Anhand Lessings Emila Galotti sollen in dieser Hausarbeit die drei Frauenfiguren Emila, Claudia und Gräfin Orsina auf ihr Verhaltensrepertoire hin untersucht werden. Alle drei Charaktere unterscheiden sich deutlich, dennoch sind sie biologisch alle Frauen. Was eint sie? Kann ein Hinweis gefunden werden, was Weiblichkeit ausmacht? Was sind ihre Gemeinsamkeiten und was grenzt sie von Männern ab? Gelingt die Zuordnung zum Geschlecht nur durch Abgrenzung vom männlichen Geschlecht? Ist weiblich, wer nicht männlich ist? Rousseau begrenzt in seiner Erziehungsschrift die Weiblichkeit auf Empfindsamkeit. Die Unterscheidung von männlich und weiblich bringt die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche hervor. Sein Geschlechtermodell wirkt weit über seine Lebenszeit hinaus und begründet die vermeintlich natürliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau.
Wie sind Lessings Frauenrollen beschafften? Bedienen sie die Klischees oder widersetzen sie sich ihnen? Um dies herausarbeiten zu können, werde ich im zweiten Kapitel eine Übersicht über das Verständnis von Weiblichkeit und die Rolle der Frau im 18. Jahrhundert anbieten. Auf dieser Grundlage wird in Kapitel drei der Abgleich zwischen historischer Vorlage und literarischem Bild stattfinden. Im viertel Kapitel werde ich mithilfe dieser Erkenntnisse meine Thesen bestätigen und ein Resümee ziehen.
Es fließt die Rezeption der Vergangenheit sowie aktuelle Diskussionen, speziell aus dem Bereich der Genderforschung, ein, ohne diese zu bewerten. Sie stehen sich gegenüber oder bedingen gemeinsam das Bild der Emila, Claudia und Orsina. Argumentationsgrundlage wird das Bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti von G.E. Lessing sein.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Verständnis von Weiblichkeit im 18. Jahrhundert
3. Die Frauencharaktere in Emila Galotti
3.1. Emilia: Tochter – Verlobte – begehrtes Objekt – Rivalin
3.2. Claudia: Mutter – Ehefrau – Bürgerliche
3.3. Gräfin Orsina: Geliebte – Verlassene – Rächerin
6. Resümee
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Frauen im 21. Jahrhundert begleiten Führungspositionen und stellen die Mehrheit der in der Pflege tätigen, eine Frau ist Bundeskanzlerin, einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung von Einjährigen soll Frauen möglichst wenig Auszeit von beruflicher Teilhabe ermöglichen. Frauen beziehen in der Summe länger Elterngeld als Männer, im Durchschnitt auf die einzelnen Monate gerechnet jedoch einen niedrigeren Betrag. Öffentlich akzeptiert und gewollt sind die unterschiedlichsten Varianten von Frauenrollen. Eine Festschreibung von Attributen zu einem bestimmten Geschlecht sieht die politische Korrektheit nicht vor. Diese Wirklichkeit nimmt auch die zeitgenössische Literatur auf.
Es scheint, dass im 21. Jahrhundert die ganze Paillette an Möglichkeiten beiden Geschlechtern offen steht. Die Legitimation der Beziehungen und Hierarchien innerhalb einer Struktur speisen sich nicht mehr ausschließlich aus dem anatomisch festgelegten Geschlecht. Die Zeiten, in denen von einem Geschlecht ausgegangen wurde und die Frau nur das unvollständige männliche Geschlecht darstellte, sind längt Geschichte. Auch Aristoteles These vom Herrschenden und der Beherrschten gehört der Vergangenheit an. Eine Unterscheidung der Frauenrolle in Klassen ist aufgrund der Gesellschaftsstruktur, die nicht mehr in Adel und Bürgertum aufgeteilt ist, nicht mehr gegeben.
Im Jahr 2013 waren 96% aller Strafgefangene Männer.1 Würde man daraus schließen, dass Männer böser und brutaler sind, würde es im Umkehrschluss bedeuten, dass Frauen das milde, gute Geschlecht sind oder zu klug, um sich bei Straftaten überführen zu lassen. Ist es nicht zu bezweifeln, dass anhand des biologischen Geschlechts in Kategorien wie Gut und Böse, gewalttätig und gesellschaftskonform, herrschend und beherrscht eingeteilt werden kann? Meine These lautet, dass der Egoismus des Einzelnen, nicht das biologische Geschlecht, darüber entscheidet, in welchem Maße ein Mensch sein Verhalten reflektiert und sich gesellschaftskonform verhält. Das Verhalten eines Individuums ist von den Strukturen, die ihn umgeben, den Anforderungen und Erwartungen, die an es gerichtete werden, dem ethischen Kodex der Gesellschaft sowie von seinen Vorbildern geprägt. Schlussendlich muss auch Intellekt und Bildung Berücksichtigung finden, die erlauben, ob und zu welchem Grad ein Individuum sich und sein Tun reflektiert, anpasst oder ändert. Eine weitere These ist, dass das gesellschaftliche Geschlecht kulturbedingt ist und historisch unterschiedlich verstanden wird. Es scheint variabel und unterliegt gesellschaftlichen wie auch psychologischen Normen.2
Menschen denken in Kategorien: Alt und Jung, Arm und Reich, Bildungsfern und Gebildet. Ist Frau und Mann nicht einfach eine weitere, wenngleich tradierte, Kategorie im Denkkonstrukt der Menschen?
Die Weiterentwicklung der Strukturen und Möglichkeiten sowie der zeitliche Abstand und Erkenntnisse der Genderforschung ermöglichen einen neuen Blick auf das Weiblichkeitsbild im 18. Jahrhundert sowie den Bildern, die in der Literatur von Frauen gezeichnet werden.
Anhand Lessings Emila Galotti sollen in dieser Hausarbeit die drei Frauenfiguren Emila, Claudia und Gräfin Orsina auf ihr Verhaltensrepertoire hin untersucht werden. Alle drei Charaktere unterscheiden sich deutlich, dennoch sind sie biologisch alle Frauen. Was eint sie? Kann ein Hinweis gefunden werden, was Weiblichkeit ausmacht? Was sind ihre Gemeinsamkeiten und was grenzt sie von Männern ab? Gelingt die Zuordnung zum Geschlecht nur durch Abgrenzung vom männlichen Geschlecht? Ist weiblich, wer nicht männlich ist? Rousseau begrenzt in seiner Erziehungsschrift die Weiblichkeit auf Empfindsamkeit. Die Unterscheidung von männlich und weiblich bringt die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche hervor. Sein Geschlechtermodell wirkt weit über seine Lebenszeit hinaus und begründet die vermeintlich natürliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau.3
Wie sind Lessings Frauenrollen beschafften? Bedienen sie die Klischees oder widersetzen sie sich ihnen? Um dies herausarbeiten zu können, werde ich im zweiten Kapitel eine Übersicht über das Verständnis von Weiblichkeit und die Rolle der Frau im 18. Jahrhundert anbieten. Auf dieser Grundlage wird in Kapitel drei der Abgleich zwischen historischer Vorlage und literarischem Bild stattfinden. Im viertel Kapitel werde ich mithilfe dieser Erkenntnisse meine Thesen bestätigen und ein Resümee ziehen.
Es fließt die Rezeption der Vergangenheit sowie aktuelle Diskussionen, speziell aus dem Bereich der Genderforschung, ein, ohne diese zu bewerten. Sie stehen sich gegenüber oder bedingen gemeinsam das Bild der Emila, Claudia und Orsina. Argumentationsgrundlage wird das Bürgerliche Trauerspiel Emilia Galotti von G.E. Lessing sein.
2. Das Verständnis von Weiblichkeit im 18. Jahrhundert
Das schöne Geschlecht hat eben so wohl Verstand als das männliche, nur es ist ein schöner Verstand, der unsrige soll ein tiefer Verstand sein, welches ein Ausdruck ist, der einerlei mit dem Erhabenen bedeutet.4
Immanuel Kant
Das biologische Geschlecht eines Menschen ist anhand anatomischer und physiologische Attribute festgelegt und als feststehend zu betrachten. Es besteht Übereinkunft, dass es Geschlecht er gibt. Dies legt nahe, dass es mindestens zwei geben muss, die sich voneinander unterscheiden. Tradiert ist die Ansicht, dass Menschen entweder Mann oder Frau sind, mehr oder weniger Kategorien sind nicht vorgesehen.
Männer galten als die Stütze der Ordnung und Hüter der Moral. Kuklick erinnert, dass der Wortstamm Mann, lateinisch vir, in den Kardinaltugenden virtus zu finden ist, Weiblichkeit hingegen als Fortuna, als „wankelmütiges Glück, launisches
Element“.5 Vor diesem Hintergrund kann klar werden, wer eine stabile Gesellschaftsform tragen kann.
Frauen stellten seit der Antike eine diskriminierte Gruppe dar. Dies kann auch daran gesehen werden, dass es als Strafe galt, als Frau wiedergeboren zu werden und sie Tauschobjekt bei Heiratsallianzen waren.6 Gründe für die Benachteiligung von Frauen könnten nach Ansicht Isaak Iselin die physischen Kräfte sein. Männer gelten tendenziell als stärker und größer als Frauen und sind ihnen damit rein körperlich überlegen. Vom körperlichen Unterlegen sein wurde auf die Psyche und den Intellekt geschlossen. Frauen galten als wenig lernfähig und beschränkt vernunftbegabt. Diese levitas animi führe zu ungenügender Selbstbeherrschung.7 Ein weiterer Grund ist theologisch begründet. Zum einen schuf Gott nach seinem Ebenbild den Mann, zum anderen legitimierte Evas Sündenfall für lange Zeit eine Gehorsamspflicht für Frauen, die sozial akzeptiert wurde und die Strukturen in Gesellschaften prägte. Darüber hinaus prägte die Bibel, speziell das Buch Jesus Sirach, die Erziehungsgrundsätze bis über das 18. Jahrhundert hinaus.8 In der Konsequenz galten Frauen mehr als Objekt denn als Subjekt und wurden lebenslang einem Vormund unterstellt: Mädchen bis zur Heirat dem Vater, danach dem Ehemann. Simone de Beauvoir beschreibt deren Notwendigkeit damit, dass der Mann die Menschen vertrete, die Frau das Negative.9 Aus wohlverstandenem Selbstinteresse zeigten Männer das Verhalten, das ihnen die Gesellschaft abverlangte. Frauen übernahmen den Gegenpart, die nicht männlich besetzte Rolle. Eine systematische Mädchenbildung, die intellektuelle Leistungen möglich gemacht hätte, war nicht vorgesehen. Öffentlicher Raum war den Männern vorbehalten und nichts hielt Frauen besser in der Privatheit, als die Aufgabe, sich um viele Kinder zu kümmern, die sie nach den Vorgaben des Mannes erzogen.10 Selbst im Kloster waren Frauen nicht „außerhäusig“ zum missionieren eingesetzt worden, sondern kümmerten sich um Aufgabenfelder im Haus und Garten. Die Beschränkung der Frau auf die Privatheit stellte aus damaliger Sicht keine bewusste Diskriminierung der Frau dar, sondern die Frau unter den Schutz des Mannes vor der Außenwelt.
Das patriarchale System, in dem Männer rechtlich und ökonomisch Macht über Frauen ausüben, wird als asymmetrische Machtverhältnisse wahrgenommen.11 Die Wahrnehmung, Frauen seien in patriarchalen Strukturen benachteiligt worden, könnte durch eben jene Wahrnehmung und nicht die Wirklichkeit entstanden sein.12
Nach aufklärerischem Ideal sollte Ende des 18. Jahrhunderts das Bildungsniveau der Frauen gehoben werden. Wochenblätter waren das Mittel der Wahl und zeigten auch gleich die Grenzen der Gelehrsamkeit. Wissen sollte die Tugendhaftigkeit fördern und die Beschäftigung mit Wissen Frauen von ungünstigen Gedanken und Tätigkeiten ablenken. Die häuslichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die der Befriedigung der Bedürfnisse des Hausvaters dienten, sollten ausgebaut werden. Wissen und Bildung erfüllte somit keinen Selbstzweck und verschaffte Frauen keine Anerkennung als human being. Im Widerspruch zum Wahlspruch der Aufklärung, sapere aude, schreibt Kant in seinem Modell der Geschlechterdifferenzierung Frauen eine „allgemeine - gefühlsmäßige Beziehung zur Gemeinschaftlichkeit“ zu.13 Frauen hatten kein Recht auf Zutritt zu Logen.14 Auch dadurch wurde ihre Rolle auf die Reproduktion und die Privatheit der Familie eingeschränkt. In der Folge erlangten sie keine wesentlichen Informationen und dadurch keine Macht, sie waren in die Privatheit „verbannt“, wurden unmündig gedacht und von der aktiven Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, was gleichsam als tugendhaft galt. Potentieller sexueller Unkontrollierbarkeit der Frau musste mit der Vernunft des Mannes begegnet werden. Rollenzuschreibungen waren im Patriarchat des 18. Jahrhundert „manngemacht“.15 Man ging davon aus, dass weibliche Eigenschaften wie Sittlichkeit, Fleiß, Natürlichkeit, Gehorsam, Gefühlsreichtum, Frömmigkeit und Empathie mit der Psyche und Natur der Frau zusammen hingen und erklärte diese als typisch weibliche Tugenden, die den bürgerlichen Frauen bei den ihnen zugedachten Rollen als Hausfrau und Mutter zugute kamen. Selbst Mädchen wurden schon früh auf ihre Rolle, der den Mann verehrenden, fleißigen Frau vorbereitet. Hier wird deutlich, dass es sich um ein Modell handelt, das sich auf bürgerliche Frauen bezieht.
[...]
1 Statistisches Jahrbuch 2012 Kapitel 11, Justiz
2 Opitz-Belakhal, Claudia: Geschlechtergeschichte. Frankfurt a.M.: Campus 2010
3 Bergmann, Franziska; Schößler, Franziska; Schreck, Bettina (Hrsg): Gender Studies. Bielefeld: transcript 2012
4 Kant, Immanuel: Von dem Unterschiede des Erhabenen und Schönen in dem Gegenverhältniß beider Geschlechter. In: Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. Erlangen: Harald Fischer Verlag 1991
5 Christian Kucklick: Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie. Frank furt a.M.: Suhrcamp 2008, S. 9
6 Diese Erkenntnisse entstammen dem Werk: Dinzelbacher, Peter (Hrsg): Europäische Mentali- tätsgeschichte. Stuttgart: Kröner 1993
7 ebd.
8 Wurst, Karin A: Abwesenheit-Schweigen-Tötung: Die Möglichkeiten der Frau? Lessings Funkti- onalisierung literarischer Klischees. In: Orbis Litterarum 1990,45,S.113-127
9 de Beauvoir, Simone: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 2013. Durch diese Aussage wird deutlich, dass Begriffe wie etwa Patriarchat, Hie- rarchie, Moral und Tugendhaftigkeit mit bestimmten Wertungen besetzt sind. Es soll hier ver- sucht werden, auf wertende Aussagen zu verzichten und Wirklichkeiten und Überlieferungen abzubilden
10 Diese Einsichten sind zu gewinnen aus der Lektüre des Kapitels „Revolution der Mutter“ in: Vinken, Barbara: Die deutsche Mutter: Der lange Schatten eines Mythos. Frankfurt a.M.: Fischer 2011
11 Cyba, Eva: Patriarchat: Wandel und Aktualität. In: Becker, Ruth; Kortendiek, Beate (Hrsg): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methode, Empirie. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2010
12 Dorle Klika: Zur Einführung: Konturen divergenter Diskurse über die Kategorie Geschlecht. In: Lesarten des Geschlechts. Opladen: Leske und Budrich 2000
13 Mahrdt, Helgardt: Öffentlichkeit, Gender und Moral. Göttingen: Vandenoeck und Ruprecht 1998, Seite 38
14 ebd.
15 Lesarten des Geschlechts, Leske und Budrich, S. 16