Nach der Rational Choice-Theorie geht jedes Individuum nach seinem eigenen maximalen Nutzen. Doch wo steckt der Nutzen bei der Teilnahme einer politischen Wahl? Wo steckt die Motivation eines rationalen Wählers, wenn jeder doch eigentlich weiß, dass die eigene Stimme nahezu nichts an dem endgültigen Ergebnis ausmacht? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundannahmen nach Downs
2.2 Das Parteiendifferential
3. Das Paradox des Wahlens
4. Losungsansatze
4.1 Downs Erklarungsansatz
4.2 Der Wahler als ,rational fool‘
4.3 Relativierung der Kosten
4.4 Der minimax-regret Ansatz
5. Alternative Erklarungsansatze
5.1 Altruismus als Wahlmotiv
5.2 Die Theorie des expressiven Wahlens
6 Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Rational Choice-Theorie spielt in der Soziologie sowie aber auch in der Politikwissenschaft eine zentrale Rolle. Innerhalb der Theorie wird versucht zu erklaren, wie das Individuum Entscheidungen uber seine Handlung treffen sollte, um so die effektivste Wahl zu treffen. Die Politikwissenschaft sieht die Rational Choice-Theorie als besondern hilfreich, wenn es um kollektiv Guter und die Bereitstellung dieser geht (vgl. Olson 1992), aber auch wenn es sich um Wahl- und Wahlerverhalten (vgl. Downs 1968). handelt.
Anthony Downs veroffentliche 1957 seine Monografie „Economic Theory of Democracy“, welche 1968 als deutschen Erstausgabe „Okonomische Theorie der Demokratie“ erschien. Downs stellte als erstes ein Modell auf, welches das Wahler und Regierungsverhalten mit dem Hintergrund der Rational Choice-Theorie erklaren sollte. Selbst heute noch gilt sein Werk als eines der wichtigsten Schriften derpublic-choicesowie auch der Politikwissenschaft (vgl. Dehling/Schubert 2011: 50). Sein Hauptargument ist es, dass sich der Wahler bei einer politischen Wahl nach einen Kosten-Nutzen-Kalkul richtet, wobei der Kosten dabei den Nut- zen der Wahl massiv ubersteigt. Dabei habe das Individuum selbst keinerlei Einfluss auf das Wahlergebnis, was die Wahl als irrational erscheinen lasst (vgl. Downs 1968: 237). Somit musse rational betrachtet niemand zu einer politischen Wahl gehen. Er kommt zu dem Entschluss, dass sich ein Paradox des Wahlens bildet, da sich die Realitat nicht mit der Theorie gleicht. Nun stellt sich folglich die Frage, wie das Paradox des Wahlens innerhalb der Rational Choice-Theorie aufgelost werden kann, wenn doch alles fur ein irrationales Verhalten spricht. Oder kommt hier die Rational Choice-Theorie an ihre Grenzen?
Diese Arbeit beschaftigt sich genau mit diesen Fragen und untersucht, inwiefern die Theorie auf die Realitat bezogen werden kann. Der Schwerpunkt liegt dabei auf das Paradox des Wahlens sowie Ansatze, welche versuchen das Paradox zu beseitigen. Zu Beginn werden die Grundannahmen der Rational Choice-Theorie sowie auch die Grundannahmen nach Downs vorgestellt und detailliert erlautert. In einem Unterkapitel wird das Parteiendifferential nach Downs analysiert, was die Entscheidungswahl des Wahlers beeinflusst. Eine genauere und ausgefuhrte Beschreibung des Paradox des Wahlens kann im dritten Kapitel wiedergefunden werden. Das vierte Kapitel bildet sich aus den diversen Losungsansatzen, welche versuchen das Wahlparadoxon innerhalb der Rational Choice-Therorie aufzulosen, welche das Paradox jedoch nicht vollstandig auflosen konnen. Das funfte Kapitel stellt zwei alternative Erklarungsansatze fur die hohe Wahlbeteiligung vor - den Altruismus als Wahlmotiv und die Theorie des expressiven Wahlens von Brennan und Lomasky - welche in den Augen der Autorin besser fur die Auflosung des Wahlparadoxons geeignet scheint. Ein einem Fazit werden die Ergebnisse der Arbeit schlieBlich zusammengefasst und es wird auf die These zuruckgegriffen.
2. Grundannahmen nach Downs
Als Basiselement der Theorie gilt dabei der methodologische Individualismus, was bedeutet, dass alle Handlungen auf das Individuum selbst zurückzuführen sind (vgl. Diefenbach 2009: 251). Das Verhalten, um die Präferenzen und Wünsche zu erreichen, sei dabei stets rational. So werden alle potentiellen Handlungsalternativen abgewogen und demnach entschieden, welche dabei die niedrigsten Kosten und den geringsten Aufwand aufweist. Verhält sich ein Individuum dementsprechend, so wird auch von dem homo oeconomicus gesprochen (vgl. Dehling/Schubert 2011: 49). Downs (1968: 6) selbst fügt noch weitere Kriterien eines rationalen Akteurs hinzu:
„(1) wenn er vor einer Reihe von Alternativen gestellt wird, ist er stets imstande, eine Entscheidung zu treffen; (2) er ordnet alle Alternativen, denen er gegenübersteht, nach seinen Präferenzen, so daß jede im Hinblick auf jede andere entweder vorgezogen wird oder indifferent oder weniger wünschenswert ist; (3) seine Präferenzordnung ist transitiv; (4) er wählt aus den möglichen Alternativen stets jene aus, die in seiner Präferenzordnung den höchsten Rang einnimmt; (5) er trifft, wenn er vor den gleichen Alternativen steht, immer die gleiche Entscheidung“.
Hinzu kommt, dass Downs klarstellt, dass allein die Auswahl der Mittel rational sein muss. Das festgelegte Ziel an sich muss dabei nicht als rational identifiziert werden (vgl. Bürklin/ Klein 1998: 108). Das Ziel einer Wahlhandlung innerhalb der politischen Ökonomie sei es, die zukünftige Regierungspartei auszuwählen. Dabei gibt der rationale Wähler seine Stimme der Partei, die ihm mit ihrem Wahlprogramm den größten Eigennutzen verspricht. Dabei hat die Partei an sich allerdings keinen Einfluss auf die Präferenzen des Wählers. Trotzdem verhielten sich die Parteien ebenfalls rational. Das Ziel dieser sei die Maximierung der Erhaltung von Wählerstimmen. Hinzu kommen Machtpositionen und Prestige. Jedoch sei die eigentliche Umsetzung von dem Wahlprogramm kein Ziel der Partei (vgl. Bürklin/Klein 1998: 113). Die Präferenzen des Wählers werden als konstant und stabil identifiziert, was bedeutet, dass der Wähler seine Wahlentscheidung eben nur ändert, wenn die Partei beispielsweise ihre Standpunkte verschiebt (vgl. Bürklin/Klein 1998: 110). Downs macht außerdem deutlich, dass die einzige Intention des Wählens die Auswahl einer neuen Regierung sei, und persönliche Gründe keine zentrale Rolle spielen (vgl. Downs 1968: 38).
2.2 Das Parteiendifferential
Wie geht der Wähler bei einer politischen Wahl letztendlich vor?
Zunächs muss er sich für eine Partei entscheiden, die ihm den meisten Nutzen verspricht. Er bildet also dasParteiendifferential. Dafür vergleicht der Wähler vor der Wahl die antretenden Parteien und kalkuliert, welche ihm künftig den größten Eigennutzen bringt. Der Wähler zieht sein vorhandenes Wissen hervor und berechnet, welchen Nutzen er durch die vergangene Regierungsperiode der aktuell regierenden Partei entnehmen konnte. Als nächstes spekuliert er, welchen Nutzen er erhalten hätte, hätte die Oppositionspartei im selben Zeitraum regiert, was die hypothetische Schätzung darstellt. Die daraus folgende Differenz ergibt schließlich das Parteiendifferential. Ist das Ergebnis positiv, so wählt er die aktuelle Partei. Ist es allerdings negativ, so entscheidet er sich für die Oppositionspartei (vgl. Downs 1968: 38; Braun 1999: 63).
Bei einem Zwei-Parteien-System erscheint dies simpler als bei einem Mehrparteiensystem. Da in solchen Staaten mehrere Parteien zur Wahl antreten, muss der Wähler alle Parteien ins Differential miteinbeziehen, was die Zeitinvestition erhöht. Des Weiteren werden sich auch die Informationskosten dadurch erhöhen, da der Wähler sich über jede Partei informieren muss. Hinzu kommt auch die Wahrscheinlichkeit, dass einige Parteien gar keine Gewinnchance vertreten können, was bedeutet, dass die Stimmvergabe an kleine Parteien irrational wäre, da der Wahlsieg nicht realisierbar erscheint und die Stimme des Wähler somit verschwendet wäre (vgl. Braun 1999: 65).
Doch hat gewiss bei einer Wahl, an der Millionen von Menschen teilnehmen die eigene Stimme kaum Einfluss. „Daher ist der Stimmzettel des Einzelnen nur ein Tropfen in einem Ozean“ (Downs 1968: 238). Ist es demnach überhaupt rational zu wählen, wenn die Teilnahme eines Einzelnen gar keine Auswirkung schafft?
3. Das Paradox des Wählens
Nun fallen wie schon erwähnt beim Wahlakt gewisse Kosten (K) an, und wie schon bekannt ist es dem Wähler wichtig diese so weit wie möglich zu minimieren. Kosten bilden sich beispielsweise durch die investierte Zeit, welche durch das Sammeln von Informationen oder auch durch den Weg zum Wahllokal entsteht. Auch die wortwörtlichen Kosten, wie Fernsehen oder Zeitschriften, werden dazugezählt, die durch diese Informationskosten resultieren. (vgl. Braun 1999: 67). Diese Kosten dürfen keineswegs den Nutzen (N) der Handlung übersteigen, da bekanntlich das Ziel des rationalen Wählers die eigene Nutzenmaximierung ist. Demnach geht ein rationaler Wähler nur dann zur Wahl, wenn gilt:
(1) N - K > 0
Je höher die Wahlbeteiligung ist, umso mehr reduziert sich das Gewicht der eigenen Stimme. Somit erscheint es tatsächlich als irrational zu wählen. Die potentiellen Beweggründe eines Wählers wären entweder die entscheidende Stimme darzustellen oder aber eine Patt Situation zu bewirken (vgl. Turski 2008: 18). Die Wahrscheinlichkeit (probability:p), dass allein seine Stimme entscheidend ist, wird nun in die Formel eingesetzt:
(2) pN - K > 0
Allerdings scheinen beide Szenarien bei Wahlen mit mehreren Millionen Teilnehmern als extrem unrealistisch. Da p äußerst klein ist, wird das resultierende Produkt mit N ebenfalls extrem klein ausfallen. Das Resultat daraus ware, dass pN - K < 0 sei und der Wahlakt somit irrational ist (vgl. Burklin/Klein 1998: 125).
Die daraus logische Schlussfolgerung ist es, dass es rational wäre eben nicht wählen zu gehen. Der Wähler handle irrational und es sei der Nichtwähler, der sich rational verhalte (vgl. Moshövel 2004: 143). Wenn nun angenommen wird, dass sich die Mehrheit der Menschen rational verhält, hieße das, dass der Großteil eben nicht wählen gehen würde. Allerdings beweist die Realität das Gegenteil: Bei der Bundestagswahl 2017 waren mehr als 60 Millionen berechtigt wählen zu gehen. Davon haben mehr als 45 Millionen ihr Wahlrecht bezogen, was bedeutet, dass 76% der Wahlberechtigten wählen gegangen waren (vgl. Bundeswahlleiter 2017). Zudem kommt, dass das Individuum das gleiche Nutzeneinkommen erfährt, wenn er nicht zur Wahl geht und die präferierte Partei siegt. Folglich ist dieses Szenario für das Individuum noch optimaler, da keine Kosten aufgekommen sind.
Wie kann nun erklärt werden, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten wählen geht, obwohl dies irrational erscheint?
4. Lösungsansätze
Es wurden viele Versuche betätigt, welche versuchen das Paradox des Wählens zu lösen. Die meisten Lösungsansätze intendieren die einzelnen Variablen der Gleichung neu zu interpretieren, um so an ihr Ziel zu gelangen und die Frage‚ warum der Wähler wählt‘ mit der Rational Choice Theorie beantworten zu können. Folgend werden drei Lösungsversuche präsentiert, welch sich auf die Terme der Gleichungen fokussieren. Anschließend folgt das Modell der ‚minimax-regret‘-Strategie.
4.1 Downs Erklärungsansatz
Downs selbst versucht dieses Problem zu lösen, indem er den Wert des langfristigen Nutzens der Partizipation der Wahlteilnahme inkludiert (vgl. Downs 1968: 265). Demnach erlebt der Wähler neben dem materiellen Aspekt den Nutzen, dass er in einer Demokratie leben kann und beteiligt sich an der Wahl, um diese langfristig aufrecht zu erhalten. Die Demokratie sei eine „Belohnung für die Wahlbeteiligung“ (Downs 1968: 265). Downs Erklärungsansatz lässt die Demokratie als ein Kollektivgut erscheinen, was diesen Ansatz direkt scheitern lässt (vgl. Bürklin/Klein 1998: 125). Warum sollte gewählt werden, wenn das Kollektivgut Demokratie auch ohne Wahlbeteiligung gesichert wird? Ein rationaler Akteur solle sich demnach als ‚Free Rider‘ verhalten, wonach er keine Kosten des Kollektivguts Demokratie aufnimmt, jedoch trotzdem seine Vorteile genießt (vgl. Klein 2002: 35).
Anhänger dieses Ansatzes fuhrten den Versuch aus, indem sie die Variable D (duty) in die Gleichung einführen,, weshalb der Lösungsansatz von manchen auch die „D-Lösung“ genannt wird. Die Variable D wird demnach in die Gleichung hinzugefugt:
(3) pN - D > K
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