In der folgenden Arbeit werden die Besonderheiten der von den beiden Autoren beschriebenen Staatskonstruktionen verglichen, sowie untersucht, in welcher Beziehung Staatsbürger und Staatsapparat zueinanderstehen.
Auf den ersten Blick ließe sich kaum vermuten, dass ein Vergleich der staatstheoretischen Konstrukte von James Harrington und Jean-Jacques Rousseau einen interessanten Analysegegenstand bietet. Zwar wirkten die beiden Staatstheoretiker in verschiedenen Epochen der Zeitgeschichte und argumentierten in einigen Punkten auf unterschiedliche Weise, jedoch lassen sich zahlreiche interessante Parallelen bilden. Eine geeignete Vergleichsbasis bietet die Betrachtung einerseits der Konstruktion des jeweiligen Staatsapparates – das "Commonwealth" bei Harrington und die "République" bei Rousseau –, und andererseits des Verhältnisses von Bürger und Individualinteresse zu Staatskörper und Gemeininteresse.
Während Rousseau die Subsummierung des Menschen in das Gemeinwohl mittels der Erziehung zum immer gleichen Staatsbürger betont, widmet sich Harrington der Herstellung einer mithilfe von Institutionen realisierbaren Pluralität, in der private Interessen eingegliedert sind. Den-noch ist den beiden Staatstheoretikern gemeinsam, die Unterordnung der Menschen unter Gesetze zu fordern und einen allumfassenden Gemeinwillen in das Zentrum des öffentlichen Interesses zu stellen. Zudem stehen beide für Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, sowie Volkssouveränität und Partizipation – wenn auch in unterschiedlichem Maße gestaltet.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Staat und Bürger bei James Harrington
Vom Empire of Men zum Empire of Laws
Das Commonwealth als Staatskörper
Verhältnis des Bürgers zur Staatskonstruktion
Staat und Bürger bei Rousseau
Vom ungerechten in den gerechten Rechtszustand
Die République als Staatskörper
Verhältnis des Bürgers zur Republik
Fazit
Literatur
Einleitung
Auf den ersten Blick ließe sich kaum vermuten, dass ein Vergleich der staatstheoretischen Konstrukte von James Harrington und Jean-Jacques Rousseau einen interessanten Analysegegenstand bietet. Zwar wirkten die beiden Staatstheoretiker in verschiedenen Epochen der Zeitgeschichte und argumentierten in einigen Punkten auf unterschiedliche Weise, jedoch lassen sich zahlreiche interessante Parallelen bilden. Eine geeignete Vergleichsbasis bietet die Betrachtung einerseits der Konstruktion des jeweiligen Staatsapparates – das Commonwealth bei Harrington und die République bei Rousseau –, und andererseits des Verhältnisses von Bürger und Individualinteresse zu Staatskörper und Gemeininteresse. Während Rousseau die Subsummierung des Menschen in das Gemeinwohl mittels der Erziehung zum immer gleichen Staatsbürger betont, widmet sich Harrington der Herstellung einer mithilfe von Institutionen realisierbaren Pluralität, in der private Interessen eingegliedert sind. Dennoch ist den beiden Staatstheoretikern gemeinsam, die Unterordnung der Menschen unter Gesetze zu fordern und einen allumfassenden Gemeinwillen in das Zentrum des öffentlichen Interesses zu stellen. Zudem stehen beide für Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, sowie Volkssouveränität und Partizipation – wenn auch in unterschiedlichem Maße gestaltet. In der folgenden Arbeit werden die Besonderheiten der von den beiden Autoren beschriebenen Staatskonstruktionen verglichen, sowie untersucht, in welcher Beziehung Staatsbürger und Staatsapparat zueinanderstehen.
Staat und Bürger bei James Harrington
In seinem Werk The Commonwealth of Oceana, das er Mitte des 17. Jahrhunderts verfasste, beschreibt der englische Staatsphilosoph James Harrington die Art von Republik, die in England nach dem Zerfall der Monarchie adaptiert werden sollte. Hierbei entwarf er eine Verfassung und stellte sowohl die Strukturen dar, in welchen die Republik ausgestaltet sein soll, als auch die historischen und politiktheoretischen Umstände, aus denen sein Verfassungskonzept hervorgeht (Hammersley 2012: 2). Die Inspiration für seine staatstheoretischen Überlegungen erhielt Harrington aus der antiken republikanischen Tradition, die nicht nur die griechischen und römischen Modelle heranzog, sondern auch die jüdische Republik inkorporierte, und deren Grundsatz auf der Basis des Gemeinwohls liegt (ebd.: 5). Diese Tradition versuchte Harrington in seinem Konstrukt des Commonwealth mittels fähiger Institutionen umzusetzen. Seine staatstheoretischen Überlegungen hatten einen nennenswerten Einfluss auf politische Praktiken in Frankreich, beispielsweise im Rahmen des 1793 vor der Französischen Nationalversammlung vorgelegten Verfassungsentwurfs (Hammersley 2012: 13).
Vom Empire of Men zum Empire of Laws
Harrington beschrieb die im 17. Jahrhundert nach wie vor omnipräsente feudale Herrschaftsorganisation als von Natur aus fragil. Für die Instabilität machte Harrington im Wesentlichen zwei Eigenschaften verantwortlich. Zum einen eine misslungene Ausbalancierung des Grundeigentums (balance of property) und zum anderen die mangelhafte Funktionsfähigkeit des politischen Systems (Hammersley 2012: 3). Dieses beruhe auf der modern prudence, einer neuzeitlichen Form der Verfassung, in der das private Eigeninteresse einer oder weniger Personen im Zentrum des Regierungsapparates steht und sich ein Empire of Men, and not Laws konstituiert (Dippel 1984: 534). Hierzu schreibt er: „Where the security is in the persons, the government maketh good men evil […]” (Hammersley 2012: 10 f.)
Die Lösung für die Dysfunktionalitäten des Empire of Men fand Harrington in der ancient prudence, die etwa zur Zeit des antiken Griechenlands, Roms oder Israels vorherrschend war. Hier lag der Fokus auf der Etablierung einer Zivilgesellschaft, die sich in einem Empire of Laws, and not Men äußert. Diese Art der Herrschaftsorganisation betrachtete Harrington als vorbildlich für seinen Verfassungsentwurf des Commonwealth. Er suchte eine Regierungsform zu adaptieren, deren Kunst darin besteht, eine Zivilgesellschaft auf Basis des Gemeinwohls und -interesses zu instituieren und aufrechtzuerhalten (Harrington 1977: 8). Das Regierungskonzept der ancient prudence sollte wieder auferstehen und in die moderne Weltordnung eingeführt werden. Diese Gesetzesherrschaft beschreibt Harrington als “[…] where the security is in the form, the government maketh evil men good.“ (Hammersley 2012: 10 f.). Anders ausgedrückt, nur ein Staatswesen, das sich auf gemeinwohlorientierten Institutionen gründet, führt zur Etablierung einer Herrschaft des Gesetzes und nicht der Menschen (Dippel 1984: 541). Hierbei sollten sowohl eine erweiterte Ausbalancierung der Eigentumsverhältnisse erfolgen als auch der Grundsatz der gemischten Verfassung aus der antiken Tradition beibehalten werden, jedoch unter Ausschluss der monarchischen Regierungsform, wie sie zur damaligen Zeit auftrat. (ebd.: 534).
Bei dem Versuch, die ancient prudence in einem modernen Staat umzusetzen und somit von einem Empire of Men zu einem Empire of Laws zurückzukehren, traten einige Probleme auf. Zunächst wurde das Staatskonzept der ancient prudence innerhalb kleiner Stadtstaaten entwickelt und musste nun an einen wesentlich größeren Nationalstaat angepasst werden. Um dies zu verwirklichen, führte Harrington ein System repräsentativer Regierung ein. Hierbei legte er besonderen Wert auf das Verhältnis von Grund und Boden und politischer Macht, da eine Herrschaftsform, die nicht mit dem Gleichgewicht von Eigentum einhergeht, sich als instabil und kurzweilig herausstellen würde. Mittels seiner Agrargesetzgebung (Agrarian Laws) fasste er zusammen, wie Grundbesitztümer gehandhabt werden sollten (Hammersley 2012: 3 f.)
Ein weiteres Problem, dem eine essenzielle Rolle zukommt, liegt in der menschlichen Natur. In diesem Zusammenhang steht Harrington in enger Verbindung zu Hobbes, in dem er davon ausgeht, dass der Mensch darauf geeicht sei, auf Basis seiner Leidenschaften und seines Eigeninteresses zu handeln, statt aus Verstand oder Tugend. Somit liege es in der Berufung des Gesetzgebers, ein politisches System auszugestalten, innerhalb dessen die Summe der individuellen eigeninteressierten Verhaltensweisen als virtuoses Ganzes zusammenkommen (Hammersley 2012: 4). Das Ziel lag nicht darin, das Individualinteresse der Menschen zu unterdrücken, sondern Institutionen zu bilden, die es ermöglichen, die Individualinteressen in den Staatskörper zu übernehmen.
Das Commonwealth als Staatskörper
In der Ausgestaltung der Organisations- und Arbeitsweise seiner theoretischen Staatskonstruktion orientierte sich Harrington weitgehend an der Venezianischen Verfassung, da sie ein Abbild der ancient prudence darstellte, das in der Lage war, im modernen Zeitalter Bestand zu halten. Er hielt seine Gedankengänge in dreißig Orders fest. Die ersten zwölf Orders widmen sich der institutionellen Organisation, während die Orders 13-23 zur Beschreibung der Arbeitsweise des Regierungsapparates Commonwealth – Orders 15-20 zur Erläuterung der Funktionsweise des Senats und 20-23 bezüglich der Volksversammlung – dienen (Hammersley 2012: 7).
Die Prinzipien der Regierung teilen sich für Harrington in zwei Bereiche. Hierbei unterscheidet er zwischen den internen Gütern des Geistes (good of the mind) und den externen Gütern des Vermögens (goods of fortune). Erstere beinhalten natürlicherweise vorhandene oder auch erlangte Tugenden, etwa Weisheit, Tugendhaftigkeit oder Courage, während letztere sich ausschließlich um Reichtum, um Materielles, drehen. Diese Zweiteilung betrachtet Harrington als essenziell um eine Adaption der ancient prudence in den modernen Staat zu ermöglichen (Harrington 1977: 10 f.).
Im Zuge der Organisation des Commonwealth bezieht Harrington, Zwar setzt er sich in diesem Zuge für die Gleichberechtigung der Staatsbürger ein, wendet diese jedoch weder auf die Verteilung des Grundeigentums noch auf den politischen Status an (Davis 2009: 230). Hinsichtlich des Grundeigentums muss festgehalten werden, dass Harrington eine Balance anstrebte, die die Konzentration zu viel Eigentums in einer oder wenigen Händen verhindern sollte. Diese Idee fällt unter die Kategorie der Güter des Wohlstandes (goods of fortune). Denn nur, wenn Grund und Boden in möglichst vielen Händen verteilt ist, wird ein Reich zu einem Commonwealth. Zur Umsetzung dieses gedanklichen Konstruktes erstellte er ein Agrarian Law, mittels deren die Balance in der Verteilung von Grund und Boden erreicht werden soll (Harrington 1977: 12 f.). Eine Klassifizierung der Bürger erfolgt zunächst anhand einer Einteilung in Bürger (citizens) und Diener (servants), während nur die Bürger Zugang zu politischer Partizipation erhalten. Daraufhin werden die Bürger nach ihrem Alter, Wohlstand, und schließlich wird nach Wohnort differenziert. Das bloße Vorhandensein von wohlhabenderen, adligen Bürgern betrachtet Harrington als unerlässlich, jedoch nicht als die Quelle des Missstandes: „[…] nobility or gentry in a popular government, not overbalancing it, is the very life and soul of it.“ (Harrington 1977: 15). Es ist jedoch von Belang, ob diese vermögenden Personen das Gleichgewicht im Commonwealth stören und die Souveränität des Volkes untergraben. In diesem Fall tragen sie zur Zerstörung des Staatswesens bei. „[…] for as a building swaying from the foundation must fall, so the law swaying from reason“ (Harrington 1977: 16)
Generell sprach sich Harrington für ein System freier Wahlen aus – nach damaligem Verständnis von Gleichberechtigung üblich, lediglich auf die männliche Bevölkerung bezogen. Er bevorzugte es, sich in der Bekämpfung von Machtmissbrauch auf verfassungsrechtliche Mechanismen zu verlassen, statt einige seiner Zeitgenossen auf eine göttliche Fügung zu bauen. Weiterhin argumentierte er gegen Widerstandsrechte, die eine Auflehnung gegen Gesetze oder Maßnahmen erlauben, da diese zu Tumulten führen würden und den Frieden und die Stabilität gefährden. (Hammersley 2012: 10-13).
Bezüglich der Arbeitsweise der Regierung des Staatskörpers bediente sich Harrington der Mischverfassung, deren einzelne Elemente er mittels einer Gewaltenteilung zwischen Senat, Volksversammlung und dem Magistrat umzusetzen suchte. Der Senat als Legislativorgan bestünde aus der natürlichen Aristokratie, die damit beauftragt ist, Problematiken zu debattieren und Gesetzesvorschläge zu unterbreiten. Diese Gesetzespropositionen werden durch die Volksversammlung, die zweite legislative Kraft, akzeptiert oder abgelehnt. Diese ist jedoch nicht in der Lage, zu debattieren, sondern lediglich zu entscheiden, was in ihrem besten Interesse liegt, und nach diesem Wissen zuzustimmen oder abzulehnen. Die Aufgabe des Magistrates als Exekutivorgan besteht nun in der Ausführung der Gesetzesvorschläge, die durch den Senat debattiert und durch die Volksversammlung ratifiziert wurden. Der Senat repräsentiert somit die aristokratische Herrschaftsform, die Volksversammlung die Demokratie, und das Magistrat ein Überbleibsel der Monarchie (Hammersley 2012: 4).
Neben der Gewaltenteilung adaptierte Harrington aus der Venezianischen Verfassung auch die Begrenzung von Macht mittels eines Rotationsprinzips sowie durch die Einführung einer Sonderabstimmung (special ballot). Diese Mechanismen dienten dazu, eine republikanische Regierungsform in einem großen Nationalstaat umsetzbar zu machen und gleichzeitig gegen die Korruption vorzugehen, die aufgrund der Neigung des Menschen zum Streben nach Erfüllung der eigenen Interessen, eine Gefahr für die Beständigkeit der Republik darstellt.
Verhältnis des Bürgers zur Staatskonstruktion
Bei James Harrington geht es darum, eine Pluralität zu konstruieren, in der Unterschiede kein Problem darstellen und somit die individuelle Freiheit nicht eingeschränkt wird. Dies soll in Kombination der beiden Prämissen der Tugend und des Interesses auf politischer Ebene geschehen. Grundsätzlich war Harrington skeptisch gegenüber dem menschlichen Potenzial für tugendhaftes Handeln. Jedoch sei es in Form von staatsbürgerlichem Handeln im Sinne des Gemeinwesens und zum Nutzen aller möglich. Hier spielt der Interessenbegriff eine zentrale Rolle, besonders die Vereinbarkeit der drei Basisinteressen, die Harrington unterscheidet: das private Einzelinteresse, das Interesse des Staates und das Gemeininteresse, auch öffentliches Interesse genannt, dem der höchste Stellenwert zugeschrieben wird. Um die einzelnen Partikularinteressen miteinander in Einklang zu bringen, wird ein größerer Zusammenhang hergestellt, unter dem diese so subsummiert werden, dass sie in Balance stehen und ein stabiles Gemeinwesen entsteht. Das Privatinteresse wird ausdrücklich einbezogen und als rechtmäßig und vernünftig angesehen. Das Ziel ist dabei, die Tugend mit dem Interesse zum Nutzen des Einzelnen und der Allgemeinheit zu kombinieren. Es kann nur bzw. soll erreicht werden, indem die politisch-sozialen Kräfte so ausgeglichen werden, dass sich die privaten Interessen wechselseitig ergänzen, ohne ein bestimmtes Partikularinteresse in eine dominante Position zu bringen. In diesem Zuge sollen auch Recht und Gesetz auf Basis des Willens entstehen, der wiederum durch das Interesse gesteuert ist. Harrington war überzeugt, dass das Streben nach privatem Vorteil mithilfe der Tugend in Einklang mit dem öffentlichen Interesse und Gemeinwohl gebracht werden kann (Dippel 1984: 540-544).
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