Es soll in dieser Arbeit untersucht werden, ob positive Diskriminierung im Allgemeinen und das Frauenförderungsgesetz des Landes NRW im Besonderen moralisch zulässige oder gegebenenfalls gebotene Mittel zur Bekämpfung von Diskriminierung sind.
Es ist von immenser Bedeutung, Missstände zu benennen und Strategien zu finden, um dagegen vorzugehen. Die Benennung der Benachteiligung des weiblichen Geschlechts ist der erste Schritt, systematische Unterdrückung von Frauen zu durchbrechen. Genauso wichtig ist es jedoch auch, diese Strategien und Maßnahmen wiederholt zu überprüfen. Wer aus ethischen Gründen nach Gleichberechtigung strebt, muss seine Maßnahmen auch auf ethische Zulässigkeit untersuchen.
Der erste Teil der Arbeit widmet sich der terminologischen Klärung. Darauffolgend wird die Frauenförderung im öffentlichen Dienst in NRW dargestellt und ihre Intention herausgearbeitet. Es soll ein grundlegendes Verständnis für die Notwendigkeit von Frauenförderung generiert werden, welches für die spätere moralische Beurteilung wichtig ist.
Zudem soll anhand eines Gerichtsurteils bezüglich des FFGs die Kontroverse der positiven Diskriminierung eingeleitet werden. Im Anschluss wird der philosophische Kern der Ausgangsfrage untersucht und Argumente für und gegen Maßnahmen der positiven Diskriminierung erörtert und gegeneinander aufgewogen. Der Bezug zu der Maßnahme des FFGs bleibt während der Argumentation bestehen. Schließlich wird die Arbeit resümiert, um beantworten zu können, ob positive Diskriminierung im Allgemeinen moralisch zulässig, unzulässig oder sogar notwendig ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Thematische Einführung
2. Diskriminierung und Positive Diskriminierung
2.1 Definitionen
2.1.1 Diskriminierung
2.1.2 Positive Diskriminierung
2.2 Problem der Begrifflichkeit „Positive Diskriminierung“
3. Frauenförderung im öffentlichen Dienst in NRW
3.1 Diskriminierung von Frauen im Polizeivollzugsdienst
3.2 Das Frauenförderungsgesetz als positive Maßnahme
3.3 Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Frauenförderungsgesetzes
3.4 Der Gerichtsprozess um das Frauenförderungsgesetz in NRW
4. Ethische Abwägungen: Risiken und Chancen der Frauenförderung im öffentlichen Dienst
5. Konklusion
Literaturverzeichnis
1. Thematische Einführung
Kann es moralisch zulässig sein, sich bei einer Entscheidung über die Einstellung oder Beförderung auf das Geschlecht, statt ausschließlich auf die Qualifikation zu beziehen? Kann eine solche Entscheidung zur partiellen Abweichung vom Grundsatz der Bestenauslese bei der Vergabe von Stellen moralisch sogar gefordert oder notwendig sein?
Es scheint trivial, dass die Entscheidung nach der Vergabe eines Arbeitsplatzes nach Leistung und Qualifikation erfolgen sollte, das Geschlecht scheint kein Merkmal von Relevanz sein zu dürfen. Sogar im Grundgesetz ist das Gebot der Bestenauslese verankert (§22 Absatz 2 GG). Dennoch sind im Land Nordrhein-Westfalen (nachfolgend NRW genannt) nach Vorschrift des Landesbeamtengesetzes Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt einzustellen und zu befördern, sofern die in der Person eines Mitbewerbers liegenden Gründe nicht überwiegen. Dieses Frauenförderungsgesetz (nachfolgend FFG genannt) wurde als Antidiskriminierungsmaßnahme zur Förderung der beruflichen Chancen von Frauen im öffentlichen Dienst verabschiedet. Es handelt sich hierbei um sogenannte positive Diskriminierung.
Positive Diskriminierung wird seit ihrem Ursprung in den 1970er Jahren kontrovers diskutiert. Die Grundidee ist intuitiv nachvollziehbar: Benachteiligung durch Bevorzugung ausgleichen. Dennoch ist es schwer zu begründen, warum positive Maßnahmen Rechtfertigung finden und ob diese moralisch vertretbar sein können (vgl. Hermann 2011: 291).
Es soll in dieser Arbeit untersucht werden, ob positive Diskriminierung im Allgemeinen und das Frauenförderungsgesetz des Landes NRW im Besonderen moralisch zulässige oder gegebenenfalls gebotene Mittel zur Bekämpfung von Diskriminierung sind.
Es ist von immenser Bedeutung, Missstände zu benennen und Strategien zu finden, um dagegen vorzugehen. Die Benennung der Benachteiligung des weiblichen Geschlechts ist der erste Schritt, systematische Unterdrückung von Frauen zu durchbrechen. Genauso wichtig ist es jedoch auch, diese Strategien und Maßnahmen wiederholt zu überprüfen. Wer aus ethischen Gründen nach Gleichberechtigung strebt, muss seine Maßnahmen auch auf ethische Zulässigkeit untersuchen.
Der erste Teil der Arbeit widmet sich der terminologischen Klärung. Darauffolgend wird die Frauenförderung im öffentlichen Dienst in NRW dargestellt und ihre Intention herausgearbeitet. Es soll ein grundlegendes Verständnis für die Notwendigkeit von Frauenförderung generiert werden, welches für die spätere moralische Beurteilung wichtig ist. Zudem soll anhand eines Gerichtsurteils bezüglich des FFGs die Kontroverse der positiven Diskriminierung eingeleitet werden. Im Anschluss wird der philosophische Kern der Ausgangsfrage untersucht und Argumente für und gegen Maßnahmen der positiven Diskriminierung erörtert und gegeneinander aufgewogen. Der Bezug zu der Maßnahme des FFGs bleibt während der Argumentation bestehen. Schließlich wird die Arbeit resümiert, um beantworten zu können, ob positive Diskriminierung im Allgemeinen moralisch zulässig, unzulässig oder sogar notwendig ist.
Im weiteren Verlauf der Arbeit soll der Begriff der Frau transinklusiv verstanden werden, d.h. es wird jeder Mensch, ungeachtet seines bei der Geburt bestehenden biologischen Geschlechts, impliziert, welcher sich als Frau präsentiert und definiert.
2. Diskriminierung und Positive Diskriminierung
Um Antidiskriminierungsansätze in ihrer Intention zu begreifen und auf ihre moralische Zulässigkeit zu überprüfen, ist zunächst ein grundlegendes Verständnis über das Phänomen der Diskriminierung und das Konzept der positiven Diskriminierung notwendig.
2.1 Definitionen
2.1.1 Diskriminierung
Maßgeblich für ein umfassendes Verständnis über Diskriminierung ist es, das Prinzip der Gleichheit anzuerkennen. Das allgemein akzeptierte formale Gleichheitsprinzip wurde von Aristoteles formuliert: „Gleiche(s) gleich behandeln“ (NE V.3, 1131a10–b15; Pol. III.9, 1280a8–15, III.12, 1282b18–23). Zeitgenössische Theorien teilen den Anspruch der Behandlung als Gleiche als moralischen Standard (vgl. Gosepath 2016: 174f).
Die folgende resultierende These muss in Bezug auf eine Definition von Diskriminierung anerkannt werden: Die grundlegend gleiche Behandlung aller Menschen ist erstrebenswert und moralisch richtig. Die Diskriminierung einer Person oder Gruppe kann nämlich nur dann als solche erkannt werden, wenn man anerkennt, dass grundlegend alle Menschen gleicher moralischer Berücksichtigung unterliegen. Das Zentrum der ethischen Bedeutung von Gleichheit besteht somit in einem wechselseitigen Anspruch auf gleiche Behandlung. Innerhalb der in dieser Arbeit diskutierten Thematik bedeutet das, die gleiche Behandlung von Männern und Frauen. Diskriminierung impliziert, dass diese gleiche Behandlung nicht gewährleistet ist.
Diskriminierung ist die mindere Behandlung von X gegenüber der Behandlung von Y durch einen Akteur A, aufgrund der Zugehörigkeit von X zu einer anderen identitätsbildenden Gruppe als Y. Identitätsmerkmale, wie sexuelle Orientierung, Herkunft, Geschlecht oder Religion, charakterisieren die Identität einer Person. Besonders stabile und reale Identitätsmerkmale, wie das Geschlecht, bieten nachweisbar Anlass zu Diskriminierung, obwohl besonders diese, normativ gesehen, im sozialen Kontext der Betroffenen keine Relevanz haben sollten. Relevant für die Verteilung sozialer Güter sollten jedoch solche Merkmale wie Leistung oder Qualifikation sein (vgl. Hermann 2011: 290).
Frauen unterliegen nach dieser Definition einer schlechteren Behandlung als Männer, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der identitätsbildenden Gruppe Frau. Ihr Identitätsmerkmal ist das weibliche Geschlecht. Die Diskriminierung findet in diesem Fall in Bezug auf die Vergabe des sozialen Gutes des Arbeitsplatzes durch verschiedene Akteure statt. Dies ist auf eine mehrschichtige Diskriminierung zurückzuführen, die im Laufe der Arbeit deutlich wird. Ein Akteur könnte in diesem Beispiel das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (nachfolgend LAFP genannt) darstellen, welche für die Einstellung und Beförderung von Polizeibeamt*innen zuständig ist. Als Mittel zur Bekämpfung dieser Diskriminierung wurde beschlossen, Frauen bei gleicher Eignung zu bevorzugen. Bei diesem politischen Beschluss handelt es sich um eine Form der positiven Diskriminierung die nachfolgend näher betrachtet wird.
2.1.2 Positive Diskriminierung
Positive Diskriminierung ist ein Ansatz zur Bekämpfung von Diskriminierung. Es beschreibt die bevorzugte Behandlung von X gegenüber der Behandlung von Y bei der Vergabe sozialer Güter, aufgrund der Zugehörigkeit von X zu einer diskriminierten identitätsbildenden Gruppe. Beispielhaft hierfür sind z.B. die Frauenquote oder Frauenförderungsgesetze (vgl. Hermann 2011: 290).
Positive Diskriminierung funktioniert als Oberbegriff für institutionelle oder politische Maßnahmen und Strategien zur Abschaffung von Diskriminierung. Diese Maßnahmen sind international unter dem Begriff affirmative action bekannt (vgl. Hermann 2011: 291).
2.2 Problem der Begrifflichkeit „Positive Diskriminierung“
Affirmative action, kann frei als positive Maßnahmen übersetzt werden. In Deutschland spricht man jedoch stattdessen von positiver Diskriminierung, was darauf schließen lässt, dass Menschen einer Gruppe, die bisher nicht diskriminiert wurden, zugunsten Angehöriger diskriminierter Gruppen, diskriminiert werden. Weiter lässt der Begriff die problematische Assoziation zu, Diskriminierung könne etwas positives sein (vgl. Hermann 2011: 291).
Der Frage, ob Maßnahmen der positiven Diskriminierung tatsächlich diskriminierend sein können, wird im Laufe dieser Arbeit nachgegangen. Bis zu dem Beweis für oder gegen eine implizierte Diskriminierung soll der Begriff positive Diskriminierung als synonym für positive Maßnahmen oder Antidiskriminierungsmaßnahmen verstanden werden.
3. Frauenförderung im öffentlichen Dienst in NRW
Der auf moralische Zulässigkeit zu untersuchende Fall bezieht sich auf die Frauenförderung und ihre Gesetzgebung im Bundesland NRW. Um eine allumfassende ethische Beurteilung zu gewährleisten, wird nachfolgend das Frauenförderungsgesetz, die Intention und ein dazugehöriger Gerichtsprozess zunächst dargelegt und untersucht.
In NRW gibt es, sowie in allen anderen 15 Bundesländern, im Bereich des öffentlichen Dienstes inzwischen Gleichstellungs- bzw. Frauenförderungsgesetze. Dabei geht es um strukturelle Verbesserungen und verbesserte berufliche Chancen für die identitätsbildende Gruppe der Frauen (vgl. Eckertz-Höfer 2014: 171).
3.1 Diskriminierung von Frauen im Polizeivollzugsdienst
Der Ursprung dieses Antidiskriminierungsansatzes liegt in der bestehenden Diskriminierung von Frauen. Ausschlaggebend für die Förderung von Frauen in diesem Bereich ist, dass Frauen bei der Polizei, vor allem in Führungspositionen stetig unterrepräsentiert sind. In einer Pressemitteilung der Gewerkschaft der Polizei NRW von 2012 heißt es:
„Seit dreißig Jahren können Frauen in NRW auch Polizistinnen werden, in Führungspositionen sind sie trotzdem noch immer eine Ausnahme. Ganze sechs Prozent aller Führungsfunktionen werden von Frauen wahrgenommen, obwohl ihr Anteil unter allen Polizistinnen und Polizisten bei 16 Prozent liegt, bei den Kommissaranwärterinnen und -anwärtern liegt er sogar bei 40 Prozent.“ (GdP NRW 2012)
Im Jahr 2016 waren trotz 21,9% Frauenanteil im NRW Polizeidienst nur 2,9% der höheren Dienststellen mit Polizistinnen besetzt (vgl. GdP NRW 2016).
Es ist anzunehmen, dass die Ursache hierfür nicht in der besseren Eignung männlicher Polizisten liegt. Wahrscheinlicher ist die Annahme, dass es Frauen schwerer haben, den Beruf der Polizistin zu ergreifen oder vor allem höhere Positionen innerhalb der Polizei zu erreichen. Als Antwort auf die Benachteiligung von Frauen im öffentlichen Dienst impliziert die Erlassung eines FFGs eine Form der positiven Diskriminierung.
Folgend ist nun zu beleuchten, wie diese Benachteiligung sich äußert, um die grundlegende Intention der FFG zu legitimieren. Für eine ethische Beurteilung ist es notwendig nachzuvollziehen, wieso Frauenförderung im öffentlichen Dienst in NRW erforderlich ist. Die Intention ist anschließend als gegeben anzuerkennen. Dabei ist die tatsächliche Umsetzung der Förderung noch irrelevant. Da das konkrete Fallbeispiel dieser Arbeit sich auf Beamt*innen der Polizei bezieht, wird ausschließlich auf den Beruf der Polizist*innen Bezug genommen.
Seit etwa 39 Jahren ist es weiblichen Bewerber*innen möglich, sich für eine Laufbahn bei der Polizei zu entscheiden (vgl. GdP NRW 2012). Zu dieser Zeit waren die interinstitutionellen Unterschiede der Geschlechter noch sehr deutlich erkennbar. Zeitzeug*innen berichten von Polizistinnen in viel zu großer Uniform, später dann in Röcken und Collegeschuhen. Dass Polizistinnen von ihren Kollegen nicht akzeptiert oder unterschätzt wurden, war ebenfalls keine Seltenheit (vgl. Molitor 2013).
Die Diskriminierung, die gegenwärtig noch stattfindet, bezieht sich überwiegend auf die dienstlichen Beurteilungen sowie die Karrierechancen. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat untersucht, ob tatsächlich eine strukturelle Diskriminierung von Polizistinnen vorliegt. Zwar steige der Frauenanteil der Polizei stetig an, dieser Bereich des öffentlichen Dienstes stelle mit 70% Männeranteil aber noch immer eine Männerdomäne dar, vor allem für höher dotierte Stellen (vgl. Tondorf; Jochmann-Döll 2013: 11). Diese Ausgangslage werfe die Frage auf, „welchen Einfluss Beurteilungen auf Beförderungsprozesse des Polizeivollzugsdienstes haben und inwieweit sie die Leistungen von Frauen angemessen und diskriminierungsfrei widerspiegeln“ (Tondorf; Jochmann-Döll 2013: 11).
Ziel der Expertise war es, Beurteilungsregelungen und Beurteilungspraxis im Polizeivollzugsdienst in Deutschland bezüglich der Gewährleistung der gleichen Behandlung von Männern und Frauen zu untersuchen. Gegenstand der Untersuchung war die Beurteilungspraxis in 12 der 16 Bundesländern unter einem geschlechterbezogenen Blickwinkel. Es wurde festgestellt, dass Frauen und Teilzeitkräfte mehrheitlich schlechter bewertet werden als Männer und Vollzeitkräfte. Frauen, die bei der Arbeit kürzer treten, weil sie Mutter sind, haben demnach besonders schlechte Aufstiegschancen. Sowohl Durchschnittsnoten als auch die prozentuale Verteilung der Prädikate machen diese Diskrepanz deutlich (vgl. Tondorf; Jochmann-Döll 2013: 69).
Da männliche Polizeibeamte in der Gesamtheit mehr Bestbeurteilungen erreichen, haben sie, laut der Studie, auch höhere Beförderungs- sowie Einkommenschancen. Aus der Studie ging zudem hervor, dass vor allem im höheren und gehobenen Dienst die Differenzen zwischen Männern und Frauen noch größer sind. Die Ergebnisse der Studie in ihrer Gesamtheit haben eine strukturelle Benachteiligung weiblicher Polizeibeamtinnen bewiesen, welche sich nicht mehr rein sachlich mit individuellen Leistungsunterschieden erklären lasse (vgl. Tondorf; Jochmann-Döll 2013: 155).
Anschließend an diese Problemstellung kann die grundlegende Intention, Frauen im öffentlichen Dienst zu fördern, nun als zulässig akzeptiert werden. Die strukturelle Diskriminierung des weiblichen Geschlechts liegt bewiesen vor und legitimiert, unter Berücksichtigung des Gleichheitsprinzips, dass Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergleichheit im öffentlichen Dienst ergriffen werden. Der Fokus der ethischen Beurteilung der Zulässigkeit soll nun auf der gewählten Maßnahme im Konkreten liegen.
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