Diese Arbeit beschäftigt sich mit den Diskrepanzen zwischen politischen Kontexten und ihrer Sprachlichkeit. Es soll die Frage beantwortet werden, wie Sprache mithilfe vergleichbarer Medien zur Manipulation genutzt wird.
Sich artikulieren zu können, gehört zu den Grundfähigkeiten eines erfolgreichen Politikers. Mithilfe bestimmter Schlagworte, dem Ideologievokabular, wird eine Blase der Identifikation und Zugehörigkeit geschaffen. Dies ist die Basis der politischen Sprache, welche sich von Zeit zu Zeit unterscheidet.
In den vier Hauptkapiteln wird eingangs, nach der Einleitung, zunächst die politische Sprache hinsichtlich ihrer Merkmale und Funktionen erläutert. Im Anschluss folgt die Auseinandersetzung mit der Sportpalastrede (von Goebbels und ein Beispiel für die Nazi-Zeit) und der sogenannten Abgrenzungsrede (von Honecker und ein Exampel für die DDR) zwecks eines Charakterisierungsversuchs des politischen Sprachgebrauchs dieser beiden Zeitabschnitte.
Dies obliegt der Methode der Quellenanalyse, welche in einem parametergeleiteten Vergleich mündet. Daran knüpft eine Einordnung der Rhetorik in verschiedene Manipulationstaktiken nach Albrecht Müller, unterfüttert mit der aristotelischen Lehre zum Anspruch von Reden.
Ein besonderes Augenmerk wird in dieser Arbeit auf die sprachliche Analyse der einzelnen Reden gelegt, neben der historischen Einordnung.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die politische Sprache
2.1 Merkmale
2.2 Funktionen
3 Sprache als Manipulationsinstrument
3.1 Charakterisierung der Rhetorik in verschiedenen politischen Kontexten
3.1.1 Sprache im totalitären System
3.1.2 Sprache im autoritären System
3.2 Vergleich der Rhetorik in verschiedenen politischen Kontexten
3.3 Manipulationstaktiken und ihr Nachweis anhand der Reden
4 Fazit – Beantwortung der Problemfrage anhand ausgewählter Parameter
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Einleitung
Schon seit einer geraumen Zeit interessiere ich mich sehr für die Sprache. Seien es kleine Spitzfindigkeiten im alltäglichen Umgang mit Menschen der ganz besonderen Art oder einfach der Nervenkitzel während einer hitzigen Diskussion und die Tatsache, dass der Mensch in Rage dazu neigt, sprachlos zu werden und sich zu wiederholen. Ganz nach dem Motto, desto häufiger ich es sage, desto wahrer wird es.
Und das stimmt leider auch: Wir können unserem Gehirn eine Wahrheit vorgaukeln, indem wir uns eine Lüge andauernd eintrichtern lassen. Albrecht Müller bezeichnete die Manipulationstaktik folgendermaßen: „Wiederholen - Steter Tropfen höhlt den Stein“ (Müller, Albrecht (2019): Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Wie man Manipulationstaktiken durchschaut. 8. Auflage. Frankfurt am Main, Westend Verlag).
Man wird quasi mundtot geschlagen, je öfter man mit einem bestimmten Wortlaut konfrontiert wird. Wer dafür verantwortlich ist, spielt dann keine Rolle mehr. Der Gedanke hat sich festgesetzt und wird bestenfalls noch an dritte Personen weitergetragen.
Fakt ist, dass das nicht die einzige Art und Weise der sprachlichen Einflussnahme auf Denk - und Handelsmuster sind. Es gibt noch eine Fülle an anderen Ansätzen der Manipulation; vor allem im politischen Diskurs.
Welche das sind, wird im Rahmen der Seminararbeit „Sprache und Manipulation in verschiedenen politischen Kontexten“ anhand der Problemfrage „Wie wird Sprache mithilfe vergleichbarer Medien zur Manipulation des Volkes genutzt?“ erarbeitet.
Um die Problemfrage zu klären, beziehe ich mich auf den deutschen Raum und fokussiere mich auf den Nationalsozialismus (NS) und die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Ich möchte anhand dieser Beispiele eine Sprachanalyse betreiben, um im Anschluss einen Vergleich zwischen diesen beiden Systemen hinsichtlich ihrer Sprachkultur anzufertigen. Mich interessieren dabei besonders die Gemeinsamkeiten im Wortschatz, aber dessen unterschiedliche Nutzung, um die jeweils gewünschte Botschaft an den Rezipienten zu transportieren.
Eingebettet werden diese Charakterisierungen in Fakten bezüglich der politischen Sprache - Definition, Merkmale und Funktionen - sowie in Methoden der Manipulation und deren aktiven Umsetzung. Im Anschluss findet das Fazit statt, in welchem ich meine Problemfrage möglichst multiperspektiv beantworten möchte.
In diesem Sinne ist es ausschlaggebend, sich mit der Methodik der Analyse als auch Interpretation von Schriftquellen zu befassen. Geplant ist, dass jeweils eine Rede pro politisches System beleuchtet wird und die Analyseergebnisse zu Gunsten der Charakterisierung zusammengefasst werden, ehe sie für den Vergleich als auch den Nachweis der Manipulationstaktiken synthetisiert werden.
In meiner Arbeit möchte ich mich somit auf unterschiedliches Quellenmaterial stützen, unter anderem auf die Untersuchungen des Philologen Klemperers zur Sprache des Nationalsozialismus und Müllers Ausarbeitung zum Thema, wie Manipulation durchschaut werden kann.
Die beiden betrachteten Reden fungieren nicht nur als Stellvertreter für den Sprachgebrauch im NS und der DDR, sondern auch als Repräsentanten für ein totalitäres beziehungsweise autoritäres System.
Dazu seien noch einmal kurz die Definitionen zum totalitären beziehungsweise autoritären System angemerkt:
Unter einem totalitären System versteht sich eine Herrschaftsform, die die Gesellschaft in jeder Fassette (Beruf, Familie, Erziehung) kontrollieren möchte. Andere politische Ansichten werden nicht zugelassen und Gegner verfolgt (Vgl. Schneider, Gerd/ Toyka-Seid, Christiane. (2020): Totalitäres System. https://m.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/321249/totalitaeres-system (Stand: 22.11.2020)).
Diese Beschreibung passt zu dem Herrschaftssystem des Nationalsozialismus.
In Kontrast dazu wird staatliches, autoritäres Handels als eine Herrschaft definiert, in der das demokratische Mitwirken der Gesellschaft in der Politik verhindert wird und keine Kritik mittels der Presse beziehungsweise Medien allgemein ermöglicht wird. Hier wird nicht angestrebt, die Bevölkerung gänzlich gleichzuschalten (Vgl. Schneider, Gerd/ Toyka-Seid (2020): Autoritär. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17136/autoritaer (Stand: 22.11.2020)).
Die Deutsche Demokratische Republik gilt als ein Beispiel dieser Staatsform.
2 Die politische Sprache
In der Politik kommt der Sprache eine substanzielle Bedeutung zu: Heiko Girnth definiert sie nicht nur als ein Instrument, sondern als „Bedingung ihrer Möglichkeiten“. Das heißt, dass sie als Voraussetzung für die Politik gesehen werden könnte. Des Weiteren lebt die Politik vom sprachlichen Handeln, was anhand des Beispiels „den Rücktritt erklären“, erkennbar wird (Vgl. Girnth, Heiko (2010): Einstieg. Sprache und Politik. https://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/42678/einstieg (Stand: 29.08.2020)). Es ist eine verbale Formulierung, auf die eine festgelegte Reaktion folgt: der Rückzug und die daran anknüpfende Kapitulation. Somit dient die politische Sprache als Ausdruck des politischen Handels.
Allerdings wird sie auch zwecks der Aufmerksamkeitserregung genutzt. Denn in ihrer Diversität von Funktionen und Möglichkeiten, bildet sie die rechte Hand eines jeden Politikers. Vor allem in der sogenannten Darstellungspolitik, das heißt, der öffentlich zur Schau gestellten Politik, kommt sie zum Tragen. Denn je nachdem, mit welchem rhetorischen Geschick und dem damit einhergehenden Kalkül der Politiker sich in TV-Debatten beispielsweise präsentiert, ist es ihm möglich, sich zu profilieren.
Ein stichhaltiger und überzeugender Auftritt erlaubt es ihm, seine Wertvorstellungen (sowie die der Partei) an die Öffentlichkeit zu transportieren. Oftmals wird hierfür das sogenannte Ideologienvokabular angewandt. Dieses ist jedoch nicht zu verwechseln mit den historisch negativ konnotierten Weltanschauungen, sondern beschreibt jene Schlagwörter, die mit dem Programm und Werten der Partei des Politikers verknüpft sind.
Diese Schlagworte sind Teil der strategischen Maxime: Sie werden genutzt, um mit dem Rezipienten eine emotionale Verbindung einzugehen. Allerdings muss das Ideologienvokabular auch im Sinne der kommunikationsethischen Maxime angewandt werden, damit die Absicht dahinter beim Publikum greifen kann. An die politischen Botschaften wird folglich ein hoher Anspruch gestellt: Sie sollen so simpel und klar wie möglich formuliert werden, aber einen Deutungsspielraum lassen, sodass sich jeder Bürger und jede Bürgerin mit dem Inhalt identifizieren kann.
Damit einher geht oftmals auch das Schwarz - Weiß - Denken, um die Bedeutung der zu fällenden Entscheidung, zu welcher der Zuhörer ermuntert werden soll, zu unterstreichen.
Für die politische Sprache ergeben sich so unterschiedliche Fassetten: Sie ist zum einen pragmatisch behaftet, da sie Wähler und Wählerinnen generieren und erhalten soll und zum anderen bildet sie gleichzeitig die bewusst wahrgenommene Möglichkeit des Politikers, sich positiv zu inszenieren, während er seinen Gegner abwertet.
Diese zweite Seite wird durch den Pragmatismus bedingt und gefördert, da auch die Inszenierung des Politikers einem pragmatischen Zweck obliegt - seinem Erfolg, Einfluss und so auch seinem Gewicht in der politischen Branche.
Bedingt durch den stetig progressiven Prozess der Digitalisierung stehen Politikern eine breite Palette der medialen Kommunikationskanäle - auch mündliche Interaktionstypen genannt - offen, sich mehreren Gruppen von Adressaten zu widmen. Über solche Kanäle wird schließlich ein Millionenpublikum erreicht, das sich aus den verschiedensten Zielgruppen zusammensetzt. Umso wichtiger ist es nun, sich verständlich und präzise zu artikulieren.
2.1 Merkmale
Wie aus den oberen Zeilen hervorgeht, zählen zu den zentralen Merkmalen der politischen Sprache die Massenmedialität und Öffentlichkeit. Allerdings lassen sich noch drei weitere Merkmale anführen, um diese politisch Sprache zu charakterisieren.
Als erstes weiteres Merkmal lässt sich die Gruppenbezogenheit und Repräsentanz anmerken. Die politische Kommunikation ist ein Zusammenspiel aus Wettbewerb und Meinungskonfrontation. Somit treffen in ihr allerlei verschiedene Deutungen und Interpretationen von Sachverhalten aufeinander. Um möglichst effizient aufzutreten und einen möglichst großen (und breitgefächerten) Adressatenkreis anzusprechen, wird ein gruppenspezifisches Bewusstsein konstruiert. Diese Konzentration auf wenige, aber ausführlich bearbeitete Aspekte sind eng mit dem jeweils angewandten Ideologienvokabular verknüpft. Wiederfinden lässt sich dies vor allem im Wahlprogramm und dem damit verbundenen Wahlkampf und seinen Kampagnen.
Daraus resultiert das Merkmal der Prozessualität und Diskursvernetzung. Darunter versteht sich die Einbettung der politischen Kommunikation und Sprache in einen übergeordneten Zusammenhang. Das heißt, dass der Anlass klar auf der Hand liegt – ein Wahlkampf beispielsweise. Typischerweise nutzen Akteure hier einen auf die Zukunft ausgerichteten Wortschatz, der einen Vergleich zur Vergangenheit schafft, aber die gegenwärtige Lage eher ausklammert. Wahlversprechen sind daher eine elementare und strategische Grundlage.
Nichtsdestotrotz wird die politische Sprache auch gewissen Reglementierungen unterworfen. Dieses Merkmal nennt sich Institutionsgebundenheit. Unter ihr lassen sich jegliche Normen und Rahmenbedingungen fassen, die direkten Einfluss auf die Art und Weise der angewandten Sprache nehmen. Themenordnungen zum einen oder Rederechte und -dauer zum anderen. Allerdings auch ethnische Grundsätze wie das Sanktionieren von Beleidigungen und die Präferenz der höflichen, aber unmissverständlichen Kritik, sind Teil der Institutionsgebundenheit. Ebenfalls werden jegliche Richtlinien zum Rechts- und Staatwesen darunter verstanden: Wird sich im Rahmen einer Demokratie bewegt? Ist die Äußerung vertretbar und angemessen?
2.2 Funktionen
Die vier Funktionen, die Girnth für die politische Sprache aufzeigt, beschreiben die Kommunikationsrichtungen und generellen Beziehungen zwischen den „Regierenden“ (den Politikern) und den „Regierten“ (die Bürger und Bürgerinnen).
Die regulative Sprachfunktion meint die Kommunikationsrichtung vom Politiker zum Bürger: Dem politischen Akteur wird das Recht der Mitteilung und zur Umsetzung der gegebenen Machtstrukturen erteilt. Ein Beispiel hierfür wären Gesetzesformulierungen. Schließlich werden diese im ausgewählten Kreis von Politikern bestimmt und im Anschluss an den Bürger und die Bürgerin weitergetragen.
Die entgegengesetzte Kommunikationsrichtung wird in der poskativen Sprachfunktion verankert. Nun obliegt es dem Bürgertum Fragen, Forderungen, Wünsche und Einsprüche an die regierenden Politiker zu tragen. Ersichtlich wird dies in Demonstrationen oder Projekten, die nicht - staatlich organisiert wurden.
Treten beide Funktionen gleichzeitig auf, fällt dies in den Definitionsbereich der informativ - persuasiven Sprachfunktion. Diese betont den wechselseitigen Prozess der Kommunikationsebenen. Das heißt, während der Politiker motiviert, überzeugt und begründet (seinen Beruf ausübt), obliegt es dem Bürger, direkt Kritik und Forderungen zu formulieren sowie nach Rechtfertigungen zu bitten. Diese Form der Beziehung findet sich vor allem in einer live präsentierten Wahlkampfrede vor einem Auditorium wieder.
Im Gegensatz zu den oben genannten Funktionen, zielt die integrative Funktion darauf ab, die politische Sprache als Identifikationsmittel und Stabilisierungsinstrument der angesprochenen Mitglieder einer Adressatengruppe sowie ihre Abgrenzung nach außen hin zu begreifen. Das hier zum Verständnis benötigte Stichwort ist das Ideologienvokabular, da dieses erforderlich ist, um einen Adressatenkreis generieren zu können. Auffällig wird diese Sprachfunktion innerhalb der jeweiligen Parteiprogramme, auf denen der Umgang im politischen Diskurs basiert.
3 Sprache als Manipulationsinstrument
Manipulation - ein Begriff, den wir mit gezielter Beeinflussung in Verbindung bringen. Oftmals klebt der Touch des Ungewollten am Begriff. Manipulation wird damit assoziiert, dass jemanden etwas aufgezwungen wird. Die Krux darin ist jedoch, dass das Opfer meist gar nicht bemerkt, das es manipuliert wird. Es wird unterbewusst eine Marionette in einem Spiel um Kontrolle und Macht und dazu ermuntert, zum Ziel des Manipulanten aktiv beizutragen (Vgl. Spektrum.de (Hrsg., n.a): Lexikon der Psychologie. Manipulation. https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/manipulation/9152 (Stand: 21.11.2020)).
Die Person, die diese direkte Einflussnahme auf Denk - und Handelsmuster vornimmt, kann sich dabei verschiedenster Methoden bedienen. Grundvoraussetzung für den Erfolg ist jedoch die Sprache.
Inwiefern die Sprache ein essenzielles Instrument für eine erfolgreiche Manipulation darstellt, wird in den nächsten Seiten geklärt.
3.1 Charakterisierung der Rhetorik in verschiedenen politischen Kontexten
Sprache ist nichts, das konstant ist. Viel eher ist sie progressiv und durchläuft einen Wandel. Dieser Sprachwandel vollzieht sich nicht nur in der Umgangssprache, sondern auch im politischen Diskurs und beeinflusst damit das Ideologienvokabular der zeitgenössischen Politiker.
Da sich jedes politische System dadurch kennzeichnet, von unterschiedlichen Strömungen geprägt zu werden, wird im Folgenden der Versuch verübt, die Sprache im totalitären System zum Autoritären abzugrenzen.
Dafür wird das vergleichbare Medium der Rede herangezogen.
3.1.1 Sprache im totalitären System
Um die Sprache im NS zu beleuchten, wird die Rede „Proklamation des totalen Krieges“ vom 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast betrachtet.
Jegliche Quellenangaben, die sich auf Phrasen der zugrunde liegenden Textquelle berufen, entstammen der folgenden Quelle: 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert (Hrsg.,2010): Joseph Goebbels. Rede im Berliner Sportpalast [„Wollt ihr den totalen Krieg“]. 18.Februar 1943.https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0200_goe&object=translation&l=de (Stand: 11.11.2020).
Die Rede wurde von Joseph Goebbels vor einem von ihm selbst ausgesuchten Publikum gehalten. Zu Goebbels lässt sich festhalten, dass er am 29. Oktober 1897 in der Nähe Mönchengladbachs geboren wurde. Im Alter von 48 Jahren verstarb er am 1. Mai 1945 im Führungsgebäude der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Berlin - eine Woche vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Bereits in seiner Jugend zollte Goebbels der Literatur und Rhetorik hohes Interesse, weshalb er später auch Germanistik studierte und sich als Journalist versuchte. Doch zu Zeiten der Weimarer Republik blieb der erhoffte Erfolg aus. Das Blatt wendete sich durch den Einfluss Hitlers. Bereits 1926 wurde er zum Gauleiter Berlins ernannt und 1933 zum Leiter des Ministeriums für „Volksaufklärung und Propaganda“. Er war somit einer der Minister unter der Führungsherrschaft Hitlers und diesem treu ergeben.
Seine rhetorischen Künste nutzte er, um in Form von Zeitschriften wie „Der Angriff“ und „Das Reich“ die Weltanschauung Hitlers und der NSDAP großflächig zu publizieren.
In der „Proklamation des totalen Krieges“ wird deutlich, dass es eine seiner zentralen Aufgaben gewesen ist, das Volk für den Krieg zu mobilisieren und ihren Glauben in die deutsche Kriegsführung zu stärken.
Dementsprechend ist es ihm auch ein Bestreben gewesen, den NS weiterhin zu preisen und als eine Rettungsmission darzustellen. Denn wie es aus der primären Textquelle hervorgeht, sei der totale Krieg die einzig militärische Lösung, die in einem schnellen, sicheren Sieg enden würde (Vgl. S.13,Z.30f.) und damit das Abendland, worunter auch Deutschland zählt, vor dem negativen Einfluss des Judentums und Bolschewismus zu beschützen (Vgl. S.6, Z.24-30; Vgl. S.7, Z.41).
Diese Intention gewinnt umso mehr an Bedeutung, wenn die historischen Umstände betrachtet werden. Im Februar 1943 befand sich Deutschland in einem brutalen Stellungskrieg mit der Roten Armee Russlands. Es zeichnete sich ab, dass diese die Oberhand an der Ostfront gewinnen würde - der Kriegsschauplatz Stalingrad war bereits aufgegeben worden und ähnliche Zustände wurden auch von weiteren Konfrontationspunkten gemeldet und registriert.
Bekannterweise endete der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945, doch schon im späten Winter 1943 verlor der Großteil der deutschen Bevölkerung den Glauben an den Sieg. Deswegen kann Goebbels Rede auch als ein Versuch dessen gewertet werden, diesen Vertrauensverlust zu revidieren. Bereits Tage vor seiner Rede hat Goebbels die Gesellschaft auf den Aufruf zum totalen Krieg vorbereitet, indem er die Presse damit beauftragt hat, zahlreiche Stimmungsbilder zu verbreiten (Vgl. S.71, Herrschaft durch Sprache. Politische Reden, hrsg. von Schirren, Thomas, Ditzingen, 2014).
Wie bereits erwähnt, ordnete Goebbels seine Rede den beiden Themenschwerpunkten „Aufruf zum totalen Krieg“ und „Sieg über den Judentum und Bolschewismus“ unter. Zum ersteren lässt sich hinzufügen, dass der Totale Krieg den kompromisslosen Einsatz aller - jedes Bürgers und jeder Bürgerin – erfordere (S.12, Z.47f.). Allerdings sei diese absolute Ausrichtung der Wirtschaft und Gesellschaft auf den Krieg keine permanente strukturelle Umstellung der Ökonomie, sondern „[…] ausschließlich [eine] Notmaßnahm[e] für die Kriegszwecke und Kriegsbedürfnisse […]“ (S.20, Z.3-7).
Hinsichtlich des zweiten Themenkomplexes „Judentum und Bolschewismus“ lässt sich erwähnen, dass Goebbels im Bolschewismus primär die „[…] Weltrevolution der Juden […]“ (S.7, Z.8) sehe, die „[…] eine Bedrohung des Reiches und des europäischen Kontinents […]“ (S.6, Z.24f.) darstelle. Um diesen zu besiegen (Vgl. S.19, Z.29), bedarf es jedoch eines „[…] tödlichen Schlag[es] […]“ (S.23,Z.2).
Ausgehend davon lässt sich auch formulieren, dass dieser Vernichtungsversuch des Bolschewismus die Legitimation für den totalen Krieg und seinen Konsequenzen für die Soldaten und Zivilisten gilt. Goebbels bezeichnet diese Kriegsführung deswegen auch als „[…] Gebot der Stunde […]“ (S.11, Z.49).Seine gesamte Darbietung ist folglich als Appell zu verstehen, am totalen Krieg teilzuhaben.
Um die Quintessenzen seiner Rede zu vermitteln, bedient Goebbels sich einer klaren Textgliederung und Argumentationsstruktur. Er beginnt mit einer geschlechterübergreifenden Anrede „Meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen!“ (S.4,Z.13) und schildert im Anschluss die Situation der deutschen Wehrmacht in Stalingrad. Bereits hier zeichnet sich ab, dass er die beginnende Niederlage nicht an den militärischen sowie zivilen Ressourcen per se festmacht, sondern am Verwendungszweck dieser.
Nach dieser Berichterstattung folgen Redesequenzen, die thematisch sortiert und teils auch mit Teilüberschriften versehen wurden: Als Exempel lassen sich „Die Stunde drängt!“ (S.5, Z.10) oder „Es war zwei Minuten vor zwölf!“ (S.6, Z.16) anführen.
Der Themenblock unter der zweiten Teilüberschrift - in dem es hauptsächlich darum geht, dass Goebbels die Importanz der Mission des deutschen Volkes, das Abendland vor dem Bolschewismus zu retten, unterstreicht und darauf verweist, dass dies auch so rasch wie möglich passieren müsse – ist in drei Thesen strukturiert, die der Redner vorab nennt und im Anschluss vertieft.
Auffällig in der Gestaltung seiner Argumente ist, dass Goebbels sich oft auf Autoritäten des Volkes zurückbesinnt. Auf Seite 17 wird dieses Phänomen deutlich: Goebbels predigt, dass der spartanische, effiziente Lebensstil nun von immenser Bedeutung sei und notwendig dafür wäre, den Krieg zu entscheiden (Vgl. S.17, Z.20f.) Das heißt, man solle sich nicht mehr „[…] in tausend Kleinigkeiten verzetteln […]“ (S.17, Z.16), sondern dem Führer dabei zur Hand gehen, die Arbeit und Sorgen, die er sich macht, zu lindern (Vgl.S.17, Z.21-25). Goebbels betont dieses Verhaltensideal, indem er den Führer als Idol deklariert - ihm gelingt dies mittels der Formulierung: „[…] wie der Führer dem ganze Volke ein Beispiel gibt […]“ (S.17, Z.21).
Auch auf der vorherigen Seite nutzt Goebbels Hitler bereits als Maßstab für gesellschaftlich akzeptables Verhalten in Kriegszeiten und verleiht somit seinen Argumenten gegenüber seines tief nationalsozialistisch verankerten Auditoriums ein besonderes Gewicht.
Aber nicht nur der Führer ist eine Autoritätsfigur, mit der Goebbels seine Argumente intensiviert, sondern auch der preußische König und Kurfürst des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches Friedrich II. (S.20, Z.21). Diesen charakterisiert er als „[…] große[n] König […]“ (S.20, Z.29) mit einem „[…] eherne[n] Herz[, das] jede Gefahr überwand […]“ (S.20, Z.30f.).
Als weiteres auffälliges Element in der Gestaltung der Rede lassen sich die zehn Fragen an den Zuhörer und die Zuhörerin am Ende der Rede benennen, die Goebbels mit einem ähnlichen Wortlaut wie der Anrede „[…] [i]ch möchte […] an euch, meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen, eine Reihe von Fragen richten […]“ (S.21, Z.22f.) einleitet und damit abschließt, dass er dadurch nun auch als ein „[…] Sprecher des Volkes […]“ (S.23, Z.30) funktionieren könnte.
Schlussendlich beendet er seine Rede mittels eines Fazits, in welchem er erneut pointiert, dass der Sieg nicht mehr weit sei und nur noch die Entschlusskraft aufgebracht werden müsste, alles diesem militärischen Ziel unterzuordnen (Vgl. S.24, Z.20ff.) Er ruft deswegen final auch zum metaphorisch konnotierten Aufstehen und Losbrechen des Volkes auf (Vgl. S.24, Z.22f.).
In Ableitung dessen ergibt sich eine vielschichtige Textsprache. Es treten zum Teil informativ gefärbte Elemente auf. Als Beispiel dafür lässt sich die Schilderung der Situation an der Ostfront, insbesondere in Stalingrad (Vgl. S.4), anführen.
Hier schimmert auch ein emotionaler Unterton durch, als Goebbels formuliert, dass es für ihn erschütternd gewesen sei, dass „[…] die heldenhaften Kämpfer von Stalingrad […] vielleicht zum letzten Male […] die Nationalhymne[…] gesungen hätte […]“ (S.4, Z.24-29).
Jedoch liegt in der Rede vorwiegend ein appellativer Tonfall vor, der vor allem durch die Ausdrücke sowie des Ausrufezeichens:„[…] Wir müssen im Osten wieder offensiv werden! Wir müssen dazu die nötigen Kräfte […] mobilisieren […].“ (S.13, Z.31f.) ersichtlich wird.
Theoretisch könnte auch vermutet werden, dass hier ein manipulierender Sprachgebrauch vorliegt - wovon auch eine lange Zeit wegen der stark ideologisch gefärbten Wortwahl des gesamten Textes ausgegangen wurde. Jedoch ist diese Prämisse wissenschaftlich widerlegt worden, mit der Begründung, dass das Publikum ein bewusst ausgesuchtes gewesen ist und nicht zufällig der Rede im Sportpalast seine Aufmerksamkeit schenkte (Vgl. S.71f., Herrschaft durch Sprache. Politische Reden, hrsg. von Schirren, Thomas, Ditzingen, 2014).
In den obigen Zeilen wurde bereits angesprochen, dass Joseph Goebbels selbst fest im nationalsozialistischen Gedankengut verankert gewesen ist. Daraus ergibt sich eine tiefe Verbundenheit und Treue zur Ideologie des NS, die sich unter anderem durch „[…] eine scharfe Trennung in Gut und Böse […]“ (S.71, Herrschaft durch Sprache. Politische Reden, hrsg. von Schirren, Thomas, Ditzingen, 2014) auszeichnet. Diese Trennung bezieht sich darauf, dass sich der Nationalsozialist als Teil eines Kampfes gegen den Bolschewismus und Judentum begreift.
Goebbels tiefe Verwurzelung zum NS kann anhand seiner sprachlichen Darstellung nachgewiesen werden, die sich einer Bandbreite von rhetorischen Stilmitteln bedient.
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