In dieser Hausarbeit werde ich zunächst den Mythosbegriff unter Einbezug der Darlegung durch Aristoteles näher untersuchen, um ihn daraufhin an dem Medea-Drama in seiner Ursprungsversion von Euripides sowie in seiner Rezeption von Gotter anzuwenden.
Ein kontinuierliches "Interesse an den Stoffen der Antike" ist dafür verantwortlich, dass Autoren aller Zeitepochen "auf mythische Namen zurück[greifen], auch wenn sie eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählen wollen."
Von großem Interesse gilt die Erzählung um Medea, die viele Anknüpfungspunkte für unterschiedlichste Rezeptionen bietet. Ihrer Urfassung von Euripides hat sich im 18. Jahrhundert Gotter angenommen, um den Charakter der Medea auf individuelle Art zu beleuchten. Besonders Aristoteles betrachtet Rezeptionen mythischer Stoffe kritisch und definiert anhand der resultierenden Tragödien seinen eigenen Mythosbegriff.
Inhalt
1. Einleitung
2. Mythos des Medea-Stoffes
3. Mythosbegriff nach Aristoteles
4. Charakteranalyse: Medea
4.1. Tragische Charaktere nach Aristoteles
4.2. Darstellung der Medea nach Euripides
4.3. Darstellung der Medea nach Gotter
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Mit fortschreitendem Zeitalter erklären naturwissenschaftliche Erkenntnisse dem Menschen die Welt. Durch den unsere Zeit prägenden Wissenschaftsglauben sehen die meisten Menschen diese rationalen Aussagen als selbstverständlich und allein gültige Wahrheiten an, sodass erkenntlich das Ansehen der Naturwissenschaft zugenommen und das Ansehen der Theologie abgenommen hat.1
Doch schon zu Beginn der Menschheit fragten die Menschen nach Ursachen und forderten Erklärungen. Sie fanden die Antworten für das Unbegreifliche im Göttlichen und beschrieben das Heilige, Unbekannte mit dem Mythos.
Der Mythos, dessen Begriffsbedeutung zur Zeit seiner Entstehung dem Verb „sprechen, Äußerungen machen“ entstammt, hat einen Bedeutungswandel durchlaufen und den Gegenpol des Logos entwickelt2. Der Mythos, der von den „Grundbedeutung[en] »Wort, Rede, Aussage« oder »Geschichte, Erzählung, Gerücht«“ ausging, ist heutzutage mit „»Fabel, […], Märchen, unwahre Geschichte«“3 gleichzusetzen.
Demnach handelt es sich für unsere heutiges Verständnis bei einem Mythos (Plural: Mythen) um eine Erzählung „von anthropomorphen Göttern und götternahen Menschen (Heroen)“4, die „keine historische Wahrheit rekonstruier[t]“5, sondern nur den Stoff für die Dichtung liefert. Da immer die Schwierigkeiten und Niederlagen der Heroen beschrieben werden, sind Mythen grundlegende Stoffgeber von Tragödien.
Ein kontinuierliches „Interesse an den Stoffen der Antike“6 ist dafür verantwortlich, dass Autoren aller Zeitepochen „auf mythische Namen zurück[greifen], auch wenn sie eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählen wollen.“7
Von großem Interesse gilt die Erzählung um Medea, die viele Anknüpfungspunkte für unterschiedlichste Rezeptionen bietet. Ihrer Urfassung von Euripides hat sich im 18. Jahrhundert Gotter angenommen, um den Charakter der Medea auf individuelle Art zu beleuchten.
Besonders Aristoteles betrachtet Rezeptionen mythischer Stoffe kritisch und definiert anhand der resultierenden Tragödien seinen eigenen Mythosbegriff.
Im Folgenden werde ich zunächst den Mythosbegriff unter Einbezug der Darlegung durch Aristoteles näher untersuchen, um ihn daraufhin an dem Medea-Drama in seiner Ursprungsversion von Euripides sowie in seiner Rezeption von Gotter anzuwenden.
2. Mythos des Medea-Stoffes
Im 5. Jahrhundert v. Chr. verschriftlichte Euripides (480 v. Chr. – 406 v. Chr.), der neben Aischylos und Sophokles einen der drei großen griechischen Tragiker darstellte, den Mythos um Medea.
Die griechischen Mythen waren als umlaufende Erzählungen bekannt, die der Unterhaltung dienten und hinreichenden Gestaltungsfreiraum ließen. Den Zuhörern wurden die Helden zwar „als ferne, aber historische Gestalten“8 präsentiert, jedoch sollte „keine historische Wahrheit rekonstruier[t]“9 werden. „[D]ieser Ansammlung zahlloser Geschichten von anthropomorphen Göttern und götternahen Menschen“10 liegen die griechischen Tragödien zugrunde.
Der Medea-Stoff entspringt einer Vielzahl „bruchstückhafter und [sich] widersprechender Überlieferung“11, der Euripides eine „übersichtliche[ ], knappe[ ], wohlmotivierte[ ] Handlung“ schenkt. Sein zentrales Stoffelement formt „die leidenschaftliche Liebe Medeas zu Jason und ihre dämonische Rachsucht“12.
Allerdings nimmt er eine entscheidende Änderung an dem Mythos vor, indem er „Medea zur Mörderin ihrer eigenen Kinder“13 macht.
Da er „die divergierenden Einzelmythen des Sagenkreises zu einem Handlungsgeflecht verknüpft und […] das entscheidende Motiv des Kindermords eingeführt“ hat, prägt Euripides den Medea-Stoff „entscheidend“14.
Zudem gestaltet Euripides seine Charaktere „in ihrem Wesen und Handeln menschlicher, wenn sie auch, wie Medea, Unmenschliches tun“15. Er macht die Helden zu Menschen und entmythologisiert den Mythos auf diese Weise. Nur so kann garantiert werden, dass die Heroen tatsächlich zu Helden würden16.
Er kristallisiert das Kernproblem um Medea und Jason heraus, er legt „sein ganzes Augenmerk auf die Motivierung der Rache“17 und er führt Medea so weit in unsere Umwelt hinein, entfernt sie so weit von ihrer mythischen Heimat, ohne sie doch davon abzutrennen“18.
[...]
1 Vgl.: Sombek, Theo/Vering, Axel/ Willert, Albrecht: Das Bild von der Welt in Naturwissenschaft und Theologie. Göttingen: Vandehoeck & Ruprecht, 1993, S.61 f.
2 Vgl.: Nesselrath, Heinz-Günther: Mythos – Logos – Mytho-Logos: Zum Mythos-Begriff der Griechen und ihrem Umgang mit ihm. In: Rusterholz, Peter/Rupert, Moser (Hg. im Auftr. des Collegium generale):Form und Funktion des Mythos in archaischen und modernen Gesellschaften. Referate einer Vorlesungsreihe des Collegium generale der Universität Bern im Sommersemester 1997. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt, 1999, S. 1.
3 Rudolph, K.: Mythos – Mythologie – Entmythologisierung. In:. Schmidt, H.H (Hg.): Mythos und Rationalität, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1988, S. 369.
4 G.A. Seeck: Die griechische Tragödie. Stuttgart: Reclam, 2000, S. 165.
5 Ebd. S. 170.
6 Konrad Kenkel: Medeadramen. Entmythisierung und Remythisierung Euripides, Klinger, Grillparzer, Jahn, Anouilh. Bouvier-Verlag , Bonn, 1979, S. 1.
7 G.A. Seeck: Die griechische Tragödie, S. 172.
8 Ebd. S. 167.
9 Ebd. S. 168.
10 Ebd. S. 165.
11 K. Kenkel: Medeadramen. S. 17.
12 Euripides: Medea. S. 64.
13 Ebd. S. 64.
14 K. Kenkel: Medeadramen. S. 4.
15 Euripides: Medea. S. 62.
16 Siegfried Melchinger: Euripides. Hannover: Velber, ²1967, S. 52, In: K. Kenkel: Medeadramen. S. 18.
17 K. Kenkel: Medeadramen. S. 21.
18 Ebd. S. 19.