Diese Hausarbeit hat zum Ziel, die Frage zu beantworten, inwiefern sich die betriebliche Bildung im Rettungsdienst an die dynamische Entwicklung der notfallmedizinischen Versorgungsstrategien anpassen muss. Dazu nimmt die Hausarbeit beispielhaft die Beschreibung der Fortbildungsstrukturen eines spezifischen Rettungsdienstbereichs in Niedersachsen zur Hilfe.
Die Bildungsarbeit in Betrieben steht in der heutigen durch Globalisierung und Digitalisierung geprägten Gesellschaft unter einem ständigen Veränderungs- und Anpassungsdruck. Im Kontext der sich dadurch wandelnden und komplexer werdenden Qualifikationsanforderungen und deren rasanter Dynamik, müssen sich neben dem betrieblichen Bildungsmanagement auch die Rollen der lernenden Mitarbeiter*innen anpassen. Es sind insbesondere Eigeninitiative, Interessenbezug, Eigenverantwortlichkeit, Integration gemachter Erfahrungen und bestehender Überzeugungen sowie Bezug zu konkreten Situationen notwendig, um wechselnden Anforderungen und Aufgaben, für die es keine Standardlösung gibt, gewachsen zu sein. Dies setzt innovative Lehr-Lern-Formen voraus, die den Mitarbeiter*innen selbstgesteuertes Lernen ermöglichen, sie jedoch methodisch und didaktisch dabei unterstützen. Gerade in medizinischen Berufen sollte die Handlungskompetenz der Mitarbeiter*innen ständig geprüft und geschult werden, um die Sicherheit der Patient*innen dauerhaft gewährleisten zu können.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Betriebliche Bildung
2.1 Lerntheoretische Grundlagen
2.2 Kompetenz und Qualifikation
2.3 eLearning in der betrieblichen Bildung
3 Die Berufsbilder und die aktuelle Entwicklung im (niedersächsischen) Rettungsdienst
3.1 Entwicklung der verschiedenen Ausbildungsgänge
3.2 Neue Anforderungen an das Rettungsdienstfachpersonal
4 Fortbildung in einem spezifischen Rettungsdienstbereich in Niedersachsen
4.1 Bisherige Konzepte und die Notwendigkeit zur Überarbeitung
4.1 Strukturänderung: Der Weg zum Selbstgesteuerten Lernen
6 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1 Beteiligte am Entwicklungs- und Abstimmungsprozess
1 Einleitung
Die Bildungsarbeit in Betrieben steht in der heutigen durch Globalisierung und Digitalisierung geprägten Gesellschaft unter einem ständigen Veränderungsund Anpassungsdruck (vgl. Schiersmann/Thiel 2018, S. 2). Im Kontext der sich dadurch wandelnden und komplexer werdenden Qualifikationsanforderungen (vgl. Dehnbostel 2015, S. 8) und deren rasanter Dynamik, müssen sich neben dem betrieblichen Bildungsmanagement auch die Rollen der lernenden Mitarbeiterinnen anpassen (vgl. Becker 2013, S. 405). Es sind insbesondere „Eigeninitiative, Interessenbezug, Eigenverantwortlichkeit, Integration gemachter Erfahrungen und bestehender Überzeugungen sowie Bezug zu konkreten Situationen" (Erpenbeck/Sauter 2019, S. 112) notwendig, um wechselnden Anforderungen und Aufgaben, für die es keine Standardlösung gibt, gewachsen zu sein (vgl. Weiß 2017, S. 5). Dies setzt innovative Lehr-Lern-Formen voraus, die den Mitarbeiter*innen selbstgesteuertes Lernen ermöglichen, sie jedoch methodisch und didaktisch dabei unterstützen (vgl. Erpenbeck et al. 2015, S. 8). Gerade in medizinischen Berufen sollte die Handlungskompetenz der Mitarbei- ter*innen ständig geprüft und geschult werden, um die Sicherheit der Patientinnen dauerhaft gewährleisten zu können (vgl. Woollard 2009, S. 1828f.). In diesem Zusammenhang beschäftigt sich die vorliegende Hausarbeit mit der betrieblichen Fortbildung im Rettungsdienst. Betriebliche Fort- oder auch Weiterbildung soll in dieser Hausarbeit als Anpassungsfortbildung verstanden werden, die die Qualifikationen der Mitarbeiterinnen auf den neuesten Stand bringen soll (vgl. Arnold 1997, S. 156). Die Berufe innerhalb des Rettungsdienstes sind in der Öffentlichkeit hochgeachtet (vgl. Lipp 2015, S. 131) und haben sich innerhalb der letzten 40 Jahre in ihrer Komplexität mehrfach ausdifferenziert (vgl. Kapitel 3.1). Die sich schnell weiterentwickelnden medizinischen Fortschritte und die ständige Forschung zur Implementierung neuer notfallmedizinischer Verfahren und Behandlungsmöglichkeiten bei gleichzeitigem Mangel an geeignetem notärztlichen Personal (vgl. Gorgaß et al. 1993, S. 13; Ruppert et al. 2002, S. 375) führt zu immer mehr Verantwortlichkeiten und medizinisch komplexen Aufgabenstrukturen für das rettungsdienstliche Personal (vgl. Kapitel 3.2). Diese Hausarbeit hat zum Ziel, die Frage zu beantworten, inwiefern sich die betriebliche Bildung im Rettungsdienst auf die dynamische Entwicklung der notfallmedizinischen Versorgungsstrategien anpassen muss. Dazu nimmt die Hausarbeit beispielhaft die Beschreibung der Fortbildungsstrukturen eines spezifischen Rettungsdienstbereichs in Niedersachsen beispielhaft zur Hilfe. Der Rettungsdienstbereich wird nachfolgend als Landkreis X benannt. Die Autorin dieser Hausarbeit ist selbst Notfallsanitäterin und als Praxisanleiter*in in der Rettungsdienstabteilung der Hilfsorganisation tätig. Sie hat an der Planung und Gestaltung des in Kapitel 4.1 beschriebenen Fortbildungskonzeptes aktiv mitgewirkt und konnte so durch theoretisch-wissenschaftliches Wissen aus dem Studium der Bildungswissenschaft die Strukturierung des Konzepts wesentlich beeinflussen. Bevor jedoch das konkrete Fortbildungsarrangement beschrieben wird, gibt es in Kapitel 2 dieser Hausarbeit zunächst eine theoretische Einführung in das Thema der betrieblichen Bildung. Hier werden lerntheoretische Grundlagen beschrieben, die Bedeutung der Begriffe „Qualifikation“ und „Kompetenz“ geklärt und eLearning Konzepte für die berufliche Bildung vorgestellt. In Kapitel 3 soll der Rettungsdienst in seinen berufsbildenden Strukturen und in seiner medizinischen Entwicklung vorgestellt und beschrieben werden. Der Konkrete Bezug zur betrieblichen Fortbildung in Landkreis X schließt sich in Kapitel 4 an, bevor die Hausarbeit in Kapitel 5 mit dem Fazit und dem Ausblick schließt.
2 Betriebliche Bildung
Betriebliche Bildung ist ein weitgefächertes Thema, dem sich in diesem Kapitel über die Beschreibung der lerntheoretischen Grundlagen und die Erläuterung des Qualifikations- und des Kompetenzbegriffs angenähert werden soll. Außerdem wird am Ende des Kapitels die Integration von eLearning-Formen in die betriebliche Bildung beschrieben.
2.1 Lerntheoretische Grundlagen
Das noch sehr junge Fachgebiet der betrieblichen Bildungsarbeit umfasst ein breites Spektrum an Inhalts- und Gegenstandsbeschreibungen. Darunter fallen geplante, durchgeführte oder veranlasste Trainings-, Qualifizierungs- und Berufsbildungsmaßnahmen innerhalb eines Unternehmens (vgl. Dehnbostel 2015, S.1). Betriebliche Bildung soll im Rahmen dieser Arbeit zum einen nicht auf rein formale, zertifizierbare Weiterbildungsprogramme reduziert werden, zum anderen soll sie jedoch auch nicht nur informell, im Prozess der eigenen Arbeit generierte Lernerfolge beschreiben. In diesem Sinne versteht betriebliche Bildung die Mitarbeiterinnen eines Unternehmens als das Objekt, das in seinen Möglichkeiten zu entwickeln und zu bilden ist. Die Strukturen und Zusammenhänge innerhalb des Unternehmens sollen dabei den Bildungsprozess lediglich auslösen (vgl. Arnold 1997, S. 23). Andererseits soll auch aufgezeigt werden, dass betriebliche Bildung nicht nur Möglichkeiten des Einzelnen, sondern auch die Leistungen von Teams und damit am Ende die des gesamten Unternehmens fördern kann (vgl. Zehnder 2013, S. 9). Auch und gerade in medizinischen Berufen ist die gute Leistung des Teams für das Outcome der Patientinnen wichtiger als die gute Leistung eines einzelnen Mitarbeiters. Zehnder (ebd., S. 9) vergleicht dies mit der Leistung eines Fußballteams, für das es nicht genügt, nur einen guten Stürmer zu verpflichten, um eine Meisterschaft zu gewinnen. Zur Erklärung von Lernprozessen können unterschiedliche Paradigmen herangezogen werden. Ein lerntheoretisches Paradigma bezieht sich stets auf die jeweilige Sicht darauf, was durch welche Gesetzmäßigkeiten und mithilfe welcher unterstützenden Instrumente unter Lernen verstanden wird (vgl. Gartz, 2000, S. 25). Sie lassen sich dabei unterschiedlich stark mit dem Lernen im betrieblichen Kontext in Beziehung setzen. Zur Förderung von Lernprozessen im betrieblichen Kontext eignet sich der konstruktivistische Ansatz, da sich durch ihn problemorientiertes, selbstgesteuertes Lernen in kooperativen Gruppen besonders gut implementieren lässt (vgl. Gerstenmeier/ Mandel 2011, S. 169). Außerdem liegt im Rahmen des zu beschreibenden betrieblichen Programms ein Schwerpunkt auf neueren informationstheoretischen Ansätzen. In ihnen werden zu vermittelndes Wissen in kleine, verarbeitbare Einheiten zerlegt oder authentische, realitätsnahe Situationen im sozialen Kontext geschaffen, um die Lernmotivation zu steigern und den Wissenstransfer zu sichern (vgl. Ludwig 2016, S. 8). Mithilfe dieser perspektivischen Grundlagen sollen ungenutzte Potentiale der Mitarbeiterinnen erkannt und gefördert werden und sie für die Bewältigung neuer Anforderungen und zukünftiger Veränderungen qualifizieren (vgl. Becker 2013, S. 308). Ziel ist es, Weiterbildungsbarrieren abzubauen, indem die Mitarbeiterinnen durch die Schaffung eines weiterbildungsfreundlichen Betriebsklimas vom Nutzen aus der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen profitieren und die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens erkennen (vgl. a.a.O., S. 323 f., Faulstich 2014,S. 134f.).
2.2 Kompetenz und Qualifikation
Bevor in Kapitel 3 die Bedeutung von Kompetenz und Qualifikation für den Rettungsdienst näher beschrieben wird, soll im Folgenden zunächst der allgemeine Kompetenz- und Qualifikationsbegriff im betriebspädagogischen Zusammenhang entfaltet werden.
Durch die große Anzahl verschiedener Verständnisperspektiven scheint es schwierig, die beiden Begrifflichkeiten gegeneinander abzugrenzen (vgl. Bolder 2002, S. 651), Qualifikation wird jedoch im Allgemeinen als die erfolgreiche Bewältigung der beruflichen Anforderungen im Arbeitsleben verstanden. Dabei werden die zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit benötigten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Regel anhand von beruflichen Standards und festgelegten Überprüfungsverfahren zertifiziert (vgl. Weiß 2017, S. 13f.). Der Arbeitskreis des Deutschen Qualifikationsrahmens (AK DQR 2011, S. 9) bezeichnet Qualifikation diesbezüglich als „das formale Ergebnis eines Beurtei- lungs- und Validierungsprozesses, bei dem eine dafür zuständige Institution festgestellt hat, dass die individuellen Lernergebnisse vorgegebenen Standards entsprechen“. Daran anschließend hat sich seit den 1970er Jahren der Begriff der „Schlüsselqualifikationen“ herausgebildet, mit dem von der eigentlichen beruflichen Qualifikation losgelöste Qualifikationen verstanden werden. Sie lassen sich als sogenannte „Soft-Skills“ zusammenfassen und beinhalten beispielsweise Kreativität, Teamfähigkeit und Konfliktfähigkeit. Mit dieser Erweiterung der eigentlichen Bedeutung kommt es zur Überschneidung mit dem Kompetenzbegriff, der den Qualifikationsbegriff in den letzten Jahrzehnten ergänzt und zum Teil abgelöst hat (vgl. Weiß 2017, S. 14f.). Im beruflichen Kontext umfassen Kompetenzen „Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten, Wissen (sic!) Einstellungen und Werte, die das umfassende fachliche, soziale und personale Handeln des Einzelnen in einer berufsförmig organisierten Arbeit ermöglichen“ (Deutscher Bildungsrat 1949, zitiert nach Dehnbostel 2015, S. 16). Kompetenzen sind subjektgebunden (vgl. Kraus 2007, S. 245) und bilden dadurch „interne Dispositionen und Repräsentationen von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten“ (Weiß 2017, S. 15). Kompetenz orientiert sich gleichzeitig am Handlungskontext und soll deshalb auch die Fähigkeit einschließen, das eigene Handeln selbstständig zu regulieren und somit dazu befähigen, die damit verbundenen Folgen abzuschätzen (vgl. Schiersmann/ Thiel 2018, 362 f.).
2.3 eLearning in der betrieblichen Bildung
In einer sich schnell ändernden Welt müssen Kompetenzen ständig gefördert werden. Digitalisierung ist diesbezüglich mit der Kompetenzentwicklung heute und in Zukunft untrennbar verbunden (vgl. Erpenbeck/ Sauter 2019, S. 165). Im Bildungssektor drückt sich die Digitalisierung durch eLearning aus, das in einem großen Wirkungszusammenhang steht. Es verändert zum einen das Management von Bildungsorganisationen und ist gleichzeitig Methodik, Werkzeug und Hochtechnologie, welche durch digitale Medien, Internet und Informations- und Kommunikationsmedien den gesamten Wissens-Reproduktionszyklus optimieren (vgl. Barthelmeß 2015, S. 30). Obwohl der Nutzen von eLearning-Techno- logien von Unternehmen teilweise noch bezweifelt wird (vgl. a.a.O., S. 135) entwickeln sie sich seit den 1980er Jahren ständig weiter. Zunächst wurden eLear- ning-Formate noch als kostensparende, effektive Lernmethode angesehen (vgl. Dehnbostel 2015, S. 84), haben sich jedoch mittlerweile überwiegend als betriebliche Lernform etabliert, die es den Mitarbeiter*innen ermöglicht, selbstgesteuert und aktiv lernen zu können. Die Lernenden können dabei Lernzeit, Lernort, Lernstil und Lerntempo selbst festlegen. Durch viele digitale Technologien kann den Mitarbeiterinnen im Bedarfsfall Fachwissen direkt bereitgestellt werden. Bei aller Freiheit bleibt es jedoch dabei, dass sicherheitsrelevantes Wissen mit eLearning weiterhin in Form von „Vorratslernen“ notwendig sein wird (vgl. Erpenbeck et al. 2015, S. 1). Die Umsetzung von eLearning erfolgt über Web Based Trainings (WBT), die sich unterschiedlich ausgestalten lassen (vgl. a.a.O., S. 6). Eine Form ist das eTeaching, das am ehesten einer digitalen Form des Frontalunterrichts entspricht und bei dem Lehrende und Lernende bei der Wissensvermittlung synchron über das Netz verbunden sind. Auch das eTuto- ring (auch Teletutoring) ist eine WBT-Form, bei der die Lernenden vorwiegend selbstgesteuert oder in Teams lernen und der Lehrende nur als Lernhilfe zur Verfügung steht. Eine weitere Form ist die eModeration (auch eCoaching), bei dem die Lernenden eine konkrete Aufgabe oder ein konkretes Problem bearbeiten und die Lehrenden ihnen als Coach, beziehungsweise als Berater zur Verfügung stehen (vgl. Dehnbostel 2015, S. 87). Für die betriebliche Bildung eignet sich diesbezüglich das Blended Learning, das Teile des „klassischen“ Präsenzunterrichts, beziehungsweise Betreuungsphasen mit dem eLearning als selbstgesteuertem Lernen verbindet (vgl. Becker 2013, S. 403; Erpenbeck et al. 2015, S. 29). Diese sehr erfolgreiche Form zur Implementierung von digitalen Lernformen zeigt durch seine Begrifflichkeit jedoch, dass es auch zukünftig notwendig sein wird, dass die Wissensaneignung und der Kompetenzaufbau mithilfe von Lehrenden stattfinden muss, die das Lernen zumindest phasenweise begleiten (vgl. Arnold et al. 2015, S. 23). Blended Learning kann nicht als eine spezifische, starre Lernform betrachtet werden, da es in der Lage ist, verschiedene Medien, Methoden und Theorien zu integrieren. Damit wird Blended Learning durch die zu erwartende schnelle Weiterentwicklung neuer Medien wahrscheinlich seine Kombinationsmöglichkeiten noch weiter steigern können und so noch zielgruppenorientiertere und individuellere Gestaltungsrahmen ermöglichen (vgl. Becker 2013, S. 404).
3 Die Berufsbilder und die aktuelle Entwicklung im (niedersächsischen) Rettungsdienst
Die Entwicklung des deutschen Rettungsdienstes und seiner Berufe ab 1949 wird im ersten Teil dieses Kapitels thematisiert. Der zweite Teil beschäftigt sich dann mit den Gründen und Zielen der stetig steigenden, komplexen Anforderungen für das Rettungsdienstpersonal.
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