Welche Faktoren beeinflussen die Variationen des Gewaltgrades, im Sinne der unterschiedlich hohen Opferzahlen, bei Bürgerkriegen? Seit den 1960er Jahren widmet sich die Wissenschaft der Bürgerkriegsforschung auch dieser Frage und versucht, diese über unterschiedlichste Faktoren zu erklären. Diese Arbeit stellt die bisherigen Erkenntnisse dar, setzt an ihnen an und führt drei quantitative Analysen durch, mit Hilfe derer die Hypothese, dass die Intervention von Drittparteien innerhalb von Bürgerkriegen zu mehr Opfern führt, klar bestätigt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
1 Gewalt in Bürgerkriegen
1.1 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz
1.2 Forschungsstand und Forschungslücke
1.3 Fragestellung
2 Rational action theory und deprivation theory
2.1 Hypothesenbildung
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Statistische Analyse
4 Ergebnisse und Diskussion
4.1 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abstract
Welche Faktoren beeinflussen die Variationen des Gewaltgrades, im Sinne der unterschiedlich hohen Opferzahlen, bei Bürgerkriegen? Seit den 1960er Jahren widmet sich die Wissenschaft der Bürgerkriegsforschung auch dieser Frage und versucht diese über unterschiedlichste Faktoren zu erklären. Diese Arbeit stellt die bisherigen Erkenntnisse dar, setzt an ihnen an und führt drei quantitative Analysen durch, mit Hilfe derer die Hypothese, dass die Intervention von Drittparteien innerhalb von Bürgerkriegen zu mehr Opfern führt, klar bestätigt werden kann. Auch die Dauer des Konflikts korreliert mit höheren Opferzahlen, während erhöhte militärische Kapazitäten nur geringfügig zu mehr Opfern beitragen. Ein demokratisch konstituierter Staat und ein ansteigendes BIP pro Kopf, als Indikator für die Stärke des Staats, führen hingegen zu weniger Toten. Bergiges Terrain und religiöse Polarisierung sind bei der Erklärung unerwarteterweise zu vernachlässigen. Eine ethnische Polarisierung hängt sogar sehr stark mit rückgängigen Opferzahlen zusammen.
1 Gewalt in Bürgerkriegen
Bürgerkriege stellen ein Phänomen dar, das die Weltgeschichte stets begleitet hat und gerade in Zeiten, in denen der Reichtum auf der Welt, und auch innerhalb von Staaten immer ungleichmäßiger verteilt ist und sich die Schere zwischen Arm und Reich somit immer weiter öffnet, uns auch weiterhin begleiten wird. Diese Kriege sind dabei für 90 Prozent der Opferzahlen von Kampfhandlungen verantwortlich,1 produzieren außerdem Verwundete und Flüchtlinge und zerstören Institutionen und Infrastruktur, die so nicht länger das Gemeinwohl, die gesundheitliche Versorgung, elementare Bildung oder ein funktionierendes politisches System bereitstellen können.2
Im Weiteren stelle ich zunächst den Forschungsstand dar und leite daraus meine Fragestellung ab. Danach erarbeite ich die nötige theoretische Grundlage, die die Variationen der Opferzahlen von Bürgerkriegen, aus den Ergebnissen anderer quantitativer Studien ableitend, erklärt. Ich stelle daraufhin die Hypothese auf, dass externe Interventionen von Drittparteien in einem Bürgerkrieg zu höheren Opferzahlen führen. Zur Überprüfung der Hypothese beschreibe ich im Weiteren die Operationalisierung des verwendeten Datensatzes und führe danach drei multiple Regressionsanalysen mit Stata durch. Ich stelle fest, dass die Hypothese bestätigt werden kann, einige Kontrollvariablen aber nicht zu erwartende Ergebnisse produzieren. Zuletzt diskutiere ich die Ergebnisse und fasse die Arbeit zusammen.
1.1 Gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz
Die Erforschung von Bürgerkriegen in ihrer gesamten Breite stellt in der quantitativen Sozialforschung seit den 1960er Jahren eines der Hauptfelder dar.3 Dabei liegt es sowohl im gesellschaftlichen als auch im wissenschaftlichen Interesse, Bürgerkriege, und speziell das Zustandekommen variierender Gewaltgrade dieser, zu erklären.4 Die Aufklärung dieses Phänomens trägt zur Gewährleistung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Stabilität innerhalb von Staaten bei.5 Zudem können durch die Erforschung Menschenleben geschont werden, Armut und schlechte gesundheitliche Versorgung als Folge des Krieges verhindert werden.6 Außerdem herrscht in den Sozialwissenschaften ein reger Diskurs über den gesamten Ablauf der Gewalt, den genauen Faktoren, durch die dieser beeinflusst wird, und über die Anwendbarkeit und Validität bestimmter bisher angewendeter Forschungsmethoden.7 Gerade gesellschaftlich ist es wichtig sich mit Bürgerkriegen zu befassen, um erneute Flüchtlingskrisen, die populistischen und rechtsextremen Parteien erneuten Aufwind verschaffen würden, eindämmen zu können, indem man die Ursachen für ihre Entstehung bzw. für das Aufkommen unterschiedlicher Gewaltgrade bekämpft.8
1.2 Forschungsstand und Forschungslücke
Es existiert eine kaum zu überblickende, sich global erstreckende Literaturmasse in der quantitativen Forschung zum Thema Bürgerkriege.9 Dabei besteht das hauptsächliche Forschungsinteresse heutzutage darin, herauszufinden, welche Faktoren die Entstehung eines Bürgerkrieges begünstigen, um somit zukünftig politische Maßnahmen zu dessen Entgegenwirken ergreifen zu können.10 So sieht der Forschungsdiskurs die Hauptursachen in der Unzufriedenheit mit autokratischen Regierungsformen, hoher Arbeitslosigkeit, geringer beruflicher Perspektive, ökonomischer Stagnation und hoher Korruption.11 Auch Staaten mit geringerem durchschnittlichen Einkommen, großen Populationen, die weder komplett autokratisch, noch komplett demokratisch regiert werden, erst kürzlich einen Bürgerkrieg im eigenen Land erlebt haben oder von Staaten benachbart werden, die gerade einen Bürgerkrieg erleben, weisen nach mehrheitlicher Auffassung hohe Wahrscheinlichkeiten für einen Bürgerkrieg auf.12 Manche Wissenschaftler versuchen den Konfliktausbruch mit Hilfe des opportunity-model zu erklären, das argumentiert, dass Bürgerkriege von Gier nach Profit, ähnlich einem Unternehmen, getrieben sind.13 Demgegenüber argumentieren Cederman et al., dass Missstände innerhalb des jeweiligen Staates Bürgerkriege begünstigen.14 Bei den heutigen quantitativen Analysen drückt die abhängige Variable somit meist schlicht aus, ob ein Bürgerkrieg zustande gekommen ist oder nicht, während sich die Forschung älterer Generationen meist auf das Zustandekommen von allgemeineren Gewaltformen innerhalb von Staaten fokussiert hat.15
Im Feld der quantitativen Bürgerkriegsforschung existieren allerdings mehrere unterschiedliche und sich teilweise überschneidende Subfelder: Dazu gehört bspw. die Übertragung von bisher stereotypisch rein mit Bürgerkriegen assoziierten erklärenden Variablen auf andere Arten von Gewalt, wie einseitiger Gewalt, kommunalen Konflikten, Aufständen und Staatsstreichen, wie es Cunningham und Lemke tun.16 Sie stellen fest, dass ethnische Fraktionalisierung, die Population, das Terrain, der ökonomische Entwicklungsstatus und der Regimetyp sich auf diese anderen Arten von Gewalt ähnlich wie auf die bei Bürgerkriegen auswirken.17 Traditionell beschäftigt sich die Wissenschaft allerdings mehr mit der Analyse des Beginns, der Dauer, dem Ende, dem Ausgang und dem Gewaltgrad von Bürgerkriegen.18 Dabei werden unterschiedliche Analyseverfahren verwendet: so z.B. die Faktoranalyse, bei der verschiedene Vorkommnisse in zwei Gruppen unterteilt werden: Aufruhr, gemessen über Streiks und Demonstrationen und Rebellion, gemessen über Ermordungen, Bürgerkriege und Guerillakämpfe.19 Standardisiert werden allerdings Regressionsmodelle verwendet, um die Auswirkung bestimmter Variablen auf gewisse Phänomene, wie den Ausbruch eines Bürgerkrieges oder die Intensität der Gewalt, zu testen.20
Zu den weiteren Forschungsschwerpunkten gehören zudem ethnische Gruppen: Diese nehmen demnach eher an Bürgerkriegen teil, wenn diese vom durchschnittlichen Einkommen im jeweiligen Staat massiv in beide Richtungen abweichen, sie von der politischen Teilhabe ausgeschlossen sind, geographisch konzentriert leben oder von vielen unterschiedlichen Organisationen repräsentiert werden.21 Auch die geographische Perspektive und deren Auswirkungen auf das Zustandekommen, den Verlauf und die Schwere der Gewalthandlungen rücken zunehmend in den Fokus.22 Mit Hilfe der geographischen Daten, die mittlerweile durch die UCDP bereitgestellt werden, können die Auswirkungen gewisser demographischer Begebenheiten, geographischer Einkommensunterschiede, der Wirkung von ebenem oder höher gelegenen Terrain usw. auf gewisse Gewalthandlungen analysiert werden.23 Andere thematische Stränge analysieren zudem, wer in den Bürgerkriegen kämpft und warum Missstände, selektive Anreize und soziale Sanktionen, diese dazu „motivieren“.24 Außerdem ist Gewalt gegen Zivilisten immer wieder Thema des Diskurses, wobei Wood zu dem Schluss kommt, dass die Rebellenstärke hauptsächlich für die Gewalt gegen Zivilisten verantwortlich ist, die diese nutzen, um Unterstützung in der Bevölkerung zu bekommen.25 Laut Humphreys und Weinstein hingegen kann diese am besten durch die gruppeninternen Dynamiken erklärt werden.26 Dazu kommen die Analyse von Friedensverhandlungen und die Gründe für deren potentielles Scheitern,27 und einige weitere Forschungsnischen, die für den hier gezeigten groben Überblick nicht weiter aufgeführt werden müssen.
In dieser Arbeit soll der Fokus im Weiteren auf der Erklärung der unterschiedlichen „Schweregrade“ von Bürgerkriegen, im Sinne der variierenden Brutalität bzw. denen mit dem Gewaltgrad einhergehenden getöteten Personen während der Kampfhandlungen, liegen. Der Gewaltgrad wird analytisch meist über die Anzahl der absoluten Toten gemessen.28 Allerdings kann diese „Schwere“ der Ausschreitungen auch über verschiedene andere Indikatoren, wie der Instabilität im jeweiligen Land, dem Ausmaß des Konflikts, dessen Dauer und der Intensität der zivilen Auseinandersetzung gemessen werden.29 Mit der Behandlung der Intensität von Bürgerkriegen schließt die Arbeit zwar keine explizite Forschungslücke, kann aber mit Hilfe der Erkenntnisse in der folgenden Analyse einige Argumente hinsichtlich der Faktoren, die die Intensität beeinflussen, bekräftigen. Zudem liegt der Schwerpunkt der Forschung nach wie vor auf der Erforschung der Ursachen für den Ausbruch eines Bürgerkrieges und weniger auf der Erforschung der Gründe für die Variation des Schweregrades,30 wodurch diese Arbeit einen Beitrag zu dessen Vertiefung leisten kann. Der genaue Forschungsstand zu diesem spezifischen Unterthema wird zwangsläufig im Theorieteil dargestellt.
1.3 Fragestellung
Im Folgenden soll nun die Frage geklärt werden, welche Faktoren die Intensität, im Sinne der Opferzahl bzw. des Grades der Gewalt von Bürgerkriegen, beeinflussen. Geklärt werden soll, was dazu führt, dass manche Konflikte deutlich brutaler oder deutlich humaner ausgetragen werden als andere.
2 Rational action theory und deprivation theory
Die hier angeführten „Theorien“ werden nur selten als solche bezeichnet, da die meisten quantitativen Arbeiten ihre zu überprüfenden Argumente eher aus anderen Forschungsergebnissen ableiten und somit keine klar formulierten Theorien existieren. Dennoch lassen sich zwei grundlegende Theoriestränge in der Forschung erkennen, die sich aber teilweise auch überschneiden und thematisieren, warum innerhalb mancher Staaten mehr politische Gewalt als in anderen herrscht.31 Dabei handelt es sich um die rational action theory und die deprivation theory.32
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1 Lacina (2006: 276)
2 Kim (2017: 616); Fearon/Laitin (2003: 75)
3 Cunningham/Lemke (2014: 330); Lacina (2006: 276)
4 Muller/Weede (1990: 624); Lacina (2006: 277)
5 Fearon/Laitin (2003: 75); Muller/Weede (1990: 624)
6 Lacina (2006: 277)
7 Muller/Weeder (1990: 625)
8 Kim (2017: 616); Fearon/Laitin (2003: 75)
9 Cunningham/Lemke (2014: 329)
10 Cunningham/Lemke (2014: 328)
11 Cunningham/Lemke (2014: 328)
12 Fearon/Laitin (2003: 78); Collier/Hoeffler (2004: 571)
13 vgl. Collier/Hoeffler (2004)
14 Cederman et al. (2011)
15 Cunningham/Lemke (2014: 329)
16 vgl. Cunningham/Lemke (2014)
17 Lacina (2006: 282); Cunningham/Lemke (2014: 328)
18 Gurr (1968: 1110); Cunningham/Lemke (2014: 329)
19 Rummel (1966: 67); Feierabend/Feierabend (1966: 250)
20 Lacina (2006: 277)
21 Cederman et al. (2011: 487); Lacina (2006: 283)
22 Buhaug/Gates (2002: 418); Buhaug et al. (2009: 545)
23 Buhaug/Gates (2002: 418)
24 vgl. Humphreys/Weinstein (2008)
25 Wood (2010: 609)
26 Humphreys/Weinstein (2006: 443)
27 vgl. DeRouen et al. (2009)
28 Muller (1985: 50); Muller/Weede (1990: 629)
29 Gurr (1968: 1111)
30 Lacina (2006: 277)
31 Muller/Weede (1990: 624,640)
32 vgl. Gurr (1968); Muller (1985); Muller/Weede (1990: 629)