Ziel dieser Hausarbeit ist es, die Ausführungen über die „Genealogie der Moral” Nietzsches zu rezipieren und systematisch zu analysieren. Die Hausarbeit befasst sich mit der Fragestellung, inwieweit der „Sklavenaufstand in der Moral” ein plausibles Konstrukt ist.
Dazu werden zunächst die Differenzen zwischen der Herren- und Sklavenmoral systematisch herausgearbeitet und hinsichtlich ihrer Etymologie überprüft. Anschließend wird die Grundbedeutung des Sklavenaufstandes der Moral erklärt. Die weiteren Ausführungen verdeutlichen den Sklavenaufstand anhand des Ressentiments und die Sonderrolle des asketischen Priesters. Der Begriff des Ressentiments ist in Nietzsches „Genealogie der Moral” ein bedeutender Schlüsselbegriff, welcher für den Sklavenaufstand und die Bedeutung des asketischen Priesters relevant ist. Um die Rolle des asketischen Priesters zu verstehen, bedarf es zunächst einer kurzen Ausführung über asketische Ideale und Asketismus. Anschließend wird im letzten Kapitel eine persönliche Erörterung über die Plausibilität des Sklavenaufstandes vorgenommen sowie die Grundgedanken Nietzsches hinsichtlich ihrer logischen Schlüssigkeit überprüft.
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Herrenmoral - Sklavenmoral
1.1 Etymologie und Historie
1.2 Differenzierung von Herr und Sklave
2 Sklavenaufstand in der Moral
2.1 Ressentiment
2.2 Die Rolle des asketischen Priesters
3 Erörterung
4 Fazit
II. Forschungsliteratur
0. Einleitung
Wir sind uns unbekannt, wir Erkennenden, wir uns selbst: das hat seinen guten Grund. Wir haben nie nach uns gesucht, — wie sollte es geschehen, dass wir eines Tages uns fänden? (GM Vorrede l)1
Nietzsche führt zu Beginn der „Genealogie der Moral” an, dass der Mensch sich selbst nicht kenne. In seinem Werk versucht Nietzsche den historischen Ursprung von Moral zu ergründen und schließt die Argumentation an sein zuvor veröffentlichtes Werk „Jenseits von Gut und Böse” an. Er vermeidet es in seinen Schriften einen Gott für die Entstehung von Moral verantwortlich zu machen, sondern berücksichtigt vielmehr die Psychologie des Menschen und dessen Historie. Dementsprechend verwendet er keine metaphysischen Grundsätze in seiner Genealogie, sondern führt an, dass der Mensch sich die Moral selbst auferlegt hat. Zu der Zeit Nietzsches betrachteten die Philosophen die Ursache und Herkunft von „Gut und Böse” kaum, obwohl bereits seit der Antike moralische Wertungen philosophisch diskutiert wurden.
Ziel dieser Hausarbeit ist es, die Ausführungen über die „Genealogie der Moral” Nietzsches zu rezipieren und systematisch zu analysieren. Die Hausarbeit befasst sich mit der Fragestellung, inwieweit der „Sklavenaufstand in der Moral” ein plausibles Konstrukt ist. Dazu werden zunächst die Differenzen zwischen der Herren- und Sklavenmoral systematisch herausgearbeitet und hinsichtlich ihrer Etymologie überprüft. Anschließend wird die Grundbedeutung des Sklavenaufstandes der Moral erklärt. Die weiteren Ausführungen verdeutlichen den Sklavenaufstand anhand des Ressentiments und die Sonderrolle des asketischen Priesters. Der Begriff des Ressentiments ist in Nietzsches „Genealogie der Moral” ein bedeutender Schlüsselbegriff, welcher für den Sklavenaufstand und die Bedeutung des asketischen Priesters relevant ist. Um die Rolle des asketischen Priesters zu verstehen, bedarf es zunächst einer kurzen Ausführung über asketische Ideale und Asketismus. Anschließend wird im letzten Kapitel eine persönliche Erörterung über die Plausibilität des Sklavenaufstandes vorgenommen sowie die Grundgedanken Nietzsches hinsichtlich ihrer logischen Schlüssigkeit überprüft.
1 Herrenmoral - Sklavenmoral
Nietzsche unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Grundtypen von Moralen, die der Herrenmoral und der Sklavenmoral. Diese moralischen Wertunterschiede entstehen entweder auf herrschende oder beherrschte Art. Nietzsche leitet die unterschiedlichen Moralvorstellungen aus seinen Erkenntnissen und Vorstellungen von „Gut und Böse” ab, welche von ihm als die „Grundstimmungen der Gesellschaft“ beschrieben werden. Nietzsche typologisiert die zwei moralischen Handlungsorientierungen anhand der beiden metaphorisch verwendeten Begrifflichkeiten von Herr und Sklave und erzeugt dadurch zwei Idealbilder mit verdichtet zugeschriebenen Eigenschaften.2
1.1 Etymologie und Historie
Die Namensherkunft von Nietzsches Herren- und Sklavenmoral könnte auf Hegel zurückgehen, welcher die Begriffe Herr und Knecht verwendete. Hegel entwickelte in seinem Werk „Phänomenologie des Geistes” ein Lebenskonzept der Menschen, welches auf Leben und Tod basiert. Nach Hegel gibt es in zwischenmenschlichen Beziehungen immer einen selbstbewussten Herren und einen unterwürfigen Knecht.3 Der Kampf entstehe aus dem Verhältnis zwischen Herr und Knecht, welcher seinen Ursprung in der Asymmetrie von Anerkennung habe. Der Knecht stehe im Dienste des Herren und stelle seine eigenen Bedürfnisse und Vorhaben zurück, um das Tun des Herren zu verwirklichen. Alle Handlungen des Knechtes seien folglich die Handlungen des Herren, wodurch der Knecht keinerlei Bewusstsein für das eigene Handeln entwickle. Der Knecht negiere sich selbst, ebenso wie bei Nietzsches' Ausführungen in der „Genealogie der Moral”.
Nietzsche leitet die Begriffe der Herren- und Sklavenmoral aus der antiken Gesellschaftsstruktur und dem klassischen Ideal ab.4 Die Gesellschaftsschicht der Aristokraten steht sinnbildlich für die Vornehmen und Gesetzesgebenden der Gesellschaft, welchen die Definitionsgewalt von „Gut” und „Gerechtigkeit” obliegen.5 Die Gesellschaftsschicht der Sklaven habe im Gegensatz zu den Aristokraten keine Rechte und daher eine „Ohnmacht zur Macht”, wodurch eine Moralisierung der zwei Typenbilder von Herr und Sklave erst entstehen könne.
Für Nietzsche ist die Entstehung von Moralen ein „ursprüngliches Phänomen” der Menschen, welchesjedem innewohnt.6 Der Ursprung von „Gut” und „Böse” ist durch die Abgrenzung der Sklavenmoral entstanden, indem in dieser der „Böse” eine gewisse Furcht gegenüber der „Guten” errege. In der Herrenmoral aber erregt der „Gute” die Furcht und der „Schlechte” wird verachtet (JGB 9, 260). Für Nietzsche ist es nicht relevant, wie Handlungen oder Tatsachen mit den Moralvorstellungen bewertet werden, sondern wo der Ursprung von „Gut“ und „Böse“ oder „Gut“ und „Schlecht“ liegt.7 Die Etymologie dieser Begriffe wird zunächst unter politischen und sozialen Kontexten verstanden, aber drückt später auch eine seelische Differenz aus.8
1.2 Differenzierung von Herr und Sklave
Die Herrenmoral ist Nietzsches Bezeichnung für Werteinschätzungen von „Mächtigen”, „Eroberern” oder „Vornehmen”. Die moralischen Werteinschätzungen entstünden durch stark geprägte Gesellschaftsschichten und den Zuständen der Seele, welche bei der Herrenmoral „erhaben” und „stolz”, bei der Sklavenmoral „erniedrigend” und „misstrauisch” seien.
Die vornehme Art Mensch fühlt sich als werthbestimmend [Sic!], sie hat nicht nötig, sich gutheissen [Sic!] zu lassen, sie urtheilt [Sic!] „was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich”, sie weiss [Sic!] sich als Das, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist wertheschaffend [Sic!]. Alles, was sie an sich kennt, ehrt sie: eine solche Moral ist Selbstverherrlichung (JGB 9, 260).
Die Definition der Herrenmoral erschließt Nietzsche in einer etymologischen Begriffsanalyse, indem er den Begriff „gut” im ständischen Sinne aus verschieden Sprachen mit „vornehm” oder „edel” übersetzt (GM 1, 4-5). Der Vornehme verlässt sich auf seine persönlichen Einschätzungen und erhebt zusätzlich einen für alle Menschen verbindlichen Objektivitätsanspruch.9 Nietzsche bezeichnet die privilegierte Fähigkeit der Herren Werte zu schaffen und sie zu benennen als Pathos der Distanz. Diese Fähigkeit ist aufgrund ihrer Vormachtstellung gegenüber der Sklaven gerechtfertigt und Teil der Charakterisierung der Vornehmen.10 Aus den Formulierungen einer Herren- und Sklavenmoral lässt sich ein sozialdarwinistisches Prinzip des „Recht des Stärkeren” ableiten.11 Die Herrenmoral kennzeichnet sich weiterführend durch den „Stolz auf sich selbst”, „einer Grundfeindschaft und Ironie gegen Selbstlosigkeit” und „leichter Geringschätzung von Mitgefühl” (JGB 9, 260) und wirkt deshalb privilegiert. Weiterhin geht mit der Herrenmoral eine Selbstgesetzgebung einher. Der „feige” und „ängstliche” Mensch wird aus Sicht der Herrenmoral verachtet, wodurch eine Selbstverherrlichung und Abhebung der eigenen Klasse entsteht.12 Der vornehme Mensch ist durch seine Macht in der Position, die Wertigkeit von „gut“ und „schlecht“ zu definieren, weshalb alles „Schlechte” primär eine „Selbst-Negation“ des Menschen der Herrenmoral darstellt und alles „Gute” dem eigenen Ideal entspricht.13
Die Sklavenmoral wird von Nietzsche grundsätzlich als Nützlichkeitsmoral gesehen und knüpft an den Utilitarismus an.14 Sie bildet den Gegensatz zur Herrenmoral und steht sinnbildlich für Heteronomie.15 Nietzsche beschreibt den Typus des Sklaven als der „Unfreie”, „Vergewaltigte”, „Gedrückte”, „Ihm-selbst-Ungewisse” und „Müde” (JGB 9, 260). Die Sklaven- oder auch Herdenmoral basiert auf Gehorsamkeit gegenüber der von der Herrenmoral geschaffenen Gesetze.16 Diese seien autoritär geschaffene gesellschaftliche Konstrukte, welche ein einheitliches Tugendschema vorgeben. Die Sklavenmoral sei als Negation des eigenen Bewusstseins für die eigene Identität zu beschreiben. Charakteristisch für die Sklavenmoral ist die differenzierte Selbstauffassung der Sklaven, welche auf Selbstverneinung und -Verachtung beruht.17 Diese Charakteristika und die Psychologie des Sklaven führen notwendigerweise zu einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Herren und schließlich zu ihrer Selbstaufhebung. Nietzsche führt dies in der dritten Abhandlung der „Genealogie der Moral” an, indem er zunächst die asketischen Ideale definiert. Diese sind vereinfacht als Entsagung oder Verdrängung von Instinkten und Trieben zu beschreiben.18 Die Askese, welche insbesondere auf die Rolle des Priesters zutrifft, wird zum Ideal des Diesseits erhoben und schafft somit eine weitere Abgrenzung von Herr und Sklave.19
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1 In der Hausarbeit wird Nietzsche nach der kritischen Studienausgabe von Colli und Montinari zitiert. Die Siglen sind aus dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. Die Hervorhebungen sind, sofern nicht anders gekennzeichnet, aus dem Originaltext übernommen.
2 Vgl. H. Ottmann (Hg.), Nietzsche-Handbuch: Leben, Werk, Wirkung, Stuttgart 2000, 253.
3 Vgl. H. Kuch/G.W.F. Hegel, Herr und Knecht: Anerkennung und symbolische Macht im Anschluss an Hegel, Frankfurt am Main 2013, 55ff.
4 Vgl. K. Brose, Sklavenmoral: Nietzsches Sozialphilosophie (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik Bd. 222), Bonn 1990, 84f.
5 Vgl. H. Ottmann (Hg.), Nietzsche-Handbuch: Leben, Werk, Wirkung, Stuttgart 2000, 253.
6 Vgl. P. Kouba, Die Vernunft als moralisches Phänomen, in: Nietzsche-Studien 19 (1990), 20-29, 20.
7 Vgl. B. Leiter, Routledge philosophy guidebook to Nietzsche on morality (Routledge philosophy guidebooks), London; New York 2002, 165ff.
8 Vgl. R. Heimann, Die Frage nach Gerechtigkeit: Platons Politeia I und die Gerechtigkeitstheorien von Aristoteles, Hobbes und Nietzsche (Philosophische Schriften Band 91), Berlin 2015, 210.
9 Vgl. G. Kohler, Macht Macht dumm? Über Odysseische Klugheit, Kantische Politik, Sokratische Dialogik und Nietzsches Herrenmoral, in: .1. Brodocz u. a. (Hgg.), Die Verfassung des Politischen, Wiesbaden 2014, 319— 329, 325.
10 Vgl. R.L. Anderson/S. May, On the Nobility of Nietzsche’s Priests, in: Nietzsche’s On the genealogy of morality; a critical guide 1 (2011), 24—55, 27.
11 Vgl. Heimann, Die Frage nach Gerechtigkeit, 210f.
12 Vgl. G. Römpp, Nietzsche leicht gemacht. Eine Einführung in sein Denken (UTB Philosophie 3718), Köln, Wien, Weimar2013, 93—96.
13 Vgl. M. Migotti, Slave Morality, Socrates, and the Bushmen. A Reading of the First Essay of On the Genealogy ofMorals, in: International Phenomenological Society 58 (1998), 745—779, 746f.
14 Vgl. 5. May, Nietzsche’s Ethics and his War on Morality, in: Oxford University Press (1999), 41-54, 49f.
15 Vgl. Ottmann (Hg.), Nietzsche-Handbuch, 253.
16 Vgl. Kouba, Die Vernunft als moralisches Phänomen, 20.
17 Vgl. Römpp, Nietzsche leicht gemacht, 94f.
18 Vgl. Ottmann (Hg.), Nietzsche-Handbuch, 195.
19 Vgl. ebd. 254.