Diese Hausarbeit behandelt verschiedene Tatbestände und Fallbeispiele des Strafrechts.
Das Übergießen mit heißem Kaffee könnte die Anforderungen des Beibringens eines anderen Stoffs nach § 224 I Nr.1 Var.2 erfüllen. Auch alltägliche, ungefährliche Stoffe, wie Kaffee, können als heiße Flüssigkeit ein zum Zwecke der Körperverletzung beigebrachter Stoff sein. Jedoch sind an das Beibringen erhöhte Anforderungen zu stellen.
So genügt eine kurze Einwirkung auf eine unempfindlichere Körperregion bei geringen substanziellen Konsequenzen regelmäßig nicht. B verschüttet seinen heißen Kaffee einmalig während des Zusammenstoßes über den Oberkörper, der zudem durch Kleidung geschützt wird. Tiefere substanzielle Beeinträchtigungen sind nicht dokumentiert. Ein schwerer Fall gem. § 224 I Nr.1 Var.2 scheidet damit aus.
Gliederung
Literaturverzeichnis
A. Tatkomplex „Fußgängerüberweg“
I. Strafbarkeit des B
1. Strafbarkeit gem. §§223 I, 224 I Nr.1 Var.2
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektive Tatbestandsmäßigkeit
(1) Körperliche Misshandlung und Gesundheitsschädigung
(2) Beibringen von Gift oder anderen Stoffen i.S.d. §224 I Nr.1 Var.2
bb) Subjektiver Tatbestand
b) Zwischenergebnis
1. Strafbarkeit nach §229
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Tatbestandsmäßige Voraussetzungen
bb) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
cc) Objektive Zurechnung
b) Rechtswidrigkeit
c) Schuld
d) Ergebnis
2. Strafbarkeit nach §142 I Nr.1
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Unfall im Straßenverkehr
b) Zwischenergebnis
3. Strafbarkeit nach §303 I
II. Ergebnis
B. Tatkomplex „der Einkauf“
I. Strafbarkeit der F
1. Strafbarkeit nach §263 I
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Täuschung
b) Ergebnis
2. Strafbarkeit nach §263 I
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Täuschung
(2) Irrtum
b) Ergebnis
3. Strafbarkeit nach §§263 I, II, 22, 23 I
a) Vorprüfung
b) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Tatentschluss
(1) Täuschung
(2) Irrtum
(3) Vermögensverfügung
(4) Vermögensschaden
(5) Bereicherungsabsicht
(6) Rechtswidrigkeit der Bereicherung
bb) Unmittelbares Ansetzen nach §22
cc) Zwischenergebnis
c) Rechtswidrigkeit
aa) Einwilligung des W
bb) Zwischenergebnis
d) Schuld
e) Ergebnis
4. Strafbarkeit nach §267 I
a) Strafbarkeit nach §267 I Var.1
b) Strafbarkeit nach §267 I Var.2
c) Ergebnis
5. Strafbarkeit nach §268 I, III
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Technische Aufzeichnung
(2) Fälschung der technischen Aufzeichnung
b) Ergebnis
II. Ergebnis
C. Tatkomplex “die Kundentoilette”
I. Strafbarkeit des A
1. Strafbarkeit nach §263 I, III 2 Nr.1 Var.1, Nr.2 Var.2
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Täuschung
(2) Irrtum
(3) Vermögensverfügung
(4) Vermögensschaden
bb) Subjektiver Tatbestand
(1) Vorsatz
(2) Absicht zur rechtswidrigen Bereicherung
(3) Rechtswidrigkeit der Bereicherung
a) Rechtswidrigkeit und Schuld
b) Strafzumessung
c) Ergebnis
II. Strafbarkeit des W
1. Strafbarkeit nach §242 I
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Fremde bewegliche Sache
(a) Übereignung nach §929 S.1 BGB
(2) Wegnahme
bb) Subjektiver Tatbestand
(1) Vorsatz
(2) Zueignungsabsicht
(3) Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
b) Rechtswidrigkeit und Schuld
c) Ergebnis
D. Tatkomplex „die Autobahn“
I. Strafbarkeit des M
1. Strafbarkeit nach §§249 I, 25 II, 22, 23 I
a) Vorprüfung
b) Tatbestand
aa) Tatentschluss
(1) Wegnahme einer fremden, beweglichen Sache
(bb) Gemeinsame Tatausführung
(b) Zwischenergebnis
(2) Qualifiziertes Nötigungsmittel
(3) Zusammenhang zwischen Wegnahme und Nötigung
(4) Zueignungsabsicht
(5) Rechtswidrigkeit der Zueignung
bb) Unmittelbares Ansetzen
c) Rechtswidrigkeit und Schuld
d) Ergebnis
2. Strafbarkeit nach §316a I
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Angriff auf Leib, Leben oder die Entschlussfreiheit
(2) Angriff auf den Führer eines Kraftfahrzeugs oder einen Mitfahrer
(3) Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs
bb) Subjektiver Tatbestand
(1) Vorsatz
(2) Absicht zur Begehung eines Raubes zum Zeitpunkt des Angriffs
b) Rechtswidrigkeit und Schuld
c) Ergebnis
3. Strafbarkeit nach §132 Var.1
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Öffentliches Amt
(2) Ausübung des Amtes
bb) Subjektiver Tatbestand
b) Rechtswidrigkeit und Schuld
c) Ergebnis
II. Ergebnis
III. Strafbarkeit des W
1. Strafbarkeit nach §315b I Nr.3
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Verkehrsfremder Eingriff nach §315b I Nr.3
(2) Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs
(3) Eintritt einer konkreten Gefahr
bb) Subjektiver Tatbestand
b) Rechtswidrigkeit
aa) Notwehr gem. §32
bb) Zwischenergebnis
c) Schuld
d) Ergebnis
2. Strafbarkeit aus § 223 I, 224 I Nr.2, 22, 23 I
a) Vorprüfung
b) Tatbestand
aa) Tatentschluss
(1) Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung
(2) Verletzung mittels gefährlichen Werkzeugs gem. §224 I Nr.2 Var.2
bb) Unmittelbares Ansetzen
c) Rechtswidrigkeit und Schuld
d) Ergebnis
IV. Ergebnis
Literaturverzeichnis
I. Kommentare
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II. Zeitschriften
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III. Lehrbücher
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Gutachten
A. Tatkomplex „Fußgängerüberweg“
I. Strafbarkeit des B
1. Strafbarkeit gem. §§223 I, 224 I Nr.1 Var.2
1B könnte durch das Verschütten des heißen Kaffees einer schweren Körperverletzung gem. §§223 I, 224 I Nr.1 Var.2 zulasten des W schuldig sein. Dafür müssten die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt sein, sowie B rechtswidrig und schuldhaft handeln.
a) Tatbestandsmäßigkeit
B müsste die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllen.
aa) Objektive Tatbestandsmäßigkeit
Durch das Beibringen eines anderen Stoffs i.S.d. §224 I Nr.1 Var.2 müsste B eine andere Person körperlich misshandeln oder an der Gesundheit schädigen.
(1) Körperliche Misshandlung und Gesundheitsschädigung
W, als andere Person i.S.d. §223 I, müsste durch das Verschütten des Kaffees eine körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung erleiden. Eine körperliche Misshandlung ist jede üble und unangemessene körperliche Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.2 Durch das Verschütten des heißen Getränks auf seinem Oberkörper erleidet W erhebliche Schmerzen und ist in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt. Eine erhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit ist bei Symptomen wie Hautrötungen regelmäßig abzulehnen.3 Bei einer lebensnahen Auslegung erleidet W durch das heiße Getränk allenfalls vorübergehende Hautrötungen. Erhebliche Substanzverletzungen sind nicht gegeben. Eine körperliche Misshandlung liegt vor.
Eine Gesundheitsschädigung ist das Hervorrufen oder Steigern eines nicht nur unerheblichen, pathologischen Zustands. Entscheidend ist ein objektivierbarer Zustand, weshalb die reine Schmerzempfindung ausscheidet.4 W erleidet keine erheblichen objektiven Schäden, wie eine Substanzverletzung. Eine Gesundheitsschädigung liegt nicht vor.
W erleidet durch das Verschütten eine körperliche Misshandlung.
(2) Beibringen von Gift oder anderen Stoffen i.S.d. §224 I Nr.1 Var.2
Das Übergießen mit heißem Kaffee könnte die Anforderungen des Beibringens eines anderen Stoffs nach §224 I Nr.1 Var.2 erfüllen. Auch alltägliche, ungefährliche Stoffe, wie Kaffee, können als heiße Flüssigkeit ein zum Zwecke der Körperverletzung beigebrachter Stoff sein.5 Jedoch sind an das Beibringen erhöhte Anforderungen zu stellen. So genügt eine kurze Einwirkung auf eine unempfindlichere Körperregion bei geringen substanziellen Konsequenzen regelmäßig nicht.6 B verschüttet seinen heißen Kaffee einmalig während des Zusammenstoßes über den Oberkörper, der zudem durch Kleidung geschützt wird. Tiefere substanzielle Beeinträchtigungen sind nicht dokumentiert. Ein schwerer Fall gem. §224 I Nr.1 Var.2 scheidet damit aus.
bb) Subjektiver Tatbestand
B müsste vors. ätzlich gem. §15 handeln. Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.7 B geht, in ein Handyspiel vertieft, über die den Fußgängerüberweg und stößt mit W zusammen. Die Körperverletzung ist weder gewollt noch geplant. B handelt nicht vorsätzlich.
b) Zwischenergebnis
B erfüllt die Anforderungen des subjektiven Tatbestands nicht. Eine Strafbarkeit nach §223 I scheidet aus.
2. Strafbarkeit nach §229
Durch das Verschütten des Kaffees könnte B sich einer fahrlässigen Körperverletzung gem. §229 schuldig machen.
a) Tatbestandsmäßigkeit
B müsste unter Außerachtlassung der objektiven Sorgfaltspflichten objektiv vorherseh- und zurechenbar die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllen.
aa) Tatbestandsmäßige Voraussetzungen
Die Voraussetzungen der Tathandlung decken sich mit denen des §223 I. Eine kausal verursachte körperliche Misshandlung durch B liegt vor.8
bb) Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
B müsste objektiv sorgfaltswidrig handeln. Sorgfaltswidrig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der Zusammenstoß des W mit dem B ereignet sich auf einem öffentlichen Fußgängerüberweg. Gem. §1 I, II StVO sind sämtliche Verkehrsteilnehmer zu ständiger Vorsicht und Rücksicht verpflichtet. Dies gilt insbesondere bei gefahrreichen Verkehrspunkten, wie Fußgängerüberwegen, um Zusammenstöße zu vermeiden. B ist bei der Überquerung in ein Handyspiel vertieft und deswegen mit W zusammengestoßen. Durch die Konzentration auf das Handy ist B weder vorsichtig noch rücksichtig und verletzt die objektive Sorgfaltspflicht.
cc) Objektive Zurechnung
Die Erfolgsrealisierung müsste objektiv zurechen- und vorhersehbar sein. Das vom Täter fahrlässig gesetzte Ausgangsrisiko muss sich im konkreten Erfolg verwirklichen. Nicht vorhersehbar ist der tatbestandliche Erfolg, wenn er außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt.9 B geht, in sein Handy vertieft, über einen Fußgängerüberweg. Erfahrungsgemäß kommt es gerade an solchen Engstellen und Kreuzpunkten zu Zusammenstößen. Objektiv liegt ein Zusammenstoß mit anderen Verkehrsteilnehmern innerhalb der Lebenserfahrung. Die, durch die mangelnde Aufmerksamkeit des B, geschaffene Gefahr konkretisiert sich in dem sonst vermeidbaren Zusammenstoß und dem Verschütten, sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang.
b) Rechtswidrigkeit
B müsste rechtswidrig handeln. Die Rechtswidrigkeit ist durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert.
c) Schuld
B müsste auch subjektiv fahrlässig und schuldhaft handeln. Das Handeln des B ist subjektiv fahrlässig, wenn er individuell die Fähigkeit hat, die Sorgfaltspflichten zu erfüllen und den Erfolg vorherzusehen.10 B ist Jugendlicher. Jugendlicher ist, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, gem. §1 II JGG. Nach §3 JGG ist die Verantwortlichkeit nach der sittlichen und geistlichen Reife zu beurteilen. Auch einer Person ab 14 Jahren ist es möglich, die erhöhte Gefahr im Straßenverkehr wahrzunehmen und sein Handeln daran auszurichten. Es liegt innerhalb der Fähigkeiten des B den Zusammenstoß vorherzusehen. Das Verhalten des B ist subjektiv sorgfaltswidrig und vorhersehbar. Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich.
d) Ergebnis
B ist gem. §229 strafbar. §229 ist gem. §230 I ein relatives Strafantragsdelikt. Ein besonderes öffentliches Interesse ist nicht ersichtlich. W müsste einen Strafantrag stellen.
3. Strafbarkeit nach §142 I Nr.1
B könnte sich durch das Weglaufen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. §142 I Nr.1 schuldig machen.
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektiver Tatbestand
B müsste Beteiligter an einem Unfall im öffentlichen Straßenverkehr sein und sich entfernen, bevor die Feststellung seiner Daten möglich ist.
(1) Unfall im Straßenverkehr
Es müsste ein Unfall im öffentlichen Straßenverkehr vorliegen. Ein Unfall ist jedes plötzliche Ereignis, das mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs im Zusammenhang steht und einen nicht unerheblichen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat.11 B und W stoßen auf einem Fußgängerüberweg zusammen. Umstritten ist, ob ein Zusammenstoß zweier Fußgänger von den typischen Gefahren des Straßenverkehrs erfasst wird. Nach der h.M. sind die Zusammenstöße aller Verkehrsteilnehmer, unabhängig von der Fortbewegungsart, gedeckt.12 Die Gegenansicht schränkt den Schutzbereich auf Unfälle mit Fahrzeugen ein.13 Gegen diese Ansicht spricht, dass der Begriff „öffentlicher Straßenverkehr“ auf alle Verkehrsteilnehmer, unabhängig von dem Fortbewegungsmittel, verweist.14 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber in §142 I Nr.1 ausdrücklich die Feststellung des Fahrzeuges des Unfallbeteiligten fordert. Er scheint Unfälle mit Fahrzeugbeteiligung erfassen zu wollen. Auch teleologisch ergibt sich die besondere Fluchtgefahr und das extreme Gefährdungspotenzial nur bei Verkehrsteilnehmern mit Fahrzeugen.15 Das Erfassen aller Verkehrsteilnehmer kann dem ultima ratio Gedanken des Strafrechts nicht gerecht werden. Der Gegenansicht ist zuzustimmen. Ein Unfall liegt nicht vor.
b) Zwischenergebnis
Die Tatbestandsmerkmale sind nicht erfüllt. B ist nicht aus §142 I Nr.1 strafbar.
4. Strafbarkeit nach §303 I
B könnte sich durch das Verschütten des Kaffees einer Sachbeschädigung gem. §303 I zulasten des W schuldig machen. Eine fahrlässige Sachbeschädigung ist nur in den Fällen des §306 I strafbar. Eine Strafbarkeit nach §303 I scheidet aus.
II. Ergebnis
B ist nach §229 strafbar, soweit W, als Verletzter nach §77 I StGB, einen Strafantrag stellt.
B. Tatkomplex „der Einkauf“
I. Strafbarkeit der F
1. Strafbarkeit nach §263 I
F könnte durch das Auflegen des Fingers wegen eines Betrugs gem. §263 I zulasten des W strafbar sein.
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektiver Tatbestand
F müsste durch das Auflegen täuschen und einen kausalen Irrtum bei W erregen, der in einer Vermögensverfügung und einem Vermögensschaden mündet.
(1) Täuschung
F müsste durch das Auflegen den W täuschen. Die Täuschung ist das bewusste Einwirken auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen, mit dem Ziel eine Fehlvorstellung über Tatsachen aufrecht zu erhalten oder zu schaffen.16 Durch das Auflegen des Fingers erreicht F ein höheres Gewicht auf dem Bon. Ein Einwirken auf das Vorstellungsbild des W ist durch diesen Arbeitsschritt jedoch nicht möglich.
b) Ergebnis
Der Tatbestand ist nicht erfüllt, eine Strafbarkeit aus §263 I scheidet aus.
2. Strafbarkeit nach §263 I
F könnte durch das Übergeben des Bons wegen eines Betrugs gem. §263 I zulasten des W strafbar sein.
a) Tatbestandsmäßigkeit
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Täuschung
F müsste durch die Übergabe den W über Tatsachen täuschen. Tatsachen sind alle gegenwärtigen und vergangenen Ereignisse oder Zustände, die dem Beweis zugänglich sind.17 F täuscht den W über das Gewicht der Wurst. Das Gewicht ist ein dem Beweis zugänglicher Zustand und damit eine Tatsache. F überreicht den Bon, der das falsche Gewicht attestiert. F könnte den W konkludent täuschen.18 Durch die Übergabe des Bons erklärt sie schlüssig, dass das auf dem Bon vermerkte Gewicht nicht von ihr beeinflusst sei.19 F wirkt konkludent auf das Vorstellungsbild des W ein, um eine Fehlvorstellung über das Gewicht hervorzurufen. Eine Täuschung liegt vor.
(2) Irrtum
Durch die Täuschung müsste kausal ein Irrtum bei W entstehen. W ist bewusst, dass F auf die Waage drückt und das Gewicht verfälscht. Auch die Konsequenz, dass er mehr bezahlen würde, blieb ihm nicht verheimlicht. Die Täuschung der F führt zu keinem Irrtum des W.
b) Ergebnis
F ist nicht wegen §263 I strafbar.
3. Strafbarkeit nach §§263 I, II, 22, 23 I
F könnte durch das Übergeben des Bons gem. §§263 I, 22, 23 I eines versuchten Betrugs zulasten des W strafbar sein.
a) Vorprüfung
Der Versuch müsste strafbar sein und der Täter nicht bereits wegen der Vollendung der Tat bestraft werden. Nach §§23 I, 12 II ist der Versuch eines Vergehens nur strafbar, wenn dies explizit im Gesetz erwähnt wird. Der Betrug nach §263 hat keine normierte Mindeststrafe und ist nach §12 II ein Vergehen. Die Versuchsstrafbarkeit ist in §263 II normiert. Der Betrug ist nicht vollendet.20
b) Tatbestandsmäßigkeit
F müsste zur Tat entschlossen sein und unmittelbar angesetzt haben.
aa) Tatentschluss
F müsste zu Tat entschlossen sein. Der Tatentschluss ist der Wille zur Tatbestands- verwirklichung.21
(1) Täuschung
F will W täuschen und damit einen kausalen Irrtum bei W hervorrufen.
(2) Irrtum
Der Irrtum ist ein Widerspruch der subjektiven Vorstellung und der Wirklichkeit.22 Dabei genügt ein gedankliches Mitbewusstsein, also eine Form des Begleitwis- sens.23 Nach lebensnaher Auslegung des Vorstellungsbildes der F nimmt W an, dass „schon alles seine Ordnung habe“, und somit fälschlich davon ausgeht, dass das Gewicht auf dem Bon nicht von F beeinflusst sei. Nach der Vorstellung der F erleidet W einen Irrtum.
(3) Vermögensverfügung
F müsste Vorsatz zu einer kausalen, unmittelbaren Vermögensverfügung durch W haben. Eine Vermögensverfügung ist jedes freiwillige Verhalten, dass unmittelbar zu einer Vermögensminderung führt.24 Die Vermögensminderung kann auch in einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung liegen.25 Bei der Bedienung des Kunden an der Fleischtheke hat der Ladeninhaber regelmäßig bereits aufgrund hygienerechtlicher Anforderungen einen Rechtsbindungswillen bei Übergabe der Ware an den Kunden an der Theke.26 Auch einem Laien ist nach der Verkehrssitte bewusst, dass eine wunschgerechte Bedienung, anders als die Selbstbedienung am Regal,27 eine „Kaufpflicht“ nach sich zieht. Nach dem Willen der F gibt W bereits mit Entgegennahme eine rechtsverbindliche Erklärung zum Kauf der 310g Wurst ab,28 die unmittelbar in einer Vermögensminderung mündet. Diese muss nach der Vorstellung der F von dem einschlägigen Vermögensbegriff umfasst sein. Vertreten werden der wirtschaftliche, der juristisch-ökonomische und der personelle Vermögenbegriff. Den beiden Ersteren liegt die selbe, wirtschaftliche Betrachtung von Vermögenwerten zugrunde, wobei der engere juristisch-ökonomische Begriff nur durch das Recht anerkannte Vermögenspositionen schützt.29 Der personelle Vermögensbegriff schützt hingegen nicht das Vermögen als solches, sondern die Beziehung vom Vermögensinhaber zum Vermögensobjekt.30 Das rechtmäßige geldwerte Vermögen wird von allen drei Auffassungen geschützt. F nimmt an, den W um rechtmäßiges Vermögen zu betrügen. Ein Entscheid zwischen den Begriffen kann damit dahinstehen. Eine Vermögensverfügung liegt vor.
(4) Vermögensschaden
Nach Fs Vorstellung müsste aus der Vermögensverfügung ein Vermögensschaden erwachsen. Der Vermögensschaden wird nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung aller vermögenswerten Güter berechnet.31 Nach der h.M. kann auch das Eingehen von rechtlichen Verpflichtungen einen Vermögensschaden ergeben, sog. Einge- hungsbetrug.32 W verpflichtet sich auf Betreiben der F für 190g Wurst den Preis von 310g zu bezahlen. Gesetzliche Rechte wie die Möglichkeit der Anfechtung bleiben bei der Schadenserhebung außer Acht.33 Nach dem Willen der F sind durch den Mehrpreis für die nicht enthaltenen 120g Wurst die objektiven Voraussetzungen eines Vermögensschadens gegeben.
(5) Bereicherungsabsicht
Außerdem müsste F Fremd- oder Eigenbereicherungsabsicht haben. Die Bereicherungsabsicht ist das Streben nach einem Vermögensvorteil.34 Bei lebensnaher Auslegung will F den Supermarktinhaber bereichern. Dieser profitiert von der vermeintlich verkauften Wurst. Der Vermögensvorteil des Inhabers und der Vermögensnachteil des W müsste auf derselben Vermögensverfügung basieren, sog. Stoffgleichheit.35 Nach der Vorstellung der F ist der Anspruch des Wurstthekeninhabers die schuldrechtliche Verpflichtung des W. F hat Absicht zu einer stoffgleichen Drittbereicherung.
(6) Rechtswidrigkeit der Bereicherung
F müsste Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit der Bereicherung haben. Sie dürfte nach ihrer Vorstellung keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf Bezahlung der Wurst haben.36 F weiß, dass Sie keinen Anspruch auf die Bezahlung der nicht vorhandenen Wurst hat.
bb) Unmittelbares Ansetzen nach §22
Unmittelbares Ansetzen ist das subjektive Überschreiten des Täters der Schwelle zum „Jetzt geht es los“ und der objektiven Vornahme von Handlungen, die nach seiner Vorstellung ohne wesentliche Zwischenschritte in der Tatbestandsverwirklichung münden oder in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit ihr stehen.37 F übergab W die Wurst mit dem Bon. Aus ihrer Sicht ist die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschritten. Weitere Tathandlungen sind nach ihrer Vorstellung nicht notwendig.
cc) Zwischenergebnis
F hat Tatentschluss und setzte die Tat um.
c) Rechtswidrigkeit
F könnte jedoch durch eine Einwilligung des W gerechtfertigt sein. Die Einwilligung ist ein gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgrund und gesetzlich nicht nor- miert.38
aa) Einwilligung des W
W müsste für ein verfügbares Rechtsgut befugt, einwilligungsfähig und frei von Willensmängeln seine Einwilligung erklären. Eine Erklärung der Einwilligung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen.39 W nimmt den Beleg des falschen Gewichts entgegen. Für eine konkludente Einwilligung müsste jedoch, ähnlich wie bei einem Vertragsabschluss, eine gemeinsame Erklärungsbasis existieren. Eine Verkäuferin muss davon ausgehen können, dass der Kunde wahrnimmt, dass zusätzliche Gewichte auf die Waage gelegt werden und diesem durch die Entgegennahme zustimmt. Die F geht davon aus, unbeobachtet zu sein. Der Entgegennahme kann kein konkludenter Einwilligungsgehalt beigemessen werden.
bb) Zwischenergebnis
Eine Einwilligung liegt nicht vor.
d) Schuld
F handelt schuldhaft.
e) Ergebnis
F ist gem. §263 I, II, 22, 23 I strafbar. Gem. §§263 IV i.V.m. 248a ist bei Geringwertigkeit des Schadens ein Strafantrag zu stellen. Geringwertigkeit ist unter einem Wert von 50 Euro anzunehmen.40 120g Wurst sind regelmäßig unter 50 Euro wert. Ein besonderes öffentliches Interesse ist nicht ersichtlich. W müsste einen Strafantrag stellen.
4. Strafbarkeit nach §267 I
F könnte sich durch das Drücken auf die Waage nach §267 I einer Urkundenfälschung schuldig machen.
a) Strafbarkeit nach §267 I Var.1
Für die Herstellung einer unechten Urkunde ist eine Täuschung über die Identität des Ausstellers notwendig.41 F ist die Ausstellerin des Belegs und präsentiert sich als solche. Var.1 scheidet aus.
b) Strafbarkeit nach §267 I Var.2
Für das Verfälschen einer Urkunde hingegen muss die potenzielle Urkunde im Nachhinein noch inhaltlich verändert werden.42 Wird der Beleg als potenzielle Urkunde betrachtet, beeinflusst F zwar die Vorbereitung des Aufzeichnungsprozesses, verändert an der Urkunde selbst jedoch nichts. Var.2 scheidet aus.
c) Ergebnis
F ist nicht nach §267strafbar.
5. Strafbarkeit nach §268 I, III
F könnte sich zudem durch das Aufdrücken auf die Waage der Fälschung technischer Aufzeichnungen gem. §268 I, III schuldig machen.
a) Tatbestand
aa) Objektiver Tatbestand
(1) Technische Aufzeichnung
Die Darstellung der technischen Aufzeichnung muss dauerhaft, durch eine selbstständige Tätigkeit der Aufzeichnungsgeräts bewirkt sein und einen individuellen Bezug zum Geschehensablauf, sowie eine rechtliche Beweisfunktion haben, gem. §268 II.43 Die Waage misst selbstständig das aufliegende Gewicht jedes Wiegevorgangs und hält es rechtlich verbindlich und dauerhaft auf Belegen fest. Es handelt sich bei dem Beleg um eine technische Aufzeichnung.
(2) Fälschung der technischen Aufzeichnung
Durch den Schutzzweck der Norm sind nur solche Teile des Aufzeichnungsverfahrens geschützt, die das Gerät selbstständig erledigt.44 F legt ihren Finger auf die Waage und druckt den Beleg mit dem zusätzlichen Gewicht darauf aus. Die Waage prüft selbstständig nur das Gewicht und nicht die aufgelegten Gegenstände selbst. Der Aufzeichnungsvorgang verläuft fehlerfrei. F fälscht nicht die Aufzeichnung der Waage.
b) Ergebnis
F ist nicht aus §268 I, III strafbar.
II. Ergebnis
F ist aus §§263 I, II, 22, 23 I strafbar. F müsste einen Strafantrag stellen.
[...]
1 Alle genannten Paragrafen sind, vorbehaltlich anderer Hinweise, solche des StGB.
2 BeckOK StGB/ Eschelbach,§223, Rn.17.
3 VRS 108, 427, 428.
4 BeckOK StGB/ Eschelbach,§223, Rn.24.
5 NStZ-RR 2009, 337, 337f.
6 NStZ-RR 2009, 337, Leitsatz.
7 BeckOK StGB/ Kudlich, §15, Rn.3.
8 Siehe unter: A.I.1.a)aa)(1).
9 Rengier, AT,§13, Rn.62ff.
10 BeckOK StGB/ Kudlich, §15 Rn.65.
11 BeckOK StGB/ Kudlich, §142, Rn.4.
12 MüKoStGB/ Zopfs,§142, Rn.33; Kindhäuser, BT II, §68, Rn.7.
13 Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben,§142, Rn.17.
14 Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben,§142, Rn.15.
15 Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben,§142, Rn.17; JuS 1973, 558f.
16 Kindhäuser, BT II,§27, Rn.11f.
17 Kindhäuser, BT II,§27, Rn.4.
18 Schenke/Schröder/ Perron,§263, Rn.14f.
19 JA 2013, 107, 109.
20 Siehe unter: B.I.1.b).
21 Kaspar, AT, §8, Rn.13.
22 MüKoStGB/ Beukelmann, §263, Rn.23.
23 MüKoStGB/ Beukelmann, §263, Rn.25.
24 BeckOK StGB/ Beukelmann,§263, Rn.31.
25 MüKoStGB/ Hefendehl, §263, Rn.301.
26 JA 2017, 339, 342.
27 NJW 2011, 2871, Rn.l4f.; JA 2017, 339, 340.
28 JA 2017, 339, 342.
29 Schönke/Schröder/ Perron, §263, Rn.80ff.
30 MüKoStGB/ Hefendehl,§263, Rn.387.
31 MüKoStGB/ Hefendehl,§263, Rn.530.
32 Rengier, BT I,§13, Rn.183f.
33 Rengier, BT I,§13, Rn.156.
34 BeckOK StGB/ Beukelmann, §263, Rn.76.
35 MüKoStGB/ Hefendehl, §263, Rn.895.
36 MüKoStGB/ Hefendehl, §263, Rn.922.
37 Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/ Zaczyk,§22 Rn.23; JA 2015, 152, 153.
38 Rengier, AT,§23, Rn.1.
39 Rengier, AT,§23, Rn.21.
40 MüKoStGB/ Hohmann, §248a, Rn.4.
41 Rengier, BT II,§33, Rn.5.
42 Rengier, BT II,§33, Rn.21.
43 MüKoStGB/ Erb,§268, Rn.7ff.
44 MüKoStGB/ Erb,§268, Rn.37.