Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, was mögliche Herausforderungen der Digitalisierung auf das informelle Lernen – als Teil lebenslangen Lernens – sind.
Gerade in einer Gesellschaft der fortschreitenden Digitalisierung und sozialen Beschleunigung nimmt die digitale Dimension einen wichtigen Anteil am lebenslangen Lernen ein. Gerstenmaier und Mandel beschreiben gerade das informelle Lernen von Erwachsenen als "aktivitätsorientiert und vorzugsweise selbstgesteuert; es orientiert sich an arbeitsplatznahen kognitiven, sozialen und materiellen Tools und verläuft im Wesentlichen situiert".
Dass dies auch in großen Teilen im informellen Rahmen stattfindet, stellt Conlon fest; dass nämlich gerade in der beruflichen Weiterbildung etwa 90% des Lernens informell stattfindet.
Inhaltsverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
1. Einführung: Herausforderungen des informellen Erwerbes von Kompetenzen in digitalen Dimensionen
2. Was ist Lernen?
2.1. Definition von Lernen
2.2. Formales Lernen
2.3. Nichtformales Lernen
2.4. Informelles Lernen und dessen Besonderheiten im Gegensatz zu formalem und nichtformalem Lernen
2.5. Geschichte informellen Lernens
3. Heutige Herausforderungen informellen Lernens in der digitalen Dimension
3.1. Herausforderung – Empirie
3.2. Herausforderung - Technologie
3.3. Herausforderung - Zertifizierung
4. Fazit
II. Literaturverzeichnis
I. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Domänenmodell (vgl. Kotinsky 2021)
Abbildung 2: Kontinuummodell (vgl. Rohs 2014, S. 34)
Abbildung 3: Learning Mixer (vgl. Shank 2021)
Abbildung 4: Bedeutung von Formen der Bereitstellung von Lerninhalten in den kommenden drei Jahren (2021-2024) (vgl. mmb-Trendmonitor, o.V. 2021, S. 15)
Abbildung 5: Nutzung von Internetanwendungen unabhängig vom Lernkontext (vgl. Jadin T./Zöserl E. 2009, S. 48)
Abbildung 6: Top Tools for Learning 2020 - die Top 20 (vgl. Hart 2021)
Abbildung 7: Typen von Weiterbildungszertifikaten und Kompetenznachweisen (vgl. Bertelsmann Stiftung 2016, S. 17)
1. Einführung: Herausforderungen des informellen Erwerbes von Kompetenzen in digitalen Dimensionen
„Wir sollten immer bereit sein, unkonventionelle Wege zu gehen: frei, kreativ, mutig zu denken und flexibel zu bleiben. Lebenslanges Lernen wird zur Königsdisziplin“ (Karliczek 2018). So bringt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in ihrer Eröffnung der Subkonferenz „We can WORK it out“ als Teil der re:publica 18 die Position der Bundesregierung zum lebenslangen Lernen auf den Punkt. Gerade in einer Gesellschaft der fortschreitenden Digitalisierung und sozialen Beschleunigung nimmt die digitale Dimension einen wichtigen Anteil am lebenslangen Lernen ein. Gerstenmaier und Mandel (1999, S. 172) beschreiben gerade das informelle Lernen von Erwachsenen als „aktivitätsorientiert und vorzugsweise selbstgesteuert; es orientiert sich an arbeitsplatznahen kognitiven, sozialen und materiellen Tools und verläuft im Wesentlichen situiert“. Dass dies auch in großen Teilen im informellen Rahmen stattfindet, stellt Conlon (2004, S. 283) fest; dass nämlich gerade in der beruflichen Weiterbildung etwa 90% des Lernens informell stattfindet. Eine Onlinestudie von ARD und ZDF stellt fest, dass 94% der deutschen Bevölkerung das Internet zumindest gelegentlich nutzen, wobei beispielsweise 76% Suchmaschinen verwenden und etwa 20% „einfach mal schnell“ im Internet etwas suchen (vgl. Beisch/ Schäfer 2020, S. 462-481). Im Horizon Report 2021 werden sechs technologische Schlüsseltrends der fortschreitenden Digitalisierung hervorgehoben, die zukünftig Bedeutung für das Lernen und Lehren haben:
(1) Weitestgehende Akzeptanz von Hybrid-Lernmodellen,
(2) Verstärkter Einsatz neuer Lerntechnologien und -instrumente,
(3) Online Weiterbildung/ Weiterentwicklung der Lehre,
(4) Verringerung der Hochschul- und Universitätsfinanzierung,
(5) Nachfrage nach neuen/ unterschiedlichen Arbeitskräftequalifikationen,
(6) Unsicherheiten bezüglich weiterer positiver globaler wirtschaftlicher Entwicklung.
(vgl. Pelletier K. et al. 2021).
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, was mögliche Herausforderungen der Digitalisierung auf das informelle Lernen – als Teil lebenslangen Lernens – sind. In Kapitel 2 wird das informelle Lernen zunächst von anderen Lernformen abgegrenzt. Anschließend wird der historische Hintergrund des informellen Lernens kritisch betrachtet und in Kapitel 3 die Herausforderungen informellen Lernens in der digitalen Dimension herausgearbeitet.
2. Was ist Lernen?
2.1. Definition von Lernen
Die Herkunft des Wortes "Lernen" kann man auf die die gotische Bezeichnung für "ich weiß" (lais) und das indogermanische Wort für "gehen" (lis) zurückführen. „Die Herkunft des Wortes deutet bereits darauf hin, dass Lernen ein Prozess ist, bei dem man einen Weg zurücklegt und dabei zu Wissen gelangt." (Mielke 2001, S. 11). Lernen kann man demnach als einen Prozess bezeichnen, der relativ stabile Verhaltensveränderungen herbeiführt und auf Erfahrung aufbaut (vgl. Zimbardo 1995, S. 227). Das Ergebnis des Lernprozesses kann sich dabei auf charakterlicher, intellektueller, körperlicher oder sozialer Ebene zeigen (vgl. Maier/ Bartscher/ Nissen 2021). Die lernende Person handelt aktiv, da sie ihre bisher erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen in den Prozess einbringt, mit den neuen Reizen vergleicht und so gegebenenfalls bisher erworbene Verhaltensweisen, Kenntnisse und Fertigkeiten anpasst (vgl. Maier 2021). Es werden allerdings explizit diejenigen Verhaltensänderungen ausgeschlossen, die aus Reifung, Vererbung oder durch Einnahme von Suchtmitteln oder z. B. durch Ermüdung entstehen (vgl. Lefrançois 2015, S. 3). Der Rat der Europäischen Union hat zu den verschiedenen Formen des Lernens Definitionen festgelegt, an welche die folgenden Beschreibungen angelehnt sind (vgl. Rat der Europäischen Union 2012, Anhang S. 1):
2.2. Formales Lernen
Formales Lernen ist ein von, in der Regel anerkannten, Bildungseinrichtungen geplantes und durchgeführtes, strukturiertes Lehren und Lernen mit anerkannten Abschlüssen und Zertifikaten. Herausstellendes Merkmal formalen Lernens ist, dass sie regelmäßig in institutionellen, dem Lernen dienenden Zusammenhängen (wie zum Beispiel Schulen und Universitäten) stattfindet. Diese Institutionen sind im Allgemeinen von äußeren Einflüssen abgegrenzt und blendet die Unstrukturiertheit der Realität außerhalb dieser Institutionen bewusst aus. Damit soll ein strukturiertes, eindeutiges, vergleichbares Lernumfeld geschaffen werden.
2.3. Nichtformales Lernen
Mit nichtformalem Lernen sind vor allem Qualifizierungsprozesse gemeint, die in formal anerkannten Bildungseinrichtungen stattfinden (Schulen, Weiterbildungseinrichtungen wie beispielsweise Volkshochschulen, Musikschulen etc.), aber zu keinem anerkannten Abschluss oder Zertifikat führen. Wie beim Formalen Lernen existiert hier ebenfalls ein Lehrer:in-Schüler:in-Verhältnis. Es geschieht planvoll im Sinne von Lernzielen und Lernzeit. Oft findet das nichtformale Lernen auch in organisierten arbeitsplatznahen Lehr- und Lernsettings statt.
2.4. Informelles Lernen und dessen Besonderheiten im Gegensatz zu formalem und nichtformalem Lernen
Informelles Lernen findet im Gegensatz zu nichtformalem und formalem Lernen nicht in einem festgelegten Lernsetting statt. Es ist ein Lernprozess, der in vielen Bereiches des Lebens vorkommt: im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, sowie auch im Familienkreis. Informelles Lernen kennt kein Lehrer:in-Schüler:in-Verhältnis und hat keine festgelegten Lernziele. Das heißt, es findet weitestgehend unstrukturiert und unorganisiert statt. Die gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse sind mitunter vom Lernenden vorher auch nicht beabsichtigt worden, werden aber im Laufe des Lernprozesses als wertvoll angesehen und aktiv in neue Verhaltensweisen, Fertigkeiten und Kenntnisse umgesetzt. Oben genannte Definitionen ergeben ein Bild, dass diese Lernformen eindeutig voneinander abgrenzbar sind, sowohl aus der Lehrenden- als auch aus der Lernenden-Perspektive. Dieses wird auch als Domänenmodell bezeichnet (vgl. Kotinsky 2021).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Domänenmodell (vgl. Kotinsky 2021)
Das Domänenmodell wirft allerdings einige Fragen auf, wenn man sich explizit bestimmte Lernsituationen ins Gedächtnis ruft. Es wäre folgendes Beispiel vorstellbar, bei dem informelles und nichtformales Lernen hinsichtlich oben genannter Definitionen nicht eindeutig zugeordnet werden können. Jemand kauft sich eine Sprachlern-App für seine mobilen Geräte, um eine Fremdsprache in einer bestimmten Stufe des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen zu lernen. Diese Person hat ein Lernziel und es gibt durch die Lern-App auch eine Struktur, letztlich kann diese Person aber dann Zeit, Ort und Dauer selbst wählen, so dass diese Form des Lernens sowohl nicht-formale als auch informelle Anteile hat. Insofern hat sich das sogenannte Kontinuummodel durchgesetzt (vgl. Rohs 2014, S. 34), in der die Übergänge hinsichtlich verschiedener Attribute des Lernens (hier: Intention, Unterstützung, Steuerung, Inhalt, Bewusstsein, Ergebnis) fließend verlaufen:
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Abbildung 2: Kontinuummodell (vgl. Rohs 2014, S. 34)
Gerade in der heutigen Zeit der Digitalisierung, der unüberschaubaren Möglichkeiten der Wissensspeicherung, in der sich die Menge des Wissens der Menschheit rasant entwickelt, erscheint es wichtig zu sein, ständig lernen zu können und sich als Lernender auch den Situationen anpassen zu können. Dazu gibt es Ansätze das Kontinuum noch weiter auszudifferenzieren, um diese verschiedenen Situationen und Facetten des Lernens erfassen zu können. Ein Beispiel ist der von Jay Cross (vgl. Shank 2021) entwickelte Learning Mixer. In diesem werden verschiedene Attribute (hier: Steuerung, Art des Wissenstransfers, Dauer, Inhalt, Zeiteinteilung, Anleitender, Entwicklungszeit) betrachtet und diese „stufenlos“ zwischen formalem und informellem Lernen zugeordnet:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Learning Mixer (vgl. Shank 2021)
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