Die Teilung Gesamtdeutschlands gehört zu den großen historischen Themen des letzten Jahrhunderts.
Der Roman „Zwei Ansichten“ von Uwe Johnson erzählt vom Mauerbau und den daraus resultierenden Konsequenzen für das Individuum in Form einer Verbindung zwischen zwei Menschen aus jeweils der DDR und der BRD.
Der Roman kann in einer Einheit zum Thema Flucht und Vertreibung in der Schule eingesetzt werden, da er das Thema Republikflucht behandelt, welches im Vergleich zur Flucht aus ostdeutschen Gebieten im Zuge des Zweiten Weltkrieges in der ostdeutschen, aber auch westdeutschen Literatur, weitaus weniger verarbeitet worden ist. Die Republikflucht gehört ebenso zu den traumatischen Erfahrungen vieler Menschen in Deutschland, die gleichfalls nachfolgende Generationen betrifft und somit auch fester Bestandteil des Literaturunterrichtes sein sollte.
Im Zuge einer solchen Einheit zu diesem Roman eröffnen sich damit viele Möglichkeiten für eine didaktische und methodische Aufbereitung.
Diese Hausarbeit stellt den Entwurf einer entsprechenden Unterrichtseinheit und einer konkreten Stunde daraus dar.
Sie ist für den Deutschunterricht eines 11. Jahrgangs eines beruflichen Gymnasiums in Schleswig-Holstein gedacht und findet über sechs Doppelstunden zu jeweils 90 Minuten statt. Die Arbeit umfasst sowohl Sachanalysen, das Stundenraster als auch didaktische und methodische Begründungen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Sachanalyse und didaktische Begründungen
2.1 Sachanalyse
2.2 Didaktische Reduktion
3. Darstellung der Unterrichtseinheit
4. Vorstellung der Stunde „Die Republikflucht – Die Perspektiven der D. und F.“
4.1 Sachanalyse
4.2 Didaktische und methodische Überlegungen
4.3 Stundenraster
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Teilung Gesamtdeutschlands gehört zu den großen historischen Themen des letzten Jahrhunderts. Der Roman „Zwei Ansichten“ von Uwe Johnson erzählt vom Mauerbau und den daraus resultierenden Konsequenzen für das Individuum in Form einer Verbindung zwischen zwei Menschen aus jeweils der DDR und der BRD. Der Roman kann in einer Einheit zum Thema Flucht und Vertreibung in der Schule eingesetzt werden, da er das Thema Republikflucht behandelt, welches im Vergleich zur Flucht aus ostdeutschen Gebieten im Zuge des zweiten Weltkrieges in der ostdeutschen, aber auch westdeutschen Literatur, weitaus weniger verarbeitet worden ist.1 „Dabei hat es zwischen 1961 und 1989 immerhin 40 000 echte Fluchtfälle in Deutschland gegeben, dazu über eine Million Übersiedlungen, und von 1949 bis zum Fall der Mauer haben sogar rund 3,5 Millionen Menschen die DDR verlassen.“2 Dies zeigt, dass die Republikflucht ebenso zu den traumatischen Erfahrungen vieler Menschen in Deutschland gehört, die gleichfalls nachfolgende Generationen betrifft und somit auch fester Bestandteil des Literaturunterrichtes sein sollte.
Im Zuge einer solchen Einheit zu diesem Roman eröffnen sich damit viele Möglichkeiten für eine didaktische und methodische Aufbereitung. Zum einen kann mit Bild- und Videomaterial zum Thema Mauerbau und Flucht sowie mit Augenzeugenberichten gearbeitet werden, um zunächst eine Kontextualisierung zu schaffen. Im Rahmen von Unterrichtsgesprächen können Schüler*innen über eigene familiäre Erfahrungen sprechen. Zudem können typische Klischees, die mit der Teilung verbunden werden und zum Teil heute noch vorherrschen, thematisiert werden. Auch aus erzähltheoretischer Sicht bietet der Roman viele Anknüpfungspunkte für eine Analyse im Unterricht. Die strikt getrennten Erzählstränge, die monologisch gehalten sind, erfordern eine/n aktive/n Leser*in, der/die die Verknüpfungen herstellt und somit auch vermehrten Gesprächsbedarf im Unterricht bzw. eine Sicherung des Textverständnisses vorab.
Diese Ausarbeitung setzt das Lesen der Ganzschrift seitens der Schüler*innen vor Behandlung im Unterricht voraus.
Die vorliegende Unterrichtseinheit ist für den Deutschunterricht eines 11. Jahrganges eines Beruflichen Gymnasiums gedacht und findet über sechs Doppelstunden zu jeweils 90 Minuten statt. Zunächst soll eine historische Kontextualisierung stattfinden, um eine gemeinsame Basis für weitere Unterrichtsgespräche zu schaffen. Für einen interessanten Einstieg bieten sich daher Medien an, in Form von Liedern3 von Musikern der BRD und DDR, die aus deren jeweiligen persönlichen Perspektiven geschrieben worden sind und damit zu Johnsons Roman passen, der ebenfalls von zwei verschiedenen Sichtweisen handelt. Weiterhin werden den Schüler*innen reale Fluchterlebnisse per Videomaterial gezeigt. Im Anschluss geht es über zur Textarbeit, wobei zunächst sichergestellt werden muss, dass der Text verstanden wurde, indem sich die Schüler*innen mit Leitfragen zu den Charakteren und deren Beziehung zueinander beschäftigen und diese Informationen zusammentragen. In der dritten Doppelstunde soll sich dann einerseits mit der Sprache im Roman und dem Dialekt der D. beschäftigt werden. Weiterhin werden Thesen mit typischen Klischees zur Diskussion gestellt. In der Folgestunde werden erzähltheoretische Aspekte geklärt und in diesem Zuge ebenfalls die Titelmetapher diskutiert. Des Weiteren findet in der Doppelstunde der Einstieg in das Thema Flucht im Roman statt, indem die Träume der D. analysiert werden sollen. In der vorletzten Doppelstunde wird das Thema Flucht dann noch einmal intensiviert, indem diese in ihrem zeitlichen Ablauf dokumentiert und die Rolle der Fluchthelfer thematisiert wird. Abschließend findet ein Lernen an einem anderen Ort, durch den Besuch der Grenzdokumentationsstätte Lübeck, statt.
2. Sachanalyse und didaktische Begründungen
2.1 Sachanalyse
Der Roman „Zwei Ansichten“ von Uwe Johnson aus dem Jahre 1965 erzählt von der Geschichte der Flucht der Krankenschwester D. aus Ost-Berlin nach West-Berlin kurz nach dem Mauerbau im Jahre 1961. Die bereits vor Mauerbau existierende Affäre zwischen der D. und dem Pressefotografen B. aus Holstein und die daraus hervorgehende Bindung beider Charaktere ist dabei der entscheidende Faktor, der zum Gelingen der Flucht beiträgt und diese überhaupt erst ermöglicht.
Die Makrostruktur der Geschichte weist eine starke Symmetrie auf, da die zehn Kapitel des Textes jeweils alternierend die Sichtweisen der Figuren B. und D. schildern. Durch das parallele Ablaufen der Handlungsstränge wird ein inhaltlicher Vergleich ermöglicht.4 Die Protagonisten bleiben namenlos und schwach charakterisiert. Der fast fünfundzwanzigjährige B. wird bereits zu Beginn des Romans als Materialist gezeichnet, der sich vor allen Dingen selbstinszeniert5: „Der junge Herr B. konnte die Hand auf großes Geld legen und kaufte einen Sportwagen.“6 Eine tiefergehende Charakterisierung findet nicht statt, wodurch B. durchgehend unglaubwürdig erscheint.7
B. lernt die einundzwanzigjährige D. bei einer privaten Einladung in Westberlin kennen und verliebt sich in sie, woraufhin einige Besuche in Ost-Berlin seinerseits erfolgen.8 Den Mauerbau nimmt er als persönlichen Affront gegen sich selbst wahr: „Er fühlte sich selbst gekränkt durch die Einsperrung der D. in ihrem Berlin, er hatte eine private Wut auf die Sperrzonen, […]“9. Hieran wird ersichtlich, dass ihm jegliches politisches Bewusstsein für die Bedeutung der Mauer fehlt.10 Die als fleißig und familiär verpflichtet dargestellte D. fühlt sich durch den Mauerbau belogen und hintergangen. Sie sucht Halt in ihrem Arbeitsalltag und lehnt Versuche der Kontaktaufnahme seitens B. zunächst ab.11 Anders als B. erscheint D. jedoch glaubwürdig. Dies trägt darüber hinaus wesentlich dazu bei, dass die Schilderungen Ostberlins im Roman eindrucksvoller wirken als die des Westens.12
Die Mauer als tödlicher Mittelpunkt lässt die beiden Protagonisten damit auf jeder Seite isoliert zurück, was sich erzähltheoretisch ebenfalls in der Trennung der Erzählstränge widerspiegelt und die Titelwahl des Romans begründen lässt. Eine Interaktion beider Ansichten durch die Protagonisten findet nicht statt, sondern wird von im Hintergrund agierenden Nebenfiguren bestritten. Hierdurch wirken die Erzählstränge wie zwei einzelne Monologe.13
Letztendlich sind es die Isolierung und die Auflösung des familiären Umfelds der D., die in ihr den Wunsch einer Flucht dann doch reifen lassen.14 Die Flucht der D. stellt der Roman in anschaulicher Genauigkeit dar, von der ersten zufälligen Begegnung des B. in einer Westberliner Kneipe mit einer Gruppe von studentischen Fluchthelfern, bis zur tatsächlichen Flucht der D. nach Westberlin mit allen Tricks, die einen Grenzübertritt in der damaligen Zeit tatsächlich noch zuließen.15
Bei dem Roman handelt es sich faktisch nicht um eine Liebesgeschichte zweier gewaltsam Getrennter. Vielmehr geschieht die Hilfe B.s gegenüber der D. aus einer Art Ehrenpflicht und aus reiner Selbstbestätigung. Die D. erhofft sich hingegen eine Besserung ihrer Lebensumstände im Westen. B. ist somit ihre einzige Chance auf diese Besserung.16 „Worum es geht, das ist die Mauer, die Teilung, und das aus ihr nachgerade zwanghaft sich ergebende Gefühl, beiderseits in der Lebensplanung nicht mehr frei zu sein.“17 Im Grunde passten die beiden bereits von Beginn an nicht zueinander, nur die zwischen ihnen aufgerichtete Mauer hätte eine Art Bindung zwischen ihnen hergestellt.18 Für die D. wird dies insbesondere bei der Passkontrolle offenkundig, denn B. hat ausgerechnet ihre Augenfarbe falsch angegeben.19 Bei dem ersten Aufeinandertreffen nach gelungener Flucht zeigt sich die Bedeutungslosigkeit ihrer Beziehung überdeutlich.20
Der Roman berichtet damit anschaulich von den jeweiligen Lebensumständen der beiden Protagonisten in den getrennten Staaten und zeigt auf diese Weise vor allen Dingen die Eindeutigkeit der neuen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse nach dem Mauerbau.21
Der Autor nimmt dabei eine persönliche alltägliche Situation der Zeit, die Trennung zweier Menschen durch den Mauerbau, als Grundlage, die jedoch in diesem Fall von Zufälligkeit und Halbherzigkeit geprägt ist. Setzt man, unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse und der Komposition der Erzählung, die Person D. gleich mit der DDR und den B. mit der Bundesrepublik, so wird deutlich, dass diese vor allem ein Sinnbild für Fremdheit und Entfremdung geworden sind und eine Synthese beider zum Scheitern verurteilt ist. Die Wortlosigkeit, mit der dieses Scheitern im Roman thematisiert wird, ist dabei das eigentlich Erschreckende.22
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1 Vgl. Bernd W. Seiler: Uwe Johnsons „Zwei Ansichten“ – oder: Zielloses Fahren und aufrechter Gang. In: Internationales Uwe-Johnson-Forum. Beiträge zum Werkverständnis und Materialien zur Rezeptionsgeschichte 6 (1997), S. 109-128, S. 111.
2 Ebd., S. 111.
3 Vgl. Carsten Gansel: „Echtes Ausland ist selten so fremd“. Uwe Johnson, „Zwei Ansichten“ und die deutsche Teilung im Literaturunterricht. In: Internationales Uwe-Johnson-Forum. Beiträge zum Werkverständnis und Materialien zur Rezeptionsgeschichte 6 (1997), S. 129-158, S. 140-141.
4 Vgl. Katja Leuchtenberger: >>Wer erzählt, muß an alles denken<<. Erzählstrukturen und Strategien der Leserlenkung in den frühen Romanen Uwe Johnsons (Johnson-Studien 6). Göttingen 2003, S. 257.
5 Vgl. ebd., S. 257-258.
6 Uwe Johnson: Zwei Ansichten. Frankfurt am Main 1965, S. 7.
7 Vgl. Hans Schwab-Felisch: Von der Aussichtslosigkeit zweier Ansichten. In: Merkur 19 (1965) H. 212, S. 1090-1093, S. 1092.
8 Vgl. Seiler: Johnsons „Zwei Ansichten“, S. 112.
9 Johnson: Zwei Ansichten, S. 25.
10 Vgl. Leuchtenberger: Erzählstrukturen, S. 259.
11 Vgl. ebd., S. 258-260.
12 Vgl. Schwab-Felisch: Von der Aussichtslosigkeit zweier Ansichten, S. 1092.
13 Vgl. Leuchtenberger: Erzählstrukturen, S. 272.
14 Vgl. ebd., S. 261.
15 Vgl. Seiler: Johnsons „Zwei Ansichten“, S. 113.
16 Vgl. Leuchtenberger: Erzählstrukturen, S. 262.
17 Seiler: Johnsons „Zwei Ansichten“, S. 112.
18 Vgl. ebd., S. 112.
19 Vgl. Johnson: Zwei Ansichten, S. 233.
20 Vgl. ebd., S. 242.
21 Vgl. Annekatrin Klaus: >>Sie haben ein Gedächtnis wie ein Mann, Mrs. Cresspahl!<<. Weibliche Hauptfiguren im Werk Uwe Johnsons (Johnson-Studien 3). Göttingen 1999, S. 249.
22 Vgl. Schwab-Felisch: Von der Aussichtslosigkeit zweier Ansichten, S. 1092-1093.