Das Aufkommen des Mobiltelefons als mobiles Medium. Wie hat sich individuelle und interpersonalen Kommunikation verändert?
Zusammenfassung
In einem ersten Teil (Kapitel zwei) wird als Einstieg auf die äußeren Veränderungen eingegangen, welche die mobile Mediennutzung vorangetrieben haben und mit der Entwicklung der vermehrten Nutzung und den Veränderungen in der Kommunikation zusammenhängen. Dieses Kapitel hilft beim Verständnis, weshalb und wie sich Mobiltelefone im sozialen System durchsetzen. Diese Einleitungskapitel bilden die Basis für den Hauptteil der Arbeit (Kapitel drei). In diesem Kapitel wird auf diverse in der Forschung diskutierte Bereiche eingegangen, welche zu Veränderungen in der individuellen und interpersonalen Kommunikation herbeigeführt haben. Im vierten Kapitel werden die Befunde zusammengefasst und erlauben eine Beantwortung der im Anfang dieses Abschnittes erwähnten Forschungsfrage.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Fragestellung
2 Fokus auf die äusseren Veränderungen
2.1 Einführung und Verbreitung von Innovationen in einem sozialen System
2.2 Die Mobilisierung und mobile Mediennutzung
2.3 Reflexive Moderne
3 Rolle des Mobiltelefons auf ein Individuum
3.1 Von der Koordination des Alltags zur geteilten Aufmerksamkeit
3.2 Verlust der Sozialkompetenzen durch die Allgegenwärtigkeit
3.3 Kommunikationsoptionen und der Umgang im öffentlichen Raum
3.4 Fehlende Wahrnehmbarkeit und Verarmung der Kommunikation
4 Zusammenfassung
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung und Fragestellung
Medien werden zunehmend mobil genutzt und die Rolle des Mobiltelefons respektive des Smartphones hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Einfluss und die Auswirkungen von Mobiltelefonen auf das Individuum, die Gesellschaft und den Privat- und Geschäftsalltag ist von grosser Bedeutung und werden in der Forschung viel diskutiert. Die Nutzung von Mobiltelefonen ist in vielen Bereichen heutzutage nicht mehr wegzudenken und die Möglichkeiten und Perspektiven entwickeln sich laufend und rapid weiter. Anders als beim häuslichen Telefon, handelt es sich beim Mobiltelefon um ein eigenes, persönliches Medium, welches man immer bei sich trägt und heutzutage zur alltäglichen Ausstattung gehört (vgl. Höflich, 2016, 161). Die Wichtigkeit, Nutzung und Wirkung des Mobiltelefons deutet auf die Relevanz dieses Themas für die Gesellschaft und somit auch für die Forschung hin. Der Einfachheit halber wird in dieser Arbeit für das Smartphone der Überbegriff Mobiltelefon verwendet.
Die Forschungsfrage dieser Arbeit ist in der Basistheorie der Cultural Studies einzubetten. Cultural Studies eignen sich zur Untersuchung des Zusammenhangs von medialer Aneignung, damit ist die Mediennutzung gemeint, und Macht- und Kontextfragen (vgl. Weber, 2010, 23).
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern das Aufkommen von mobilen Medien, insbesondere das Mobiltelefon, zu Veränderungen in der individuellen und interpersonalen Kommunikation geführt hat.
In einem ersten Teil (Kapitel zwei) wird als Einstieg auf die äusseren Veränderungen eingegangen, welche die mobile Mediennutzung vorangetrieben haben und mit der Entwicklung der vermehrten Nutzung und den Veränderungen in der Kommunikation zusammenhängen. Dieses Kapitel hilft beim Verständnis, weshalb und wie sich Mobiltelefone im sozialen System durchsetzen. Diese Einleitungskapitel bilden die Basis für den Hauptteil der Arbeit (Kapitel drei). In diesem Kapitel wird auf diverse in der Forschung diskutierte Bereiche eingegangen, welche zu Veränderungen in der individuellen und interpersonalen Kommunikation herbei geführt haben. Im vierten Kapitel werden die Befunde zusammengefasst und erlauben eine Beantwortung der im Anfang dieses Abschnittes erwähnten Forschungsfrage.
2 Fokus auf die äusseren Veränderungen
Um vom Allgemeinen zum Speziellen zu gelangen, wird zu Beginn auf das mobile Medium/Mobiltelefon an sich eingegangen. Die nachfolgenden Unterkapitel beschäftigen sich damit, wie ein Mobiltelefon als Innovation in der Gesellschaft angenommen wird, weshalb das Mobiltelefon als „mobiles Medium" so beliebt ist und weshalb der Begriff der „Reflexiven Moderne" im Bezug auf die Entwicklung der mobilen Medien von wichtiger Bedeutung ist.
2.1 Einführung und Verbreitung von Innovationen im sozialen System
Um die Veränderungen und wie es dazu gekommen ist, in der interpersonalen und individuellen Kommunikation durch mobile Medien verstehen zu können, ist eine Auseinandersetzung mit dem Prozess von deren Entwicklung relevant. Mobiltelefone werden heutzutage von der Mehrheit der Gesellschaft genutzt, was vorgängig zu diversen Entscheidungsprozessen geführt hat. Die Frage, welche in diesem Abschnitt zentral ist, lautet wie das Mobiltelefon überhaupt diesen Status entwickeln konnte, um in der Lage dafür zu sein, Veränderungen in unserer interpersonalen und individuellen Kommunikation herbei führen zu können. Das Individuum wird als Wähler und als Konsument immer wieder vor die Entscheidung gestellt, auf die eine Vision oder das eine Angebot zu setzen. Um zukünftige Bedeutungen, Chancen und Risiken neuer Medien abschätzen zu können, ist die Auseinandersetzung mit der Dynamik des Entscheidungsprozesses eine Vorbedingung (vgl. Von Pape, 2008, 18).
Es entscheiden fünf Attribute darüber, ob Innovationen wie das Mobiltelefon angenommen werden oder nicht. „Trialability" entspricht der Möglichkeit, die Innovation unverbindlich zu testen, „Compability" ist die Verträglichkeit mit einem vorher bestehenden Kontext, „Relative advantage" erklärt den tatsächlichen Vorteil für den Nutzer, „Complexity" beschreibt den Aufwand, welcher zum Einsatz der Innovation erforderlich ist und „Observability" ist die Sichtbarkeit der Innovation im Alltag (vgl. Rogers, 2003, 219-266). Beim Mobiltelefon ist die Erfüllung aller Attribute gegeben. Die Eigenschaften eines Individuums für die Übernahme einer Innovation sind unteranderem die Persönlichkeitsmerkmale Empathie, Abstraktionsfähigkeit, Rationalität, Intelligenz, Aufgeschlossenheit gegenüber Wandel, Fähigkeit mit Gefahren und Unsicherheiten umzugehen, eine positive Einstellung zur Wissenschaft und schliesslich der Ehrgeiz bezüglich des eigenen sozialen Status (vgl. Rogers, 2003, 289-290). Mobiltelefonnutzer verfügen im Normalfall mindestens über einen kleinen Anteil der genannten Persönlichkeitsmerkmale, ansonsten würden sie kein Mobiltelefon besitzen.
Der Entscheidungsprozess für die Übernahme einer Innovation, gliedert sich in fünf Phasen. Kenntnis über die Innovation („Knowledge") führt zur Überzeugung von deren Nutzung („Persuasion"), diese Überzeugung wiederum führt zur Entscheidung („Decision") diese Innovation anzunehmen, welche dann zur Implementierung („Implementation") führt. Am Ende findet die Bestätigung der Übernahmeentscheids statt („Confirmation") (vgl. Rogers, 2003, 168-218).
Der Prozess der Übernahme einer Innovation, in dieser Arbeit das Mobiltelefon, verläuft nicht geradlinig und ein Medium kann im Verlauf der Aneignung laufend neu erfunden werden (vgl. Höflich, 2016, 113). Dies führt dann wiederum zu neuen Adoptionsprozessen in der Gesellschaft. Mit der Entwicklung und Aneignung einer Innovation wie dem Mobiltelefon, etablieren sich in der Gesellschaft laufend Regeln oder Nutzungsmuster zu dessen Gebrauch (vgl. Höflich, 2016, 113), was um diesen Abschnitt abzuschliessen, die Veränderungen in der interpersonalen und individuellen Kommunikation beeinflusst.
2.2 Die Mobilisierung und mobile Mediennutzung
Als Merkmale moderner Gesellschaften gelten Bewegung sowie Beweglichkeit. Zug, Auto und Flugzeuge haben im Zuge der Modernisierung eine Mobilmachung aller Lebensbereiche ermöglicht und so sind auch Medientechnologien und Medieninhalte mobiler und interaktiver geworden. Diese technischen und kulturellen Mobilisierungsschübe der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass individuelle Entwicklungsprozesse und kulturelle Phänomene beweglicher geworden und ehemalige raum- und ortsbezogene Sozialstrukturen sich verändert haben, oder zum Teil ganz verschwunden sind (vgl. Wimmer & Hartmann, 2014, 11).
Soziale Interaktionssituationen werden besonders durch die Mobilkommunikation verändert, was zu einer Transformation der Erfahrungen der Menschen, der individuellen Identitätsprozessen und gesellschaftlicher Sozialisationsbedingungen führt. Mobilität ist nicht nur auf die Mobilisierung der Endgeräte zu verstehen, sondern auch auf die räumliche und soziale Mobilität des Nutzers und die damit einhergehende kommunikative Vernetzung (vgl. Wimmer & Hartmann, 2014, 13-14).
Mobile Medien sind in unserer Kultur und Gesellschaft deshalb so erfolgreich, weil die Mediennutzer mit den heutigen, vielfältigen Ansprüchen der Gesellschaft relativ einfach, schnell und flexibel umgehen können. Dies führt allerdings zu einer Beschleunigung der Alltagskultur, womit unter anderem auch Veränderungen in der interpersonalen und individuellen Kommunikation erklärt werden können (vgl. Wimmer & Hartmann, 2014, 1314).
2.3 Reflexive Moderne
Ein wichtiger Ansatz für das Verständnis der Entwicklung und Auswirkung von mobilen Medien lieferte der Soziologe Ulrich Beck (1986). Beck ging davon aus, „dass die Moderne in eine neue Phase eingetreten ist, in der sie sich neuartigen, selbst geschaffenen Herausforderungen stellen muss" (Tillmann, 2006, 259).
In der ersten Phase der Moderne waren die ersten Herausforderungen, die technischen und ökonomischen naturgegebener Mängel zu überwinden, es ging also um die „Nutzbarmachung“ gegebener Umstände. Die daraufkommende Phase hat Beck als die „Reflexive Moderne“ betitelt. Nach Überwindung der ersten Phase, gingen aus diesem Modernisierungsprozess, Folgeprobleme respektive Nebenwirkungen der verwendeten Massnahmen hervor. Daher „reflexiv“ - der Modernisierungsprozess wird sich selbst zum Thema und Problem (vgl. Beck, 1986, 26).
Mobile Medien wie das Mobiltelefon bieten ungeahnte und vielfältige Möglichkeiten, sei es in der interpersonellen Kommunikation, im Geschäftsalltag oder in der individuellen Entwicklung. Allerdings führt diese „Nutzbarmachung“ des Mobiltelefons für den Menschen auch zu negativen Nebenwirkungen.
Dieses Unterkapitel zeigt auf, dass Entwicklungen immer Folgeentwicklungen mit sich tragen. Dank der Innovation (Kapitel 2.1) und Nutzbarmachung des Mobiltelefons können Menschen mobil kommunizieren und vernetzt bleiben, allerdings gehen daraus Nebenwirkungen hervor, welche die interpersonale und individuelle Kommunikation beeinflussen.
3 Rolle des Mobiltelefons auf ein Individuum
Im folgenden Hauptteil der Arbeit geht es um die Rolle des Mobiltelefons auf das Individuum. In den nachfolgenden Kapiteln werden diverse aus der Forschung diskutierte Bereiche erläutert, die erklären, inwiefern mobile Medien zu Veränderungen in der individuellen und interpersonalen Kommunikation geführt haben. Veränderungen durch ein mobiles Medium in der interpersonalen Kommunikation haben folglich auch einen Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen.
3.1 Von der Koordination des Alltags zur geteilten Aufmerksamkeit
Das Aufkommen von mobilen Medien wie dem Mobiltelefon, hat zu den Funktionen Mikrokoordination und Hyperkoordination geführt, welche wiederum einen Einfluss auf die in Kapitel 2.2 erwähnte Beschleunigung des Alltags haben. In diesem Kapitel wird ersichtlich, weshalb die beiden genannten Funktionen und die Beschleunigung des Alltags zu Veränderungen in der interpersonalen und individuellen Kommunikation führen.
Die Mikrokoordination beschreibt die pragmatische Organisation des Alltaglebens. Damit ist zum Beispiel das spontane Verabreden per SMS mit Freunden, das Zusammenfinden an einem Ort oder das Fragen der Eltern ob sie einen abholen können, gemeint. Es handelt sich bei der Mikrokoordination um die Fragen „wo" und „wann", also um die konkrete geographische und zeitliche Positionierung und Abstimmung (vgl. Von Pape, 2008, 21). Mit dem Mobiltelefon kann man folglich auf die Aktivitäten von Anderen Einfluss nehmen und/oder diese synchronisieren, die Alltagsaktivitäten werden flexibler ausführbar. (vgl. Höflich, 2014, 37). Gleichzeitig betreiben die Menschen auch Hyperkoordination. Die Hyperkoordination ergänzt die Mikrokoordination - es handelt sich hierbei um den sozialen und emotionalen Aspekt (vgl. Ling & Yttri, 2002, 140). Dabei kann es sich um rituelle morgendliche Liebesbekundungen der Ehefrau handeln, aber auch um das gezielte Ignorieren von Kurzmitteilungen als Zeichen der Abgrenzung (vgl. Pape, Karnowski & Wirth, 2006a, 21).
Mobile Medien schaffen eine Nähe zum Menschen, in Form von immerwährender Verfügbarkeit, diese Nähe wird durch die Möglichkeiten der Mikro- und Hyperkoordination stabilisiert. Das primäre Ziel von mobiler Kommunikation ist allerdings oftmals nicht der intensive Austausch, sondern der eher oberflächliche Informationsaustausch und die Kontaktsicherung zum persönlichen Beziehungsnetz - persönliche Kontakte sollen vor allem rückversichert und gefestigt werden. Die Möglichkeit, immer wenn nötig innerhalb des sozialen Beziehungsnetzes kommunizieren zu können, vermittelt eine gegenseitige Versicherung der Existenz und Festigung des persönlichen sozialen Netzes (vgl. Döbler, 2014, 144).
Diese Funktionen der Mikro- und Hyperkoordination zeigen auf, dass die mobile Kommunikation auf komplexe Weise in die Anforderungen gegenwärtiger gesellschaftlicher Formierungen eingebunden wird und diese gleichzeitig erheblich mitgestaltet (vgl. Döbler, 2014, 139). Das Mobiltelefon ist fester Bestandteil der kommunikativen Alltagsaktivitäten geworden und die dadurch erfolgende Flexibilisierung des Lebens und die damit zusammenhängende Kurzfristigkeit von Terminvereinbarungen hat Folgen auf das menschliche Zeiterleben, was wiederum Folgen auf die interpersonale und individuelle Kommunikation hat (vgl. Döbler, 2014, 143).
Diese herbeigeführte Flexibilisierung und Allgegenwärtigkeit, welche durch die Mikrokoordination besonders deutlich wird, hat das Potenzial zur Unverbindlichkeit (zum Beispiel das Versenden von kurzfristigen Termin- oder Planänderungen per SMS) und damit zu einer möglichen Destabilisierung interpersonaler Beziehungen zur Folge (vgl. Döbler, 2014, 145). Die Gewohnheit, sich „Optionen offen zu halten" oder mehrere Verabredungen gleichzeitig zu treffen, wurde durch das Mobiltelefon verstärkt, da es jederzeit zu kurzfristigen Änderungen kommen kann (vgl. Srivastava, 2006, 240). Der Mensch wird durch die Flexibilität, der Möglichkeit von kurzfristigen Änderungen im Alltag, zu einem „driftenden" Menschen. Die immerwährende Erreichbarkeit, welche für die Organisation des Alltags (Mikrokoordination) heutzutage oft als notwendig erachtet wird, kann dazu führen, dass auch wichtige persönliche Treffen, nicht mehr eingeschränkt gelebt werden können (vgl. Döbler, 2014, 152). Ist man zum Beispiel an einer Verabredung, kann die Allgegenwärtigkeit des Mobiltelefons dazu führen, dass bestehende soziale und kommunikative Situationen durch Eindringen von Dritten per Mobiltelefon unter- und gebrochen werden können, was sich vermutlich auf die Tiefe und Intensität von Beziehungen auswirkt (vgl. Döbler, 2014, 148).
Durch den die Mikrokoordination herbeigeführten Rückgang von zeitgebundenen Plänen, verringert sich die Planungs-, Termin- und Pünktlichkeitsdisziplin und eine Wiederkehr zu spontanen, unvorhersehbaren Mustern des sozialen Lebens ist wahrscheinlich (vgl. Geser, 2006, 35). Durch diese Beschleunigung wird das soziale Leben unberechenbarer und das Individuum befindet sich vermehrt gleichzeitig in „zwei Welten". Dies führt wiederum dazu, dass Mobiltelefonnutzer ihre Aufmerksamkeit auf physisch vorhandene und mobile Kommunikationspartner aufteilen, was hinsichtlich der Kommunikation zwischen zwei Gesprächspartner negative Auswirkungen haben kann (vgl. Döbler, 2014, 150).
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