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Wie kann Demokratiebildung in der Schule gelingen?

©2020 Hausarbeit (Hauptseminar) 12 Seiten

Zusammenfassung

Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt auf der Frage danach, wie Demokratiebildung im schulischen Kontext gelingen kann und welche Problemfelder beachtet werden müssen. Dass der schulischen Demokratiebildung in Deutschland ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird, geht zudem aus einem mit dem Schuljahr 2019 /2020 in Kraft getretenen Leitfaden des baden-württembergischen Kultusministeriums hervor. "Schule hat die Aufgabe, junge Menschen zu selbstverantwortlichem und demokratischem Handeln in der Gesellschaft zu befähigen."

Leseprobe

Demokratiebildung im schulischen Kontext

1. Einleitung

2. Demokratie-Lernen

3. Partizipation in einer demokratischen Schulkultur

4. Schulische und politische Partizipation

5. Grundschulkinder und Demokratie/Politik

6. Literaturverzeichnis

Demokratiebildung im schulischen Kontext

1. Einleitung

„Schule kann und soll sich als Ort erweisen, an dem Demokratie als dynamische und ständige Gestaltungsaufgabe [...] reflektiert und gelebt wird/“ (S. 2f.) — so steht es in einem Beschluss der Kultusministerkonfcrenz von 2018. Begründet wird dies mit einem Verweis auf die historische Entstehung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland und damit, dass eine „rechtsstaatlich verfasste Demokratie nicht selbstverständlich ist, [sondern] überzeugte und engagierte Demokratinnen und Demokraten [braucht]/“ (ebd.) Dass der schulischen Demokratiebildung in Deutschland ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird, geht zudem aus einem mit dem Schuljahr 2019/2020 in Kraft getretenen Leitfaden des baden-württembergischen Kultusministeriums hervor: „Schule hat die Aufgabe, junge Menschen zu sclbsnrcrantwortlichcm und demokratischem Handeln in der Gesellschaft zu befähigen.“ (S. 3) Das Erkenntnisinteresse dieses Aufsatzes liegt infolgedessen auf der Frage danach, wie die verbindlichen Vorgaben im Schulalltag umgesetzt werden können, wie Demokratiebildung im schulischen Kontext gelingen kann und welche Problemfclder beachtet werden müssen.

2. Demokratie-Lernen

Die Idee der Demokratiebildung gewann 2001 mit der Veröffentlichung des Konzepts »Demokratie-Lernen« von Himmelmann eine neue Bedeutsamkeit. Als Weiterentwicklung der Politischen Bildung stellt es keinen konträren Ansatz dar, sondern betont im Sinne der Öffnung von Politikdidaktik die enge „Beziehung zwischen dem bisherigen Politik-Lernen und den neuen Ansätzen des »Demokratie-Lernens«“ (Himmelmann 2003). Es verfolgt das Ziel, einen Beitrag „zur Stärkung und Vitalisierung der Demokratie“ (Himmelmann 2010, S. 21) zu leisten. Grundlage des Demokratie-Lernens ist die Unterscheidung von verschiedenen Demokratiedimensionen: Demokratie als Regierungsform, Demokratie als Gesellschaftsform und Demokratie als Lebensform (vgl. Bartnitzky 2008, S. 39f.). Alle Formen sollen im Rahmen des Demokratie­Lernens erfahrbar gemacht werden, der Fokus liegt aber auf dem Erleben einer demokratischen Lebensform. Edelstein schreibt dem Demokratie-Lernen drei Aufgaben zu: Demokratie lernen, Demokratie leben, Demokratie als Lebensform mitgestalten. Die Notwendigkeit dieser schulischen Aufgaben begründet Himmelmann damit, dass „Demokratie [...] gelernt werden [muss], um gelebt werden zu können und sie muss gelebt werden, um gelernt werden zu können/“ (in: Edelstein 2006, S. 66 zitiert nach Bartnitzky 2008, S. 40)

Eine demokratische Lebensform ist im Sinne der Reproduktionserfordernis darauf angewiesen, dass die nachfolgende Generation diejenigen Kompetenzen erwirbt, die für ein Leben in der Demokratie erforderlich sind (vgl. Edelstein 2010, S. 66). Recherchen meinerseits zum Begriff der Demokratiekompetenz haben ergeben, dass es derzeit kein einheitliches Verständnis darüber gibt, was genau darunter zu verstehen ist. Ursächlich hierfür ist unter anderem das Problem der Operationalisierung von demokratischen Kompetenzen. Zwar gibt es Modelle in denen politische Kompetenzen formuliert werden, diese orientieren sich aber häufig an den allgemeinen Zielen der Politischen Bildung, sind meist deskriptiv angelegt und somit nur eine Auflistung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, und arbeiten nicht die Unterschiede zwischen politischen und demokratischen Kompetenzen heraus (vgl. Veith 2010, S. 152).

Im Leitfaden zur Demokratiebildung des Kultusministeriums Baden-Württemberg werden vier Bereiche der Demokratiekompetenz benannt (S. 13). Für den Unterpunkt »Mitmachen üben« werden folgende Kompetenzen aufgeführt1: „Die SuS können eigene Neigungen, Interessen und Beteiligungswünsche formulieren. Die SuS können Möglichkeiten und Angebote zur Teilhabe und Beteiligung benennen und bewerten. Die SuS können Aufgaben, Aktivitäten und Projekte gemeinsam planen und umsetzen.“ (S. 33) Explizit für den Sachunterricht in der Grundschule werden im Rahmen von Demokratiebildung die Einführung von Möglichkeiten zur Verantwortungsübernahme sowie die Einführung von Möglichkeiten zur Beteiligung an Gestaltungsprozessen als Anregungsimpulse genannt (vgl. S. 39). Daraus lässt sich ableiten, dass sich die demokratischen Kompetenzen des Bereiches »Mitmachen üben« durch schulische Partizipation von Schülerinnen und Schülern aneignen lassen.

3. Partizipation in einer demokratischen Schulkultur

Im bereits zitierten Beschluss der Kultusministerkonferenz heißt es: „Schülerinnen und Schüler sollen so früh wie möglich an die Grundprinzipien unserer demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung herangeführt und mit ihnen vertraut gemacht werden.“ (S. 5). Partizipation kann als erweitertes demokratisches Grundprinzip verstanden werden, denn die wörtliche griechische Übersetzung von Demokratie lautet Herrschaft des Volkes (vgl. https://www.bpb.de/ nachschlagen/lexika/pocket-politik/16391/demokratie). Da dem Partizipationsbegriff keine einheitliche Definition zu Grunde liegt, kann eine begriffliche Annäherung über Synonyme erfolgen, die das online Wörterbuch des Dudens aufführt: das Teilhaben, Teilnehmen und Beteiligtsein (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Partizipation).

Das Konzept von Partizipation in Schule und Unterricht resultiert aus einem modernisierten Verständnis von Bildung und Lernen als eigenaktiver Prozess, bei dem die Eigenbeteiligung der Kinder und Jugendlichen als „Voraussetzung für gelingende Bildungs- und Entwicklungsprozesse“ (Alt et al. 2005, S. 25) gesehen wird. Partizipation im Rahmen einer demokratischen Schulkultur bedeutet infolgedessen, dass die Schülerinnen und Schüler am Schulleben und an der Schulentwicklung beteiligt sind (vgl. Reinhardt 2010b, S. 86). Winklhofer (2008, S. 61) stellt einen common sense in Pädagogik und Politikdidaktik darüber fest, dass die Schülerinnen und Schüler an sie betreffenden Entscheidungen und der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen sind. Die Ausgestaltung von Partizipation kann auf Ebene der Schule und der Klasse sowie auf außerunterrichtlicher und individueller Ebene erfolgen2. Ebenen- und Formübergreifend ist zu beachten, dass den Schülerinnen und Schülern durch die Implementierung von Partizipations­möglichkeiten ein tatsächliches Verantwortungslernen ermöglicht werden muss, damit ein Beitrag zur demokratischen Schulentwicklung und zur Förderung der Demokratiekompetenz geleistet wird. Beutel (2010, S. 84) zufolge lohnt es sich, Verantwortung als einen besonderen Aspekt der Schulqualität vielfältig im Lernen und im Schulalltag zu verwirklichen.

Lehrerinnen und Lehrer müssen hierbei die Vermeidung einer Scheinpartizipation im Blick haben, die die unterste Stufe von sieben Partizipationsausprägungen darstellt (vgl. Oser und Biedermann 2006, S. 34). „Kern des Problems ist [...] die Vortäuschung, dass man am Ganzen teilhaben würde“ (Reinhardt 2011, S. 6). Pseudopartizipation wahrt den Anschein einer Beteiligung der Schülerinnen und Schüler seitens der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Schulleitung und des pädagogischen Personals an schulischen Entwicklungsprozessen, die finale und verbindliche Entscheidungs­kompetenz obliegt aber nicht den Kindern und Jugendlichen (vgl. Knab 1987). Die Folge ist Demotivation bei den Lernenden und die berechtigte Wahrnehmung, dass sie nicht ernst genommen werden. Dies führt genau zum Gegenteil dessen, was die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern möchte, nämlich die Förderung des demokratisch-politischen Selbstbildes und der Selbstwirksamkeitserfahrung.

Als Problem führt Edelstein (2010, S. 67) die hierarchische Struktur des Schulsystems an, die den Regelfall darstellt und eine demokratische Lebensform in der Schule unmöglich macht. Sauerborn stellt diesbezüglich die Frage: „Wie weit lassen sich entsprechende Kompetenzen in der Grundschule grundlegen? Wie weit ist das System Schule offen für Mitbestimmung?“ (2007, S. 26) Zwei Aspekte müssen beachtet werden, damit Partizipation einen Beitrag zur Demokratie­kompetenz leisten kann: Erstens das Wissen darüber, dass die oberste Intensitätsstufe nach Oser und Biedermann (2006, S. 34), also die vollkommene Partizipation durch vollständig geteilte Verantwortung, im schulischen Kontext nicht erreicht werden kann. Punktuell ist dies unter Anwendung bestimmter Partizipationsformen durchaus realisierbar, aber bezogen auf den Unterricht und die Schule ist es nicht möglich, die Schülerinnen und Schüler in Gänze als gleichberechtigte Entscheidungsinstanz anzusehen. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, den Lernenden transparent zu machen, inwieweit sie partizipieren können. Die Schülerinnen und Schüler benötigen die Information „welche Form und welcher Umfang der Partizipation in einer schulischen Angelegenheit [vorliegt].“ (Reinhardt 2011, S. 3) Damit einhergehend bedeutet das für Lehrerinnen und Lehrer, den Lernenden (Mit-)Entscheidungskompetenzen zuzutrauen und bei vorliegendem Entscheidungsrecht ihr Votum zu akzeptieren. Dies leitet über zu zweitens: die veränderte Rolle der Lehrperson. Die Öffnung des Unterrichts auf Klassenebene bietet zahlreiche Möglichkeiten, den Kindern und Jugendlichen Partizipationsräume zu gewährleisten. „Selbst­tätigkeit der Schülerinnen und Schüler und die Möglichkeit, politisch zu handeln, setzt die Bereitschaft der Lehrenden voraus, entsprechende Räume dafür bereitzustellen.“ (Bisdorf 2004, S. 36) Auch wenn die Lehrkraft als Entscheidungsträger oder Entscheidungsträgerin fungiert, liegt es an ihm oder ihr, Partizipation zuzulassen.

Da die Förderung der demokratischen Kompetenzen durch Teilhabe der Lernenden nicht nur als Aufgabe der sozialwissenschaftlichen Disziplinen gelten kann, fordert Edelstein (2010, S. 75) die Aufnahme von Demokratiebildung als Thema der Lehrausbildung, die bisher als Domäne der Politischen Bildung proklamiert wurde. Insbesondere eine demokratische Schulkultur muss von allen am Schulleben Beteiligten getragen werden. Auch die Realisierung von Beteiligungschancen in den Unterrichtsfächern ermöglicht es Lernenden, Demokratie zu erleben. Im Schulgesetz für Baden-Württemberg ist der Erziehungsauftrag wie folgt formuliert: „Über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die Schule insbesondere gehalten, die Schüler zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen der freiheitlich-demokratischen Grund­ordnung zu erziehen“ (§1 (2)). Dementsprechend ist es die Aufgabe aller Lehrerinnen und Lehrer, die demokratischen Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler zu fördern. Demokratiebildung ist also kein Hoheitsgebiet der Politischen Bildung.

Beutel geht noch einen Schritt weiter: „Wenn wir vom Schulsystem erwarten, dass es ein breit gefächertes Angebot etabliert, [...] bei dem sie also für Demokratie lernen und zugleich in der Demokratie handeln, sind alle Schularten und Schulformen gefordert.“ (2010, S. 70) Aus diesem Zitat resultiert die Frage danach, inwieweit die Schülerinnen und Schüler durch schulische Partizipation tatsächlich in der Demokratie handeln bzw. in Zukunft handeln werden.

4. Schulische und politische Partizipation

2004 untersuchten Alt, Teubner und Winklhofer auf Datenbasis des DJI-Kinderpanels die Partizipation von 720 Grundschulkindern in Familie und Schule3. Ihr Erkenntnisinteresse lag auf dem Zusammenhang zwischen den beiden Erfahrungsbereichen.

Das Ergebnis der familiären Partizipation lautet: „Grundschulkinder werden heute in großem Umfang von ihren Eltern um ihre Meinung gefragt, wenn es um Dinge geht, die sie unmittelbar betreffen.“ (Alt et al. 2005, S. 28). Folglich gibt es nicht nur ein an Teilhabe ausgerichtetes modernisierte Lern- und Bildungsverständnis, sondern auch eine partizipatorisch bestimmte Kindheit im familiären Kontext.

Im nächsten Schritt erforschte die Autorengruppe die Auswirkungen von Partizipation in der Familie auf die Beteiligung der Kinder an schulischen Aktivitäten (vgl. ebd., S. 28). Das Ergebnis ist, „dass es einen positiven Zusammenhang zwischen den Partizipationsmöglichkeiten in Familie und Schule gibt. Kinder, die im Elternhaus Gehör finden, die es gewohnt sind, bei Familien­angelegenheiten mit zu entscheiden, nehmen auch im schulischen Bereich Möglichkeiten der Partizipation stärker wahr.“ (ebd., S. 30). Das abschließende Fazit der Studie lautet: Die Familie kann als Trainingseinheit für schulische Partizipation und als Übungsfeld der Demokratie gesehen werden (vgl. ebd.).

Führt man diesen Gedanken fort, kommt die Frage auf, ob dies auch für den Bereich der schulischen und politischen Partizipation gilt. Reinhardt formuliert es folgendermaßen: „Kann die Förderung von Partizipation im sozialen Nahraum auch die politische Bildung des mündigen Staatsbürgers bewirken?“ (2010a, S. 125). Sie hat 13 empirische Studienergebnisse analysiert und kommt zu dem Resultat, dass es keinen automatischen Übergang aus der sozialen in die politische Dimension gibt (vgl. ebd., S. 137). Ein natürlicher Transfer von der Mikro- auf die Makroebene findet somit nicht statt. Ist die These von Hentigs „Nur wenn wir im kleinen, überschaubaren Gemeinwesen dessen Grundgesetze erlebt und verstanden haben [...], werden wir sie in der großen polis wahrnehmen und zuversichtlich befolgen.“ (2003, S. 191) folglich falsch? Lohnt sich schulische Partizipation im Rahmen von Demokratiebildung dann überhaupt? Die Antworten lauten: nein und ja.

Bereits in Kapitel zwei wurde auf das Problem der Operationalisierung von demokratischen Kompetenzen hingewiesen. Selbiges Problem besteht auch bei dieser Thematik. Hinzu kommt das Fehlen von Längsschnittstudien, sodass der aktuelle Forschungsstand lediglich Indizien und Trends beschreibt (vgl. Reinhardt 2010a, S. 126).

[...]


1 Übersicht zu allen Leitfragen und Kompetenzen sowie Impulsen und Inhalten in: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2019, S. 22-33.

2 Übersicht zu den Ebenen und Formen von Partizipationsmöglichkeiten in der Schule. In: Reinhardt 2011, S. 7.

3 Informationen zum Studiendesign. In: Alt et al. 2005, S. 27.

Details

Seiten
12
Jahr
2020
ISBN (eBook)
9783346490322
ISBN (Buch)
9783346490339
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Erscheinungsdatum
2021 (September)
Note
1,7
Schlagworte
Grundschule Sachunterricht Lehramt Primarstufe Didaktik Pädagogik Demokratiebildung Demokratie Partizipation Demokratie-Lernen Politik Demokratische Schule
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