Qualität und Inklusion in Kindertagesstätten. Ein Konzept zur Qualitätsprüfung
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Qualität in Kindertageseinrichtungen
3. Inklusion in Kindertageseinrichtungen
4. Qualitätsdimensionen im Kontext von Inklusion in Kindertageseinrichtungen
4.1 Beziehungsqualität
4.2 Strukturqualität
4.3 Prozessqualität
4.4 Ergebnisqualität
5. Qualitätsüberprüfung
6. Praxisüberprüfung anhand einer Fallstudie
6.1 Thema auswählen und eindeutig formulieren
6.2 Moderationskonzept
6.2.1 Bildgestaltung
6.2.2 Stellung nehmen
6.2.3 Veränderungs- und Handlungsbedarf festlegen
6.2.4 Verbesserungsvorschläge entwickeln und Vereinbarungen treffen
6.3 Stolpersteine
7. Fazit
I Literatur
1. Einleitung
Der Begriff Qualität leitet sich vom lateinischen Wort „qualitas“ ab und bedeutet zu Deutsch ‚Beschaffenheit oder Eigenschaft‘. Qualität fragt danach, wie etwas beschaffen ist und ist demnach zunächst wertfrei. In unserem Sprachgebrauch kommt dem Begriff allerdings eine „bewertende Bedeutung [zu] und entspricht dabei der Güte aller Eigenschaften eines Objektes, Systems oder Prozesses“. Der Terminus ‚Qualitätsmanagement‘ „umfasst alle Tätigkeiten (einschließlich der Festlegung der jeweiligen Zuständigkeiten), die dazu beitragen, dass die Qualitätsziele einer Organisation erreicht werden“. (Vorest AG)
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dieser Thematik anhand einer Fallstudie zur Qualität von Inklusion in einer Kindertageseinrichtung. Besagte Kindertageseinrichtung, deren pädagogische Fachkräfte davon ausgehen, bereits seit 20 Jahren inklusiv zu arbeiten, bekommt eine neue Leitung. Nach eingehender Beobachtung beschließt diese, mit ihrem Team, bestehend aus sieben Erzieherinnen mit unterschiedlicher Berufserfahrung, einem (vor kurzem eingestellter) Erzieher, zwei Sozialassistentinnen, einer Heilpädagogin und einem Integrationshelfer, eine Qualitätsüberprüfung durchzuführen. Ziel ist es, den Kolleg*innen aufzuzeigen, dass Inklusion nicht gleich Inklusion ist und zu erarbeiten, wie sich die Einrichtung hinsichtlich der Inklusion noch weiter entwickeln kann.
Dazu beschäftigt sich die vorliegende Arbeit zunächst allgemein mit der Bedeutung von Qualität in Kindertageseinrichtungen und wie sich Inklusion in diesen äußert. Beides wird im nächsten Schritt zur ‚Qualität der Inklusion in Kindertageseinrichtungen‘ kombiniert, welche anhand der vier Qualitätsdimensionen Struktur-, Prozess-, Beziehungs- und Ergebnisqualität untersucht werden sollen. Die Erarbeitung dieser Dimensionen bildet den ersten von fünf Schritten eines Qualitätsüberprüfungsprozesses. Wie sich diese gestaltet, wird im darauffolgenden Kapitel erläutert.
Zu den verbliebenen vier Schritten wird beispielhaft ein Moderationskonzept aus Perspektive der Leitung der Einrichtung formuliert, in dem gezeigt werden soll, wie eine solche Qualitätsüberprüfung praktisch gestaltet werden kann.
2. Qualität in Kindertageseinrichtungen
Der Bildungs- und Förderungsauftrag von Kindertageseinrichtungen besteht in der Förderung der „Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ in Bezug auf die „soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes.“ (Bundesamt für Justiz) Um den Anforderungen gerecht zu werden, ist eine systematische Qualitätsentwicklung notwendig. So wurde das „Gute – KiTa – Gesetz“ entwickelt, welches am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist. Ziel des Gesetz ist, neben der finanziellen Entlastung der Erziehungsberechtigten hinsichtlich der Gebühren, die Weiterentwicklung der Qualität in Kindertageseinrichtungen. Dazu zählen, unter anderem, die „Schaffung eines bedarfsgerechten Angebotes, eines guten Fachkraft-Kind-Schlüssels, (…) Qualifizierung von Fachkräften oder (…) Stärkung der Kitaleitungen“. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend)
Kriterien für pädagogische Qualität sind nach Becker-Stoll und Wertfein, „inwiefern die Bedürfnisse der Kinder befriedigt werden und ihre Entwicklung altersangemessen unterstützt wird.“ (Becker-Stoll et al. 2020, S.18) Beurteilung von Qualität steht demnach in Bezug zu „entwicklungsspezifischen Bedürfnissen“ und sei „grundsätzlich aus Kindperspektive zu betrachten und zu bewerten“ (ebda. S.19) Dazu zählen neben den physischen auch die „psychischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Kompetenz- und Autonomieerleben“. Die Gruppen in Kindertageseinrichtungen sind von Heterogenität geprägt. Die pädagogische Arbeit und Förderung muss sich Entwicklungsständen und etwaigen Behinderungen anpassen, den individuellen Bedürfnissen der Kinder gerecht werden und dabei gleichzeitig deren Lebenssituation und Herkunft berücksichtigen. (Bundesamt für Justiz) Jedes Kind soll die gleichen Bildungschancen haben. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend benennt für das Gelingen eine hohe Qualität in Kindertageseinrichtungen, die dazu beitragen soll, „soziale Benachteiligungen auszugleichen und gleiche Chancen für alle zu eröffnen“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) Die Deutsche Liga für das Kind nennt als Notwendigkeit „für eine schrittweise, zeit- und zielgerichtete Verbesserung der Qualität (…) internes Qualitätsmanagement, eine Prozess begleitende Evaluation und eine Intensivierung der Forschung (…), eine Erhöhung des Ausbildungsniveaus und Verbesserungen in der Bezahlung von Erzieher(inne)n.“ (Hédervári-Heller et al., S.3)
Letztendlich ist nach Definition von Cryer pädagogische Qualität dann gegeben, „wenn die jeweiligen pädagogischen Orientierungen, Strukturen und Prozesse das körperliche, emotionale, soziale und intellektuelle Wohlbefinden und die Entwicklung und Bildung der Kinder in diesen Bereichen aktuell wie auch auf Zukunft gerichtet fördern“. (Becker-Stoll et al. 2020, S.19)
3. Inklusion in Kindertageseinrichtungen
Deutschland ist seit Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention zur „Schaffung eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen verpflichtet“. Dazu zählen auch Kindertageseinrichtungen, für die es „als Teil eines inklusiven Bildungssystems (…) Inklusion als Regelangebot für alle Kinder zu begreifen“ gilt. (Heimlich 2013, S.8) Inklusion in Kindertageseinrichtungen meint folglich das gemeinsame Aufwachsen und Miteinander aller Kinder. (Albers o.J., S.1) Kinder mit und ohne Behinderung sollen einander in ihren Unterschiedlichkeiten kennenlernen und gemeinsam die gleichen Chancen und Rechte erfahren und dadurch Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen vorzubeugen. (Prengel 2014, S.42)
Damit die Kinder volle Teilhabe genießen können, müssen spezifische Anforderungen und Bedürfnisse der Kinder mit Beeinträchtigung erfüllt sein, um Unmut vorzubeugen und stattdessen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Die körperliche und geistige Belastbarkeit muss berücksichtigt werden. Ein reizreduzierter Rückzugsort zur Erholung sollte hierzu gegeben sein. Zur aktiven Teilhabe für motorisch eingeschränkte Kinder, sowie für Kinder mit Sinnesbeeinträchtigungen, benötigt es eine geeignete Einrichtung des Raumes, der „Selbstwirksamkeit und Mobilität ohne Hindernisse“ bietet, also Barrierefreiheit. Selbstwirksamkeitserfahrungen sind beispielsweise eigenständiges Bewegen ohne Hilfe durch eine Fachkraft oder uneingeschränkte Teilnahme an Spiel und Aktivität mit anderen Kindern. (Jasmund 2018, S.22)
Die Herausforderungen für Fachkräfte in der inklusiven Bildung liegen darin, eine Balance zwischen Gleichbehandlung und individueller Unterstützung, sowie zwischen „allgemeinverbindlichen Regeln für alle und besondere Regeln ‚für manche von Zeit zu Zeit‘“, zu finden. Außerdem gilt es, Gleichgewicht zwischen Unterstützung und der Ermöglichung zu eigenen Erfahrungen der Kinder zu halten. (Brunner 2018, S.122)
4. Qualitätsdimensionen im Kontext von Inklusion in Kindertageseinrichtungen
Mit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention 2009, musste sich jede Bildungseinrichtung mit dem Thema Inklusion beschäftigen und sich den daraus ergebenden Aufgaben annehmen. Im Sinne der Behindertenrechtskonvention bedeutet Qualität die „Anerkennung von Vielfalt – und (…) Reflexion von Differenz“. (Dannenbeck 2016) Dazu gehört die Reflexion, wo der Stand der Inklusion bereits ist und wohin sich die Einrichtung zur Erreichung des Zieles noch entwickeln muss. Der aktuelle Stand der Dinge muss „organisatorisch, praktisch und haltungsmäßig“ geprüft werden. (Dannenbeck 2016) Zur Überprüfung können vier Qualitätsdimensionen herangezogen werden; die Beziehungs-, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Diese sollen im Folgenden dargestellt und in den Kontext von Inklusion in Kindertageseinrichtungen gestellt werden.
4.1 Beziehungsqualität
Die Beziehungsqualität beschreibt die Art und Weise des Umgangs der Kolleg*innen und Führungskräften untereinander, sowie deren Beziehung zu ihren Klient*innen. Gute Beziehungsqualität bemisst sich an der gegenseitigen Wertschätzung im Umgang miteinander und an einer positiven Atmosphäre, „in der alle ihre Potenziale optimal entfalten können“. Es gilt seinem Gegenüber mit „Achtung und Respekt (…) und auf gleicher Augenhöhe“ zu begegnen und miteinander zu arbeiten. (Maurus et al. 2016, S.27)
Um Kindern in der Kindertageseinrichtung eine solche entwicklungsfördernde Beziehungsqualität zu bieten, müssen sie sich in ihrer Bindung zu den Fachkräften wohlfühlen und „emotionale Sicherheit und eine Vertrautheit mit ihren Bezugspersonen“ erfahren. In der Kindertageseinrichtung spielt die Beziehungsqualität neben der Entwicklungsförderung auch bei dem Übertritt von der Betreuung in der Familie zur Tagesbetreuung mit zunächst fremden Personen und unbekannter Umgebung. Hier richtet sich die Beziehungsqualität auf den Umgang zwischen den Fachkräften und den Erziehungsberechtigten, denn die Eingewöhnung sollte von den Eltern begleitet werden. Durch deren positive Zusammenarbeit soll dem Kind signalisiert werden, dass ihre primären Bezugspersonen sie in die Hände einer vertrauensvollen, sekundären Bezugsperson geben. (Becker-Stoll et al. 2020, S.62ff)
4.2 Strukturqualität
Unter Strukturqualität werden die gegebenen Rahmenbedingungen verstanden. Darunter fallen „sachliche, personelle, bauliche, finanzielle und sonstige Ausstattung sowie die Ressourcen“ sowie „die IT-Ausstattung, die Qualifikation der Mitarbeitenden und Führungskräfte, der Personalschlüssel und die Arbeitsstrukturen“. (Maurus et al. 2016, S.27) Zur Struktur zählen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Organisationsstruktur, also „Zuständigkeiten, Entscheidungswege [und] Entscheidungsbefugnis“. Strukturqualität bezieht sich darüber hinaus auch auf Vernetzungen im Sozialraum und Kooperationen mit anderen Einrichtungen sowie dem Träger. (Baum 2014)
In Kindertageseinrichtungen entscheidet über die Strukturqualität „die Gruppengröße, der Erzieher-Kind-Schlüssel, die räumlichen Bedingungen (qm pro Kind), die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte durch Aus- und Weiterbildung, die Vorbereitungszeit, die Kontinuität der pädagogischen Fachkräfte sowie das Einkommen des Personals“ (Becker-Stoll et al. 2020, S.22)
4.3 Prozessqualität
Die Prozessqualität nimmt sich der Frage, „wie die Leistungsprozesse gestaltet sein müssen, damit sie zum erwünschten Ergebnis führen“, an. (Maurus et al. 2016, S.27) Es stellt sich die Frage, welche Handlungen dabei helfen, Qualität weiterzuentwickeln. Es geht um die Auswahl der am besten geeigneten Methoden und die Gestaltung der internen Zusammenarbeit. Um ein Ziel zu erreichen, kann auch das Umfeld miteinbezogen oder Kooperationen mit anderen Einrichtungen angestrebt werden. (Baum 2014)
Im Kontext von Kindertageseinrichtungen bezieht sich die Prozessqualität konkret auf den individuellen Umgang zwischen den Fachkräften und den betreuten Kindern. Um die angestrebten Ziele in der Entwicklungsförderung zu erreichen, gilt es zuvor die Prozesse, die zum gewünschten Ergebnis führen, auf das einzelne Kind abzustimmen. (Becker-Stoll et al. 2020, S.20f.)
4.4 Ergebnisqualität
DieErgebnisqualitätergibt sich daraus, was von den angestrebten Zielen letztendlich tatsächlich erreicht wurde und der Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen über den Ablauf des Prozesses. (Baum 2014) Bei Dienstleistungen geht es bei der Ergebnisqualität auch um die Zufriedenheit des Klienten*in mit dem Ergebnis. (Maurus et al. 2016, S.27)
Ergebnisqualitätbezogen auf die Kindertageseinrichtung beurteilt die Kompetenzen, die die Kinder durch die pädagogische Förderung erworben haben. (Klinkhammer und Erhard 2018, S.1) Entwicklungsprozesse und Bildungserfolge äußern sich beispielsweise in den Bereichen der „Persönlichkeitsentwicklung sowie in emotionalen, kognitiven, motorischen oder sprachlichen Entwicklungsverläufen der Kinder, ihren sozialen Kompetenzen oder den Bewältigungskompetenzen im Alltag.“ (Viernickel et al. 2016, S.152)
5. Qualitätsüberprüfung
Die Praxisüberprüfung ist ein Instrument zur Evaluation eines Handlungsablaufes und dessen Qualität. Es geht also darum zu überprüfen, „ob die Qualität stimmt“. (Maurus et al. 2016, S.128)
1. Das Thema auswählen und eindeutig formulieren: Die Auswahl des Themas und dessen präzise Formulierung bilden den Beginn eines Qualitätsüberprüfungsprozesses. Um welche Sachverhalte es sich handelt, muss allen Teilnehmer*innen der Praxisüberprüfung klar sein. Welche Qualitätskriterien dazu relevant sind, können die Teilnehmer*innen entweder frei wählen, oder systematisch anhand der vier Qualitätsdimensionen erarbeiten. (ebd., S.129)
2. Die Bildgestaltung: Im zweiten Schritt machen sich die Teilnehmer*innen gemeinsam ein Bild über den Stand der Dinge des ausgewählten Themas. Die Beschreibung soll ohne Bewertung erfolgen. (ebd., S.130)
3. Stellung nehmen zur bestehenden Praxis: Erst im nächsten Schritt erfolgt die Bewertung der Handlungssituationen und im Anschluss daran der Vergleich des Ist-Soll-Zustandes. (ebd., S.131)
4. Den Veränderungs- und Handlungsbedarf festlegen: Dort, wo die erarbeiteten Defizite bestehen, wird der Handlungsbedarf festgelegt. Die Teilnehmer*innen wählen diejenigen Aspekte aus, bei denen einerseits Handlungs- bzw. Veränderungsbedarf vorliegt, andererseits muss der Sachverhalt auch von ihnen veränderbar sein. (ebd., S.132)
5. Verbesserungsvorschläge sammeln und Vereinbarungen treffen: Zuletzt gilt es, zu den erarbeiteten Handlungspunkten Lösungsvorschläge zusammen zu tragen. Welche tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, wird im Team diskutiert. Daraus erfolgt eine verbindliche Vereinbarung.(ebd., S.135)
6. Praxisüberprüfung anhand einer Fallstudie
Als Beispiel zur Durchführung einer Praxisüberprüfung dient im Folgenden die Fragestellung: Wie verliefen die ersten zwei Monate nach der Aufnahme eines Mädchens mit Sehbeeinträchtigung? Sind wir als KiTa so ausgestattet, um ihre Entwicklung hin zur Selbstständigkeit bestmöglich zu fördern?
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