In dieser Arbeit wird anhand verschiedener Punkte darauf eingegangen und aufgezeigt, wie die Türkei, getrieben vom Neoosmanismus, sich zuungunsten des Westens zu einer Großmacht entwickelt. Ferner, ob die Anstrengung um einen Beitritt in die Europäische Union an der neoosmanisch forcierten Außenpolitik scheitern kann.
Eintreten in die Europäische Union und sich einer Supranationalität unterordnen oder sich als hegemoniale Macht im Nahen Osten behaupten? Kein anderer politischer Begriff prägt das Dilemma der türkischen Regierung die letzten Jahre wie der Neoosmanismus (türk. Yeni Osmancılık). Unter Mustafa Kemal Atatürk war die neu ausgerufene Türkische Republik 1923 darauf bedacht, sich Europa anzunähern. Darüber hinaus sollten europäische Sitten und Bräuche übernommen werden. Traditionelle osmanische Kleidungsstücke wie die Fes (eine weitverbreitete Kopfbedeckung) wurden verbannt. All dies gehört nun der Vergangenheit an. Es liegt die These nahe, dass der Neoosmanismus für den Kurswechsel der türkischen Regierung verantwortlich ist. In den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren hat sich durch den Neoosmanismus eine bis dato nicht bekannte offensive Außenpolitik der Türkei entwickelt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Neoosmanismus
3. Die EU-Betrittskriterien
3.1 Die Kopenhagener Kriterien
3.2 Rechtlichte Bedingungen
3.3. Politische Bedingungen
4. Das neue türkische Selbstbewusstsein
4.1 Aus der Perspektive des Neoosmanismus
4.2 Aus der Perspektive des EU-Beitritts
5. Fazit
6. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Eintreten in die Europäische Union und sich einer Supranationalität unterordnen oder sich als hegemoniale Macht im Nahen Osten behaupten. Kein anderer politischer Begriff prägt das Dilemma der türkischen Regierung die letzten Jahre wie der Neoosmanismus (türk. Yeni Osmancılık ). Unter Mustafa Kemal Atatürk war die neuausgerufene türkische Republik 1923 darauf bedacht, sich Europa anzunähern. Darüber hinaus sollten europäische Sitten und Bräuche übernommen werden. Traditionelle osmanische Kleidungsstücke wie die Fes (eine weitverbreitete Kopfbedeckung) wurden verbannt. All dies gehört nun der Vergangenheit an. Es liegt die These nahe, dass der Neoosmanismus für den Kurswechsel der türkischen Regierung verantwortlich ist. In den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren hat sich durch den Neoosmanismus eine bis dato nicht bekannte offensive Außenpolitik der Türkei entwickelt. In der vorliegenden Arbeit wird anhand verschiedener Punkte darauf eingegangen und aufgezeigt, wie die Türkei, getrieben vom Neoosmanismus, sich zuungunsten des Westens, sich zu einer Großmacht entwickelt. Ferner, ob die Anstrengung um einen Betritt in die Europäische Union an der neoosmanisch forcierten Außenpolitik scheitern kann.
Der erste Teil der Arbeit widmet sich der Begriffserklärung des Wortes Neoosmanismus und dessen Entstehungsgeschichte. Im Kapitel zwei geht es unter anderem um die Kopenhagener Kriterien, die um einen Eintritt in die Europäische Union gewährleistet zu bekommen, erfüllt werden müssen. Darauf baut Kapitel zwei durch Streitfragen auf wie die Nichteinhaltung der Pressefreiheit, den Zypernkonflikt und die immer für Furore sorgende Minderheitendiskussion, die von der Europäischen Union und der Türkei ausgehen. Im dritten Abschnitt wird das neue türkische Selbstbewusstsein, das aus einem Expansions- und Hegemoniestreben besteht, umfassend aufgezeigt. Das Aufzeigen obliegt, einerseits die Perspektive des Neoosmanismus und die der Europäischen Union. Bedeutet der Neoosmanismus eine Abkehr von alten Tradierungen à la Atatürk und hinein in die neue und moderne türkische Politik, die anführt und nicht geführt wird? Ferner ob der Neoosmanismus der Türkei bei den Anstrengungen um einen Eintritt in die Europäische Union erschwert und ob es genau an diesem einen scheinbar harmlosen politischen Begriff liegt. Ein Fazit und ein kurzer Ausblick auf die Problematik des vorliegenden Themas und eine kurze Evaluierung der aufgezeigten Punkte schließen die Arbeit ab.
2. Neoosmanismus
Wie einige andere politischen Denkströme ist der Neoosmanismus an den Neoliberalismus angelehnt. Der Neoliberalismus auf der einen Seite ,,steht für eine seit den 1930er-Jahren entstandene Lehre, die den Markt als Regulierungsmechanismus gesellschaftlicher Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse verabsolutiert’’ (Ptak 2007: 11). Zudem ist der Neoliberalismus in der Lage die Tagespolitik, die Medienöffentlichkeit und das Massenbewusstsein zu regulieren und zu bestimmen (vgl. ebd.). An diese Idee versucht sich der Neoosmanismus zu halten. Für die Türkei bedeutet diese Wortschöpfung Neo aus dem altgriechischen neos, auf Deutsch neu, und Osmanismus für das alte osmanische Reich eine politische Leitlinie. Um den heutigen Neoosmanismus verstehen zu können, muss die Geschichte des Osmanischen Reichs erläutert werden. ,,Das Osmanische Reich war in den 600 Jahren seines Bestehens ein Vielvölkerstaat, in dem alle Männer unterschiedslos zum Staatsdienst herangezogen wurden, aber man den einzelnen Gruppierungen eine relative Eigenständigkeit ihrer Religion und Kultur zugestand’’ (Schweizer 2008: 70). Somit gab es kein nationales Gefühl unter diesem Vielvölkerstaat. Dies sollte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ändern. Die Griechen erkämpften 1829 ihre Unabhängigkeit und formten einen Nationalstaat nach westeuropäischen Standards (vgl. Schweizer 2008: 71). Das Ereignis löste einen Dominoeffekt aus. Christliche Untertanen, Bulgaren, Rumänen, Armenier nahmen die Griechen zum Vorbild und der wachsende Separatismus der osmanischen Christen bedrohte den Vielvölkerstaat (vgl. ebd.). Solche historischen Ereignisse blieben selbstverständlich nicht unbeobachtet und folglich sehnten sich die Türken nach ihrem eigenen Nationalstaat. Angetrieben von der ,,osmanischen Oberschicht, die seit den Reformen Mahmuts II. um 1830 im Ausland, bevorzugt in Frankreich und Deutschland, studiert hatten und vom französischen Nationalismus’’ beeindruckt waren, entstand graduell ein türkisches nationales Gefühl auf (vgl. ebd.). Es sollten Jahre vorbeigehen bis zu den ersten Präsidenten Mustafa Kemal Atatürk erstmals ein breitgefächertes türkisches nationales Gefühl unter dem Vielvölkerstaat entstand (vgl. Schweizer 2008: 69).
Unter Kritikern aus dem Ausland, besonders aus dem europäischen und amerikanischem Raum, scheiden sich die Geister über die Auslegung des Wortes. Das Wort sei negativ behaftet und stünde für eine aggressive Angriffspolitik der Türkei. Nach dem Islamwissenschaftler Udo Steinbach ist der Neoosmanismus eine eigene Richtungsweise der türkischen Regierung. Vorbei seien die Tage, an denen man sich an den vorgegebenen Politikfeldern der USA und der Europäischen Union orientierte. Der Neoosmanismus bedeutet fortan für die Türkei eine aktive politische Teilnahme an der Weltpolitik, insbesondere aufgrund der geographischen Lage im arabischen Raum (vgl. Steinbach 2013: 31). Für den türkischen Politologen und ehemals Außenminister unter der1 AKP-Regierung Ahmet Davutoglu ist der Neosmanismus keine Rückbesinnung auf das einstige Osmanische Reich, sondern eine Akzeptanz der Türkei um ihre Vormachtstellung und ihre Repräsentanten Status im Nahen Osten. Ferner ist der Neosmanismus nach Davutoglu eine Neuerscheinung des Pax Ottomanas, die keine territorialen Ansprüche aufweise, sondern stets im Vordergrund als Friedensagent fungiere. Darüber hinaus sei die Türkei gekoppelt an den Neoosmanismus, um eine friedliche Wiederherstellung der politischen Beziehungen zu ihren arabischen Nachbarn stets bemüht (vgl. Erdmann; Herzog 2012: 2). Westliche und gar türkische Kritiker sehen im Neoosmanismus eine Abkehr von der kemalistisch geprägten Außenpolitik zu einer islamisch-orientierten Außenpolitik, die von der AKP-Regierung vorgegeben wird. Es liegt sogar die Vermutung nahe, die Türkei wolle unter Erdogan dem Westen den Rücken kehren (vgl. Steinbach 2013:31). Über die türkische Außenpolitik die um eine Vorreiterstellung im arabischen Raum und in der Weltpolitik bemüht ist, gehen die Meinungen weit auseinander.
3. Die EU-Betrittskriterien
3.1 Die Kopenhagener Kriterien
,,Die Idee der europäischen Einigung ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Ihre Geschichte reicht zumindest bis in das 14. Jahrhundert zurück: Dante Alighieri (1310), Pierre Dubois (1306), Georg Podiebrad (1464) [...] entwarfen Pläne universalistischer Herrschaftskonzeptionen’’(Pollak; Slominksi 2012: 13). Durch schon vorhandene europäische Herrschaftskonzeptionen sah sich die Europäische Union darin bestärkt im Jahre 1993 auf einem Europäischen Gipfel der EU-Staaten in Kopenhagen die EU-Beitrittskriterien zu erschaffen, die aus drei Hauptkriterien bestehen. Die Kriterien sind politisch, wirtschaftlich und legislativ. Sie dienen als Maßnahme, Länder die mit einem Beitritt in die Europäische Union liebäugeln, auf Diskrepanzen und ihre Beitrittsfähigkeit zu überprüfen. Die formulierten Beitrittskriterien sehen folgendermaßen aus:
Membership criteria – Who can join?
The Treaty on the European Union states that any European country may apply for membership if it respects the democratic values of the EU and is committed to promoting them.
[...]
1 Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung.