Die vorliegende Arbeit wird Sigmund Freuds Positionen zu Dichtung und Dichtenden schlaglichtartig vorstellen. Hauptbezugspunkt wird dabei sein Werk "Der Dichter und das Phantasieren" sein. Hieran sollen Freuds Überlegungen zum Wesen der Fantasie, der Dichtung und zum Dichter beleuchtet und diskutiert werden.
Die Beziehung von Literaturwissenschaft und Psychoanalyse ist eine komplexe. Sie eröffnet ein breites Spektrum an Forschungsfeldern rund um die Frage, inwieweit psychoanalytisches Wissen in literarischen Texten (und andersherum) erscheint und modelliert wird. Dabei spielt auch die Reflexion von Sigmund Freuds Ansichten über Sprachlichkeit und Phantasie sowie die Bedeutung der Literarizität seiner eigenen Schriften eine Rolle.
Inhalt
1. Einleitendes zu Psychoanalyse & Literatur
2. Der Dichter und das Phantasieren
2.1. Fantasie & Dichtung
2.2. Zum Dichter
3. Fazit
Quellenverzeichnis
1. Einleitendes zu Psychoanalyse & Literatur
Die Beziehung von Literaturwissenschaft und Psychoanalyse ist eine komplexe. Sie eröffnet ein breites Spektrum an Forschungsfeldem rund um die Frage, inwieweit psychoanalytisches Wissen in literarischen Texten (und andersherum) erscheint und modelliert wird. Dabei spielt auch die Reflexion von Sigmund Freuds Ansichten über Sprachlichkeit und Phantasie sowie die Bedeutung der Literarizität seiner eigenen Schriften1 eine Rolle.
Eine zentrale Bedeutung in seinem Werk spielt das Unbewusste2 - „für Freud nicht nur eine Dimension des Individuums, es beeinflusst auch die kulturellen Entwicklungen, die sozialen Prozesse und die künstlerischen und intellektuellen Schöpfungen. Deswegen berührt die Psychoanalyse auch andere Zweige des Wissens.“3 Einerseits „fand Freud es selbstverständlich, Naturwissenschaften mit Studien in Kunst und Literatur zu verbinden“4. Andererseits ergibt sich für ihn hieraus aber auch die Schwierigkeit, seinem „eigenen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit gerecht zu werden - (...) es gibt unzählige Arbeiten, in denen der Hauptschwerpunkt auf den literarischen Hintergrund der Psychoanalyse verlagert wird“5. Dennoch betont Freud, er sei ein Autor, „der nicht Poet, sondern Naturwissenschaftler ist“6.
Die Literatur war ihrerseits bestrebt, sich durch Verwissenschaftlichung zu legitimieren, etwa in dem sie naturwissenschaftliche Methoden mit literarischen Mitteln imitierte7. Im literaturwissenschaftlichen Diskurs breit und recht unterschiedlich rezeptiert, erfuhr Freuds Arbeit Ablehnung und Zustimmung gleichermaßen. Gemein ist der Psychoanalyse und der Literatur das Werkzeug der Interpretation des Symbolischen, kreisen doch beide um „die symbolisierende Tätigkeit der Phantasie“8. Eine weitere gemeinsame Grundlage ist der Bezug zum Seelenleben mitsamt seinen Wünschen und Affekten9.
Straboinski verweist darauf, dass die Psychoanalyse in einem Kulturklima, in dem der Anteil der Literatur nur schwer von einem Kontext wissenschaftlicher Ideen und Ideen über Wissenschaft, zu trennen ist.10 Sigmund Freud vereint beide Disziplinen in der psychoanalytischen Literaturwissenschaft, die durch seine Methode der Traumdeutung sowie das gleichnamige Werk11 geprägt ist. „Von gewissen typischen Träumen ergab sich z.B. das Verständnis mancher Mythen und Märchen. (...) Ein anderer Weg leitete von der Traumforschung zur Analyse der dichterischen Schöpfungen und endlich der Dichter und Künstler selbst.“12
Mögliche Korrelate zwischen der Psychoanalyse Freuds und den Geisteswissenschaften wurden bereits in der ab 1912 erschienenen Imago diskutiert, der Zeitschrift für Anwendungen der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften. Herausgegeben wurde sie von der Psychologischen Mittwoch-Gesellschaft. Freud hatte diesen Arbeitskreis 1902 initiiert, der durchaus auch Mitglieder ohne medizinischen oder psychoanalytischen Hintergrund hatte. Bald lag der Fokus der Imago- Beiträge auf psychoanalytischen Diskursen mit literaturwissenschaftlichem Schwerpunkt. „Die Interessen der wichtigsten Mitarbeiter lagen nun einmal bei der Mythen- und Märchenforschung einerseits, der Ästhetik und Künstler-Psychologie anderseits.“13 In Das Unbehagen in der Kultur finden sich später nicht wenige Passagen, in denen Freud explizit auf literarische Texte samt ihrer Urheber verweist - so zitiert er unter anderem Goethe und Schiller, um seine eigene psychoanalytische Theorie zu untermauern. Er nutzt die Literatur gewissermaßen als Interpretament für die Psychoanalyse. In seiner Schrift Der Dichter und das Phantasieren verfahrt er entgegengesetzt und untersucht literarische Texte nach psychoanalytischen Schemata. Im Fokus steht dabei vor allem auch der Prozess des Dichtens. Bildlich gesprochen legt Freud den Dichter auf die Couch und untersucht das Symptom Dichtung. Der Text fungiert dabei als Gespräch, als die Selbstauskunft des Klienten, die der Psychoanalytiker deutet, um eine Diagnose stellen zu können.
Im Folgenden wird die Arbeit Sigmund Freuds Positionen zu Dichtung und Dichtenden schlaglichtartig vorstellen.14 Hauptbezugspunkt wird dabei Der Dichter und das Phantasieren sein15. Hieran sollen Freuds Überlegungen zum Wesen der Fantasie, der Dichtung und zum Dichter beleuchtet und diskutiert werden.
2. Der Dichter und das Phantasieren
1908 verfasst Freud den Aufsatz „Der Dichter und das Phantasieren“. Den Ausgangspunkt für diesen Text bildet dabei seine folgende Überlegung:
Uns Laien hat es immer mächtig gereizt zu wissen, woher diese merkwürdige Persönlichkeit, der Dichter, seine Stoffe nimmt (...) und wie er es zustande bringt, uns mit ihnen so zu ergreifen, Erregungen in uns hervorzurufen, deren wir uns vielleicht nicht einmal für fähig gehalten hätten.16
Freud geht dabei vornehmlich der ersten Frage auf den Grund. Zum einen sucht er nach der Inspirationsquelle des Dichters, zum anderen versucht er Grund und Ursache des Dichtens selbst zu ergründen.
2.1. Fantasie & Dichtung
Einleitend stellt er eine Analogie zwischen Spiel (er führt das Spielen von Kindern an17 ) und Fantasie bzw. dem Fantasieren her. Er stützt dieses Argument zunächst mit korrelierenden sprachlichen Begrifflichkeiten und verweist auf das Schau-, Trauer- oder Lustspiel. Mit zunehmendem Alter nimmt das kindliche Spiel ab. „Der Heranwachsende hört also auf zu spielen (...); anstatt zu spielen, phantasiert er jetzt.“18 Sigmund Freud wähnt diese Fantasien als zumeist intim und schambehaftet, weshalb sie häufig geheim gehalten im Verborgenen bleiben. Damit bleiben sie nach Freud gleichermaßen unbefriedigt. Er schlussfolgert daraus, dass der Glückliche nie fantasiert, sondern nur der Unbefriedigte. Den unbefriedigten Wünschen kommt dabei die Rolle der treibenden Kraft der Fantasie sowie der (Tag-) Träume zu. Die Fantasie wiederum imaginiert die Erfüllung eines Wunsches zur Korrektur der unbefriedigenden Wirklichkeit.
Aus seiner Berufspraxis heraus kategorisiert Freud die Wünsche männlicher und weiblicher Klienten als jeweils geschlechterspezifisch: Die Fantasien von Männern kreisten im Kem überwiegend um die Erhöhung der eigenen Person in Status, Ansehen oder Einfluss. Frauen hegten hingegen erotische Wünsche. Aus heutiger Sicht mag diese Unterteilung sehr pauschal und stereotypisiert erscheinen. Andererseits gilt es zu bedenken, dass der gesellschaftliche Stand einer Familie sich Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts nicht unerheblich an den o.g. Parametern, und damit nicht zuletzt am Beruf und Vermögen des Mannes bemaß. Die Beobachtung dahingehender Wünsche oder Fantasien scheint deshalb seiner Zeit plausibel. Dass die heutige Perspektive auf Geschlechtlichkeit und tradierte Rollenbilder eine andere ist, braucht an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. In der Kaiserzeit war die bürgerliche Gesellschaft eine männerdominierte. Die konventionelle Rollenverteilung schrieb den Männern die Sphäre der Berufs- und Erwerbsarbeit, den Frauen die Bereiche Haushalt und Familie, zu. Mit dem Ideal der weiblichen Häuslichkeit ging auch eine Tabuisierung von Erotik einher. Ein Umstand, der auch in der damaligen zeitgenössischen Literatur aufgegriffen wurde, etwa vom Schriftsteller des Wiener Fin de Siècle Arthur Schnitzler, mit dem Sigmund Freud Briefkorrespondenzen führte. Dass die Unmöglichkeit, eine eigene, selbstbestimmte Sexualität zu leben, zu erotischen Wünschen und Fantasien führt und sich diese nach Freud in der Folge mehrheitlich bei Frauen beobachten ließen, scheint unter Berücksichtigung des zeitlichen Kontexts nicht unwahrscheinlich. Heutige pauschale Sexismus- Vorwürfe an Freuds Auffassungen sind deshalb nicht völlig haltlos, in der Rezeption sollte aber beachtet werden, dass Freuds Lehre heute in einigen Punkten historisch überholt oder zumindest von der Geschichte konditioniert ist. Ihr Geschlechterbild, ihr Verständnis abweichender sexueller Praktiken, ihr Körpermodell und ihre Kulturtheorie waren stark geprägt von der Epoche des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Freuds strenger Dogmatismus und die unerbittliche Konsequenz seiner Lehre lassen sich heute nur nachvollziehen, wenn man den gesellschaftlichen Puritanismus dieses versunkenen Zeitalters berücksichtigt, gegen den sie aufgeboten wurde.19
[...]
1 Vgl. Alt, 2008, S. 2.
2 „Die (...) Psychoanalyse besagt, daß die seelischen Vorgänge an und für sich unbewußt sind und die bewußten bloß einzelne Akte und Anteile des ganzen Seelenlebens.“ (Freud, 1917, S. 14).
3 Pfeiffer, 2.
4 Einer, S. 53.
5 Ebd., S. 49.
6 Freud, 1900a, S. VIII.
7 Vgl. Einer, S. 40.
8 Freud, 1900a, S. 88.
9 Vgl. Fischer, S. 9.
10 Straboinski, S. 85.
11 In der 1900 erschienenen Traumdeutung nimmt Sigmund Freud Träume als Wunscherfüllung an. Er formuliert darin die These, dass sich unterdrückte Triebe und Wünsche im Traum artikulieren, indem sie im Schlaf vom Unbewussten ins Bewusste drängen. Eine psychische Kraft wirkt dabei zensierend, sodass die Träume sonderbar entstellt wirken können. Freud geht davon aus, dass Träume meist in der Kindheit wurzeln sowie sexuelle Hintergründe haben. In späteren Werken knüpft er hieran an und entwickelt seine Trieb- und Sexualtheorie.
12 Freud, 1914, S. 4.
13 Fischer, S. 6.
14 Der vorgegebene Umfang dieser Arbeit ermöglicht hier nur exemplarische Einblicke und kann das Thema nicht in Gänze abdecken.
15 „1908 publiziert Freud in einer literarischen Zeitschrift (Neue Revue) einen grundlegenden Aufsatz, den man als Basistext der psychoanalytischen Literaturinterpretation bezeichnen könnte. Der Text mit dem Titel der Dichter und das Phantasieren hält sich zunächst an das (damals dominierende) produktionsästhetische Interesse und versucht den dichterischen Schaffensprozess zu erklären.“ (Pfeiffer, 2.4).
16 Freud, 1924, S. 101.
17 Vgl. ebd., S. 102.
18 Ebd., S. 103.
19 Alt, 2016.