Sozialismus und Autoritarismus innerhalb der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands
Zusammenfassung
Auch dieses Jahr tritt eine Partei an der Bundestagswahl 2021 an, welche von den etablierten Parteien wohl kaum als Konkurrenz wahrgenommen werden dürfte: die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands. Der Name der 1982 gegründeten Partei lässt ihre linksextremistische, sozialistischen Denkweise bereits erahnen. Aufgrund ihres ebenso dogmatischen Charakters sprechen Helmut Müller-Enbergs (2008), Rudolf van Hüllen (2018) sowie Armin Pfahl-Traughber (2020) hierbei auch von einer "politischen Sekte".
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Einleitung
Sozialistische Vorläufer und Gründungsgeschichte der MLPD
Der KABD als Vorgängerorganisation der MLPD
Parteigründung 1982
Sozialistische Programmatik der MLPD
Die Ideologien Stalins und Maos als Grundelemente der Programmatik der MLPD
Analyse des Parteiprogramms von 2016
Sozialistische Strukturen und Handlungsfelder der MLPD nach innen und nach außen
Sozialistische und autoritäre Strukturen innerhalb des Aufbaus und der Organisation der MLPD
Wahlen als Instrument der Propaganda
Öffentlichkeits- und Gewerkschaftsarbeit als Mobilisierung des Proletariats
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Auch dieses Jahr tritt eine Partei an der Bundestagswahl 2021 an, welche von den etablierten Parteien wohl kaum als Konkurrenz wahrgenommen werden dürfte: die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands. Der Name der 1982 gegründeten Partei lässt ihre linksextremistische, sozialistischen Denkweise bereits erahnen. Aufgrund ihres ebenso dogmatischen Charakters sprechen Helmut Müller-Enbergs (2008), Rudolf van Hüllen (2018) sowie Armin Pfahl-Traughber (2020) hierbei auch von einer „politischen Sekte“.
Diese Seminararbeit soll versuchen, den sozialistischen Charakter der Partei nach innen und nach außen genauer zu untersuchen und die Frage aufklären, ob es sich tatsächlich um eine linksextremistische Partei handelt. Anfangs wird hierbei auf die Historie der aus der „68er-Bewegung“ entstandenen Partei eingegangen, um auf den Ursprung ihres traditionalistisch-sozialistischen Weges zu kommen. Des Weiteren werden die Ideologien der Diktatoren Stalin und Mao als wichtige Grundpfeiler der marxistisch-leninistischen Ideologie der MLPD vorgestellt, ehe das aktuelle auf dem X. Parteitag in Sonneberg verfasste Parteiprogramm untersucht und analysiert wird. In einem letzten Schritt werden Sozialistische Strukturen und Handlungsfelder der MLPD nach innen und nach außen dargestellt, hier mit einem besonderen Augenmerk auf die interne, autoritäre Struktur der Partei selbst, die Nutzung der Partei von Wahlen als Propaganda- und Agitationsplattform sowie die Öffentlichkeits- und Gewerkschaftsarbeit zu Zwecken der Mitgliedergewinnung.
Sozialistische Vorläufer und Gründungsgeschichte der MLPD
Um den sozialistischen Charakter der MLPD und dessen Entstehung genauer verstehen zu können ist eine Betrachtung der Entstehungshistorie der Partei unabdingbar. Ihre Ursprünge findet sie in zahlreichen marxistisch-maoistischen Gruppierungen, sogenannten „K-Gruppen“, welche Abspaltungsgruppierungen der Deutschen Kommunistischen Partei entsprangen (vgl. Müller-Enbergs 2008: 169f.). Auf jene Gruppen soll nun, mit einem besonderen Augenmerk auf die langlebigste dieser Art, dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD), im folgenden Kapitel näher eingegangen werden und die Entstehungsgeschichte der MLPD dadurch verdeutlicht werden.
Der KABD als Vorgängerorganisation der MLPD
Ihren Ursprung fanden die „K-Gruppen“ in der in der 1960er-Jahren aktiven „68er-Bewegung“, deren Anhänger jeweils in einem antiautoritären sowie einen traditionalistischen Flügel gespalten waren (vgl. Pfahl-Traughber 2020: 98). Während sich Befürworter einer traditionalistischen Denkweise nach dem Zusammenbruch der 68er-Bewegung der DKP zuwandten und in dieser politisch mitwirkten, gingen zahlreiche Anhänger des antiautoritären Lagers, dessen Großteil das Werk Maos vertrat, zu den eben genannten K-Gruppen über (vgl. Ebd.). Die Ideologie jener letzteren Gruppierung orientiert sich an einer klassischen marxistisch-leninistischen Grundauffassung, deren Kernelemente das Hervorheben der Arbeiterklasse als das eigentliche revolutionäre Subjekt sowie eine tiefgreifende Reformation der bestehenden Herrschaftsverhältnisse und die komplette Abschaffung des Kapitalismus im Allgemeinen beinhalten (vgl. Ebd.). Eine besonders intensive Nähe vertraten die K-Gruppen zu der Kommunistischen Partei Chinas unter der Führung Maos, da diese, anders als die KPdSU nach Stalins Tod oder die SED, ihrer ursprünglichen marxistisch-leninistischen Linie aus Sicht der Anhänger der Gruppierungen treu geblieben sei (vgl. Ebd.). An den eben genannten anderen Parteien kritisierten die K-Gruppen eine revisionistische Grundhaltung, welche den Weg zu einer gesamten Weltrevolution stark blockieren würde (vgl. Ebd.). Dies hatte einen Konflikt mit Anhängern der DKP zur Folge, welche sich seit jeher als westdeutsche Schwesterpartei der SED versteht (vgl. Jesse 2008: 200).
Doch selbst innerhalb der K-Gruppen kam es immer wieder zu programmatischen Diskursen: so führten die einzelnen Gruppen stets einen Dogmatismus mit sich, der anderen Parteien innerhalb der K-Gruppen die Führung der Revolution absprach (vgl. Pfahl-Traughber 2020: 98). Auch das Bekenntnis zum Stalinismus wurde unter den Gruppen teils heftig diskutiert (vgl. Ebd.). Diese und weitere Faktoren hatten eine Zersplitterung der K-Gruppen zur Folge. Armin Pfahl-Traughber (2020: 100) typisiert diese „neuen“ K-Gruppen in zwei Lager: zum einen beschreibt er ein eher moderneres, welches den Kommunistischen Bund Westdeutschlands, aus welchem der Bund westdeutscher Kommunisten hervorging, sowie den Kommunistischen Bund umfasste. Zwar eint all jene Gruppen die Orientierung an den Lehren Maos, „[...] allerdings nicht in der üblichen dogmatischen Form“ (Pfahl-Traughber 2020: 100). Als deutlich traditionalistischer und orthodoxer beschreibt er das Lager rund um die Gruppen der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten, der Maoisten innerhalb der DKP sowie dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD) (vgl. Ebd.). Auf letztere Gruppierung soll nun genauer eingegangen werden.
Der KABD konnte vor allem im süddeutschen Raum, hier insbesondere in den ländlichen Teilen Baden-Württembergs, eine Monopolstellung unter den K-Gruppen errichten (vgl. Müller-Enbergs 2008: 170). Obwohl der KABD innerhalb der K-Gruppen keine besondere Bedeutung zukam, so zeichnete sie sich im Laufe der Zeit jedoch als deutlich stabiler als andere Gruppierungen aus, welche eine zunehmende Zersplitterung erfahren mussten (vgl. Ebd.). Diese Fragmentierung kann schließlich als der Todesstoß der K-Gruppen gesehen werden. Dennoch konnte sich der KABD vornehmlich durch innere Organisation und Zusammenhalt vor dem letztendlich unausweichlichen Zerfall für eine gewisse Zeit schützen (vgl. Ebd.). Dieser innerparteiliche Zusammenhalt rührte aus „[...] dem auffallend geheimbündische[m] Charakter des KABD, die dauerhaft angelegte parteiinterne Beschäftigung durch Rechenschaftslegungen, Parteitags- und mit Kritik- und Selbstkritik-Kampagnen, die Ausrichtung seiner Mitglieder auf die „proletarische Denkweise“ und eine beachtliche kritische Distanz insbesondere gegen Intellektuelle [...]“ (Müller-Enbergs 2008: 170) her. Auf diese strikte Organisation und ihre Fortführung in der MLPD wird im Laufe dieser
Parteigründung 1982
Als Geburtsstunde der Partei gilt die Delegiertenkonferenz im Jahre 1982, welche ebenfalls der Gründungsparteitag der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands war (vgl. Pfahl-Traughber 2020: 102, zitiert nach Hüllen 2007). Der Parteigründung gingen Bestrebungen des KABD - durch Absplitterungen und internen Umbrüchen stark geschwächt - voraus, die lose Organisation des Arbeiterbundes durch eine Umwandlung in eine Partei zu stärken (vgl. Pfahl-Traughber 2020: 102).
Das sozialistische Erbe des KABD und der K-Gruppen im Allgemeinen zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch die Geschichte und Organisation der MLPD: So ist die Partei bis in die Gegenwart ein strammer Vertreter des Marxismus-Leninismus nach dem Vorbild Maos und Stalins. Diese doch sehr orthodoxe Richtung des Sozialismus wird nun im Laufe dieser Hausarbeit angesichts der einzelnen Aspekte der MLPD genauer untersucht.
Sozialistische Programmatik der MLPD
Als marxistisch-leninistische Partei sieht sich die MLPD berufen, das Erbe der Ideologien Stalins und Maos durch eine Mobilisierung der Arbeitermassen in die Welt zu tragen. In den folgenden beiden Kapiteln soll einerseits der Einfluss dieser beiden Diktatoren auf die Ideologie dargestellt werden sowie andererseits einzelne Punkte des auf dem VI. Parteitag in Gelsenkirchen hervorgebrachte Parteiprogramm analysiert und dargestellt werden.
Die Ideologien Stalins und Maos als Grundelemente der Programmatik der MLPD
Die Lehren Maos beeinflussen die Ideologie der MLPD schon seit ihrem Anfang zur Zeit des KABD. Sie sieht die sogenannten „Mao Tse-tung-Ideen“ nach rotchinesischem Vorbild als den Grundpfeiler des „wahren Sozialismus“ an (vgl. van Hüllen 2018: 403). Ebenso vertritt die Partei die Ideologie der ehemaligen Sowjetunion unter der Führung Lenins und Stalins, obgleich angemerkt werden muss, dass sie den sowjetischen Sozialismus nach dem Tod Stalins 1953 als entartet ansieht (vgl. Müller-Enbergs 2008: 168). Schon zu Zeiten des KABD war eine Kritik an Stalin in den eigenen Reihen durchaus verpönt, so hat die Partei Stalins Handlungen seit jeher stets gepriesen und selbst gegen Kritiker aus dem linken Spektrum verteidigt (vgl. Ebd.). Die einzigen Fehler Stalins waren nach der Auffassung der MLPD der fehlende ideologische Kampf gegen eine kleinbürgerliche Denkweise des Proletariats sowie eine nicht realisierte Mobilisierung der Massen gegen kleinbürgerlich entartete Vertreter der Bürokratie (vgl. Ebd.). Ein weiterer Kritikpunkt an der Sowjetunion sei ihr sozialimperialistischer Charakter, also das Streben nach territorialer und autoritärer Expansion, was ebenso zu Kritik seitens der chinesischen Maoisten zur Zeit der Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und China führte (vgl. Mannewitz 2012: 228). In diesem Kontext werden die schweren Verbrechen Stalins, wie Unterdrückung, Deportationen und Ermordungen sozusagen ignoriert und sowohl nach innen als auch nach außen regelrecht totgeschwiegen (vgl. Müller-Enbergs 2008: 168f.).
Wie bereits angemerkt kritisiert die MLPD das sozialistische Verständnis der Sowjetunion nach dem Tode Stalins scharf. Mit dem Beginn der aufkommenden Kritik an Stalins Methoden und Handlungen seit dem Jahre 1956 beobachtet die Partei eine zunehmende „Restauration des Kapitalismus“ in der Sowjetunion (vgl. Müller-Enbergs 2008: 169). Als Gegenpol hierzu sieht sie die Kulturrevolution in China 1966 an, welche die kapitalistischen und imperialistischen Auswüchse, wie sie in der Sowjetunion vorzufinden gewesen wären, bekämpfte (vgl. Ebd.). Die MLPD erkennt die Kulturrevolution unter Mao als einen Meilenstein des sozialistischen Klassenkampfes an: „[...] Die Große Proletarische Kulturrevolution stellt die entscheidende Methode des Kampfs gegen die Gefahr einer revisionistischen Machtergreifung dar durch eine sprunghafte Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins der Massen und die Festigung der Diktatur des Proletariats“ (Müller-Enbergs 2008: 169, zitiert nach Programm der MLPD (FN 8): 45). Gleichwohl sieht sie die in der „Theorie der drei Welten“ Ende der 1970er-Jahre den Todesstoß des chinesischen Sozialismus und sieht dieses nunmehr ebenso als entartet an (Müller-Enbergs 2008: 169).
Diese Methodik der Revolution und des Kampfes spielen bei der Programmatik der MLPD eine imposante Rolle. Sie selbst sieht sich als alleinigen Wegbereiter für eine Fortführung der sozialistischen Revolution bis hin zum „wahren Sozialismus“ (vgl. Pfahl-Traughber 2020: 104). Die Partei fordert das Überwinden der kleinbürgerlichen Denkweise zugunsten der proletarischen Denkweise der Masse und will hierbei als helfende, als mobilisierende Kraft auftreten (vgl. Ebd.).
Analyse des Parteiprogramms von 2016
Das 1982 auf dem Bochumer Gründungsparteitag festgelegte Programm wurde in seiner Form bis heute kaum verändert. Einige wenige Änderungen brachte der VI. Parteitag in Gelsenkirchen hervor (vgl. Müller-Enbergs 2008: 171). Im Gegensatz zu Wahlprogrammen anderer Parteien finden sich in diesem jedoch kaum Antworten auf gesellschaftlich relevante Themen und Fragen: vielmehr handelt es sich um ein Thesenpapier, dass den Weg zum „wahren Sozialismus“ beschreiben soll. Auf einzelne prägnante Punkte des Parteiprogramms des X. Parteitages in Sonneberg 2016 soll nun im Folgenden genauer eingegangen werden, genauer gesagt auf die Kapitel A: „Die internationalisierte kapitalistische Produktion und die Allgemeine Krise der kapitalistischen Gesellschaft“, D: „Die existenzielle Gefahr einer globalen Umweltkatastrophe“ und G: „Weg und Ziel der Befreiung der Arbeiterklasse und der Befreiung der Frau in Deutschland“.
Die MLPD beschreibt in ihrem ersten Kapitel A ihres Parteiprogramms die Differenzen zwischen den beiden großen Gesellschaftsordnungen unserer Zeit, die Differenz zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus (vgl. Programm der MLPD 2016: 15). Laut dem Verständnis der Partei erfährt die Bourgeoisie, also die Arbeiterschaft, eine regelrechte Unterdrückung seitens sowohl imperialistischer Regierungen als auch des herrschenden internationalen Finanzkapitals (vgl. Ebd.). Ebenso wird der imperialistische Charakter der weltweit führenden Nationen gegenüber ärmeren und schwächeren Ländern in Form eines „Neo-Kolonialismus“ angeprangert (vgl. Ebd.). Dessen Ursprung sieht die MLPD letztlich im Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre, da dies die Entwicklung eines einheitlichen Weltmarktes stark begünstigte (vgl. Ebd.: 18). Sie erwähnt, dass der dadurch entstandene weltweite Kapitalexport zu einer Transformation ehemaliger Agrarländer wie Brasilien, Südkorea oder der Türkei hin zu kapitalistischen Gesellschaften in jenen Ländern führte (vgl. Ebd.: 19f.). Auch der bereits im vorherigen Unterkapitel dargestellte Aspekt des chinesischen Wandels hin zu einer Öffnung des staatlichen Handels und der daraus folgenden Entwicklung zu einer wirtschaftlichen Supermacht wird von der MLPD in diesem Kontext als sozialimperialistisch bezeichnet (vgl. Ebd.: 20). Als wohl größtes Problem sieht die Partei den globalen Liberalismus und Freihandel im Allgemeinen an. Sie beschreibt die beiden Phänomene als den Ursprung der bestehenden Ausbeutung der Arbeiterschaft, wie beispielsweise die Steigerung der Arbeitsintensivität mit gleichzeitiger Abnahme der Löhne (vgl. Ebd.: 23). Die MLPD erkennt darin eine sich immer weiter intensivierende Spaltung der Arbeiterklasse, gleichauf jedoch einen zunehmenden Drang nach Solidarität und Widerstand in dieser (vgl. Ebd.).
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