Die Figuren der Mutter Courage aus Bertolt Brechts Drama „Mutter Courage und ihre Kinder“ steht im Fokus der Forschungsliteratur. Die Deutung der Tochter Kattrin ist dabei oft eng an die Analyse der Protagonistin geknüpft. Die Arbeit untersucht beide Figuren im Kontrast zueinander. Dabei wird folgende These untersucht: Inwieweit stellt Kattrin in ihren Werten und Handlungen einen Kontrast zu Mutter Courage dar?
Dafür wird zunächst der Begriff der Mütterlichkeit definiert, um auf das unterschiedliche Ausleben der Mütterlichkeit der beiden Figuren einzugehen. In diesem Unterkapitel wird der Fokus vor allem auf die Analyse der fünften und zwölften Szene des Stücks gelegt, da sich die dort vorkommenden Wiegenlieder gut für die Betrachtung der Fürsorge und Kinderliebe der Figuren eignen. Im darauffolgenden Abschnitt ist das Ziel, die unterschiedlichen Motivationen der beiden Figuren genauer zu erläutern und dabei auch die jeweilige Einstellung zum Krieg und zur Liebe miteinzubeziehen. Das Unterkapitel 3.4 soll fortfahrend, unter besonderer Behandlung der Lernfähigkeit Kattrins, die unterschiedliche Entwicklung der Figuren darlegen. Eine Analyse der Emotionen und Handlungsprinzipien, vor allem unter Deutung der elften Szene, wird den Hauptteil abschließen. Am Ende der Arbeit soll ersichtlich geworden sein, in welchen Bereichen die Protagonistin und ihre Tochter Kontraste aufweisen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definitionen
3 Kontraste der Figuren Mutter Courage und Kattrin
4 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Das Stück hatte seine Deutschlandpremiere 1949 als erste große Regiearbeit Brechts am Deutschen Theater Berlin. 70 Jahre danach lässt sich jetzt am Theater für Niedersachsen (TfN) erleben, dass es nichts an Aktualität eingebüßt hat“, so wird die Aufführung des Dramas Mutter Courage und ihre Kinder in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung angekündigt.1 Neben Die Dreigroschenoper zählt Brechts Drama Mutter Courage und ihre Kinder mit dem Untertitel Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg zu den meistgespielten Texten aus seinem dramatischen Gesamtwerk.2 Es handelt von Mutter Courage, auch Anna Fierling genannt, die gemeinsam mit ihren Kindern Eilif, Schweizerkas und Kattrin ihren Planwagen durch den Krieg zieht. Das Drama wurde im Herbst 1939 von Brecht im skandinavischen Exil verfasst, 1941 in Zürich uraufgeführt und wird aktuell unter anderem auf der Bühne des Theaters für Niedersachen in Hildesheim gezeigt.
Neben der andauernden Präsenz des Stücks ist zudem interessant, dass Brecht den Text nach der Uraufführung noch einmal geändert hat, um die problematischen Wesenszüge der Courage, der Protagonistin, hervorzuheben, da es ihm missfiel, dass das Publikum ihr Mitleid zusprach.3 Von den Figuren des Dramas steht besonders Mutter Courage im Fokus der Forschungsliteratur, die Deutung der Tochter Kattrin ist dabei oft eng an die Analyse der Protagonistin geknüpft.4
Das Vorgehen in dieser Hausarbeit wird ähnlich sein, da die beiden Figuren im Kontrast zueinander untersucht werden. Dabei wird folgende These untersucht: Inwieweit stellt Kattrin in ihren Werten und Handlungen einen Kontrast zu Mutter Courage dar.
Dafür wird zunächst der Begriff der Mütterlichkeit definiert, um in 3.1 auf das unterschiedliche Ausleben der Mütterlichkeit der beiden Figuren einzugehen. In diesem Unterkapitel wird der Fokus vor allem auf die Analyse der fünften und 12. Szene des Stücks gelegt, da sich die dort vorkommenden Wiegenlieder gut für die Betrachtung der Fürsorge und Kinderliebe der Figuren eignen. Im darauffolgenden Abschnitt ist das Ziel, die unterschiedlichen Motivationen der beiden Figuren genauer zu erläutern und dabei auch die jeweilige Einstellung zum Krieg und zur Liebe miteinzubeziehen. Das Unterkapitel 3.4 soll fortfahrend, unter besonderer Behandlung der Lernfähigkeit Kattrins, die unterschiedliche Entwicklung der Figuren darlegen. Eine Analyse der Emotionen und Handlungsprinzipien, vor allem unter Deutung der elften Szene, wird den Hauptteil abschließen. Am Ende der Arbeit soll ersichtlich geworden sein, in welchen Bereichen die Protagonistin und ihre Tochter Kontraste aufweisen.
2 Definitionen
2.1 Mütterlichkeit
„Mütterlichkeit, auch heute noch oft als >Natur der Frau< dargestellt, bezeichnet die Fürsorglichkeit der Mutter dem Kind gegenüber als eine Frauen eigene Fähigkeit; sie ist […] nicht an die biologische Mutter gebunden“.5 Das Konzept der mütterlichen Fürsorge hat Einfluss auf das Bild der Frau und schreibt der Weiblichkeit Eigenschaften wie natürliche Mütterlichkeit zu.6 „Warum das so ist, liegt wiederum in der Vorannahme begründet, dass Frauen fürsorglicher und sozialer als Männer seien, sodass Liebe, Zärtlichkeit und Aufopferungsbereitschaft in unserer Kultur mit ‚Weiblichkeit‘ verknüpft werden“.7 Allerdings resultieren Mutterliebe und Mütterlichkeit nicht automatisch aus dem biologischen Mutterdasein und können sich gegebenenfalls auch unter verschiedenen psychosozialen Umständen gar nicht erst entwickeln.8 Die Philosophin Elisabeth Badinter hat die Natürlichkeit der Mutterliebe und des Mutterinstinkts bereits 1980 infrage gestellt und die beiden Begriffe als gesellschaftliche Konstruktionen erklärt.9
3 Kontraste der Figuren Mutter Courage und Kattrin
3.1 Umgang mit Kindern und Züge von Mütterlichkeit
„Mutter Courage • Kattrin, ihre stumme Tochter • Eilif, der ältere Sohn • Schweizerkas, der jüngere Sohn […]“.10 Das Personenverzeichnis des Dramas deutet bereits eine besondere Beziehung zwischen den Familienmitgliedern Kattrin und Mutter Courage an. Während Kattrin der Mutter mit einem Possessivpronomen klar zugeordnet wird, ist die Verbindung zu Eilif und Schweizerkas offener gehalten. Die Bezeichnungen „der ältere Sohn” und „der jüngere Sohn” schaffen den Eindruck einer distanzierteren Beziehung der Mutter Courage zu den beiden männlichen Figuren. (M 8) Der besondere Umgang der Mutter Courage mit ihrer Tochter wird unter anderem im neunten Bild des Stücks sehr deutlich. Auf das Angebot des Kochs, mit ihm nach Utrecht zu gehen, unter der Bedingung Kattrin zurückzulassen, reagiert die Händlerin entschlossen mit: “Ich brauch nix zu überlegen. Ich laß sie nicht hier.”. (M 77) An dieser Stelle entscheidet sich Mutter Courage aus Fürsorge und mütterlicher Verantwortung gegen eine Zukunft ohne Kattrin. Sie bekennt sich zu ihrer Tochter und zeigt mütterliche Hingabe. Aus Mutterliebe und Zuneigung versucht sie, an gleicher Stelle Kattrin das schlechte Gewissen zu nehmen, indem sie den Wagen als Grund für ihre Wahl nennt. Auch an anderen Stellen des Dramas gilt die Sorge der Mutter eindeutig dem Wohlergehen ihrer Tochter. Sie sorgt sich darum, dass Kattrin böse Aussagen des Kochs hören könnte, die ihr die letzte Hoffnung auf einen Mann nehmen würden und reibt sie im dritten Bild mit Schmutz ein, in der Hoffnung, sie so vor Soldaten schützen zu können. Ihre mütterliche Fürsorge gilt ebenfalls den beiden Söhnen. Mutter Courage zeigt sich gewaltbereit, als sie im ersten Bild ein Abwerben Eilifs fürchtet und „zieht ein Messer“. (M 14) Ihre Aussage „Meine Kinder sind nicht für das Kriegshandwerk” verdeutlicht ihren Wunsch, Eilif, Schweizerkas und Kattrin aus dem Krieg herauszuhalten. (M 13) Als sie Kattrin in der siebten Szene, trotz großer Gefahr, in die Stadt schickt, um Einkäufe zu erledigen, wird allerdings deutlich, dass der Schutz der Kinder, in bestimmten Situationen, den Geschäften der Marketenderin untergeordnet ist. Für Mutter Courage sind ihre Kinder Arbeitskräfte, mit deren Hilfe sie ihr Handelsgeschäft aufrechterhalten kann und die Familie ernährt. Nebentextpassagen wie „Von zwei jungen Burschen gezogen, rollt ein Planwagen heran” verdeutlichen dies. (M 10) Sie sieht die Kinder nicht nur als Familie, die sie beschützen möchte, sondern auch als „Geschäftsleut”. (M 10) Mutter Courage ist geprägt von dem „Widerspruch, den die Rollen der Händlerin und der Mutter erzeugen” und erfährt Scheitern immer dann, wenn die Rollen der Mutter und Geschäftsfrau kollidieren.11 Problematisch ist, dass die Rollen zwar eng miteinander verbunden sind, „denn die Courage […] ist Händlerin um die Pflichten einer Mutter erfüllen zu können”, doch unvereinbar scheinen.12 Ihr Umgang mit den Familienmitgliedern Eilif und Schweizerkas wird vor allem im Kontrast zu Kattrins Verhalten deutlich. Während Eilif in der ersten Szene vom Werber mitgenommen wird, ist Mutter Courage zu abgelenkt, um dies zu bemerken, da sie in Geschäfte mit dem Feldwebel verwickelt ist. Im Gegensatz zu ihr besitzt Kattrin die Aufmerksamkeit, Eilifs Verschwinden zu bemerken und „stößt rauhe Laute aus”, um sie zu informieren. (M 18) Die Sorge um einen möglichen wirtschaftlichen Verlust aufgrund von Falschgeld ist größer als die Sorge um ihren Sohn und so reagiert Mutter Courage zu spät auf Kattrins Warnungen. Die Geschehnisse in der dritten Szene verstärken ebenfalls den Eindruck, dass Kattrin oft die beschützende Rolle für ihre Brüder einnimmt, während Mutter Courage ihren ökonomischen Interessen nachgeht. Im Kontrast zu Mutter Courage, die im entscheidenden Moment abwesend ist, steht Kattrin. „Sie versucht alles, ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen” und ist bemüht, sich trotz ihrer Stimmlosigkeit zu artikulieren. (M 37) Der Rollenkonflikt der Protagonistin wird besonders im dritten Bild deutlich, als Mutter Courage von der Situation von Schweizerkas erfährt. In einer spontanen, mütterlichen Reaktion ist sie bereit, ihren Wagen für das Leben des Jungen zu verkaufen. Sie hofft auf die Bereitschaft des Obristen und schlägt vor „[ …] vielleicht kauft […] der einen Markentenderhandel”. (M 41) Nach kurzer Bedenkzeit schwenkt sie allerdings um und stellt fest “ Er wird nur verpfändet”. (M 41) Im Anschluss verdeutlicht sie zwar den Zeitdruck, handelt allerdings zu lange um ihren Sohn. Letztendlich „führt die Tüchtigkeit der Händlerin praktisch dazu, daß sie ihre mütterlichen Interessen vernachlässigt […]”.13 Im Gegensatz zu Mutter Courage, der es nicht gelingt ihre leiblichen Kinder zu schützen, ist Kattrin bemüht, ihre Geschwister vor Gefahren zu bewahren und setzt sich ebenso für Kinder anderer Familien ein.
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1 Schacht, Daniel Alexander: „Mutter Courage“ hat Premiere am Theater für Niedersachsen . Vom Geschäft mit dem Krieg: Brechts Antikriegsstück als Mitleidsinszenierung . http://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Region/Mutter-Courage-hat-Premiere-am-Theater-fuer-Niedersachsen (13.März 2019).
2 Vgl. Kugli, Ana u. Michael Opitz (Hrsg.): Brecht Lexikon. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler 2006. S.195
3 Vgl. Kittstein, Ulrich: Bertolt Brecht. Paderborn: Wilhelm Verlag 2008 (= UTB 3030) S.58
4 Vgl. Kugli u. Opitz: Brecht Lexikon, S.197
5 Kroll, Renate (Hrsg.): Gender Studies Geschlechterforschung. Ansätze-Personen-Grundbegriffe. Stuttgart, Weimar: J.B. Metzler 2002, S.284
6 Vgl. Schlicht, Corinna: Das Narrativ ‚natürlicher‘ Mutterliebe und Mütterlichkeit in Literatur und Film. In: Gender: Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 8 (2016), S.109
7 Ebd., S.112f.
8 Vgl. Ebd., S.109
9 Vgl. Ebd., S.113
10 Brecht, Bertolt: Mutter Courage und ihre Kinder. Eine Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg. In: ders.: Bertolt Brecht. Werke. 6 Bde. Hrsg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei u.a. Bd. 6: Bertolt Brecht. Stücke 6. Hrsg. v. Ders. 1. Aufl. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag 1989, S. 8 Im Folgenden zitiert mit der vorangestellten Sigle ‚M‘ und Seitenzahl in Klammern direkt im Fließtext.
11 Kugli u. Opitz: Brecht Lexikon, S.195
12 Jaretzky, Reinhold: Bertolt Brecht. 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2010, S. 108
13 Joost Jörg-Wilhelm, Klaus-Detlef Müller u. Michael Voges: Bertolt Brecht. Epoche- Werk-Wirkung. In: ders.: Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte. 10 Bde. Hrsg. v. Wilfried Barner u. Gunter Grimm. Hrsg. v. Klaus-Detlef Müller. München: C.H. Beck 1985, S.282