Multikulturalität und Diversity. Eine Exkursion planen (10. Klasse Geographie Realschule)
Zusammenfassung
einzelnen Phasen vorgestellt. Im letzten Kapitel der Arbeit wird der didaktische Verlaufsplan mit allen Entscheidungen begründet. Zum Abschluss werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Alle verwendeten Materialien der Exkursion mit
Aufgabenstellungen für die SuS und Musterlösungen der Lehrkraft befinden sich im Anhang, ebenso wie alle Abbildungen und Fotos.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vorstellen des Phänomens
3 Darstellung des Fragwürdigen
4 Sachanalyse
5 Didaktische Analyse
5.1 Bildungstheoretische Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung und Vermittlungsinteresse
5.2 Didaktische Reduktion und Legitimation durch den Lehrplan
5.3 Problemorientierung und Lernziele
6 Didaktisierung
7 Reflexion zentraler didaktischer Entscheidungen
8 Zusammenfassung
Anhang
Literatur
Abbildungen
Abbildung 1: Außenansicht Haus auf der Mauer
1 Einleitung
In den Gemeinschaftsschulen und an Gymnasien in Deutschland liegt der Anteil der ausländischen Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2019/2020 bei 9,7%- 26,6%. Im Schuljahr 2014/2015 waren es 7,1% -19,2% (Statistisches Bundesamt 2020). Dies zeigt, dass die Anzahl der Schüler, welche aus einem anderen Land stammen, in den letzten fünf Jahren gestiegen ist und voraussichtlich in den nächsten Jahren auch weiter steigen wird. In meinem Praxissemester habe ich feststellen können, dass es fast in jeder Klasse einen ausländischen Schüler gab. Diese waren immer Teil der Klassengemeinschaft und wurden vollständig integriert. Allerdings ist mir aufgefallen, dass die anderen SuS über die Herkunft und das „neue“ Leben in Deutschland von ihrem Mitschüler kaum etwas wissen. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass wir Lehrer die Aufgabe übernehmen und unsere Schüler über die unterschiedlichen Kulturkonzepte informieren und sie für die Thematik sensibilisieren.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Planung einer Exkursion zum Thema der Multikulturalität und Diversity. Die SuS besuchen das Internationale Centrum Haus auf der Mauer und lernen dort zunächst am konkreten Beispiel die unterschiedlichen Kulturkonzepte kennen. In der anschließenden Vertiefungsstunde werden sie sich kritisch mit den Kulturkonzepten auseinandersetzen.
In der Arbeit werde ich zunächst das Haus auf der Mauer vorstellen und anschließend erläutern, warum ich diesen Ort in Jena gewählt habe und was der motivierende Lernanlass dabei für die SuS ist. Es schließt sich eine Sachanalyse und didaktische Analyse an, bei welcher die bildungstheoretische Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung und die Legitimation durch den Lehrplan genauer betrachtet werden. Des Weiteren wird der Ablauf der Exkursion mit Frage- und Aufgabenstellungen der Lehrkraft in den einzelnen Phasen vorgestellt. Im letzten Kapitel der Arbeit wird der didaktische Verlaufsplan mit allen Entscheidungen begründet. Zum Abschluss werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Alle verwendeten Materialien der Exkursion mit Aufgabenstellungen für die SuS und Musterlösungen der Lehrkraft befinden sich im Anhang, ebenso wie alle Abbildungen und Fotos.
2 Vorstellen des Phänomens
Um die SuS auf der Exkursion an das Thema der Multikulturalität und Diversity heranzuführen, wurde das Haus auf der Mauer in Jena als konkretes Beispiel für interkulturellen Austausch ausgewählt. Im Folgenden wird diese Einrichtung näher beschrieben.
Die Einrichtung befindet sich am Johannisplatz in unmittelbarer Nähe des Johannistors. Abbildung 1 zeigt, dass der Jentower, das Wahrzeichen von Jena, nur einige Meter weiter entfernt ist und das Haus im Stadtzentrum steht. Das Haus auf der Mauer wurde auf einem Teil der im 14. Jahrhundert gebauten Stadtmauer errichtet. Das Internationale Zentrum verwendet den Namen „Haus auf der Mauer“ im Sinn von einer Mauer als Grenze, die die unterschiedlichen Nationen und Kulturen trennt. In dem Haus begegnen sich diese und überwinden dadurch die bestehende Grenze (FINN 2021).
Das Internationale Zentrum wurde mit dem Ziel gegründet, dass vor allem den Studierenden der Friedrich-Schiller-Universität und der Ernst-Abbe-Hochschule ein interkultureller Austausch ermöglicht werden kann. Diese sollen die Möglichkeit erhalten, sich nach der Reise in ein fremdes Land schnell einzugewöhnen und dadurch einen leichteren Start in der neuen Stadt erleben zu können. Ebenso hatten die Gründer der Institution das Bestreben, den internationalen Studierenden ein Zusammentreffen zu ermöglichen, bei welchem sie Menschen der eigenen, aber auch andere Kulturen kennenlernen können und auf diese Weise die Möglichkeit von Kontaktknüpfungen bewirkt wird. Ein weiterer Grund ist, dass so Einsamkeit und das Gefühl des Alleingelassenseins verhindert werden kann (FINN 2021).
Im Haus auf der Mauer gibt es verschiedene Räume, welche von Studierenden, aber auch allen anderen Interessierten, genutzt werden können. Diese werden für Veranstaltungen, Partys, aber auch als Ort zum Lernen oder Üben eines Instrumentes vermietet. Der größte Raum des Hauses ist der Konferenzraum, der auch als Großer Saal bezeichnet wird. In diesem finden, wie der Name vermuten lässt, Konferenzen der Mitglieder statt. Ebenso werden unter anderem Tanz- sowie Kinoabende in dem Saal durchgeführt. Da dieser ebenfalls mit einem Klavier und Lautsprecherboxen sowie einem Beamer ausgestattet ist, wird der Konferenzraum des Öfteren für Privatfeiern und Musikunterricht genutzt. Im Oberlichtsaal befindet sich ein Café, welches von Studierenden betrieben wird. Eine Bar befindet sich ebenso in dem Saal, weswegen dieser als Treffpunkt des Hauses gilt. Hier wird gemeinsam mit Freunden ein Stück Kuchen gegessen und Pause gemacht vom Alltagsstress. Der Gewölbekeller wird vor allem für Partys genutzt. Da er einen Kühlschrank, Geschirrspüler und Kochplatten enthält, ist er der beliebteste Raum des Hauses, welcher am meisten vermietet wird. Des Weiteren gibt es einen PC-Raum mit Internetzugang und einen Seminarraum, in welchem beispielsweise Vorträge oder Sprachkurse stattfinden (FINN 2020).
Die Veranstaltungen, welche angeboten werden, sind von großer Vielfalt geprägt. Es gibt eine Beratung für internationale Studierende zu ihrem Leben und Studium im Jena, Sprachkurse und einen Interkulturellen Trainings- und Erfahrungsaustausch. Der Internationale Stammtisch, der auch als „Länderabend“ bezeichnet wird, findet einmal pro Woche statt. Dabei wird jeweils immer eine Kultur oder ein Land genauer vorgestellt. Mithilfe dieser Veranstaltung werden die meisten auf das Haus auf der Mauer aufmerksam und entdecken darüber auch die anderen Angebote. Damit ein Länderabend stattfinden kann, werden von den Hilfskräften, die als international scouts bezeichnet werden, Mitstudierende gesucht, die gerne ihr Herkunftsland vorstellen wollen. Dabei ist ihnen freigestellt, ob sie über das Land allgemein oder einen speziellen Teil ihrer Kultur sprechen möchten. Entweder einer oder mehrere Studierende planen den Abend. Sie erstellen eine 15-minütige Präsentation über das Thema, welches sie gerne vorstellen möchten. Es kam auch schon vor, dass der Nationaltanz eines Landes gemeinsam mit den anderen getanzt wurde. Anschließend gibt es für alle kostenloses Essen, welches von den Studierenden, die den Abend organisiert haben, gekocht wurde. Diese bekommen dafür bis zu 50€ vom Studierendenwerk zurück. Die Abende können als Stammtisch angesehen werden, da sie dazu dienen, dass sich die internationalen Studierenden nicht einsam fühlen müssen. Der Länderabend hilft ihnen, „Gleichgesinnte“ zu finden und über den Tellerrand zu blicken (FINN 2021).
Damit die Einrichtung aufrechterhalten werden kann, benötigt es viele Mitarbeiter. Der Hauptakteur ist das Studierendenwerk, welches auch der Geldgeber dieser Einrichtung ist. Das Studierendenwerk stellt eine Person, welche sich um die Koordination und Leitung der Projekte kümmert. Des Weiteren gibt es einen Teamleiter sowie vier Hilfskräfte. Diese Personen sind meistens Studierende, welche für ihre Funktion eine kleine Vergütung erhalten. Die Besucher der Einrichtung sind neben den Studierenden auch Interessierte wie Schüler, Touristen oder Bürger der Stadt Jena (FINN 2021). Warum wurde gerade das Haus auf der Mauer ausgewählt, um den SuS das Thema der Multikulturalität und Diversity zu erklären? Diese Frage wird im folgenden Kapitel beantwortet.
3 Darstellung des Fragwürdigen
Das Haus auf der Mauer ist, wie bereits im vorherigen Kapitel erläutert, ein Ort der Begegnung und des Austausches vor allem für Studierende. Da die Räumlichkeiten aber von allen Interessierten genutzt werden und Schulklassen ebenso Veranstaltungen durchführen können, habe ich mich bei der Exkursion für dieses Beispiel entschieden. Des Weiteren habe ich persönliche Erfahrungen mit dem Internationalen Zentrum gemacht und erleben dürfen, wie hilfreich die Angebote für die individuelle Situation eines jeden sind und der Kontakt mit „Gleichgesinnten“ die Lebensqualität erhöht. Mir ist aufgefallen, dass alle Menschen, die ich im Haus auf der Mauer kennengelernt habe, in einem sehr guten Verhältnis zueinander stehen. Mein erster Gedanke dabei war, wie dies erreicht werden kann. Diesen Gedanken, das Unverständliche, habe ich bei der Planung der Exkursion aufgegriffen und für diese als Frage- bzw. Problemstellung formuliert, die wie folgt lautet: Wie ist die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen überhaupt möglich? Das Thema, welches mithilfe der Frage angesprochen wird, ist die Multikulturalität und Diversity sowie der interkulturelle Austausch. Dabei werden die SuS das Thema sowohl von der pädagogischen Seite, als auch unter dem Aspekt der kritischen Stadtgeographie betrachten. Da die Schulklasse im Unterricht Interesse an unterschiedlichen Lebensformen zeigte, wird dies als motivierender Lernanlass genutzt.
Damit das Thema didaktisch und methodisch aufbereitet werden kann, benötigt es zunächst eine Sachanalyse, welche im nächsten Kapitel durchgeführt wird.
4 Sachanalyse
Bevor die einzelnen Kulturkonzepte vorgestellt und kritisch hinterfragt werden, soll zunächst der Begriff Migration im Sinne der kritischen Stadtgeographie erläutert werden.
„Migration [wird] als ein gesamtgesellschaftliches Verhältnis analysiert. Dieses Verhältnis wird sowohl durch die Beschreibung von Menschen als „Fremde“, „Ausländer_innen“ […] als auch durch deren beschränkten Zugang zu Wohn- und Arbeitsmärkten und/oder zum Bildungswesen hergestellt“ (HA & SCHNEIDER 20162 :48). Anhand dieser Definition lässt sich vermuten, dass die Gesellschaft geteilt ist. Zu dem einen Teil gehören alle Menschen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, zu der anderen Gruppe die Migranten. Diese Einteilung in Gruppen ist problematisch, da dadurch ein Prozess entstehen kann, bei welchem die Menschen neben der Gruppeneinteilung hierarchisiert und essentialisiert werden. Bezeichnet wird dieser Prozess als Rassifizierung (HA & SCHNEIDER 20162 :48). Bei einer kritischen Auseinandersetzung mit der Thematik wird der Rassismus in der Stadt analysiert und die gesellschaftlichen Konflikte entessentialisiert, wodurch Rassismus bekämpft werden kann (HA & SCHNEIDER 20162 :52). BUCKEL (20162:163) betont als Hauptaufgabe der kritischen Stadtgeographie, dass die Migration eine historische Normalität in jeder Stadt sei und die Auseinandersetzungen, egal ob gesellschaftlicher oder politischer Art, herrschaftskritisch untersucht und begleitet werden sollen.
Je mehr Menschen unterschiedlicher Kulturen in einem Land leben, desto größer ist die kulturelle Vielfalt. Wenn diese das Bestreben haben, andere Kulturen kennenzulernen, wird dies als interkultureller Austausch bezeichnet (REEB 2019). Eine Form der Verständigung bieten dabei Dialogforen, die von der Regierung erstellt wurden. In diesen haben Menschen die Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen und ihre eigenen Kulturvorstellungen mit anderen zu teilen. Da die Kommunikation hier ausschließlich online stattfindet, kann der Austausch auch in der aktuellen Zeit, während der Pandemie, erfolgen. Eine weitere Form ist die Face-to-Face-Kommunikation. Hier treffen sich die Interessierten an einem ausgewählten Ort, um dort im persönlichen Gespräch oder bei Präsentationen mehr über andere Kulturen und Lebenswelten zu erfahren. Der Exkursionsstandort „Haus auf der Mauer“ ist ein Beispiel für diese Form (Kapitel 2). Im Folgenden werden die Kulturkonzepte definiert und deren Nachteile dargestellt.
Eine Kulturidee ist die Multikulturalität. Darunter versteht man, „dass mehrere verschiedene Kulturen innerhalb einer Gesellschaft oder eines Staates nebeneinander leben“ (REEB 2019). Es handelt sich um verschiedene ethnische Gruppen einer Bevölkerung. In Jena gibt es beispielsweise Deutsche, Marokkaner, Italiener und Chinesen, welche alle eine andere Kultur haben und innerhalb einer Stadt zusammen leben. Beim Multikulturalitätskonzept wird nach Chancen der Toleranz, Akzeptanz und Konfliktvermeidung zwischen den Kulturgruppen in der Gesellschaft gesucht (REEB 2019). Da in diesem Konzept die Kulturen nur nebeneinander leben, entsteht ein Parallelgesellschaftsgedanke. Die einzelnen Gruppen berufen sich auf ihre kulturelle Identität, die unter anderem zur Ghettoisierung führt. Demzufolge wird die Herkunftskultur überbetont und ein wirklicher Austausch findet nicht statt. Es wird deutlich, dass bei der Multikulturalität das Trennende und nicht das Gemeinsame betont wird. Kritiker machen sogar das Konzept verantwortlich für die Ausbildung von Parallelgesellschaften (KOLLE 2020).
Ein weiteres Konzept ist die Interkulturalität, die wie folgt definiert wird: „Unter Interkulturalität versteht man das Aufeinandertreffen von zwei oder mehr Kulturen, bei dem es trotz kultureller Unterschiede zur gegenseitigen Beeinflussung kommt“ (REEB 2019). Die verschiedenen ethnischen Gruppen stehen dabei im Austausch. Begegnen sich Menschen unterschiedlicher Kulturen, kommt es zu wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Eigenen und Fremden. Dadurch entstehen kulturelle Überschneidungssituationen (KOLLE 2020). Wie im vorangegangenen Teil des Kapitels bereits erläutert, wird diese Form als interkultureller Austausch bezeichnet. Ebenso wie bei der Multikulturalität wird die Essentialisierung der kulturellen Zugehörigkeit und Differenz kritisiert. Des Weiteren werden die Menschen auf ihre Kultur reduziert, wodurch eine Stärkung der nationalen und ethnischen Unterscheidung erfolgt. Der Kulturbegriff wird von den Kritikern als Platzhalter für Rasse gesehen, da die neuen Formen von Rassismus kulturalistisch argumentiert werden (KOLLE 2020).
Das dritte Kulturkonzept, welches für die Exkursion von Bedeutung ist, stellt die Transkulturalität dar. Bei dieser Form werden Kulturen als nicht geschlossen und nicht voneinander abgrenzbar verstanden. Hierbei findet eine kulturelle Durchdringung statt. „Die Lebensformen enden nicht mehr an den Grenzen der Nationalkulturen, sondern überschreiten diese und finden sich ebenso in anderen Kulturen“ (KOLLE 2020). Daraus lässt sich ableiten, dass es keine Zuordnungen gibt beziehungsweise geben sollte. Diese Kategorisierungen und das „Schubladendenken“ fördern die Diskriminierung einzelner Gruppen. Im Gegensatz zur Multikulturalität und Interkulturalität hat der transkulturelle Ansatz den Vorteil, dass er die Essentialisierung von Kulturen vermeidet und den Menschen als komplexe Persönlichkeit sieht (KOLLE 2020).
Neben den Unterschieden zwischen Kulturen gibt es auch individuelle und strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Menschen und Gruppen. Diese werden im aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskurs unter dem Begriff Diversity zusammengefasst (HOFMANN 2013). Das Ziel ist es, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, Geschlecht, Religionszugehörigkeit sowie ihrer physischen und psychischen Fähigkeiten, dieselbe Anerkennung und Wertschätzung erhalten (RICHTER 20162:185). Dieses Wissen und die kritische Hinterfragung von gesellschaftlichen
Konventionen sollen die SuS am Tag der Exkursion und in der anschließenden Vertiefungsstunde erlangen (Kapitel 6).
Damit die objektive Beschaffenheit des Exkursionsstandortes von den SuS besser verstanden werden kann, eignen sich das erste und zweite Raumkonzept nach Wardenga (2002:8). Bei dem ersten Raumkonzept werden Räume als Container betrachtet. In diesem sind die Sachverhalte der physisch-materiellen Welt enthalten und Räume werden unter anderem als Prozessfeld menschlicher Tätigkeiten verstanden (WARDENGA 2002:8). Da beim Containerraum nicht reflektiert und alles als gegeben angesehen wird, ist das Haus mit seinen verschiedenen Räumen und deren unterschiedlicher Nutzung eine Hilfe, um das Phänomen besser beschreiben zu können. Die SuS erhalten dazu die Aufgabe, einen Hausrundgang durchzuführen (M6). Das zweite Raumkonzept betrachtet Räume „als Systeme von Lagebeziehungen materieller Objekte“ (WARDENGA 2002:8). Hierbei wird nach der Bedeutung des Standortes gefragt, in der Fragestellung für die SuS, warum das Haus auf der Mauer diesen Namen trägt, enthalten ist. Des Weiteren wird dabei die Lage im Stadtzentrum betrachtet. Wird bei einer Raumanalyse der Blick auf die Raumwahrnehmung und -bewertung von verschiedenen Akteuren gerichtet, werden Räume als Anschauungsformen gesehen (WARDENGA 2002:8). Der Länderabend, dessen Organisation und Durchführung sowie die Gefühle der ausländischen Studierenden und was sie mit dem Haus verbinden, sind unterstützende Aufgabenstellungen zur Betrachtung des dritten Raumkonzepts. Die persönlichen und gesellschaftlichen Normen und Konventionen, die für die Exkursion von Bedeutung sind, stellen die Kulturkonzepte und dessen kritische Betrachtung dar. Hier greift das vierte Raumkonzept, bei welchem Räume „in der Perspektive ihrer sozialen, technischen und gesellschaftlichen Konstruiertheit“ (WARDENGA 2002:8) aufgefasst werden. Anhand dessen lässt sich feststellen, dass alle Raumkonzepte bei dem Phänomen angewendet werden. Dies ist damit zu begründen, dass die SuS ihren Blick auf das Haus schärfen sollen, um dadurch zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Für die Schule und speziell den Unterricht ist die Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung sowie das Vermittlungsinteresse von zentraler Bedeutung. Im folgenden Kapitel werden diese beiden Aspekte beschrieben.
5 Didaktische Analyse
5.1 Bildungstheoretische Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung und Vermittlungsinteresse
Das Thema Multikulturalität und Diversity ist für die SuS von großer Wichtigkeit, da sie im Alltag viele Berührungspunkte damit haben werden. Unsere Gesellschaft ist vielfältig und jede Gruppe und jedes Individuum muss respektiert werden und Wertschätzung erhalten. Das Loslösen von gesellschaftlichen Normen und kritische Hinterfragen hilft den SuS bei der Erkennung von Rassifizierung (Kapitel 4). Da es immer unterschiedliche Gruppen in der Bevölkerung geben wird, ist die Thematik auch für die Zukunft relevant. Bei der Exkursion sollen die SuS zu neuen Einsichten gelangen. Dies erreichen sie durch selbsttätiges Lernen, welches ein interessengelenkter Erfassungsprozess ist (VIELHABER 1999:11). Vielhaber (1999:12) unterscheidet dazu vier Typen: das unreflektierte, technische, praktische und emanzipatorische Vermittlungsinteresse. In den Aufgabenstellungen, welche die SuS am Standort bearbeiten, finden sich neben den drei Aufgabenbereichen auch alle vier Typen von Vielhaber wieder. Der Schwerpunkt des Exkursionstages wurde auf das praktische und emanzipatorische Vermittlungsinteresse gelegt. Kein reflektiertes Vermittlungsinteresse ist im Lehrer-Schüler-Gespräch oder Frontalunterricht zu sehen, da hier nur eine Aufzählung oder Beschreibung von Fakten erfolgt. Die Vorstellung der einzelnen Räume im Haus auf der Mauer ist das Vermitteln solchen „toten Wissens“ (Vielhaber 1999:13). Beim technischen Vermittlungsinteresse werden einfache Prozesse beschrieben. Diese unterliegen einer „Wenn-DannRationalität“ (Vielhaber 1999:13). Die Frage nach der Organisation und dem Ablauf eines Länderabends gehört zu diesem Typ. Wird das Lernen handlungsorientiert und findet in teiloffenen sozialen Lernformen statt, wird vom praktischen Vermittlungsinteresse gesprochen. Das Thema wird hierbei in bestehende Normen eingebettet (Vielhaber 1999:12). Da das Subjektive mit einbezogen wird, lässt sich die Frage nach den Gedanken und Gefühlen der SuS diesem Typ zuordnen. Wendet man die Methode des kritischdidaktischen Blicks an, handelt es sich um das emanzipatorische Vermittlungsinteresse (Vielhaber 1999:12), welches durch die kritische Auseinandersetzung mit den Kulturkonzepten verfolgt wird. Mithilfe dieser Konzepte haben die SuS die Möglichkeit, ihr Denken zu reflektieren und einen möglichen Alternativnamen für die Bezeichnung „Länderabend“ zu finden.
Die Menge an Informationen zu dem gewählten Thema und der Fragestellung kann nicht in ihrer Gänze für den Unterricht verwendet werden. Das nächste Kapitel beinhaltet die Begründung der vorgenommenen didaktischen Reduktion und die Legitimation durch den Lehrplan.
5.2 Didaktische Reduktion und Legitimation durch den Lehrplan
Bevor die Exkursionsthematik mithilfe des Lehrplans legitimiert wird, ist eine Erläuterung der Lernvoraussetzungen notwendig. Bei der Schülergruppe handelt es sich um eine 10. Klasse einer Regelschule in, Thüringen. Die Klasse besteht aus 20 Schülern, wobei es elf Jungen und neun Mädchen sind. Einer der Jungen stammt aus der Türkei. Die Anzahl der leistungsstarken und leistungsschwachen Schüler ist ungefähr gleich groß, wobei sich die leistungsstarken Schüler unterteilen lassen in 2 SuS mit einem hohen Grad der Merkfähigkeit, 1 SuS, welcher die Fachsprache stets korrekt verwendet sowie 1 SuS mit einem hohen Grad an Abstraktions- und Denkvermögen. Die Klasse ist Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen und interessiert. Ebenso sind die meisten von ihnen sehr gesprächsbereit. Lediglich zwei Schülerinnen sind schüchtern und zurückhaltender.
Bei der didaktischen Reduktion wurde aufgrund der Exkursionsplanung die exemplarische Auswahl als Strategie verwendet. Dabei wird das Phänomen „Haus auf der Mauer“ so aufbereitet, dass anhand dessen allgemeine Strukturen deutlich werden. Diese können dann auch auf andere Fälle übertragen werden (SIEBERT 2009: 211). Im Thüringer Lehrplan für Regelschulen der 10. Klasse steht unter dem Aspekt der Sachkompetenz, dass der Schüler die soziokulturelle Vielfalt charakterisieren und den Begriff der Migration sachgerecht verwenden kann (TMBWK 2012:20). Beides wird während der Exkursion und in der Vertiefungsstunde von den SuS verlangt. Des Weiteren kann der Schüler „die weltweite Vernetzung von […] Personenströmen an Beispielen analysieren“ (TMBWK 2012:21). Da hier explizit von Beispielen gesprochen wird, ist meine didaktische Reduktion somit legitimiert. Weitere Kompetenzen, welche die SuS erlangen sollen, sind bei der Methodenkompetenz unter anderem „Der Schüler kann Informationen aus ausgewählten Fachtexten zielgerichtet und quellenkritisch verarbeiten“ und „eine Exkursion […] reflektieren“ (TMBWK 2012:21). Im Bereich der Selbst- und Sozialkompetenz kann der Schüler „in kooperativen Arbeitsformen eigenverantwortlich arbeiten […]“, „eigenes Denken und eigene Wertvorstellungen kritisch hinterfragen und konstruktive Schlüsse ziehen“ sowie „vorurteilsfrei mit verschiedenen Werten und Lebensweisen umgehen und sich diesbezüglich tolerant verhalten“ (TMBWK 2012:22). Neben dem Kompetenzerwerb weist der Lehrplan darauf hin, dass ein kritisch-geographischer Zugang für den Geographieunterricht von Bedeutsamkeit ist. Hierbei geht es um das kritische Hinterfragen von kulturellen Klischees (TMBWK 2012:5). Ebenso wird die Erstellung von Räumen durch das Handeln verschiedener Akteure in den Blick genommen (Kapitel 4). Auch die Exkursion als solche findet im Lehrplan Erwähnung. Die eigenen und nachhaltigen Handlungserfahrungen, welche die SuS beim Entdecken und Forschen vor Ort machen, werden hier besonders betont (TMBWK 2012:6).
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