Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Ausgestaltung der Meldung grenzüberschreitender Steuergestaltungen nach der DAC 6-Richtlinie im deutschen Recht. Dabei wird vor allem auf die persönliche und sachliche Meldepflicht der DAC 6-Vorgaben eingegangen. Die Arbeit mündet in einer kritischen Würdigung der Meldung grenzüberschreitender Steuergestaltungen.
Die Pflicht zur Anzeige grenzüberschreitender Steuergestaltungen, die seit 2020 in den § 138d - § 138k AO normiert ist, ist im internationalen Vergleich keinesfalls neu. In Ländern wie Großbritannien oder den USA gehören Anzeigepflichten seit längerer Zeit zum Kanon der steuerlichen Compliance. Die Gesetzeseinführung basiert auf der Umsetzung der Änderungsrichtlinie (EU) 2018/822 in nationales Recht. Die Vorschriften sind zum einen Teil der politischen Reaktion auf die Skandalmeldungen der Panama- und Paradise-Papers, zum anderen Ausfluss des Aktionsfeldes 12 der G20-Staaten und der OECD zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), das den Steuerpflichtigen zur Offenlegung von aggressiven Steuersparmodellen verpflichtet. Die Einführung der Vorschriften ist vom Gedanken geleitet, Steuergestaltungen für die Verwaltungen transparenter zu machen. Weiterhin haben die Vorschriften das Ziel, die Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer zu verhindern und die Besteuerung von Gewinnen in Deutschland zu schützen. Daraus lassen sich drei zentrale Zwecke ableiten: die Identifikation von Steuerpflichtigen, die überprüfungsbedürftige Steuergestaltungen verwirklichen (veranlagungsunterstützende Funktion), die Informationsbeschaffung für zukünftige Gesetzgebungsverfahren zum Füllen von Gesetzeslücken (rechtspolitische Funktion) und die abschreckende Wirkung mit Ziel des Verhinderns steueraggressiver Gestaltungen.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Persönliche Meldepflicht
2.1 Meldepflicht des Intermediärs
2.2 Subsidiäre Meldepflicht des Nutzers
3 Sachliche Meldepflicht
3.1 Definition der „Grenzüberschreitenden Steuergestaltung“
3.2 Ausgewähltes allgemeines Kennzeichen in Verbindung mit „Main-Benefit-Test“
3.3 Ausgewähltes spezifisches Kennzeichen ohne „Main-Benefit-Test“
4 Kritische Würdigung der Zwecksetzung
Anhang
Literaturverzeichnis
Rechtsquellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Die Pflicht zur Anzeige grenzüberschreitender Steuergestaltungen, die seit 01.01.2020 in den § 138d – § 138k AO normiert ist, ist im internationalen Vergleich keinesfalls neu. In Ländern wie Großbritannien oder den USA gehören Anzeigepflichten seit längerer Zeit zum Kanon der steuerlichen Compliance.1 Die Gesetzeseinführung basiert auf der Umsetzung der Änderungsrichtlinie (EU) 2018/822 (nachfolgend die „Richtlinie“) in nationales Recht. Die Vorschriften sind zum einen Teil der politischen Reaktion auf die Skandalmeldungen der Panama- und Paradise-Papers2, zum anderen Ausfluss des Aktionsfeldes 12 der G20-Staaten und der OECD zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS), das den Steuerpflichtigen zur Offenlegung von aggressiven Steuersparmodellen verpflichtet.3 Die Einführung der Vorschriften ist vom Gedanken geleitet, Steuergestaltungen für die Verwaltungen transparenter zu machen.4 Weiterhin haben die Vorschriften das Ziel, die Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuerländer zu verhindern und die Besteuerung von Gewinnen in Deutschland zu schützen.5 Daraus lassen sich drei zentrale Zwecke ableiten: die Identifikation von Steuerpflichtigen, die überprüfungsbedürftige Steuergestaltungen verwirklichen (veranlagungsunterstützende Funktion), die Informationsbeschaffung für zukünftige Gesetzgebungsverfahren zum Füllen von Gesetzeslücken (rechtspolitische Funktion) und die abschreckende Wirkung mit Ziel des Verhinderns steueraggressiver Gestaltungen.6
Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich zunächst mit der Frage, wer eine grenzüberschreitende Steuergestaltung melden muss. Danach wird der Terminus der grenzüberschreitenden Steuergestaltung näher untersucht und aufkommende Problematiken anhand von zwei konkreten Kennzeichen vertieft. Die Untersuchung mündet in einer Analyse, die das Erreichen der drei oben beschriebenen Zwecke den Problemfeldern, die die Vorschrift induziert, gegenüberstellt. Die Untersuchung erhebt keinen Anspruch auf eine vollständige Darstellung der Meldepflicht. Explizit ausgeklammert ist das Meldeverfahren sowie eine ausführliche Darstellung der nicht im Textteil behandelten Kennzeichen.
2 Persönliche Meldepflicht
2.1 Meldepflicht des Intermediärs
Der Intermediär ist primär zur Meldung grenzüberschreitender Steuergestaltungen verpflichtet. Als Intermediär gilt jeder, der eine grenzüberschreitende Steuergestaltung vermarktet, für Dritte konzipiert, organisiert, zur Nutzung bereitstellt oder die Umsetzung verwaltet (§ 138d Abs. 1 AO). Die Intermediärseigenschaft ist keiner Berufsgruppe explizit zugeordnet, es handelt sich jedoch typischerweise um die Berufsgruppen der Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Finanzdienstleister oder der sonstigen Berater.7 Der Begriff des Intermediärs umfasst sämtliche Parteien, die am Lebenszyklus einer steuerlichen Gestaltung mit Ausnahme der rechtlichen Durchsetzung und Abwicklung mitwirken.8 Die einzelnen Alternativen werden im Folgenden dargestellt. Vorab kann jedoch festgehalten werden, dass eine genaue Abgrenzung der Alternativen schwierig durchzuführen ist, was auf eine bewusst vorgenommene begriffliche Unschärfe durch den Gesetzgeber hindeutet.
„Vermarktet“ bedeutet, dass die Steuergestaltung an den Markt gebracht und dort gegenüber Dritten angeboten wird, wobei das Anbieten von Steuergestaltungen an verbundene Unternehmen nicht erfasst ist.9 Das Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn beispielsweise eine Anwaltskanzlei potentielle Mandanten sucht und ihnen eine Gestaltung vorstellt.10 Unter „für Dritte konzipiert“ lässt sich die Planung, Entwicklung und der Entwurf einer konkreten Steuergestaltung für einen bestimmten Nutzer subsummieren.11 Darunter fällt beispielsweise die Entwicklung eines Gutachtens zu potentiellen Steuergestaltungsmöglichkeiten auf Grundlage einer sich ändernden Konzernstruktur.12 Die Abgrenzung der Alternative „organisiert“ gestaltet sich schwierig, da in der Gesetzesbegründung die Bereitstellung zur Nutzung als Kriterium genannt wird, obgleich dies dem Wortlaut der Erklärung der nachfolgenden Alternative entspricht.13 Diese begriffliche Unschärfe liegt dem Bestreben des Gesetzgebers zugrunde, die Definition des Intermediärs möglichst weit zu fassen.14 Die Literatur geht davon aus, dass „Organisieren“ zeitlich an die Ausarbeitung eines Konzeptes anschließt und in einer umsetzungsbereiten Gestaltung mündet.15 Unter Umständen könnte das Kriterium auf die Koordinierung der Gestaltung zwischen verschiedenen Intermediären abstellen.16 Allenfalls ist der Gesetzgeber gefordert, die konkrete Definition des Merkmals klarzustellen, um Mehrfachmeldungen zu vermeiden. Die „Bereitstellung zur Nutzung“ beschreibt das Aushändigen der zur Umsetzung erforderlichen Informationen zur Implementierung der Steuergestaltung. Das Aushändigen geschieht an einen potentiellen Nutzer, die tatsächliche Umsetzung der Gestaltung ist in diesem Merkmal nicht gefordert.17 Diese Beschreibung könnte einer Abgrenzung zum Merkmal „Organisieren“ gleichkommen, da in obigem Merkmal von einer konkreten Verwendung, das heißt von einer tatsächlichen Umsetzung, gesprochen wird. In Ergänzung könnte das Merkmal auch dann vorliegen, wenn der Intermediär die Tätigkeiten eines anderen Intermediärs unterstützt und die Gestaltung dem Mandanten vorstellt.18 Das „Verwalten der Umsetzung“ spricht von der konkreten Leitung der Umsetzung der Steuergestaltung.19 Die Abgrenzung knüpft an die zeitliche Komponente an, da im Falle der „Verwaltung der Umsetzung“ die Entscheidung über die Umsetzung schon getroffen wurde und die Umsetzungsphase bereits begonnen hat20, wohingegen das „Organisieren“ im Prozessablauf im Anschluss an die Konzeption stattfindet.
Der Intermediär ist dem BZSt zur Mitteilung der grenzüberschreitenden Steuergestaltung verpflichtet, wenn er Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt, Geschäftsleitung oder Sitz in Deutschland hat (§ 138f Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 AO). Wenn der Intermediär in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ansässig ist, muss er in diesem Staat der Mitteilungspflicht nachkommen, selbst wenn die grenzüberschreitende Steuergestaltung in Deutschland ansässige Nutzer und deutsche Steueransprüche betrifft.21 Dennoch muss gemäß § 138f Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 lit. a) AO eine Mitteilung beim BZSt erfolgen, wenn der Intermediär in einem Drittstaat ansässig ist, aber in Deutschland eine Betriebsstätte unterhält, die im Zusammenhang mit der Dienstleistung der anzeigepflichtigen grenzüberschreitenden Tätigkeit steht. Daraus folgt, dass der Intermediär mit Ansässigkeit in einem anderen EU-Mitgliedsstaat und einer Betriebsstätte in Deutschland in seinem Ansässigkeitsstaat meldepflichtig ist. Die Definition der Betriebsstätte richtet sich sowohl nach § 12 AO als auch nach dem jeweiligen DBA (§ 138d Abs. 4 AO). Weiterhin gilt die Meldepflicht in Deutschland, wenn der Intermediär in das deutsche Handelsregister oder in ein öffentliches Berufsregister eingetragen ist (§ 138f Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 lit. b) AO) oder in einem Berufsverband für juristische, steuerliche oder beratende Dienstleistungen registriert ist (§ 138f Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 lit. c) AO).
Eine Befreiung von der primären Meldepflicht des Intermediärs in Deutschland kann zum einen gemäß § 138f Abs. 8 AO erfolgen. Dabei muss der Intermediär zusätzlich in mindestens einem anderen EU-Mitgliedsstaat nach Maßgabe des § 138f Abs. 7 Satz 1 AO mitteilungspflichtig sein und nachweisen können, dass er die grenzüberschreitende Steuergestaltung dort ordnungsgemäß, das heißt gemäß § 138f Abs. 3 AO (siehe Anhang II), übermittelt hat.22 Zum anderen kann sich der Intermediär gemäß § 138f Abs. 9 AO befreien. Grundsätzlich sind mehrere Intermediäre gesamtschuldnerisch zur Mitteilung verpflichtet.23 Dennoch kann sich der Intermediär von der Mitteilungspflicht befreien, soweit er nachweisen kann, dass bereits ein anderer Intermediär oder Nutzer die Mitteilung zu derselben grenzüberschreitenden Steuergestaltung vorgenommen hat.24 In beiden Fällen reicht die Angabe der von der zuständigen Behörde vergebene Offenlegungs- und Registriernummer aus. Eine Angabe ohne Aufforderung ist nicht notwendig.25
2.2 Subsidiäre Meldepflicht des Nutzers
Als Nutzer der grenzüberschreitenden Steuergestaltung gilt jede natürliche oder juristische Person, Personengesellschaft, Gemeinschaft oder Vermögensmasse, der die Steuergestaltung zur Nutzung bereitgestellt wird, die bereit ist, die Steuergestaltung umzusetzen oder die den ersten Schritt zur Umsetzung der Steuergestaltung gemacht hat (§ 138d Abs. 5 AO). Obwohl nicht gesetzlich fixiert, muss der Nutzer als weiteres Merkmal durch die Gestaltung einen Steuervorteil innehaben. Dies ist auf den Wortlaut der Richtlinie zurückzuführen, die den Nutzer als „relevanten Steuerpflichtigen“ tituliert.26 Ein „relevanter Steuerpflichtiger“ ist somit nur, wer von einem Steuervorteil profitiert. Ansonsten wäre der Wortlaut des § 138k Satz 1 AO, der vom steuerlichen Vorteil des Nutzers spricht, missverständlich.27 Wenn der Nutzer die grenzüberschreitende Steuergestaltung für sich selbst konzipiert hat, gelten für ihn die Regelungen des Intermediärs entsprechend (§ 138d Abs. 6 AO).
Die Berufsausübung von Intermediären wie zum Beispiel Steuerberatern beruht regelmäßig auf gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten (siehe zum Beispiel § 57 Abs. 1 StBerG). Hieraus folgt, dass die primäre Meldepflicht des Intermediärs in Konkurrenz zu den Verschwiegenheitspflichten der jeweiligen Berufsstände steht. Daher normiert § 138f Abs. 6 Satz 1 AO die folgenden Voraussetzungen, die kumulativ zu einem Transfer der Mitteilungspflicht vom Intermediär zum Nutzer führen. Zunächst muss der gesetzlich zur Verschwiegenheit verpflichtete Intermediär dem Nutzer die Möglichkeit der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht aufgezeigt und ihn darüber informiert haben, dass andernfalls die Mitteilungspflicht auf ihn transferiert wird. Darauffolgend muss eine Entbindung der Verschwiegenheitspflicht durch den Nutzer unterbleiben und die zur Mitteilung erforderlichen Angaben sowie Registrier- und Offenlegungsnummer dem Nutzer vom Intermediär zur Verfügung gestellt werden.28 Ist eine der Voraussetzungen nicht erfüllt, verbleibt die Mitteilungspflicht trotz Verschwiegenheitspflicht beim Intermediär.29 In Ergänzung ist der Nutzer nach Maßgabe des § 138g Abs. 1 Satz 1 AO meldepflichtig, sofern der Intermediär in einem Drittstaat ansässig ist und folglich den Tatbestand des § 138 Abs. 7 AO nicht erfüllt und der Nutzer nicht nachweisen kann, dass der Intermediär die Meldung in einem anderen EU-Mitgliedssaat durchgeführt hat.30
3 Sachliche Meldepflicht
3.1 Definition der „Grenzüberschreitenden Steuergestaltung“
Die Anzeigepflicht der grenzüberschreitenden Steuergestaltung beschränkt sich auf die Steuerarten, auf die das EUAHiG Anwendung findet (§ 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Erfasst sind daher Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe-, Erbschaft-, Schenkung-, Luftverkehr-, Grunderwerb-, Kraftfahrzeugsteuer und nichtharmonisierte Verbrauchsteuern wie zum Beispiel die Kaffeesteuer, jedoch nicht die Umsatzsteuer, Zölle und harmonisierte Verbrauchssteuern.31
Das Merkmal „grenzüberschreitend“ ist dann erfüllt, wenn die Steuergestaltung mehrere EU-Mitgliedsstaaten oder jeweils mindestens einen EU-Mitgliedsstaat und mindestens einen Drittstaat betrifft (§ 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Zusätzlich wird in der Norm auf folgende Merkmale abgestellt, von denen mindestens eines erfüllt sein muss: die Beteiligten sind in verschiedenen Steuerhoheitsgebieten ansässig (lit. a)) oder einer beziehungsweise mehrere Beteiligte haben eine Doppelansässigkeit inne (lit. b)). Wenn dies nicht zutrifft, wird auf eine im anderen Steuerhoheitsgebiet gelegene Betriebsstätte unter der Voraussetzung, dass die Steuergestaltung die Geschäftstätigkeit der Betriebsstätte tangiert (lit. c)), einer im anderen Steuerhoheitsgebiet nachgegangenen Tätigkeit ohne dortige Ansässigkeit oder Begründung einer Betriebsstätte (lit. d)) oder auf die Auswirkung der Gestaltung auf automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten beziehungsweise die Identifizierbarkeit des wirtschaftlichen Eigentümers (lit. e)) abgestellt.32 Der Intermediär gilt dabei nicht als Beteiligter (§ 138d Abs. 7 AO).
Das Merkmal „Steuergestaltung“ ist im Gesetzeswortlaut nicht definiert. Es wird eine weite Auslegung des Begriffes angenommen und das Merkmal wird nur in Ausnahmefällen verneint.33 Das Merkmal umfasst die Zuordnung, Schaffung, den Erwerb und die Übertragung von Einkünften oder Einkünftequellen auf einen Steuerpflichtigen.34 Jedoch ist das Abwarten eines Zeitraums, beispielsweise zur steuerfreien Realisierung einer Transaktion, explizit ausgenommen.35 Die Definition der grenzüberschreitenden Steuergestaltung bedarf aufgrund der weiten Auslegung weiterer gesetzlich fixierter Konkretisierung. Dazu verweist § 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a) AO auf die allgemeinen und spezifischen Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO, von denen mindestens ein Kennzeichen in Verbindung mit einem steuerlichen Vorteilstest („Main-Benefit-Test“) zu erfüllen ist. Alternativ kann mindestens ein spezifisches Kennzeichen des § 138e Abs. 2 AO erfüllt sein (§ 138d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b) AO). Im Folgenden wird ein allgemeines Kennzeichen sowie der dazugehörige „Main-Benefit-Test“ detailliert vorgestellt, während nachfolgend ein spezifisches Kennzeichen des § 138e Abs. 2 AO näher beschrieben wird. In einem weiteren Schritt wird auf die aufkommende Problematik der jeweiligen Kennzeichen eingegangen. Die Einordnung der Kennzeichen in allgemeine und spezifische Kennzeichen sowie die Anwendung des „Main-Benefit-Tests“ ist in der Literatur nicht einheitlich.36 Die Kategorisierung der Kennzeichen in dieser Arbeit orientiert sich im Wesentlichen an der in der Richtlinie vorgenommenen Kategorisierung.37 Eine vollständige Auflistung sowie Einordnung der Kennzeichen findet sich in Anhang I.
3.2 Ausgewähltes allgemeines Kennzeichen in Verbindung mit „Main-Benefit-Test“
Gemäß § 138e Abs. 1 Nr. 2 AO ist das Vorliegen einer standardisierten Dokumentation oder Struktur, die ohne wesentliche individuelle Anpassung für mehrere Nutzer verfügbar ist ein allgemeines Kennzeichen, das gemeinsam mit dem „Main-Benefit-Test“ den Tatbestand der grenzüberschreitenden Steuergestaltung erfüllt. Das Kennzeichen stellt zum einen auf das äußere Merkmal der Dokumentation ab, bei dem musterartige Vertragswerke für mehrere Nutzer verwendet werden, ohne dass sich die Dokumentation inhaltlich voneinander unterscheidet.38 Die Gesetzesbegründung sieht von konkreten Anwendungsbeispielen ab, sodass es fraglich erscheint, ob zum Beispiel die Verwendung von Vordrucken oder Formularen eine standardisierte Dokumentation darstellt.39 Unklar ist außerdem, was als wesentliche Änderung gilt. Es sollen jedoch kleinere individuelle Abänderungen für die Standardisierung unschädlich sind und die Meldepflicht nicht auslösen.40 Durch mandatsbezogene inhaltliche Anpassungen, die nur aus Gründen der Vermeidung der Meldepflicht ausgeübt werden, könnte diese relativ einfach umgangen werden.
Das innere Merkmal der Struktur bietet durch die Nennung des „Goldfinger-Modells“ in der Gesetzesbegründung klarere Anknüpfungspunkte.41 Das „Goldfinger-Modell“ beschreibt ein Steuersparmodell für in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Privatpersonen mit hohem Einkommen, die eine Beteiligung an einer ausländischen, gewerblichen Personengesellschaft, die im Edelmetallhandel tätig ist, besitzen.42 Die Personengesellschaft ist in einem Staat ansässig, das mit Deutschland ein DBA mit Anwendung der Freistellungsmethode auf ausländische Einkünfte vereinbart hat. Weiterhin wird der Gewinn in einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt, sodass der Erwerb der Edelmetalle im Umlaufvermögen im Jahr des Erwerbes als Betriebsausgaben abziehbar ist.43 Die Personengesellschaft fungiert als Betriebsstätte, daher liegt das Besteuerungsrecht im Ausland. Durch den negativen Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) werden die durch die hohen Betriebsausgaben ermittelten negativen Einkünfte aus der ausländischen Beteiligung zur Ermittlung des deutschen Einkommenssteuersatzes hinzugezogen. Dies führt zu einer Steuerersparnis im Jahr des Erwerbes. Im Jahr des Verkaufs hat der positive Progressionsvorbehalt bei der deutschen Einkommenssteuerermittlung nur geringe Auswirkung, da ohnehin der Spitzensteuersatz angewendet wird.44 Die Struktur des Goldfinger-Modells wurde von Intermediären in gleicher Weise verschiedensten Nutzern angeboten.45 In Anlehnung an dieses Beispiel sollen ähnliche Strukturvermarktungsweisen meldepflichtig gemacht werden.
Die Kennzeichen des § 138e Abs. 1 AO gelten nur dann als erfüllt, wenn ein steuerlicher Vorteil erlangt wird, der in § 138d Abs. 3 Satz 1 AO definiert ist („Main-Benefit-Test“).46 Die Legaldefinition definiert den steuerlichen Vorteil als Erstattung von Steuern, als Gewährung oder Erhöhung von Steuervergütungen, als Entfall, Verringerung oder Verhinderung des Entstehens von Steueransprüchen oder als das Verschieben von Steueransprüchen in andere Besteuerungszeiträume. Der Steuervorteil muss nicht in Deutschland, sondern kann auch in einem anderen Staat erzielt werden (§ 138d Abs. 3 Satz 2 AO). Wirkt sich der steuerliche Vorteil nur im Inland aus und ist er gesetzlich vorgesehen, so gilt er nicht als steuerlicher Vorteil im Sinne der Vorschrift (§ 138d Abs. 3 Satz 3 AO).47 Dabei wird auf die willentliche Erlangung eines Steuervorteils abgestellt, das tatsächliche Erreichen des Steuervorteils ist irrelevant.48 Der Mitteilungspflichtige kann sich durch Erbringung des Nachweises exkulpieren, dass konkrete außersteuerliche Gründe für die Gestaltung vorliegen, die den steuerlichen Vorteil in den Hintergrund rücken. Es muss dabei nachgewiesen werden, dass der steuerliche Vorteil kein oder nicht einer der Hauptvorteile ist.49 Die Unterscheidung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Hauptvorteil“ vom „Nebenvorteil“ erschwert die Exkulpierung erheblich.50
3.3 Ausgewähltes spezifisches Kennzeichen ohne „Main-Benefit-Test“
§ 138e Abs. 2 Nr. 1 lit. c) AO normiert die Meldepflicht bei Übertragung von Vermögensgegenständen, bei der sich der Wertansatz des Vermögensgegenstandes in den jeweiligen Ländern wesentlich unterscheidet. Beispielsweise fiele die Übertragung eines Vermögensgegenstandes, das im Veräußerungsland zum Buchwert und im Erwerberland zum gemeinen Wert geführt wird, unter dieses Kennzeichen. Wertunterschiede von 10% oder geringer gelten dabei als unwesentlich.51 Jedoch ist nicht ersichtlich, ob die Wesentlichkeitsgrenze, die zur Reduzierung der meldepflichtigen Fälle vom deutschen Gesetzgeber eingeführt wurde, auf den Wertansatz im Erwerber- oder im Veräußerungsland angewendet werden soll.52 Weiterhin ist die Wesentlichkeitsgrenze nicht in der Richtlinie kodifiziert, was bedeutet, dass sie der deutsche Gesetzgeber individuell eingeführt hat. In anderen Ländern könnte sie folglich anders gesetzt worden sein, was zu gegenläufigen Meldungen zwischen den Ländern führen könnte.53 Außerdem ist fraglich, warum die Anwendung des „Main-Benefit-Test“ für das Kennzeichen unterbleibt und keine Exkulpierung erfolgen kann.54 Unter die Meldepflicht fallen somit auch Steuernachteile, die durch unterschiedliche Wertansätze bedingt sind sowie bloße Übertragungen ohne Intention einer steueraggressiven Gestaltung. Dies wirft die Frage auf, welchen Mehrwert die Anzeige derartiger Gestaltungen dem Gesetzgeber bringt.55
[...]
1 Vgl. Eilers/Sommer (2019), S. 75.
2 Vgl. Stöber (2018), S. 1559.
3 Vgl. Rengers (2018), § 1 KStG, Rz. 201.
4 Vgl. Adrian/Heinsen (2018), S. 1182.
5 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 21.
6 Vgl. Osterloh-Konrad/Heber/Beuchert (2017), S. 3; Lüdicke/Oppel (2019), S. 60.
7 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 27–28.
8 Vgl. Ditz/Engelen (2019), S. 358.
9 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 27; Patzner/Nagler (2019), S. 403.
10 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2019), S. 158.
11 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 27.
12 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2019), S. 158.
13 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 27.
14 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2019), S. 159.
15 Vgl. Ditz/Engelen (2019), S. 358.
16 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2019), S. 159.
17 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 27.
18 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2019), S. 159.
19 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 27.
20 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2019), S. 159.
21 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 45.
22 Vgl. Brandis (2019), § 138f AO, Rz. 16.
23 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 46.
24 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 46; Engelen/Bärsch (2020), S. 679.
25 Vgl. Engelen/Bärsch (2020), S. 679.
26 Richtlinie (EU) 2018/822, S. 5.
27 Vgl. Trageser/Schenk (2019), S. 2911; a. A: von Bredow/Gibis (2020), S. 122–129.
28 Vgl. Engelen/Bärsch (2020), S. 679.
29 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 45.
30 Vgl. Trageser/Schenk (2019), S. 2912.
31 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 28; Lüdicke/Oppel (2019), S. 61.
32 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 28–29; Fischer/Riedlinger (2018), S. 417.
33 Vgl. Polatzky/Schäfer (2019), S. 915–916.
34 Vgl. Welzer/Dombrowski (2019), S. 361; Patzner/Nagler (2019), S. 403.
35 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 28.
36 Vgl. von Bredow/Gibis (2020), S. 122–129; a. A.: Ditz/Engelen (2019), S. 354.
37 Richtlinie (EU) 2018/822, S. 11–13.
38 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 32.
39 Vgl. Polatzky/Schäfer (2019), S. 918.
40 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 32.
41 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 32.
42 Vgl. Mann/Stahl (2015), S. 1425.
43 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 32.
44 Vgl. Mann/Stahl (2015), S. 1425.
45 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 32.
46 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen (2019), S. 820.
47 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 29–30.
48 Vgl. Schnitger/Brink/Welling (2018), S. 517.
49 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 29.
50 Vgl. Adrian/Heinsen (2018), S. 1184; Schnitger/Brink/Welling (2018), S. 518.
51 Vgl. BT-Drucksache 19/14685, S. 38.
52 Vgl. Polatzky/Schäfer (2019), S. 919–920.
53 Vgl. Eberhardt (2019), S. 699.
54 Vgl. Polatzky/Schäfer (2019), S. 920.
55 Vgl. Eberhardt (2019), S. 699.