Sollte man aus vertragstheoretischer Sicht Unterschiede zwischen einer nationalen und einer internationalen Konzeption sozioökonomischer Gerechtigkeit machen?
Zusammenfassung
Hintergrund dieser Debatte sind zwei Kernfragen. Erstens: Leben wir in einer gerechten Welt, also gibt es überhaupt Handlungsbedarf? Zweitens: Wie soll das Problem der internationalen Ungerechtigkeit gelöst werden?
Bei der Beantwortung der ersten Frage herrscht unter Wissenschaftlern, Philosophen und Politikern ein weitgehender normativer Grundkonsens, wie von Nagel (2005: 113) zusammengefasst: „We do not live in a just world.“ Doch bei der zweiten Frage, welche Instrumente und Mittel es braucht, um Gerechtigkeit im sozioökonomischen Sinne herzustellen, gehen die Meinungen trotz gleichwertiger Zielauffassung auseinander.
Leseprobe
In diesem Essay soll die Frage diskutiert werden, ob man aus vertragstheoretischer Sicht Unterschiede zwischen einer nationalen und einer internationalen Konzeption sozioökonomischer Gerechtigkeit machen sollte. Hintergrund dieser Debatte sind zwei Kernfragen. Erstens: Leben wir in einer gerechten Welt, also gibt es überhaupt Handlungsbedarf? Zweitens: Wie soll das Problem der internationalen Ungerechtigkeit gelöst werden? Bei der Beantwortung der ersten Frage herrscht unter Wissenschaftlern, Philosophen und Politikern ein weitgehender normativer Grundkonsens, wie von Nagel (2005: 113) zusammengefasst: „We do not live in a just world.“ Nagels Feststellung bildet den unbestrittenen Ausgangspunkt für eine komplexe Debatte, in der es bislang keinen etablierten Konsens gibt (Nida-Rümelin & Rechenauer 2009: 297). Nach Nida-Rümelin & Rechenauer (2009: 297ff.) gebe es eine Ungleichverteilung von Ressourcen und Lebenschancen im globalen Maßstab, die zu erheblichen Folgeproblemen führt, die die Welt insgesamt zu einem weitaus unsichereren Ort machen, ein ungeheures Ausmaß an Armut, eine Zunahme an bewaffneten Konflikten, sowie eine eindeutige Korrelation zwischen dem Reichtum einer Gesellschaft und der Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Bürgerkriegen. Doch bei der zweiten Frage, welche Instrumente und Mittel es braucht, um Gerechtigkeit im sozioökonomischen Sinne herzustellen, gehen die Meinungen trotz gleichwertiger Zielauffassung auseinander. Ist es ausreichend innerhalb von Staaten Gerechtigkeit herzustellen, in Anlehnung an John Rawls? Oder erfordert nicht zuletzt die Globalisierung neues Denken in Form einer internationalen Konzeption?
Dabei lautet meine These, dass es – in Anlehnung an Beitz & Pogge - konsequent und gerecht ist, die normativen Maßstäbe der Gerechtigkeitstheorie auf allen Ebenen gleichermaßen anzusetzen und die Anwendung des Differenzprinzips von Rawls demnach auch auf internationaler Ebene zu erfolgen hat. Da Völker häufig religiöse und ökonomische Konflikte zu beklagen haben und Rawls Auswirkungen von Pfadabhängigkeiten und unverschuldeten Ereignissen zu ignorieren scheint, halte ich die Nichtanwendung des Differenzprinzips auf internationaler Ebene für nicht schlüssig. Hinzu kommen zusätzliche Ungleichheiten durch die Globalisierung, was eine Form der Umverteilung im Sinne einer internationalen Konzeption sozioökonomischer Gerechtigkeit nach sich ziehen sollte.
Im Folgenden werde ich meine Argumentation, die der Begründung meiner These dient, darlegen, indem ich zunächst auf die Definition von internationaler Politik eingehe, um dann die vertragstheoretischen Grundlagen von John Rawls darzulegen. Anschließend erkläre ich den Unterschied zu den Ausführungen von Pogge & Beitz, um anschließend die Frage zu diskutieren, ob man aus vertragstheoretischer Sicht Unterschiede zwischen einer nationalen und einer internationalen Konzeption sozioökonomischer Gerechtigkeit machen sollte.
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