schmitz, Friederike (Hg.) (2014): Tierethik. Grundlagentexte. Orig.-Ausg., I.Aufl. Berlin: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 2082), S.331.
24 Die Meditation des Wohlwollens (mettâ bhâvanâ) als eine Versenkungspraktik" (Meditation of Benevolence as a training of [spiritual and mental] Absorption), in: Buddhismus in Geschichte und Gegenwart 2002 - 2003: Weiterbildendes Studium, ed. by LAMBERT SCHMITHAUSEN and JAN SOBISCH, Vol. VIII, 2003, 87-100. 2000, S.91.
25 Ebd,S.93.
26 Buddhaghosa; Nyanatiloka (1997): Der Weg zur Reinheit. Die größte und älteste systematische Darstellung des Buddhismus = Visuddhi-magga. 7. Aufl., (unveränd. Nachdr. der 3., rev. Auf!.). Uttenbühl: Jhana-Verl, S.360.
27 Ebd.,S.93.
28 https://www.viewonbuddhism.org/buddhismus-deutsch/g-vier-4-unermesslichen.htm (zuletzt aufgerufen am 15.3.2020)
29 Buddhaghosa; Nyanatiloka (1997): Der Weg zur Reinheit. Die größte und älteste systematische Darstellung des Buddhismus = Visuddhi-magga. 7. Aufl., (unveränd. Nachdr. der 3., rev. Aufl.). Uttenbühl: Jhana-Verl, S.359.