Risiken der Mediatisierung. Eine kritische Beleuchtung des Einsatzes von digitalen Medien in der Schule
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Gefahren und Risiken der schulischen Mediatisierung
2.1 Verschlechterung der Schreibkompetenz
2.2 Verschlechterung der Lesekompetenz
2.3 Verschlechterung der Aufmerksamkeit
2.4 Datenschutz
2.5 Verstärkung der sozialen Ungleichheit
2.6 Verbreitung problematischer Inhalte und Cybermobbing
3 Lösungsansätze
4 Fazit
5.0 Literaturverzeichnis
Zusammenfassung:
Die digitale Mediatisierung der Schulen in Deutschland ist dringend notwendig und unumgänglich. Allerdings birgt die Mediatisierung auch gewisse Risiken wie die Verschlechterung der Lese-, Schreib- und Aufmerksamkeitsfähigkeit, datenschutzrechtliche Risiken, die Verstärkung sozialer Ungleichheit sowie die Verbreitung von problematischen Inhalten und Cybermobbing. Um diesen Risiken vorzubeugen ist es insbesondere von Bedeutung gute und sichere digitale Strukturen aufzubauen, Lehrkräfte und Schüler:innen im angemessenen Umgang zu schulen und eine größere Schulvision aufzubauen, anstatt die Medien nur um ihrer selbst willen einzusetzen.
Abstract:
The digital mediatization of German schools is undeniable necessary. However, this also bears certain risks such as a deterioration in reading-, writing-skills as well as concentration. Furthermore, issues as data privacy, enhancement of social inequality, cyber bullying, and the distribution of problematic content should be considered. To prevent these risks, schools need to establish sustainable and safe networks, educate teachers and students on how to use digital media and establish a school-vision, which implements digital into school and teaching in an appropriate way.
1 Einleitung
Ein häufig angeprangertes Problem in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist die mangelnde Mediatisierung der deutschen Schulen. Nach herrschender Meinung ist diese jedoch unerlässlich. Nur so können Kinder und Jugendliche auf ein Leben in einer mediatisierten Welt vorbereitet werden. Weiterhin kann auch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands langfristig nur so gesichert werden. Eine Befragung von über 1.200 Schulleiter:innen ergab jedoch 2019, dass nur in 36% der Schulen sämtliche Räume über einen Internet- oder WLAN-Anschluss verfügen (Verband Bildung und Erziehung, 2019). Auch die Coronakrise machte bisher deutlich, dass das deutsche Schulsystem in Sachen Mediatisierung Nachholbedarf hat. So war (und ist) eine angemessene Beschulung der Schüler:innen außerhalb des Schulgebäudes häufig nicht möglich.
Die Politik reagierte bereits 2018 mit dem „Digitalpakt Schule“. Dieser soll mit über 7 Milliarden Euro von Bund und Ländern bis 2025 die flächendeckende digitale Bildungsinfrastruktur gewährleisten (BMBF, 2020). Dass diese Summe ausreichend ist bezweifelt zum Beispiel Lankau (2020) und auch die Abrufbarkeit der Gelder wird durch viel Bürokratie erschwert. Dennoch scheint es langfristig nur einen Weg zu geben und dieser ist eine zunehmende Mediatisierung der Schulen.
Die Vorteile und Notwendigkeit dieser liegen auf der Hand und werden immer wieder in Politik und Gesellschaft betont. Zu einem reflektierten Umgang mit Wandel gehört aber auch sich mit potenziellen Gefahren der Mediatisierung auseinanderzusetzen.
Der negative Einfluss eines erhöhten Medienkonsums (resp. Fernsehen, Computerspiele und Smartphone Benutzung) bei Jugendlichen im Privatbereich ist schon seit dem Aufkommen der Fernsehgeräte in Privathaushalten gut erforscht (Spitzer, 2011 & 2012; Schaumburg, 2015).
Für die aktuelle Debatte über die Mediatisierung der Schulen sind diese jedoch häufig nur begrenz hilfreich. Frage dieser Arbeit ist daher Welche Risiken birgt die Mediatisierung der Schule und was kann man gegen sie tun? Hierfür werden zunächst die Auswirkung der Mediennutzung1 auf Schreib-, Lese- und Aufmerksamkeitsfähigkeit beleuchtet. Anschließend werden potenzielle Probleme beim Datenschutz, die Verstärkung sozialer Ungleichheit, problematische Inhalte im Netz und Cybermobbing analysiert. Schließlich soll durch verschiedene Lösungsansätze die Notwendigkeit von Medienkompetenz und -Mündigkeit, sowie von Präventionsmaßnahmen herausgestellt werden.
Hierbei ist es nicht Ziel die Mediatisierung von Schule und Welt als folgenschwer und unverantwortlich abzutun. Vielmehr geht es darum Herausforderungen dieses epochaltypischen Schlüsselproblems (Zierer & Schatz, 2019, S.58) herauszustellen, um einen Beitrag zur gelungenen und risikoarmen Beschulung aller Schüler:innen zu leisten.
Die bisherige Forschung identifiziert, größtenteils einstimmig, oben genannte Risiken. Ihre Reaktionen und Handlungsempfehlungen fallen jedoch verschieden aus. Während Spitzer (2011, 2012) für eine Verbannung der neuen Medien plädiert, nimmt ein großer Teil der Forschung (z.B. Zierer & Schatz, 2019; Lankau, 2020 oder Schaumburg, 2015) die Gegenposition ein. Diese wird in Form von konstruktiven Lösungsvorschlägen und der Betonung der Chancen der Mediatisierung zum Ausdruck gebracht.
2 Gefahren und Risiken der schulischen Mediatisierung
Trotz der offensichtlichen Tatsache, dass die Medien eine zunehmend größere Rolle in unserem Leben und dem von Kindern und Jugendlichen spielen, „herrscht in der medienpädagogischen Diskussion Einigkeit, dass digitale Medien Risiken für Schüler bergen“ (Schaumburg, 2015, S.17). Einige mögliche Risiken, die durch den Medieneinsatz in der Schule entstehen können, betrachten wir im Folgenden.
2.1 Verschlechterung der Schreibkompetenz
Im Zuge der „Studie zu Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern“ (kurz ICILS) wurden 2013 weltweit Lehrkräfte befragt, ob sich der Einsatz digitaler Medien im Unterricht auf bestimmte Kompetenzen negativ auswirke.
Hierbei bestätigten 52% der in Deutschland befragten Lehrer:innen eine Verschlechterung der Handschrift, weltweit waren es sogar 67% (Schaumburg, 2015). Dies wird deshalb als problematisch erachtet, da Untersuchungen ergaben, dass handschriftliches Schreiben als wichtige Grundlage für den Erwerb von Schriftkompetenzen und die tiefergehende Verarbeitung von Informationen dient (Spitzer et al., 2014 nach Schaumburg, 2015). Der subjektiven Befragung der Lehrkräfte im Zuge der ICILS 2013 steht jedoch gegenüber, dass es bisher keine empirischen Nachweise für einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz digitaler Medien und einer Verschlechterung der Handschrift gibt (Schaumburg, 2015).
Die Hattie-Studie fand in ihrer eingehenden Analyse von Metastudien zumindest keine Verbesserung der Schriftkompetenzen beim Einsatz von digitalen Medien im Unterricht (Hattie, 2013 nach Zierer & Schatz, 2019).
Was hingegen offensichtlich ist, ist die verschlechterte Handschrift von Schüler:innen beim Schreiben auf digitalen Endgeräten. Hier fand Spitzer (2012) starke Abweichungen, zwischen dem eigentlichen Schriftbild auf Papier und dem Schriftbild auf Computern. Dies ist jedoch ein Problem, welches sich mit fortschreitender Verbesserung der Technik, Entwicklungen wie dem Apple Pencil und digitalen „Schönschreibfedern“ marginalisieren dürfte.
Dennoch betonen Zierer und Schatz (2019), dass unabhängig vom Schriftbild das manuelle Schreiben mit Stift auf Papier zu einem verbesserten Lernprozess führt.
Weiterhin führt die Möglichkeit des Copy&Paste, bei Schreibprogrammen, zu einem vermehrten Kopieren fremder Inhalte (aus dem Netz). 76% der befragten deutschen Lehrkräfte gaben dies als Problem des Einsatzes Digitaler Medien an, weltweit waren es nur knapp die Hälfte (Schaumburg, 2015). Dieses Problem stellt jedoch ein noch größeres Risiko für den nächsten Unterpunkt dar.
2.2 Verschlechterung der Lesekompetenz
Das Copy&Paste- (oder viel mehr Plagiats-) Problem bei digitalen Schreibprogrammen führt jedoch auch zu Abstrichen bei der Lesekompetenz. Die geringere Verarbeitungstiefe aufgrund der geringeren Beschäftigung mit dem Inhalt führt hier zu einem schlechteren Text- und Leseverständnis im Allgemeinen (Spitzer, 2012). Spitzer führt diese geringere Beschäftigung mit Text und Inhalt darauf zurück, dass diese jederzeit neuaufgerufen und erneut gelesen werden könnten, was die Notwendigkeit einen Text verstehen zu müssen obsolet macht (2012).
Auch Zierer und Schatz (2019) bestätigen, dass beim Lesen auf digitalen Endgeräten das Textverständnis niedriger ist. Hierbei stützen sie Spitzers Aussage, dass sich Jugendliche beim Lesen auf Tablets oder Computern weniger intensiv mit dem Text auseinandersetzen. Im Gegenzug ist die Lesegeschwindigkeit bei Texten auf Papier geringer und daher das Verständnis größer.
Auch bei der Lesekompetenz konnte Hattie (2013), durch den Einsatz von medialen Lernangeboten, keine signifikanten Verbesserungen feststellen (nach Zierer & Schatz, 2019). Die Untersuchung zur Wirksamkeit von Lesebonusprogrammen für Grundschüler, wie zum Beispiel „Antolin“ war ernüchternd. Auf die Leseleistungsfähigkeit konnten, wenn nur geringe Auswirkungen beobachtet werden. Die mittleren Effekte auf die Lesemotivation sehen Zierer und Schatz (2019) eher kritisch. Sie vermuten hier, dass es sich mehr um eine Motivation um des Wettbewerbs Willen handelt als um eine nachhaltige Lesemotivation der Kinder über den Zeitraum der Benutzung des Programms hinaus.
2.3 Verschlechterung der Aufmerksamkeit
Mit 29% in Deutschland und 24% weltweit stimmten bei der ICILS Befragung 2013 Lehrkräfte der These zu, dass sich die Präsenz von digitalen Medienformen im Unterricht negativ auf die Aufmerksamkeit der Schüler:innen auswirken würde (Schaumburg, 2015). Dieser im Vergleich zu Kapitel 2.1 eher geringe Anteil erklärt sich dadurch, dass viele Lehrkräfte auch in einem medienfreien Unterricht eine Vielzahl von Ablenkungen für die Schüler:innen als gegeben sehen (ebd.).
Dennoch werden immer wieder Laptop- oder Computerklassen abgeschafft, da es schlichtweg den Schüler:innen nicht gelingt sich auf das wesentliche Unterrichtsgeschehen zu fokussieren. Sobald die Geräte einen Internetzugang haben, verbrachten Kinder und Jugendliche in den beobachteten Klassen bis zu 2/3 der Stunde mit anderen Dingen an ihrem Gerät (ebd.).
Die Arbeit mit dem Computer und im Internet ist in der Tat anfällig für die Verschiebung der Aufmerksamkeit von unterrichtsrelevanten Themen auf andere. Außerdem verstärkt es Konzentrationsschwächen (gerade bei längerem Arbeiten mit den Geräten) und trägt zu „einer Verschlechterung des tiefen und komplexen Denkens bei“ (Zierer, 2020, S.378; Zierer & Schatz, 2019; Spitzer, 2012).
Die „BrainDrain“- Studie untersuchte darüber hinaus das in Schulen häufig kontrovers zwischen Schüler- und Lehrerschaft diskutierte Thema der Smartphone Nutzung. Hierbei kamen Ward et al. zu dem Schluss, dass allein das Vorhandensein eines Smartphones (selbst wenn es nur abgeschaltet auf dem Tisch oder in der Hosentasche war) im Unterricht zu einer signifikanten Reduzierung von Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit führte (Zierer, 2020; Zierer und Schatz, 2019).
2.4 Datenschutz
Seit Beginn der 1990er Jahre rücken Kinder als Konsumenten und Kunden immer mehr in den Fokus der Wirtschaft. Dies belegt unter anderem die hohe Zahl an Werbung die Kinder ansprechen soll. Schon Anfang der 10er Jahre waren es über 20% aller Werbung, die explizit Kinder ansprach (Spitzer, 2011, S.95). Heutzutage sind es allein in der Lebensmittelbezogenen Werbung über 60% (März, 2020).
Doch vor allem die „Big Data“ Konzerne könnten mit dem Geschäft an Schulen ein großes Potential wittern (Lankau, 2020). Die Technologisierung der Bildungseinrichtungen schreit geradezu danach Jugendliche und Kinder schon früh über ihre Schule an Hard- und Softwareprodukte zu binden.
Insbesondere die Anbieter mit einem außereuropäischen Firmensitz (z.B. Microsoft, Google, Cisco) stehen hierbei jedoch immer wieder in der Kritik mit den gesammelten Daten nicht sensibel umzugehen. Dies mag bei in Microsoft Word getippten Aufsätzen noch recht unproblematisch erscheinen. Aber spätestens seit der Coronakrise, in der nicht nur in Firmen, sondern auch in Schulen (sofern technisch möglich) Videokonferenztools zum Einsatz kamen, ist dies problematisch. Denn gerade hier werden sensibelste Daten der Schüler:innen gesammelt, gegebenenfalls aufgezeichnet und weitergereicht (Beisinghoff, 2020; Riehn, 2020). Die populärsten Anwendungen kommen hier mit MS Teams, Skype (beide Microsoft) und Zoom aus dem außereuropäischen Ausland und werden von Datenschützern als kritisch eingeschätzt (activeMind, 2020; Riehn, 2020).
Anwendungen von MS-Office Produkten oder ähnlichem können laut Lankau (2020) nicht genutzt werden, ohne sich des Risikos bewusst zu sein, dass man nicht mehr selbst entscheidet welche (persönlichen) Daten weitergegeben werden.
2.5 Verstärkung der sozialen Ungleichheit
In den vergangenen Jahren sind die soziale und ökonomische Ungleichheit in Deutschland gewachsen. Dies ist vor allem auf steigende Armuts- und Reichtums Quoten zurückzuführen (Hans Böckler Stiftung, 2018). Darüber hinaus scheinen sich sowohl Armut als auch Reichtum zu verstetigen. Arm bleibt öfter arm und reich bleibt öfter reich (ebd.).
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1 Das Wort Medien wird in dieser Arbeit, sofern nicht anders betont, stellvertretend für Bildschirmmedien (wie z.B. Laptops, Smartphones oder Tabletcomputer) verwendet.