Diese Arbeit geht der Frage nach, welche Ursachen der Gender-Ungleichverteilung in der Arbeitswelt bestehen und wie diese behoben werden können. Diese wird aus unterschiedlichen soziologischen Richtungen betrachtet. Die Arbeitssoziologie befasst sich seit Mitte der 1970er Jahre unter anderem mit der Engführung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit ähnlich zu Mies. Theoretische Konzepte zu Gendered Organizations legen ebenfalls seit den 1970er Jahren Studien zu geschlechtlicher Ungleichheit aus organisationssoziologischer Perspektive vor. Basierend auf den zwei folgenden Zielen führt diese Ausarbeitung einzelne Aspekte beider Richtungen zusammen: Zum einen wird eine Lücke in der Forschung angegangen, da ein Vergleich geschlechtsspezifischer arbeits- und organisationssoziologischer Ansätze bisher nicht existiert. Zum anderen sollen disziplinübergreifende Erkenntnisse dargestellt werden, um breitere Zusammenhänge und Anwendungsfelder von Theorien zu erschließen. Durch die Identifikation inhaltlicher Gemeinsamkeiten unterschiedlichen Forschungsperspektiven wird dessen gesellschaftliche und soziologische Relevanz unterstrichen.
Bereits Mitte der 1970er Jahre kritisierte die Soziologin Maria Mies (1997) die geschlechtliche Arbeitsteilung. In der marxistischen Ökonomie stellen Fürsorgetätigkeiten wie Haushaltsarbeit (wie Wäsche waschen, Mahlzeiten zubereiten) oder Familienarbeit (wie Kindererziehung, Angehörigenpflege) einen blinden Fleck dar. Damit einhergehend ist laut Mies nicht die Erwerbsarbeit das Fundament des kapitalistischen Systems, sondern Fürsorgetätigkeiten, auch Reproduktionsarbeit genannt. In der Konsequenz fordert sie eine (politisch umstrittene) Entlohnung für Hausarbeit.
Eine aktuellere Auseinandersetzung mit Reproduktionsarbeit hat im Jahr 2019 die Arbeit von 1,2 Milliarden Personen aus 41 Ländern in Amerika, Asien und Europa analysiert. Die Studie zeigt, dass täglich 16,4 Milliarden Stunden an unbezahlten Fürsorgetätigkeiten geleistet werden. Personen, die als Frauen gelesen werden (im Folgenden: Frauen), erbringen einen Anteil von 76,2% an dieser Arbeit. Trotz feministischer Anstrengungen mehrerer Jahrzehnte scheinen, bei Betrachtung der gegenwärtigen Zahlen, patriarchale Rollenbilder und Arbeit nach wie vor in der Gesellschaft miteinander verankert.
Inhalt
1. Einleitung
2. Geschlechterspezifische Perspektiven in der Arbeits-und Organisationssoziologie
2.1. Ist der Arbeitskraftunternehmer weiblich?
2.2. Geschlechtsspezifische Prekarisierung der Arbeit
2.3. Neo-Institutionalismus und die Geschlechterforschung
3. Gemeinsamkeiten in den Ansätzen
3.1. Aberkennung von Geschlechterneutralität
3.2. Erweiterung des Arbeitsbegriffes
3.3. Intersektionale Analysen
4. Resümee und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Bereits Mitte der 1970er Jahre kritisierte die Soziologin Maria Mies (1997) die geschlechtliche Arbeitsteilung. In der marxistischen Ökonomie stellen Fürsorgetätigkeiten wie Haushaltsarbeit (z.B. Wäsche waschen, Mahlzeiten zubereiten) oder Familienarbeit (z.B. Kindererziehung, Angehörigenpflege, etc.) einen blinden Fleck dar. Damit einhergehend ist laut Mies nicht die Erwerbsarbeit das Fundament des kapitalistischen Systems, sondern Fürsorgetätigkeiten, auch Reproduktionsarbeit genannt. In der Konsequenz fordert sie eine (politisch umstrittene) Entlohnung für Hausarbeit (ebd., S. 207-209) .
Eine aktuellere Auseinandersetzung mit Reproduktionsarbeit hat im Jahr 2019 die Arbeit von 1,2 Milliarden Personen aus 41 Ländern in Amerika, Asien und Europa analysiert. Die Studie zeigt, dass täglich 16,4 Milliarden Stunden an unbezahlten Fürsorgetätigkeiten geleistet werden.1 Personen, die als Frauen gelesen werden (im Folgenden: Frauen), erbringen einen Anteil von 76,2% an dieser Arbeit. Diese Fürsorgetätigkeiten, werden demzufolge mit einem Faktor von 3,2 durch Frauen verrichtet (Eurofound and International Labour Organization, 2019, S. 27). In Deutschland und Österreich leisten Frauen im Durchschnitt täglich 4 Stunden und 29 Minuten oder 18,7% eines Tages unbezahlte Fürsorgearbeit (ebd.). Trotz feministischer Anstrengungen mehrerer Jahrzehnte scheinen, bei Betrachtung der gegenwärtigen Zahlen, patriarchale Rollenbilder und Arbeit nach wie vor in der Gesellschaft miteinander verankert.
Der Frage nach den Ursachen dieser Ungleichverteilung und wie diese behoben werden können, wird aus unterschiedlichen soziologischen Richtungen nachgegangen. Die Arbeitssoziologie befasst sich seit Mitte der 1970er Jahre unter anderem mit der Engführung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit ähnlich zu Mies (Kleemann & Voß, 2018, S. 29-30). Theoretische Konzepte zu Gendered Organizations legen ebenfalls seit den 1970er Jahren Studien zu geschlechtlicher Ungleichheit aus organisationssoziologischer Perspektive vor (Funder & Walden, 2017, S. 35). Basierend auf den zwei folgenden Zielen führt diese Ausarbeitung einzelne Aspekte beider Richtungen zusammen: Zum einen wird eine Lücke in der Forschung angegangen, da ein Vergleich geschlechtsspezifischer arbeits- und organisationssoziologischer Ansätze bisher nicht existiert (siehe Kapitel 2). Zum anderen sollen disziplinübergreifende Erkenntnisse dargestellt werden, um breitere Zusammenhänge und Anwendungsfelder von Theorien zu erschließen. Durch die Identifikation inhaltlicher Gemeinsamkeiten unterschiedlichen Forschungsperspektiven wird dessen gesellschaftliche und soziologische Relevanz unterstrichen.
Dazu werden in der vorliegenden Ausarbeitung geschlechtsspezifische Überschneidungen vom Arbeitskraftunternehmer (im Folgenden: AKU), prekarisierter Arbeit und dem Neo-Institutionalismus (im Folgenden: NI) herauskristallisiert und diskutiert. Die zwei erstgenannten arbeitssoziologischen Ansätze werden ausgewählt, da sie einen gemeinsamen Ursprung haben. Die Verbindung zwischen den beiden arbeitssoziologischen Ansätzen und dem NI besteht nicht im gemeinsamen Ursprung, da dieser beim NI in der Negierung der Annahme rein effizienzbasierter Organisationen liegt. Der Brückenschlag besteht in der gemeinsamen Betrachtung von Veränderung: Während die arbeitssoziologischen Ansätze strukturelle Veränderungen des Normalarbeitsverhältnisses zur Ursache haben, sind beim NI Mechanismen des institutionellen Wandels wesentliche Elemente der Organisationsanalyse.
Die Ausarbeitung beginnt zunächst in Kapitel 2 mit der Definition des Begriffs Geschlecht, da dessen Bedeutung in der deutschen Sprache breit gefasst und deswegen eine Eingrenzung notwendig ist. Darüber hinaus werden Meilensteine in der geschlechterspezifischen Arbeits- und Organisationssoziologie angerissen, um einen groben Überblick über die Genese der jeweiligen Disziplin zu geben. In den Kapiteln 2.1 bis 2.3 werden die Ansätze zu AKU, prekarisierter Arbeit und NI sowie die jeweilige zentrale geschlechtersensible Kritik vorgestellt. Im dritten Kapitel werden drei geschlechtsspezifische Gemeinsamkeiten zur Aberkennung von Geschlechterneutralität, dem erweiterten Arbeitsbegriff sowie Intersektionalität herausgearbeitet und diskutiert. Abschließend wird in Kapitel 4 ein Resümee gezogen und ein Ausblick gegeben.
2. Geschlechterspezifische Perspektiven in der Arbeits-und Organisationssoziologie
Zur geschlechterspezifischen Analyse der arbeits- und organisationssoziologischen Modelle soll einführend zunächst der Begriff Geschlecht thematisiert werden: Zweigeschlechtlichkeit und die damit einhergehende binäre Einordnung einer Person in männlich oder weiblich scheint unvermeidbar (Gildemeister & Wetterer, 1992, S. 201). Eine Person auf Grundlage der sozialen Erscheinung einem vermeintlich biologischen Geschlecht zuzuordnen, ist in der westlichen Kultur eine alltägliche Angelegenheit. Im angloamerikanischen Raum wird dem sozialen Geschlecht (gender) ein biologisches (Körper-)Geschlecht (sex) vorausgesetzt.2 Der natürliche Körper eines Menschen erhält somit zentrale Bedeutung in der sozialen Geschlechterkonstruktion (Bublitz, 2016, S. 102). Diesen Körper als Grundlage des Geschlechts zu sehen, ist jedoch nicht unproblematisch: Körperlichen Geschlechtsmerkmalen wird Eindeutigkeit für die Bildung des sozialen Geschlechts unterstellt und die Existenz der körperlichen Merkmale stillschweigend vorausgesetzt (Hagemann-White, 1988, S. 227-229). Feministische Konzepte kritisieren den Ansatz des sogenannten biologischen Geschlechts (Butler, 1997, S. 21-28). Demzufolge kann es keine „natürliche, von der Dimension des Sozialen freie Wahrnehmung und Betrachtung des Körpers geben“ (Douglas, 1974, S. 106). Darüber hinaus lässt sich zur Natur des Menschen konstatieren, „daß es keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht“ (Hagemann-White, 1988, S. 230). Die folgende Ausarbeitung befasst sich demzufolge mit dem sozialen Geschlecht und dessen differenzierter gesellschaftlicher Behandlung.
Zur weiteren thematischen Einführung wird ein kurzer Überblick zur Entwicklung der Geschlechterforschung in den Bereichen Arbeits- und Organisationssoziologie gegeben: Die Arbeitssoziologie betrachtet unter anderem Betriebe und deren Arbeitsorganisation sowie konkrete Arbeitsprozesse, aber auch die individuelle Arbeitsperson, den Zusammenhang zwischen Arbeit und Leben und die Gesamtheit der Arbeitsgesellschaft (Böhle, Voß, & Wachtler, 2010, S. 11). Die Geschlechterforschung hat diese Themen seit den 1970er Jahren ebenfalls aufgegriffen. Erste wesentliche arbeitssoziologische Untersuchungen zur Ungleichbehandlung von Frauen und ethnischen Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt wurden in den USA durchgeführt (Hakim, 1979). Zentral war dabei die Kritik am, auf die Erwerbsarbeit reduzierten, Arbeitsbegriff sowie die geschlechtsspezifischen Zusammenhänge mit Produktions- und Reproduktionsarbeit (Gottschall, 2018, S. 361). Sowohl der auf Erwerbsarbeit reduzierte Arbeitsbegriff als auch die Geschlechterspezifika hinsichtlich Produktions- und Reproduktionsarbeit werden in dieser Ausarbeitung an mehreren Stellen thematisiert.
Kanter (1977) trug einen wesentlichen Meilenstein zur Verbindung von Geschlechter- und Organisationssoziologie bei. Sie beschreibt, wie Frauen, die in Organisationen arbeiten, die von männlich gelesenen Personen (im Folgenden: Männer) dominiert werden (maximal 15% Frauen), nicht als Individuen, sondern Repräsentantinnen ihrer Gruppe wahrgenommen werden. Der Begriff Tokenism wurde auch im Zusammenhang mit Kanter geprägt (Zedlacher & Haas, 2020). Neben Kanter prägte auch Acker (1990) mit ihrer Theorie zu Gendered Organizations die feministische Organisationssoziologie nachhaltig. Sie konstatiert, dass Organisationsstrukturen nicht geschlechtsneutral konzipiert sind, sondern durch männliche Dominanz geprägt (ebd., S. 139). Spätestens seit Ackers Veröffentlichung ist die feministische Organisationsforschung ein klar etabliertes wissenschaftliches Feld (Funder & von Groddecke, 2019, S. 4). Im Kapitel 3 zum Vergleich des NI mit dem AKU und der prekarisierten Arbeit nimmt Ackers organisationssoziologischer Beitrag eine zentrale Rolle ein.
2.1. Ist der Arbeitskraftunternehmer weiblich?
Durch weitumfassende gesellschaftliche Trends wie z.B. die Globalisierung oder die Digitalisierung findet seit den 1980er Jahren ein struktureller Wandel statt, welcher sich hinsichtlich Arbeit unter Entgrenzung und Subjektivierung subsummieren lässt (Voß, 2017, S. 50-51). Entgrenzung bedeutet in diesem Kontext, dass sich arbeitsregulierende Strukturen in Gesellschaft und Unternehmen auflösen, z.B. werden Arbeitszeiten und die Arbeitssteuerung flexibilisiert (Teilzeitarbeit sowie Ende des Taylorismus), Beschäftigungen dereguliert (Leiharbeit), Betriebe dezentralisiert (Cost- und Profit-Center-Modelle) und Grenzen zwischen Arbeit und Leben fließender (Voß & Pongratz, 1998, S. 135-136). Die Unternehmen sind durch diese (arbeits-)gesellschaftlichen Entwicklungen einem steigenden Marktdruck ausgesetzt, welcher den Kostendruck sowie die Wettbewerbsdynamik weiter erhöht. Sie sind dazu gezwungen schneller und marktnäher auf Veränderungen zu reagieren und benötigen daher flexiblere Arbeitskräfte sowie Organisationsstrukturen (ebd., S. 133-134). Der Marktdruck wird unternehmensintern weitergegeben (Shareholder Value), die Gesellschaft weiter liberalisiert, dereguliert sowie privatisiert und betroffene Personen müssen die Strukturen ihrer Zusammenarbeit im Rahmen einer erweiterten Selbstorganisation selbst schaffen. Zusammengenommen treiben diese Faktoren die Subjektivierung von Arbeit voran, welche im Typus des AKU ihren vermenschlichten Ausdruck findet. Die Subjektivierung von Arbeit kann als erweiterter Zugriff auf das menschliche Arbeitsvermögen beschrieben werden. Beim subjektivierten AKU werden neben den funktionalen Qualifikationen nun auch Erfahrungswissen, soziale Kompetenzen (soft skills), Proaktivität, Intuition und Fantasie während der Arbeit eingefordert, um der gestiegenen Volatilität im Markt zu entsprechen (Frey, 2004, S. 69).3 Der AKU vereint die neuen Anforderungen der Entgrenzung und Subjektivierung. Ihn kennzeichnet „eine systematisch erweiterte Selbst-Kontrolle […], einen Zwang zur forcierten Ökonomisierung [der, H.H.] Arbeitsfähigkeiten sowie eine entsprechende Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung (Voß & Pongratz, 1998, S. 132).4 Nachdem sich die idealtypische Arbeitskraftgrundform des proletarisierten Lohnarbeiters der Frühindustrialisierung zum verberuflichten Massenarbeitnehmer des Fordismus weiterentwickelte, findet nun, mit dem strukturellen Wandel der Entgrenzung und Subjektivierung einhergehend, der Übergang auf den Arbeitskraftunternehmer des Post-Fordismus statt (ebd., S. 150-153).
Kritik zur Geschlechtsdimension des AKU thematisiert einen „geschlechtsspezifisch männlichen Bias“ (Jurczyk, 2002, S. 155). Eine erste Studie zum AKU zeigt, dass überwiegend weibliche Angestellte in qualifizierter Projektarbeit nach Leistungsoptimierung- und orientierung streben. Diese Frauen entsprechen somit am ehesten dem Typus AKU (Pongratz & Voß, 2003, S. 208-210). Darauf aufbauend stellt sich zunächst Frey (2004) die Frage: Ist der „Arbeitskraftunternehmer“ weiblich? Hier wird die Übereinstimmung von berufserfahrenen Frauen und den Anforderungen des AKU auf gesellschaftliche Ursachen und Strukturzusammenhänge zurückgeführt. Da die soziale Zuweisung der Reproduktionsarbeit an Frauen erfolgt, haben diese bereits Erfahrungen in der Synchronisation von Mutterschaft und Beruf (ebd., S. 67-68).5 Voß geht auf Freys Argumentationen zur Attraktivität des Typus AKU für qualifizierte Frauen ein und erkennt die Existenz von Freys empirische Indizien an. Freys Frage „ist aber nicht leicht zu beantworten“ (Voß, 2007, S. 108).
Voß und Weiß stellen sich 2005 ebenfalls die Frage: Ist der Arbeitskraftunternehmer weiblich? Diesbezüglich lässt sich zusammenfassen, dass Frauen, die dem Typus AKU entsprechen, einer ambivalenten Situation ausgesetzt sind: Zum einen müssen sie einer starken Leistungsbereitschaft gerecht werden und zum anderen gesellschaftlich zugewiesenen Fürsorgeverpflichtungen nachkommen (Winker & Carstensen, 2007, S. 280). Voß und Weiß stellen diesbezüglich folgende These auf: „Der Arbeitskraftunternehmer ist vielleicht tatsächlich eher weiblich – aber er ist ganz sicher keine Mutter“ (2005, S. 84). Das betont Voß auch 2007 nochmal: „Die strukturelle gesellschaftlichen Zuschreibung von familiären Verpflichtungen an Frauen relativiert die Chancen, dass eine Arbeitskraftunternehmerin der gängige Typus wird“ (S. 108).
In der bisher letzten geschlechtsspezifischen Thematisierung des AKU, durch dessen Begründer Voß, wird zu den bisherigen Aufgabengebieten6 des AKU das Selbst-Gendering ergänzt (Voß & Weiß, 2010, S. 148). Die Aneignung und Ausgestaltung von Genderkodierungen in Arbeitszusammenhängen („doing gender while doing work“ (Gottschall, 1998)) wird durch die Subjektivierung von Arbeit und den damit einhergehenden erweiterten Zugriff auf die menschliche Arbeitskraft vorangetrieben (Voß & Weiß, 2010, S. 148). Menschen müssen somit durch die zunehmende Entgrenzung und Subjektivierung „die sie betreffenden genderspezifischen Aspekte ihrer Arbeit und ihrer Person mehr als bisher aktiv organisieren und herstellen“ (ebd., S. 151).7 Das Selbst-Gendering wird nochmals in Kapitel 3 thematisiert.
Die zentrale feministische Kritik am AKU bemängelt die implizite Annahme der Nicht-Zuständigkeit des Reproduktionsbereiches (Henninger, 2003, S. 123). Henninger stellt die Thesen auf, dass AKU Reproduktionsarbeiten vermutlich an externe Dienstleister*innen, private Netzwerke oder Abhängigkeitsverhältnisse in der Erwerbsarbeit (z.B. Praktikant*innen werden zum Einkaufen geschickt) delegieren, da durch die zentrale Rolle der Erwerbsarbeit keine Zeit für die Reproduktionsarbeit bleibt. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass der AKU in einer Partnerschaft lebt und die Reproduktionsarbeit aufgeteilt wird. Doch auch in diesem Fall betont Henninger aufgrund der empirischen Befunde, dass die Verantwortung der Reproduktionsarbeit im Regelfall weiterhin bei den Frauen liegt (ebd., S. 128-129).
[...]
1 Bei einer 40-Stunden-Woche mit einem achtstündigen Arbeitstag entspricht diese Zahl einer täglich unbezahlten Arbeitsleistung von ca. 2 Milliarden Menschen.
2 Eine begriffliche Differenzierung dieser Art existiert in der deutschen Sprache nicht. Geschlecht wird allumfassend verwendet.
3 Voß und Pongratz schreiben zur Subjektivierung, dass Arbeitskräfte ihre Arbeit zunehmend in diversen Handlungsdimensionen eigenverantwortlich gestalten müssen z.B. zeitlich (Arbeitszeit), räumlich (Arbeitsort), technisch (Arbeitsmittel), sozial (wer arbeitet mit wem?), aber auch sinnhaft (Motiv der Arbeit) (1998, S. 142-143).
4 Das grundlegende Problem, welches die erweiterte Selbstorganisation lösen soll, lässt sich aus dem Transformationstheorem nach Marx ableiten: Die organisatorisch/technische Sicherstellung der betrieblich erforderlichen Arbeitsleistung soll mit dem Ende des Taylorismus durch eine neue Logik angegangen werden (Voß & Pongratz, 1998, S. 141)
5 Ein weiterer Grund, warum höher qualifizierte Frauen den Anforderungen der AKU überdurchschnittlich entsprechen, kann die Identifikation mit dem Beruf sein. Männer werden für ein hohes berufliches Engagement gesellschaftlich nicht hinterfragt. Frauen müssen sich dieses Engagement erkämpfen und stets verteidigen. Durch stärkere Identifikation mit dem Beruf kann diese Verteidigung gewährleistet werden und wenn der Beruf einen wesentlichen Teil der Identität ausmacht, „ist es nicht mehr weit zur Subjektivierung von Arbeit “ (Frey, 2004, S. 71).
6 Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung und Selbst-Rationalisierung
7 Voß und Weiß zeigen anhand der marxistischen Definition von Arbeit, dass die Selbst-Genderung, ähnlich zur Gefühlsarbeit, ebenfalls als produktive Arbeit gezählt werden muss (2010, S. 151-152).