Diese Arbeit befasst sich mit der Stendaler Arbeiterbewegung. Weil einem großen Teil der Bevölkerung die Arbeiterklasse wie sie war und wirkte tatsächlich immer noch fremd ist, ist es lohnenswert sich mit der Entwicklung anhand der Entstehungsgeschichte der Arbeiterbewegung auseinanderzusetzen. Am spezifischen Beispiel der Arbeiter*innen aus der Stadt Stendal, wie auch mit denen auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Provinz Sachsen, da es zwischen den Städten innerhalb derselben Provinz qualitativ und quantitativ Unterschiede der Bewegung gab. Die Darstellung über die Stendaler Arbeiterbewegung wird nicht ohne die Einordnung in das Geschehen auf dem ganzen Reichsgebiet oder dem mittel-deutschen Raum auskommen, da die Arbeiter*innen vernetzt waren und dadurch die damaligen Ereignisse zusammenhängen. Zum anderen benötigt die Arbeit weitere Darstellungen über die Arbeiterbewegung, weil Stendal eine Kleinstadt in der Altmark ist und nicht das Potenzial bereitstellte, das die Arbeiterbewegung von dort ausagierte. Die Quellen über die Stendaler Arbeiterschaft stammen aus preußischen Polizeiakten aus dem Stendaler Stadtarchiv, die zwischen 1890 und 1920 angelegt wurden.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Arbeiterbewegung von 1848- 1890
Die Arbeiter*innen
Die ersten Protest- und Organisationsformen
Das Sozialistengesetz
Die Arbeiterbewegung von 1890- 1918
Vereine und Presseerzeugnisse in Magdeburg
Vereine in Stendal
Der erste Weltkrieg
Die Arbeiterbewegung von 1918- 1920
Revolution 1918/ 1919
Wahl zur Nationalversammlung Februar 1919
Kapp-Putsch März 1920
Fazit
Quellen und Beschreibung
P VIII 37 20
P II 8 46
P II 9 63
P II 9 124
P II 8 92
P II 7 4
K III 59 17
P II 7 4 Seite 63- 69
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Wir Arbeiter waren einem großen Teile der deutschen Bürgerklasse fremde, unbekannte Wesen …; konnten wir erwarten, daß man uns als eine Klasse in der Gesellschaft betrachtete, die ihre eigene selbstständige Entwicklung durchmacht? […] [W]ir stehen jetzt auf einer Stufe der Entwicklung, von der uns keine Gewalt der Erde mehr zurückwerfen soll …, wir nehmen unsere Angelegenheit selbst in die Hände und niemand soll sie uns wieder entreißen.“1
Diese Worte standen in den Statuten des Berliner Zentralkomitees für Arbeiter 1848. In diesem Zitat werden alle zentralen Aspekte zusammengefasst, um die sich die vorliegende Arbeit dreht. Weil einem großen Teil der Bevölkerung die Arbeiterklasse wie sie war und wirkte tatsächlich immer noch fremd ist, ist es lohnenswert sich mit der Entwicklung anhand der Entstehungsgeschichte der Arbeiterbewegung auseinanderzusetzten. Am spezifischen Beispiel der Arbeiter*innen aus der Stadt Stendal, wie auch mit denen auf dem Gebiet der ehemaligen preußischen Provinz Sachsen, da es zwischen den Städten innerhalb derselben Provinz qualitativ und quantitativ Unterschiede der Bewegung gab. Die Darstellung über die stendaler Arbeiterbewegung wird nicht ohne die Einordnung in das Geschehen auf dem ganzen Reichsgebiet oder dem mitteldeutschen Raum auskommen, da die Arbeiter*innen vernetzt waren und dadurch die damaligen Ereignisse zusammenhängen. Zum anderen benötigt die Arbeit weitere Darstellungen über die Arbeiterbewegung, weil Stendal eine Kleinstadt in der Altmark ist und nicht das Potential bereitstellte, das die Arbeiterbewegung von dort ausagierte. Die Quellen über die stendaler Arbeiterschaft stammen aus preußischen Polizeiakten aus dem stendaler Stadtarchiv, die zwischen 1890 und 1920 angelegt wurden.
Der erste Teil der Arbeit befasst sich mit der Definition des Begriffs Arbeiter. Wer zur Arbeiterbewegung gehörte und welche Einstellungen sie teilten. Zudem um die ersten Organisationen dieser Bewegung um 1848 und dem Sozialistengesetz als staatliche Gegenreaktion auf die Bewegung. Im zweiten Abschnitt werden die Vereinsstrukturen, Organisations- und Handlungsformen thematisiert, wie auch die Einstellung der Arbeiter*innen zum ersten Weltkrieg und die Situation der Bewegung zu dieser Zeit. Der dritte Teil der Arbeit fokussiert die Räterepublik nach der Novemberrevolution 1918 und die Wahl zur ersten Nationalversammlung der Weimarer Republik. Unter diesem Aspekt ist es lohnenswert den Kapp-Putsch als erste Bewährungsprobe der Weimarer Republik zu thematisieren und das Interesse der Arbeiter*innen an diesem Ereignis.
Die Arbeiterbewegung von 1848- 1890
Die Arbeiter*innen
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in fast jedem deutschen Staat des Deutschen Bundes Arbeiterverbände aus halblegalen oder illegalen Vorläufern. Zu diesen zählen auch Hilfs-, Kranken- und Sterbekassen von wandernden Handwerksgesellen.2 In dieser Zeit war die Grenze zwischen den betrieblichen Organisationsformen Werkstatt, Manufaktur und Fabrik fließend und das Armutselend weit verbreitet. Zu den Arbeiter*innen zählten einerseits die mit handwerklicher Arbeitsweise und der dazugehörigen Tradition oder andererseits solche, die in vollständig ausgeprägten kapitalistischen Arbeitsverhältnissen standen. Vor allem in Städten mit hohem Gewerbeanteil schlossen sich Arbeiter wie Maurer, Zimmerer, Schriftsetzer oder Arbeiter*innen aus dem Textilhandwerk zu Arbeitervereinigungen zusammen. Bis nach 1860 wurde die Arbeiterbewegung als Protestbewegung angesehen, die sich gegen die industriellen Produktionsverhältnisse mit den dazugehörigen neuen Arbeitsstrukturen richtete.
Die Handwerker waren noch, wie die um 1830, stark durch ständische Traditionen geprägt, die sie erhalten wollten. Sie waren reaktionär, weil sie „stark im zünftlerischen Denken verwurzelt“3 waren und damit in ihrer Wertorientierung konservativ. Die Klammerung an altbekannte Geselligkeitsformen und das Liebäugeln mit dem Genossenschaftsgedanken, auch für Produktionsgenossenschaften, sowie die Attraktivität von religiös-konfessionellen Deutungsangeboten, könnten eine Erklärung für die Zustimmung von Arbeiter*innen für frühsozialistische Ideen sein, womit sich die Bewegung von einer protestartigen zu einer eigenständigen politischen Bewegung mit eigenen Vorstellungen einer bestimmten Gesellschaftsordnung wandelte.
Die ersten Protest- und Organisationsformen
Durch die zumeist rebellische Form der Verteidigung ihrer Lebensweise wirkten sie revolutionär.4 Die damaligen Protestformen, wie Arbeitseinstellungen und Hungerrevolten, besaßen Ähnlichkeiten mit modernen Streikaktivitäten. Es gab aber auch größere Tumulte und Aufstände, wie beispielsweise den Weberaufstand 1844. An diesen Protesten hingen nicht nur Forderungen nach mehr Lohn oder besseren Arbeitsbedingungen, wie kürzere Arbeitszeiten und Arbeitsschutz. So zeigt das Reformprogramm der Arbeiterverbrüderung aus Leipzig das ein parlamentarisch-demokratischer Staat mit Koalitionsrecht und allgemeinen Wahlrecht ein fest gesetztes Ziel darstellte.5 Auch die Kommunistische Partei in Deutschland hatte in ihrem Forderungskatalog 1848 das allgemeine Wahlrecht für Männer ab 21 Jahren. Weiterhin trat sie für die Schaffung einer Republik ein, für die Trennung von Staat und Kirche, sowie für die allgemeine unentgeltliche Erziehung der Bevölkerung.6
Nach dem Armutshöhepunkt verbesserten sich die Lebensverhältnisse der Arbeite*innen in den 1850er Jahren langsam. Die Industrialisierung und die damit einhergehende Etablierung des technischen Fortschritts, wird auch in Anbetracht des Arbeitsprozesses, dem geübteren Umgang mit den Maschinen durch die Arbeiter*innen werden dies mit beeinflusst haben. Daher brachte diese nicht nur die Erfahrung der Proletarisierung mit sich, die vor allem Verlust bedeutete, sondern auch das Eingehen von neuen Bindungen und Befreiung von Abhängigkeitsverhältnissen. Nichts desto trotz blieb die, vor allem im Alter existenzbestimmende und drohende Armut, welcher dem sichtbar wachsenden Wohlstand des Bürgertums entgegenstand. Diese identifizierte offen zutage tretende soziale Ungleichheit, die Solidarität zwischen den Arbeiter*innen und das damit einhergehende Klassenbewusstsein formte die Handwerker, Fabrikarbeiter*innen und Meister zu einer Gruppe, zur Arbeiterklasse.7
Zu dieser neuen gesellschaftlichen Klasse kamen auch neue Vereine hinzu, wie der am 5. Februar 1861 in Dresden gegründete „Arbeiterbildungsverein“. Durch Vorträge, wie beispielsweise „Das politische ABC“ oder „Deutsche Geschichte“ und Zeitungen, einer Bibliothek, sowie mit Unterricht am Sonntag und am Abend nach der Arbeit sollte der Losung „Durch Bildung zur Freiheit“8 nachgekommen werden.9 Ein weiteres Beispiel ist die Parteigründung am 15. Oktober 1864 vom „Allgemeine Deutsche Arbeiter Verein“ in Magdeburg. Dieser hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die ArbeiterInnen mit einer unabhängigen Partei vom Einfluss des Bürgertums zu lösen.10 Neben den weiteren vier Vereinen die in Magdeburg entstanden, erschien am 1. September 1876 zum ersten Mal die „Magdeburger Freie Presse“, die innerhalb eines halben Jahres 2.500 Abonnements für sich beanspruchen durfte.11
Nicht nur die Vereins- und Parteibildungen in den Ballungszentren der Arbeiterbewegung, wie Berlin, Hamburg, Leipzig, sowie alle Städte mit größeren Industrien, sondern auch die Streikbewegung war eine Antriebskraft für diese Klasse und ihre Autonomiebestrebungen. Einerseits wurde für mehr Lohn gestreikt, wenn eine für den Betrieb konjunkturell günstige Situation bestand. Auf der anderen Seite wurde auch gestreikt, wenn die Betriebe unter frühindustriellen Bedingungen in Krisenzeiten geraten sind. Die ersten großen Streiks mit überregionaler Bedeutung fanden ab den 1865er Jahren statt. Darunter fiel der Leipziger Buchdruckerstreik 1865, bei dem zehn Wochen lang 500 Arbeiter*innen und somit mehr als die Hälfte der Buchdrucker*innen beteiligt waren. Auch der Bergarbeiterstreik 1869/70 im niederschlesischen Waldenburg mit ca. 6500 Bergarbeitern zählt zu den ersten Massenstreiks und dauerte zwei Monate. Beide Arbeitsniederlegungen hielten über längere Zeit an, ohne gebrochen zu werden und betrafen eine sehr hohe Zahl der Arbeiter*innen auch einem Gewerbezweig. Insgesamt gab es 1869 152 Streiks und 1872 verdoppelten sich die Streiks auf 352.12
Die Arbeiterbewegung entwickelte sich zu einer Massenbewegung, die sich flächendeckend für bessere Lebens- und Arbeitsverhältnisse einsetzte und mit dem Mittel des Streiks ihre Stärke beweisen konnte und dies auch tat. Da die Arbeitervereine und Parteien, die zu dieser Zeit entstanden, mehrheitlich sozialistisch, kommunistisch oder demokratisch geprägt waren und eine Republik mit einer parlamentarisch legitimierten Regierung forderten, waren sie für Konservative und Anhänger der Monarchie, die sich für die Reichsgründung 1872 einsetzten, ein Dorn im Auge.13
Das Sozialistengesetz
Das begangene Attentat vom Klempnergesellen Hödel auf Kaiser Wilhelm I. am 11. Mai 1878 gab Anlass für eine radikale Wendung im Umgang mit der Arbeiterbewegung. Otto von Bismarck und seine Verbündeten legten dem Reichstag einen Gesetzesentwurf „zur Abwehr sozialdemokratischer Ausschreitungen“14 vor. Dieser beinhaltete nicht nur mehr die Abwehr, sondern eine Offensive nach einheitlichen Richtlinien, gegen die Sozialdemokratie mit dem Ziel, diese Bewegung zu Vernichten. Der Entwurf wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Am 2. Juni 1878 veranlasste ein weiterer Anschlag, der den Kaiser lebensgefährlich verletzte, Bismarck dazu den Reichstag aufzulösen. Im neu gewählten Reichstag wurde das Sozialistengesetz „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“15 am 12. Oktober 1878 verabschiedet. Der Konservative und Abgeordnete von Kleist-Retzow erklärte, dass beide Attentäter, Hödel und Nobiling „getrunken [und] von dem Taumelbecher der Sozialdemokratie und, davon berauscht, sind sie zu derartigen Verbrechen fortgeschritten“16. Nachgewiesen wurde aber, dass die organisierte Sozialdemokratie nichts mit diesen Anschlägen zu tun hatte. Nach der ersten Gesetzesverabschiedung schien 1884 die Verlängerung des Sozialistengesetzes im Reichstag nicht sicher. Deshalb haben Bismarck, wie auch der Kaiser, vor dem Reichstag erfolgreich für die Verlängerung geworben, da die wohlorganisierte Arbeiterbewegung nur auf den richtigen Moment wartete um die bestehende Ordnung des Kaiserreichs zu stürzen.17 Nun war die Regierung ermächtigt den „kleinen Belagerungszustand“ zu verhängen, den der Abgeordnete und spätere Oberpräsident von Schlieckmann offen als „kleinen Kriegszustand“18 bezeichnete. Zuerst wurde dieser Zustand über die Städte Berlin, Hamburg, und Leipzig verhängt und später auf alle großen Industriestandorte und Städte ausgeweitet.19 Der Sozialdemokratie sollte das Mittel Propaganda für ihre Zwecke zu betreiben genommen werden, um dadurch das Hauptziel zu erreichen, die Parteiorganisation zu zerstören. Hierunter zählte die Aufhebung der Vereins- und Versammlungsfreiheit, der Pressefreiheit, sowie der Freizügigkeit des Gewerbebetriebs. Der erste Paragraph markierte die feindseligen Vereine als „[,]welche [die] durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken.“20 Mit Hilfe der Kirche und der schulischen Bildung, „denen die Erziehung des Volkes obliegt“,21 sollte in erster Linie ein „geistiger Kampf“,22 das heißt, ein ideologisch geprägter geführt werden.23 Bei dem Gesetz und bei der Durchführung dessen wurde nicht differenziert, sondern alle Anarchisten, Kommunisten und Sozialisten in die Schublade der Sozialdemokratie gepresst.
[...]
1 Grebing 2007, S. 15.
2 Vgl. Grebing 2007, S. 19.
3 Drechsler, 1996, S. 44.
4 Vgl. Grebing 2007, S. 15f. --> in den neueren Zitationen setzt sich m.E. durch, dass man S. 15- 16 schreibt, anstatt das folgende einsetzt. Vergleichst du mithilfe eines direkten Zitats, oder hast du nachgesehen(siehe, hierzu ) in ... die erste Fussnote ist soweit ich weiss, die ausführliche...alle weiteren anschließenden des selben Buchtitels sind die Kurzformen.
5 Vgl. Grebing 2007, S. 20.
6 Vgl. Grebing 2007, S. 19f
7 Ebd. S. 22f.
8 Vgl. Wieczoreck, 1993, S. 29.
9 Ebd. S. 28f.
10 Vgl. Drechsler, 1993, S. 42.
11 Ebd. S. 45f.
12 Vgl. Grebing 2007, S. 25.
13 Ebd.
14 Höhn 1964, S. 15.
15 Ebd.
16 Höhn 1964, S. 15.
17 Ebd. S. 15f.
18 Ebd. S. 17.
19 Ebd.
20 Vgl. Höhn 1964, S. 30.
21 Ebd. S. 14.
22 Ebd.
23 Ebd. S. 14.