Die Dyslexie bei Kindern macht an allen Lernstörungen einen Anteil von 80 % aus. Was ist Dyslexie? Welche Relevanz hat die Dyslexie im Leben von Kindern? Welche kognitiven Hintergründe und Ursachen führen im Allgemeinen und speziell bei Kindern zu einer Dyslexie? All das sind Fragen, die in dieser Arbeit geklärt werden sollen.
Dyslexie ist die verminderte Fähigkeit zu Lesen. Um Dyslexie präziser darstellen zu können, werde ich mich häufig auf die Legasthenie beziehen, welche unter anderem Lesestörungen behandelt. Der Schrifterwerb wird hinsichtlich dieses Themas hier nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Psycholinguistik ist es wichtig, neben im Vordergrund stehenden sprachwissenschaftlichen Aspekten, ebenso psychologische und biologische Aspekte zu berücksichtigen. Diese Aspekte sind notwendig, um die Dyslexie zu begreifen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Dyslexie - Was ist das?
2.1 Begriffserklarung und Symptomatik
2.2 Phonologische Informationsverarbeitung als Hauptursache bei Dyslexie
3 Wie sieht der Prozess des Lesenlernens aus?
3.1 Was passiert im Gehirn eines Kindes?
3.2 Die Funktion und der Aufbau des Dual-Route Modells
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Dyslexiebei Kindern macht an allen Lernstorungen einen Anteil von 80% aus.1 Was ist Dyslexie? Welche Relevanz hat die Dyslexie im Leben von Kindern? Wel- che kognitiven Hintergrunde und Ursachen fuhren im Allgemeinen und speziell bei Kindern zu einer Dyslexie? All das sind Fragen, die in dieser Arbeit Lesestorungen bei Kindern geklart werden sollen.
Dyslexie ist die verminderte Fahigkeit zu Lesen.2 Um Dyslexie praziser darstellen zu konnen, werde ich mich haufig auf die Legasthenie beziehen, welche unter anderem Lesestorungen behandelt. Der Schrifterwerb wird hinsichtlich dieses Themas hier nicht berucksichtigt.
Im Rahmen der Psycholinguistik ist es wichtig neben im Vordergrund stehenden sprachwissenschaftlichen Aspekten ebensopsychologische und biologische Aspek- tezu berucksichtigen. Diese Aspekte sind notwendig,um die Dyslexie zu begreifen. Die zentralen Ziele dieser Arbeit liegen darin, Symptome der Dyslexie, also der verminderten Fahigkeit zu lesen,bei Kindern darzustellen und genauer zu erklaren.3 Des Weiteren ist es Zieldieser Arbeit, mit der Phonologischen Informationsverarbei- tungeine Hauptursache aufzudecken, sofern dies moglich ist.Zusammenhangend mit phonologischen Informationsverarbeitungen, wird ebenso die Phonlogische Be- wusstheit und ihre Notwendigkeit besprochen. Daruber hinaus soll in dieser Arbeit dargestellt werden,wie Kinder mit Dyslexiezum Leseerwerbgelangen, welche Ent- wicklungen sie durchlaufen und auch welche Ursachen zu Grunde liegen, weshalb es zu einer Dyslexie kommt.
ZuBeginn der Arbeit werde ichdie Dyslexie erklaren und auf die symptomatischen Aspekte eingehen, welche notwendig sind, um Dyslexie zu verstehen. In dieser Arbeit werden die verschiedenen Ebenen dargestellt, auf der sich Symptome auf un- terschiedlichste Art und Weise erkenntlich machen. Ferner wird besprochen, welche Komponenten Lesen ermoglichen und was ihr Fehlen fur Folgen hat.Im Folgenden wird die Phonologische Informationsverarbeitung und ihre einzelnen Teilbereiche, wie zum Beispiel die Phonologischen Bewusstheit, besprochen. Zuvor sollen wichti- ge Fachtermini wie unter anderem Phoneme und Grapheme erlautert werden. Im Rahmen der Phonologischen Bewusstheitwerden verschiedene Ansichten von For- schern diskutiert und besprochen wie sich phonlogische Bewusstheit definiert. Ab- schlieBend widmet sich diese Arbeit dem eigentlichen Ablauf des Lesens. Was da- bei im Gehirn von Kindern passiert, welche Teile des Gehirns beansprucht werden. Anhand des Dual-Route Modells von Coltheart werden die Vorgange beschrieben. Dabei wird dargestelltwelche Vorgange existieren und was genau in diesen Vor- gangen passiert. Es wird erlautertwie ein Leserhinsichtlich des Dual-Route Modells bei Dyslexie Lesen lernt und wie es sich zu geubten Lesern unterscheidet. Daruber hinaus wird diskutiert wie sehr sich das Dual-RouteModell zum Lesen lernen eignet und es offenlasst.
2 Dyslexie - Was ist das?
2.1 Begriffserklarung und Symptomatik
Bei einer Dyslexie wirdeine beeintrachtigte Entwicklung von allen Lesefertigkeiten deutlich.4 Es machen sich Symptome in Form von Defiziten in der Wortidentifikation, der phonologischen Dekodierung geschriebener Worte, Phonem-Graphem- Korrespondenz, der Leseflussigkeit und letztlich des Leseverstandnisses bemerk- bar. Es handelt sich hierbei um eine neurobiologische und phonologische Entwicklungsstorung.5 Es ist dennoch moglich, dass Dyslektiker mit einer gezielten Forderung ein gewisses Niveaudes Lesenserreichen. Jedoch bleibt der Kontrast zwischen guten und schlechten Lesern stabil.6
Die Dyslexie muss von der Alexie abgegrenzt werden,die Alexie macht das kom- plette Unvermogen zu lesen aus. Die Lesefahigkeit erfordert verschiedene Kompo- nenten, unter anderem die Erkennung von Wortern und deren Identifizierung als sprachliche Einheiten.7 Wie bereits erwahnt, richten sich die Symptome der Dyslexie auf das laute Lesen. Stenneken unterscheidet in seinem Artikel in verschiedene Ebenen, in denen sich die Symptome bemerkbar machen. Anhand eines Beispiels zeigt er, wie auf linguistischer Beschreibungsebene semantische Verarbeitungsfeh- ler entstehen konnen. DasWort ist mit Zielwort bedeutungsverwandt - Beispiel: Kuh statt Rind. Des Weiteren gibt es Fehler in Verarbeitungsprozessen, die als zweite Ebene von Stenneken aufgefuhrt werden. Es konnen phonematische Fehler entste- hen, die zur Veranderung des Zielwortes in einem oder mehreren Segmenten fuh- ren konnen.
Beispiel: Ruben: druben (Addition), uben (Elision/Auslassung), Rucken (Substituti- on).8
Wahrend der Verarbeitungsprozesse konnen auch Defizite in der Regularisierung auftreten. Stenneke spricht hierbei von einer Graphem-Phonem-Konvertierung, bei derein Wort anders ausgesprochen wird als es geschrieben ist. Beispielsweise ver- deutlicht er es an dem Wort Garage. Weitere Symptome der Dyslexie lassen sich auch anhand des Sprachlichen Verhalten aufweisen. Es werden weiter Symptome der Dyslexie im sprachlichen Verhalten anhand von Auslassungsfehlern aufgezeigt. Dabei fuhren das Fehlen einzelner Segmente, Wortbestandteile oder Worter zu Auslassungsfehlern beim lauten Lesen. Beispiel : Das Kleid hat keine Knopfe aber Taschen - Das Kleid... hat Knopfe... Taschen9 SchlieBlich folgt die Nullreaktion, bei der die Vorlage nicht gelesen werden kann, es kommt zu einem fast voll- standigen Ausfall der Leseleistung. Die Literale Dyslexie beschreibt die Buchstabe- nidentifikation und die verbale Dyslexie beschreibt die Wortlesung, beide sind bei der Nullreaktion stark beeintrachtigt.10
2.2 Phonologische Informationsverarbeitung als Hauptursache bei Dyslexie
Eine Voraussetzung,um erfolgreich lesen zu lernen, ist eine ausgebildete phonlogi- sche Informationsverarbeitung. Unter einer phonlogische Informationsverarbeitung werden die Sprachlaute einer Sprache verstanden.11 Diese Sprachlaute einer Spra- che sind insofern notwendig, um gesprochene oder geschriebene Sprache zu ver- arbeiten.12 Bis zum heutigen Forschungsstand gibt es keinen Konsens daruber, welche Komponenten der Phonologischen Informationsverarbeitung fur welches Segment des Lesens aussagend ist. Grosche stellt in seinem Werk das Modell von R. K. Wagner und Torgesen vor, welches drei Bereiche der Phonologischen Infor- mationsverarbeitung unterscheidet: Die Phonlogische Bewusstheit, die Geschwin- digkeit des phonologischen Rekodierens im lexikalischen Zugriff und das phoneti- sche Rekodieren im Arbeitsgedachtnis. Dabei vertreten Wagner und Torgesen die Annahme, dass alle drei aufgezahlten Bereiche, in einer wechselseitigen Beziehung zueinanderstehen.13
Zusatzlich neben den drei dargestellten Segmenten der phonologischen Informati- onsverarbeitung, gibt es noch die Phonemwahrnehmung, welche ebenfalls relevant fur den Schriftspracherwerb ist. Phoneme sind, wie bereits zuvor erwahnt, Sprach- laute. Sie sind die kleinsten bedeutungsunterscheidendenlautlichen Einheiten einer Sprache. Wird von der Phonemwahrnehmung gesprochen, so istdamit gemeint, dass der Leser in der Lage ist zwischen ahnlich klingenden Phonemen, wie zum Beispiel /b/ versus /p/, klar zu differenzieren. Bei den Wortern Bein und Pein wird auch erkenntlich, dasses sich bei einem Phonem um die kleinsten bedeutungsun- terscheidenden lautlichen Einheiten handelt. Die genannten Worter referieren auf das Beispiel mit den Phonemen /b/und /p/ und zeigen, dass sichdie beiden Worter hinsichtlich des ersten Lauts unterscheiden.14
Bereits beim schulischen Einstieg der Kinder wird deutlich, dass die Wahrnehmung von Phonemen essenziell fur den Schriftspracherwerb ist.In den Anfangsunterrich- ten der Kinder wird bereits gelehrt, dasseszu jedem Phonem ein ubereinstimmen- des Graphem gibt,es ist auch die Rede von den sogenannten Graphem-Phonem- Korrespondezregeln. Dementsprechend gehort zu dem Phonem /p/ das Graphem <p>.Ein Graphem ist die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit eines ge- schriebenen Wortes.Ein Graphem besteht aus einem Buchstaben oder einer Buch- stabengruppe. Die Aufgabe der Kinder liegt also darin,mit dem was sie horen ahn- lich klingende Phoneme voneinander zu differenzieren, um im Anschluss zu verste- hen,welches Graphem welchem Phonem zugehorig ist.15
Phonologische Bewusstheit dagegen sieht von der Bedeutung der gesprochenen Sprache ab, daher stehen fur Kinder die lautlichen Gesichtspunkte im Fokus.16 Kinder erlernen phonologische Bewusstheit dann, wenn sie die Worter in lautliche Ein- heiten zerlegen, hier wird auch von einer Analyse gesprochen oder zusammenset- zen, in dem Fall spricht man von einer Synthese.Steinbrink unterscheidet in der phonologischen Bewusstheit zwischen der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne und der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne.17 Die Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne beschaftigt sich mit groBeren lautlichen Einheiten wie Silben oder Reimen. Als Aufgabe gilt es dabei ein Wort in Silben zu zerlegen, wie zum Beispiel >>Ma-ma<< oder die Zusammensetzung von Silben zu Wortern >>Ma<< und >>ma<< ergibt Mama. Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne beschaftigt sich mit den kleinsten lautlichen Einheiten der Sprache, den Phonemen. Ein Beispiel hierbei ist die Anlauterkennung >>Mama<< beginnt mit /m/ da- rauf folgt die Phonemsynthese aus den Phonemen /m/ und /a/ und /m/ und /a/ ergibt sich schlieBlich das Wort >>Mama<<.18 Es besteht dementsprechend Konsens dar- uber, dass die Probleme von Kindern beim Schriftspracherwerb auf Defizite beim Sprachlichen Kodieren, praziser formuliert beim Umcodieren von Graphemen in Phonemenzuruckzufuhren sind.19
Des Weiteren referiert Kuspert uber verschiedene Forscher mit unterschiedlichen Thesen und Annahmen. So bezieht sich Kuspert als erstes auf Adams, der an- nimmt, dass bereites ein Drittel der Erstklassler nicht fahig sei, phonologische Struk- turen nachzuvollziehen was darauf zuruckzufuhren sei, dass sie nicht genugend Kenntnis uber das System der Sprache besaBen. Fowler und Scarborough, die Sprachwissenschaftler, vertreten die Ansicht, dass sich schwache Leser hoherer Klassen auf einem ahnlichen Niveau bezuglich phonologischen Bewusstheit befin- den wie Leseanfanger.20 Damit Kinder phonologische Strukturen leichter verstehen konnen, mussen die Kinder uber ausreichende metalinguistische Fahigkeiten verfu- gen,so referiert Kuspert die These von den Forschern Tumner und Bowey. Die For- scher unterscheiden bei den metalinguistischen in vier Segmente: die phonologi- sche Bewusstheit, Wortbewusstheit, Formbewusstheit und in die pragmatische Be- wusstheit. Die Sprachwissenschaftler Tunmer und Rohl sind sich einig, dass me- talinguistische Fahigkeiten notwendig seien, bevor sich die phonologische Bewusst- heit entwickeln kann.21 Der Aspekt der phonologischen Bewusstheit wirft in der For- schung einige Kontroversen auf. So referiert Kuspert Morais, Alegria und Content, welche fur ihre Definition der phonologischen Bewusstheit auch die Bewusstheit fur Silben und Phoneme einbeziehen. Mit dieser Auffassung stolen sie bei Tunmer und Rohl auf Kritik, deren Ansicht nach, sind Silben eher akustisch definiert anders als im Kontrast die Phoneme, welche sich eher abstrakt definieren. Skowronek und Marx, unterteilen die phonologische Bewusstheit in die phonologische Bewusstheit im weiten und engeren Sinne. Ersteres meint sprachliche Einheiten wie Reime oder Silben identifizieren und unterscheiden zu konnen und letzteres meint damit mit laut- liche Strukturen umgehen zu konnen, sofern sie keine semantische oder Rhythmi- sche Bezuge aufweisen.22 „Der Begriff der phonologischen BewuBtheit wurde bislang heterogen definiert.“23
[...]
1 Vgl. Grosche, Michael, 2012: Analphabetismus und Lese-Rechtschreib-Schwachen: Beein- trachtigungen in der phonologischen Informationsverarbeitung als Ursache fur funktionalen Analphabetismus im Erwachsenenalter. In: D.H. Rost (Hrsg.): Padagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie. Munster: Waxmann. S .21.
2 Vgl. Grosche, Michael, 2012, S.21.
3 Vgl. ebenda.
4 Vgl. Grosche 2012, S.21.
5 Vgl. ebenda.
6 Vgl. ebenda.
7 Vgl. Stenneken, Prisca 2009: Dyslexien. In: Klinische Linguistik und Phonetik. Ein Lehr- buch fur die Diagnose und Behandlung von erworbenen Sprach- und Sprechstorungen im Erwachsenenalter. In: Hg. Von Gerhard Blanken & Wolfram Ziegler. Aachen: HochschulVer- lag. S. 284-S.285.
8 Vgl. ebenda.
9 Vgl. ebenda.
10 Vgl. ebenda.
11 Vgl. Grosche 2012, S. 57.
12 Vgl. Steinbrink, Lachmann 2014: Lese-Rechtschreibstorung. Grundlagen, Diagnostik, Intervention. Heidelberg: Springer Verlag, S. 18.
13 Vgl. Grosche 2012, S. 57.
14 Vgl. Steinbrink, Lachmann 2014, S. 19.
15 Vgl. ebenda.
16 Vgl. Kuspert, Petra, 1998: Phonologische Bewusstheit und Schriftspracherwerb. Zu den Effekten vorschulischer Forderung der phonologischen BewuBtheit auf den Erwerb des Le- sens und Rechtschreibens. In: Europaische Hochschulschriften: Reihe 6, Psychologie; Bd.604. Frankfurt/Main u.a: Peter Lang Verlag. S. 66.
17 Steinbrink, Lachmann, 2014, S. 20.
18 Vgl. ebenda S. 20.
19 Vgl. Kuspert 1998, S. 66.
20 Vgl. ebenda.
21 Vgl. ebenda.
22 Vgl. ebenda, S. 68.
23 Ebenda.