Im Zuge der vorliegenden Hausarbeit soll sich mit der Jugend als Lebensphase und Kultur im Deutschen Kaiserreich beschäftigt werden. Hierbei sollen vor allem Jugendbewegungen in den Blickpunkt genommen werden, die ihren Ursprung in der bürgerlichen Gesellschaft haben, mit dem Fokus auf der Wandervogelbewegung. Insgesamt soll der Untersuchung ein transnationaler Blick zu Grunde liegen, sowohl in den Ausführungen zum Bürgertum im Kaiserreich allgemein, als auch in der Beschäftigung mit der Jugend als Lebensphase, Subkultur und Bewegung und insbesondere bei den Betrachtungen zur Wandervogelbewegung. Die Hausarbeit widmet sich der These: Bürgerlichkeit und Jugend im Kaiserreich stehen in einer Wechselbeziehung, welche sich in Form von Jugendbewegungen äußerte und transnationale Ausmaße annahm.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Bürgertum im Kaiserreich
2.1 Familie, Erziehung und Ausbildung im bürgerlichen Kaiserreich
2.2 Grenzenlose Bürgerkultur
3. Jugend und Jugendbewegungen im deutschen Kaiserreich
4. Die wandernden Söhne die Wandervogelbewegung
4.1 Organisation und Tätigkeit
4.2 kulturelle Identität und Ideale kritische Auseinandersetzung mit der Wandervogelbewegung
4.3 Die Wandervögel transnational
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Gesellschaft des deutschen Kaiserreichs ist keinesfalls homogen, verschiedenste soziale Klassen und Gruppen mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Interessen, Bedürfnissen und Ansichten bilden die „Staatsbürger“ des Deutschen Kaiserreiches. Das Wort Staatsbürger, ein heute noch geläufiges und gebräuchliches Wort, impliziert, dass jeder „Bewohner“ des Staates auch immer ein Bürger ist. Bürger im Sinne eines Staatsangehörigen ja, im Sinne eines Teils der bürgerlichen Gesellschaftsschicht, dem sogenannten Bürgertum, nein. Im deutschen Kaiserreich existierten bäuerliche, arbeitende, bürgerliche und aristokratischadlige Gesellschaftsgruppen nebeneinander, miteinander und auch übereinander.1 Trotzdem wurde im Kaiserreich der soziale Aufstieg erstmals mögliche, vertikale Mobilität war nicht mehr nur Utopie. Die „Bürgerlichen“ als Teil einer Mittelschicht, die sich nach unten abgrenzen wollte und nach oben schaute. Bildung und Eigentum ermöglichten erstmals eine entscheidende Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen. Nur selten hatte eine gesellschaftliche Minderheit mit lediglich 5 bis 15 Prozent der Gesellschaft tatsächlich Macht.2 Die Zugehörigkeit zur Mittelschicht, dem Bürgertum, war gleichzeitig auch identitätsstiftend, eigene Normen und Werte und Lebensformen bildeten sich heraus, welche im Kaiserreich ihren Höhepunkt fanden. Das bürgerliche Leben als Spezifikum hatte verschiedene Orientierungspunkte, einer davon, vielleicht einer der wichtigsten, war das Leben in der Familie, die Erziehung der Kinder und das Herausbilden von „bürgerlichen Werten“. Im Zuge dessen kam die Jugend als eigenständiger Lebensabschnitt in den Blickpunkt bürgerlicher Philosophen. Der heranwachsenden Generation wurde vermehrt Aufmerksamkeit zu teil, als neue Hoffnung für neue Werte. 1895 schrieb die Münchner Zeitung „Jugend“: „Jugend ist Leben, Jugend ist Farbe, ist Form und Licht“3. Gleichzeitig wird sich aber die Jugend als soziale Gruppe ihrer selbst bewusst und bildet eigene Identitäts und Verhaltensmuster.4 Eines davon ist die Zelebrierung von freier Zeit als Gegenmodell des Arbeitseifers ihrer Vorgeneration und im Zuge dessen die Entstehung von Jugendvereinen und Jugendbewegungen. Die Jugend als Subkultur entwickelt eine eigene Dynamik, sie ist der Inbegriff von Neuerung, Zukunft und Freude. Um 1900 beginnt der „Aufbruch in das Jahrhundert der Jugend“. Im Zuge der vorliegenden Hausarbeit soll sich mit der Jugend als Lebensphase und Kultur im Deutschen Kaiserreich beschäftigt werden. Hierbei sollen vor allem Jugendbewegungen in den Blickpunkt genommen werden, die ihren Ursprung in der bürgerlichen Gesellschaft haben, mit dem Fokus auf der Wandervogelbewegung. Insgesamt soll der Untersuchung ein transnationaler Blick zu Grund liegen, sowohl in den Ausführungen zum Bürgertum im Kaiserreich Allgemein als auch in der Beschäftigung mit der Jugend als Lebensphase, Subkultur und Bewegung und insbesondere bei den Betrachtungen zur Wandervogelbewegung. Die Hausarbeit widmet sich der These: Bürgerlichkeit und Jugend im Kaiserreich stehen in einer Wechselbeziehung, welche sich in Form von Jugendbewegungen äußerte und transnationale Ausmaße annahm.
2. Das Bürgertum im Kaiserreich
Das Bürgertum als sozial abgegrenzte Klasse und Gruppierungen erreichte im Deutschen Kaiserreich vielleicht seine Blütezeit. Es hatte sich eine eigenständige Kultur entwickelt, in welcher die Arbeit geschätzt wurde, Religion, Besitz und Rechtschaffenheit waren die Maxime. Normen und Werte die ganz mit der Agenda des wilhelminischen Kaiserreichs übereinstimmten. Es hatte sich neben dem alten städtischen Bürgertum aber auch zwei neue Schichten herausgebildet das Bildungsbürgertum und das Wirtschaftsbürgertum. Der Bildungsbürger spielte besonders in Deutschland mit seiner recht spät einsetzenden Industrialisierung eine große Rolle. Im Zuge der Professionalisierung waren die gebildeten Eliten von Professoren, Lehrern, Ärzten und Anwälten mit ihrem hochspezialisiertem Leistungswissen5 unumgänglich. Als Mitglieder des bürokratischen Mahlwerks in Form vom Beamtentum stieg das Prestige der Bildungsbürger und sie verfügten über Einfluss in der politischen Entscheidungsfindung. Bildung und wissenschaftliche Forschung wurde zum Credo des neuen Bürgertums, frei nach dem Motto: Leistung und Fleiß müssen sich lohnen, als Gegenmodell zum privilegierten Geburtsadel. Die andere divergente Schicht hingegen berief sich auf ihr Kapitalvermögen, ihren Unternehmergeist und ihren Fortschrittsgedanken das Wirtschaftsbürgertum. Fabrikbesitzer, Banker und Direktoren hatten durch ihren hohen Einfluss in der kaiserzeitlichen Wirtschaft auch Mitspracherecht in Politik und Gesellschaft. Allen war der Wunsch nach Abgrenzung zu anderen sozialen Gruppierungen gemeinsam und das selbstbewusste Zugehörigkeitsgefühl zum Mittelstand. Gemeinsam prägten sie eine Gemeinschaftskultur der „bürgerlichen Gesellschaft“. Die materiellen und kulturellen Interessen der Wirtschafts und Bildungsbürger kamen im deutschen Kaiserreich weitestgehend zum Tragen.6 Bürgerliche Gesellschaft als Entwurf einer sozialen Ordnung meinte eine Gesellschaft mit gewissen Prinzipien dem Prinzip der individuellen Leistung7, von Vernunft und Selbstbestimmung. Hier muss aber auch angemerkt werden, dass diese bürgerlichen Postulate immer auch nur für einen Teil der Gesellschaft galten. Bürgerliche Gesellschaft sollte sich, zumindest nach den eigenen Ansprüchen, durch Chancengleichheit in (Aus)Bildung, Rechtssicherheit und sozialer Absicherung auszeichnen und das für alle Teile der Gesellschaft, also auch für die Frau. In dieser Hinsicht war das deutsche Kaiserreich noch weit von einer bürgerlichen Gesellschaft entfernt, trotzdem bildete sich eine bürgerliche Kultur heraus, welche zumindest den idealtypischen, inneren Kreis der Bürgerlichen in Werten und Vorstellungen prägte und zusammenhielt.8 Eine freiheitlichselbstbestimmte Grundhaltung und damit einhergehend regelmäßige, eigenverantwortliche und auch erfolgreiche Arbeit sind Grundsteine dieser Kultur. Tugenden wie Fleiß, Sorgfalt, Ehrgefühl und Pflichtbewusstsein werden nicht nur gefordert, sondern auch gefördert sowohl in der Familie als auch in der Ausbildung der nachkommenden Generation in Form von durchdachten Tagesrhythmen, Stundenplänen, strengen Vorgaben und hohen Erwartungen.9
2.1 Familie, Erziehung und Ausbildung im bürgerlichen Kaiserreich
Das bürgerliche Familienleben ist genauso vom Gegensatz der eigentlich geforderten Chancengleichheit und dem Recht auf Selbstbestimmung unabhängig von Geburt und Rang und der tatsächlichen Realität geprägt, wie die bürgerliche Gesellschaft an sich. Geschlechterrollen wurden stereotyp zugeschnitten, weibliche Unterordnung war fester Bestandteil der bürgerlichen Familienidylle. Während also der kaiserzeitlichen Frau ihr Wirkungskreis innerhalb der häuslichen Familie zugesprochen wurde,10 galt der Mann als beruflich erfolgreicher Versorger. Zwar galt gemeinhin Liebe und Neigung als Ideal einer bürgerlichen Familie, so kam eine reine Liebesheirat meist trotzdem nicht in Frage. Die finanzielle Situation des Bräutigams, seine Ausbildung und seine gesicherte berufliche Existenz waren elementare Voraussetzungen für eine Heirat.11 Hier wird also auch deutlich, dass beruflicher Erfolg und eine damit einhergehende schulische Ausbildung zumindest für die männlichen Nachkommen von hoher Bedeutung in der bürgerlichen Gesellschaft waren. Dementsprechend trat auch die Erziehung der Kinder und Jugendlichen an sich mehr in den Blickpunkt der Bürgerlichen. Man beobachtete das Heranwachsen der eigenen Nachkommen mit großem Interesse und versuchte schon früh, die nachfolgenden Generationen mit Erziehung in die richtigen Bahnen zu lenken. Erziehung wurde im Kaiserreich als absichtsvoller, teils sogar wissenschaftlicher Prozess bewertet und erwünschte Persönlichkeitsmerkmale bewusst gefördert.12 Auch wenn für die kindlichjugendliche Entwicklung erstmals mehr Verständnis aufgebracht wurde, waren die Ansprüche an die Heranwachsenden gleichsam hoch. Entscheidend war auch hier eine sehr geschlechtsspezifische Erziehung, in welcher die bürgerlichen Söhne schon früh in die Fußstapfen ihrer Väter treten mussten. Der Vater als Familienoberhaupt und Versorger galt als Vorbild für die Jungen, welche gleichzeitig seinen Erwartungen und denen der Gesellschaft, in denen männliche Bürger gleichzeitig materielle Güter und Lebenserfüllung erreichen mussten, entsprechen musste. Hohe Leistungserwartungen waren Alltag für bürgerliche Nachkommen, besonders ab dem Eintritt in das Gymnasium. Dieser war durch Stundenpläne stark reglementiert, welche sich auch in ihrer Frei und Ferienzeit fortsetzte. Der schulische Erfolg der bürgerlichen Söhne war entscheidend, auch für das gesellschaftliche Ansehen der Familie, wie ein Schreiben eines Vaters an seinen Sohn zeigt:
„Da der Heinrich wie eine leider nunmehr 14tägige Erfahrung zu meiner großen Betrübnis gelehrt hat in ungeregelter Tätigkeit und leichtsinniger Vergeßlichkeit fortlebt, überhaupt nicht imstande ist, seine Betriebsamkeit nach eignem freien Willen auf eine vernünftige und zweckmäßige Weise zu regeln, und im Verfolg dieser Regellosigkeit, die Schande für seine Eltern, der größte Nachteil für ihn selbst zu gewärtigen ist, so will ich ihm hiermit nochmals die Pflicht ans Herz legen und ihn auffordern: zur Ordnung, zum geregelten Fleiß, zur vernünftigen Einteilung seiner Zeit zurückzukehren, damit er ein nützliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft werde, und seine Eltern wenigstens zu der Erwartung berechtigt sind, daß auch diese Ermahnung nichts helfen wird [..J“13
Dieses Zitat zeigt sehr deutlich, welchem Leistungsdruck junge Bürgersöhne ausgesetzt waren. Die bürgerliche Gesellschaft als anstrebsame, soziale Ordnung wird hier angesprochen, genauso wie die Enttäuschung der Eltern (Schande für die Eltern). Ziel ist es, dem Einzelnen gesellschaftliches Verhalten einzuüben. Außerdem ist auch festzuhalten, dass im kaiserzeitlichen deutschen Reich eine privilegierte Stellung fast immer mit einer allgemeinen Bildung und einer entsprechenden schulischen Qualifikation einher geht.14
Es lässt sich also festhalten, dass sowohl das familiäre Zusammenleben als auch die Erziehung und Ausbildung der Heranwachsenden strikten Regeln unterlagen. Freiheit und Selbstbestimmung waren für die bürgerlichen Nachkommen lediglich eine Farce, vielmehr wurde ihr Leben und ihre berufliche Zukunft von ihren Vätern und reglementierten Vorgaben der Gymnasien bestimmt. Für die bürgerlichen Töchter war Chancengleichheit fast unerreichbar, vielmehr war ihr oft einziger Lebensinhalt der einer wohlerzogenen Ehefrau und Mutter.
2.2 Grenzenlose Bürgerkultur
Das Bürgertum als soziale Klasse und gesellschaftliche Gruppierung war natürlich kein alleiniges Phänomen Deutschlands oder des deutschen Kaiserreichs, auch in anderen modernen, vor allem westlichen Kulturen gab es verschiedene Formen der Mittelschicht. Das Bürgertum zeichnet sich durch ein hohes Bewusstsein über die eigene Kultur aus, auch deshalb, weil sich die Bürgerlichen des 19. Jahrhunderts ihre eigenen Normen und Werte bewusst schufen. Die bürgerliche Gesellschaftsordnung war keineswegs typisch deutsch, sondern findet sich auch in anderen europäischen Staaten wie England, Frankreich, Italien oder den Niederlanden wieder. Vernunft, Disziplin und Arbeit, sowie einen hohen Anspruch an Bildung und Familie zeigen sich auch in den Mittelschichten anderer Länder. Durch die neuen Innovationen im Kaiserreich, wie zum Beispiel die Transatlantikverbindung für Brief, Personen und Güterverkehr, die innereuropäischen Verbindungen durch die Eisenbahn, die Kommunikationsverbesserungen und der Ausbau von Bildungseinrichtungen entstand auch innerhalb der Bürgerlichkeit eine neue, grenzüberschreitende und internationale Ausrichtung. Die Bürger:innen erhoben den Anspruch einer weltbürgerlichen Schicht anzugehören, dazu gehörten sowohl geistige Offenheit als auch reale Reisen ins Unbekannte. Der bürgerliche Verleger und Gründer des Bibliographischen Instituts Joseph Meyer schrieb in seinem KonversationsLexikon dazu:
„In neuester Zeit... haben sich die Vergnügungsreisen auf außerordentliche Entfernung ausgedehnt. Gefördert wird diese Neigung durch Unternehmer, wie Cook and Son in London und Stangens Reisebüreau in Berlin, welche den Reisenden Fahrkarten für alle möglichen Eisenbahn und Dampferlinien, Kuopons für die Benutzung von Hotels zusammenstellen und. Gesellschaftsreisen veranstalten, bei denen Reisende unter der Leitung eines kundigen Führers die verschiedensten Länder besuchen und sogar Reisen um die Erde machen. Die erste solche Reise fand 187879 unter Leitung von K. Stangen statt, der in seinem Buche: ,Eine Reise um die Erde' (Berl. 1880) wichtige Fingerzeige für die Ausführung solcher Reisen gibt.“15
Eine überregionale Verknüpfung der Bürgerlichen war also durchaus ihr Anliegen, nicht nur in Vergnügungsreisen, sondern auch auf kultureller, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene. Die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft strebten eine internationale Verständigung an, wie auch das Beispiel der aufkommenden Weltausstellungen zeigte. So stand zwar schon während der (frühen) Neuzeit die Internationalisierung des Handels auf der Agenda Europas, während des 19. Jahrhunderts und speziell im deutschen Kaiserreich fanden aber auch philosophische Ideen, kulturelle Phänomene, Kunst und Musik Anklang über die nationalen Grenzen hinaus. Grund dafür ist auch die Organisation der Bürgerlichen in einer Öffentlichkeit, welche aus Vereinen und Interessenverbänden bestand. Gleichzeitig wurden aber auch wirtschaftliche Interessen stärker internationalisiert und transnationale Verbindungen gepflegt und gefördert, nicht nur durch Verträge, sondern gerne auch durch Heiraten. Oftmals fand ein transnationaler Austausch nicht nur in Form von Nachrichten statt, stattdessen waren Auslandsaufenthalte von Unternehmern und deren Söhne quasi ein gesellschaftlicher Standard. Durch große Wirtschaftsunternehmen mit überregionalen Außenstellen entstanden sogenannte „global player“. Diese haben nicht nur einen wirtschaftlichunternehmerischen Anspruch, sondern galten auch als Entwicklungslaboratorien für die neuesten Erfindungen und Entdeckungen.16 Das kaiserzeitliche Bürgertum lebt also von dem transnationalen Austausch und definiert sich schlussendlich auch darüber, als kulturell interessierte, gebildete Klasse. Gerade deshalb wuchs der Expansionsanspruch der bürgerlichen Mittelschicht des Kaiserreichs. Koloniale Bestrebungen und die „Kolonialschwärmerei“ waren durchaus bürgerliche Projekte. Zunächst getragen von den Wirtschaftsbürger, welche ihre kapitalistischen Interessen global durchsetzen wollten, später natürlich auch auf staatlicher Ebene. Doch die Besetzung der neuen Gebiete in Afrika und pazifischen Gebieten erfolgte durch bürgerliche Kaufleute wie Carl Peters oder Gustav Nachtigal. Das hohe Selbstbewusstsein der kaiserzeitlichen Bürger:innen führte auch zu einer gesamtgesellschaftlichen Arroganz, welche sich im wieder aufkommenden Missionarsgedanken zeigte. Gebildete Bürgerliche nahmen Rollen des Dolmetschers oder des Vermittlers ein zwischen den Wirtschaftsbürgern und der indigenen Bevölkerung, standen jedoch zumeist eindeutig auf der Seite des Kolonialherren.17 Der Überlegenheitscharakter der Bildungs und Wirtschaftsbürger wurde also in die Welt getragen, auf Kosten ganzer Bevölkerungsgruppen, Religionen und Kulturen. Grenzenlose Bürgerkultur war also keinesfalls ein rein positives Phänomen.
3. Jugend und Jugendbewegungen im deutschen Kaiserreich
[...]
1 Hardtwig, Wolfgang: Bürgertum, Staatsymbolik und Staatsbewußtsein im Deutschen Kaiserreich 18711914, in: Geschichte und Gesellschaft 16. Jahrg., H.3, (1999), S. 269295.
2 Budde, Gunilla: Blütezeit des Bürgertums Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, Darmstadt: WBG, 2009. S.5.
3 Zeitschrift „Jugend“ 1896, zitiert nach: Winfried Speitkamp: Jugend in der Neuzeit, Deutschland vom 16. bis 20. Jahrhundert. Göttingen 1998, S. 131.
4 Köster, Markus: Jugend, Wohlfahrtsstaat und Gesellschaft im Wandel, in: Forschungen zur Regionalgeschichte, Band 30, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1999. S.2.
5 Budde (Anm. 2) S.8.
6 Schäfer, Michael: Geschichte des Bürgertums, Köln: Böhlau Verlag, 2009. S. 167.
7 Budde (Anm. 2) S.11.
8 Ebd. S.13.
9 Ebd. S.13.
10 Kuhn, Bärbel: Die Familie in Norm, Ideal und Wirklichkeit, in: Plumpe, Werner/ Lesczenski, Jörg (Hrsg.): Bürgertum und Bürgerlichkeit zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, Mainz: von Zabern, 2009. S. 71.
11 Budde (Anm. 2) S.27.
12 Ebd. S. 34.
13 Hoffmann, Heinrich: Lebenserinnerungen. Frankfurt a.M.: 1985. S. 37f.
14 Wehler, HansUllrich: Das deutsche Kaiserreich 18711918. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1994. S. 123f.
15 Meyer, Joseph: KonversationsLexikon, 5. Aufl. Leipzig u. Wien 1896, S. 606609, Zit.:S.608.
16 Budde (Anm. 2) S. 124.
17 Ebd. S.128131.