Die Großschreibung der Substantive, die typisch für die deutsche Schriftsprache ist, zählt zu den am meisten diskutierten Gegenständen der Orthographie. Der Diskurs darüber ergab sich aus den Problematiken und scheinbaren Willkürlichkeiten der Substantivgroßschreibung, die lange Zeit ihre vollständige Beherrschung schwer bis unmöglich machte. Noch heute tun sich Schüler:innen mit ihrer Meisterung schwer, obwohl in den letzten 120 Jahre einiges für die Vereinheitlichung und bessere Verständlichkeit der deutschen Orthographie getan wurde.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die gängigsten Kritikpunkte an der Substantivgroßschreibung herauszuarbeiten und darzustellen, wie sich der Diskurs und ihre Normierung vom 18. bis zum 21. Jahrhundert entwickelten. Dazu soll im ersten Schritt die historisch gewordenen Systematik der satzinternen Großschreibung dargestellt werden. Dieses Kapitel der Arbeit muss weiter zurückführen als das 18. Jahrhundert, da hier die Entwicklung und Funktion der Substantivgroßschreibung sowie mögliche Gründe für ihre Entstehung und Monopolstellung in der deutschen Sprache erläutert werden sollen. Dieser Schritt muss unweigerlich zur Darstellung der Vereinheitlichung der Regeln für Groß- und Kleinschreibung führen, da die Substantivgroßschreibung sich als unaufhaltbares Phänomen herausstellte, was zwangsläufig einer gewissen Normierung bedurfte.
Im zweiten Schritt soll dementsprechend der Weg zur Vereinheitlichung der deutschen Orthographie dargestellt werden. Dieser soll von den Stimmen der der Substantivgroßschreibung gegenüber kritisch eingestellten Sprachwissenschaftlern untermauert werden und in der Darstellung der offiziellen Normierung, der II. Orthographischen Konferenz, münden. Hier sollen kurz einige Beispiele des Regelwerks zur Substantivgroßschreibung dargestellt und bezüglich ihrer Verständlichkeit analysiert werden.
Es folgt die Darstellung des sich an die II. Orthographische Konferenz anschließenden Diskurses zur Großschreibung von Substantiven, der unmittelbar nach der Konferenz begann und von diversen Reformvorschlägen der deutschen Rechtschreibung insbesondere in Bezug auf die Substantivgroßschreibung gestützt wurde. Hier sollen auch Gründe für das Scheitern der von Reformern geforderten gemäßigten Kleinschreibung aufgezeigt werden, was in der abschließenden Verdeutlichung der Vorzüge der Substantivgroßschreibung, die letztlich auch verantwortlich für ihren Erhalt in der Rechtschreibreform von 1996 waren, münden soll.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historisch gewordene Systematik der satzinternen Großschreibung
3. Der Weg zur Vereinheitlichung
3.1 Die Kritik an der Substantivgroßschreibung vor der Vereinheitlichung
3.2 Die Orthographischen Konferenzen
4. Der Weg zur Reform
4.1 Die Kritik an der Substantivgroßschreibung vor der Reform
4.2 Das Ende des Ringens um die Substantivkleinschreibung
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Großschreibung der Substantive, die typisch für die deutsche Schriftsprache ist, zählt zu den am meisten diskutierten Gegenständen der Orthographie. Der Diskurs darüber ergab sich aus den Problematiken und scheinbaren Willkürlichkeiten der Substantivgroßschreibung, die lange Zeit ihre vollständige Beherrschung schwer bis unmöglich machte. Noch heute tun sich Schüler:innen mit ihrer Meisterung schwer, obwohl in den letzten 120 Jahre einiges für die Vereinheitlichung und bessere Verständlichkeit der deutschen Orthographie getan wurde.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die gängigsten Kritikpunkte an der Substantivgroßschreibung herauszuarbeiten und darzustellen, wie sich der Diskurs und ihre Normierung vom 18. bis zum 21. Jahrhundert entwickelten.
Dazu soll im ersten Schritt die historisch gewordenen Systematik der satzinternen Großschreibung dargestellt werden. Dieses Kapitel der Arbeit muss weiter zurückführen als das 18. Jahrhundert, da hier die Entwicklung und Funktion der Substantivgroßschreibung sowie mögliche Gründe für ihre Entstehung und Monopolstellung in der deutschen Sprache erläutert werden sollen. Dieser Schritt muss unweigerlich zur Darstellung der Vereinheitlichung der Regeln für Groß- und Kleinschreibung führen, da die Substantivgroßschreibung sich als unaufhaltbares Phänomen herausstellte, was zwangsläufig einer gewissen Normierung bedurfte.
Im zweiten Schritt soll dementsprechend der Weg zur Vereinheitlichung der deutschen Orthographie dargestellt werden. Dieser soll von den Stimmen der der Substantivgroßschreibung gegenüber kritisch eingestellten Sprachwissenschaftler:innen untermauert werden und in der Darstellung der offiziellen Normierung, der II. Orthographischen Konferenz, münden. Hier sollen kurz einige Beispiele des Regelwerks zur Substantivgroßschreibung dargestellt und bezüglich ihrer Verständlichkeit analysiert werden.
Es folgt die Darstellung des sich an die II. Orthographische Konferenz anschließenden Diskurses zur Großschreibung von Substantiven, der unmittelbar nach der Konferenz begann und von diversen Reformvorschlägen der deutschen Rechtschreibung insbesondere in Bezug auf die Substantivgroßschreibung gestützt wurde. Hier sollen auch Gründe für das Scheitern der von Reformer:innen geforderten gemäßigten Kleinschreibung aufgezeigt werden, was in der abschließenden Verdeutlichung der Vorzüge der Substantivgroßschreibung, die letztlich auch verantwortlich für ihren Erhalt in der Rechtschreibreform von 1996 waren, münden soll.
2. Historisch gewordene Systematik der satzinternen Großschreibung
Anders als in anderen vergleichbaren Sprachen existiert die Substantivgroßschreibung nur im deutschen Schriftsprachsystem. Dieses deutsche Phänomen der Substantivgroßschreibung kann zwar anhand der historischen Entstehung des Majuskelgebrauchs beschrieben werden, eine richtige Erklärung für sie gibt es aber nicht. Es ist davon auszugehen, dass der spezielle Gebrauch der Majuskeln im Deutschen aus einem sich gegenseitig beeinflussenden Verhältnis der Entwicklungstendenzen im Schreibusus und den Anstrengungen der Sprachwissenschaftler:innen, diesen Gebrauch zu standardisieren, rührte. (vgl. Nerius und Baudusch 2007, S. 96) Wegen dieser außergewöhnlichen Entwicklung des Majuskelgebrauchs im Deutschen, sprechen Jäger und Böhnert von einer „ganz eigenen, historisch gewordenen Systematik“ (Jäger und Böhnert 2018, S. 78).
Der Beginn der satzinternen Großschreibung lässt sich nicht genau definieren. Fest steht jedoch, dass diese früher als gedacht in der deutschen Sprache auftauchte. Dass Mentrup noch beschreibt, dass die satzinternen Großbuchstaben ein Phänomen darstellen, welches erst im 13. Jahrhundert eingesetzt hat (vgl. Mentrup 1979, S. 23), erklärt Elmentaler damit, dass die Forschung bis in die 1980er Jahre davon ausging, dass die Substantivgroßschreibung ihren Ausgangspunkt im Frühneuhochdeutschen hatte. Doch lassen sich tatsächlich Belege bereits in althochdeutschen Texten finden, wenngleich das Auftreten satzinterner Großschreibung nur marginal ist und sich auf wenige Arten von Nomen, nämlich Nomina sacra, Nomina propria und in seltenen Fällen Nomina appellativa, beschränkt1. (vgl. Elmentaler 2018, S. 303) Wirklich greifbar wurde die Substantivgroßschreibung erst im späten 16. Jahrhundert: Die Großschreibung von Nomina sacra und Personen- bzw. Ortsnamen traten nun zwar wenig systematisch, aber dennoch regelmäßig auf und erfüllten in erster Linie die Funktion der Respektbezeugung und Ehrdarbietung. Um 1600 herum wurden nun auch Personenbezeichnungen zu einem großen Teil mit Majuskeln versehen, was dazu führte, dass die Großschreibung neben der Funktion der Respektbekundung nun auch die Funktion der Markierung eines Substantivs erfüllte. Dies führte dazu, dass neben der Nomina sacra, Nomina propria und Bezeichnungen für Menschen nun auch die Konkreta bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts und in der letzten Entwicklungsphase der Substantivgroßschreibung am Ende des 17. Jahrhunderts sogar die Abstrakta und Nominalisierungen großgeschrieben wurden. (vgl. Jäger und Böhnert 2018, S. 78)
Doch welchen Einfluss hatte der Schreibusus auf die Regelwerke der frühen Neuzeit? Nachdem die Grammatiken des frühen 16. Jahrhunderts nur für einige spezielle Gruppen von Substantiven die Etikettierung mittels Großschreibung anordneten, war J. Becherer der erste Sprachgelehrte, der den Majuskelgebrauch für wenigstens die meisten Substantive im Jahre 1596 verlangte. Die Großschreibung wurde in den Regelwerken des 16. Jahrhunderts auf die Textgliederung, die Hervorhebung von Eigennamen und die Markierung thematisch relevanter Wörter beschränkt und war somit noch sehr begrenzt. (vgl. Bergmann und Nerius 1998, S. 924–925) Die Entwicklung der Substantivgroßschreibung und vor allem deren Übernahme in die einschlägigen Orthographie-Regelwerke fassen Bergmann und Nerius am Schluss ihrer umfassenden Korpusanalyse von zwischen 1500 und 1700 verfassten Texten übersichtlich zusammen: Die Großschreibung, die dem textualen Prinzip folgt, ist schon um 1500 die Regel gewesen und wurde von Sprachgelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts beleuchtet. Gleiches gilt auch für den Großbuchstaben am Ganzsatzanfang. Der Gebrauch des syntaktisch bedingten Versal im Ganzsatz selbst hingegen nahm zunächst zu, dann jedoch wieder ab und war um das Jahr 1710 herum noch aufzufinden. Der Majuskelgebrauch bei Eigennamen und auch bei von ihnen abgeleiteten Adjektiven wurde zwischen 1500 und 1530 zur Regel und dann auch bereits von zeitgenössischen Sprachgelehrten dargestellt. In der Zeit von 1530 bis 1590 fand die massivste Ausdehnung der Großschreibung auf alle möglichen Arten von Substantiven statt, die dann am Ende des 16. Jahrhunderts von den Sprachgelehrten allgemein als ‚Substantivgroßschreibung‘ betitelt wurde, sodass ab 1650 die lexikalische Großschreibung begann, die Wortart Substantiv immer mehr zu erschließen. (vgl. Bergmann und Nerius 1998, S. 972–973)
Hier muss die Frage gestellt werden, wieso sich der Gebrauch der satzinternen Großschreibung beinahe ausschließlich auf die Substantive beschränkt. Mentrup beschreibt, dass bis ins 17. Jahrhundert hinein die satzinterne Großschreibung ohne wirkliche Regel erfolgte und sich über alle möglichen Wortarten erstreckte und dabei sogar manchmal die Substantive und Eigennamen nicht betraf. (vgl. Mentrup 1979, S. 23) Diese Erkenntnis bedeutet in erster Linie, dass die Hervorhebung die vom Verfasser als wichtig angesehenen Wörter oder Informationen betraf und die Regelung wegen der subjektiven Aussage oder Intention des Verfassers eher willkürlich war. Hier setzt auch Elmentaler an, indem er die Frage stellt, weshalb sich die satzinterne Großschreibung nur bei Substantiven durchsetzte und nicht bei den ebenso inhaltsvermittelnden oder bedeutungstragenden Adjektiven und Verben. Er kommt zu dem Schluss, dass die Großschreibung der Substantive den Phrasenkern optisch markiere (vgl. Elmentaler 2018, S. 310), während Kaempfert die Problematik aus philosophischer Sicht angeht, indem er die Substantive als greifbarer als andere Wortarten bezeichnet, wodurch sich eine in seinen Augen naive Ansicht der Vormachtstellung der Substantive ergäbe, die daraufhin zur Substantivgroßschreibung führe (vgl. Kaempfert 1980, S. 98). Nerius beschreibt ebenfalls diese philosophischen Strömungen, die dafür verantwortlich sein könnten, dass die scheinbar bedeutendste Wortart auch graphisch als diese markiert wurde, was dazu führte, dass Johann Christoph Gottsched den Namen ‚Hauptwort‘ für das Substantiv einführte. Er kommt jedoch auch zu dem Schluss, dass diese Vermutungen letztlich bloß Spekulationen seien, ebenso wie diese, dass die Substantivgroßschreibung im Deutschen durch die Verwendung der damals gebräuchlichen Frakturschrift hätte begünstigt werden können. (vgl. Nerius und Baudusch 2007, S. 200–201)
[...]
1Die Großschreibung am Anfang eines Textes, Satzes oder einer Strophe gab es hingegen im Althochdeutschen bereits relativ regelmäßig und sie konsolidierte sich im 15. Jahrhundert im Schreibusus (vgl. Nerius und Baudusch 2007, S. 196).