Aufteilung der Hausarbeit:
Die erste Frage beschäftigt sich mit der Erfolgsaussicht eines Organstreitverfahrens, inwiefern Tweets einer Bundesministerin eine politische Partei in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzen könnten.
Die zweite Frage beschäftigt sich mit der realitätsnahen Frage, ob und inwiefern ein Anspruch auf Stellen eines Bundestagsvizepräsidenten besteht (vgl. Afd-Problematik).
Der originale Sachverhalt kann aus datenschutzrechtl. Gründen nicht mit hochgeladen werden. Dies ist jedoch unschädlich für den Mehrwert der Hausarbeit, da im Rahmen der Subsumtion alle Sachverhaltsdaten verwertet wurden. Weiterhin bietet die Hausarbeit einen guten Orientierungspunkt für alle Beginner des Studiums.
Gliederung
Frage 1
A. Zulässigkeit des Organstreitverfahrens
I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 ff. BVerfGG
II. Beteiligtenfähigkeit, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 ff. BVerfGG
1. Antragsteller
a. Beteiligungsfähigkeit gemäß § 63 BVerfGG
b. Beteiligungsfähigkeit gemäß Art 93 I Nr. 1 GG
(1) Frühe Ansicht des BVerfG
(2) Zutreffende Ansicht
(3) Heutige Ansicht des BVerfG
(4) Streitentscheid
2. Antragsgegner
III. Streitgegenstand, Art. 93 I Nr.1 GG, § 64 I BVerfGG
IV. Antragsbefugnis, § 64 I BVerfGG
V. Form und Frist, §§ 23 I, 64 II, III BVerfGG
VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
VII. Zwischenergebnis
B. Begründetheit
I. Tweet der M auf ihrem privaten Account
1. Recht auf Chancengleichheit, Art. 21 I i.V.m. Art 38 I 1 GG
a. Aus Art. 21 I GG
b. In Verbindung mit Art. 38 I 1 GG
c. Zwischenergebnis
2. Beeinträchtigung des Rechts
a. Bezugnahme auf das Amt als Bundesministerin
b. Zwischenergebnis
3. Zwischenergebnis
II. Retweet des Bundesministeriums
1. Recht auf Chancengleichheit, Art. 21 I i.V.m. Art. 38 I 1 GG
3. Beeinträchtigung des Rechts auf Chancengleichheit
a. Bezugnahme auf das Amt als Bundesministerin
b. Beeinträchtigung
(1) Zeitlicher Geltungsbereich des Neutralitätsgebots
(2) Missachtung der Verpflichtung zur Neutralität
c. Zwischenergebnis
4. Verfassungsmäßige Rechtfertigung
a. Einschränkbarkeit der Rechte aus Art. 21. I i.V.m. Art 38 I 1 GG
b. Kollidierendes Recht
(1) Meinungsfreiheit, Art. 5 I 1 GG
(2) Befugnis der Bundesregierung zur Öffentlichkeits- und Informationsarbeit, Art. 65 GG
c. Verfassungsrechtliche Schranken der Einschränkbarkeit
(1) Ressortprinzip, Art. 65 S. 2 GG
(2) Sachlichkeitsgebot
(3) Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung
(4) Zwischenergebnis
d. Zwischenergebnis
5. Zwischenergebnis
III. Zwischenergebnis
C. Ergebnis
Frage 2
A. Verfassungsrechtlicher Anspruch
B. Anspruch aus der Geschäftsordnung des deutschen Bundestages
I. Recht auf Stellen eines Bundestagsvizepräsidenten
II. Anspruch auf Wahl des Bundestagsvizepräsidenten
1. Vergebliches zur Wahl stellen von Kandidaten
a. Die daraus folgende Ungleichbehandlung
b. Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung
c. Einschränkbarkeit der Freiheit des Mandats
d. Zwischenergebnis
2. Zwischenergebnis
C. Ergebnis
Literaturverzeichnis
1. Barczak, Tristan: Die parteipolitische Äußerungsbefugnis von Amtsträgern, NVwZ 2015, 1014ff.
2. Darsow, Thomas: Über die Grenzen des Gutgemeinten – zum Wahlgeschehen eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, NVwZ 2019, 1013ff.
3. Degenhardt, Christoph: Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, 34. Aufl. 2018.
4. Dreier, Horst: Grundgesetz Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 2015.
5. Fuchs, Michael/Fuchs, Anke/Fuchs, Kerstin: Verfassungs- und parlamentsrechtliche Probleme beim Wechsel der Wahlperiode, DÖV 2009, 232ff.
6. Geis, Max-Emanuel/Meier, Heidrun: Grundfälle zum Organstreitverfahren, Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG JuS 2011, 699ff.
7. Grosche, Nils: Anfängerhausarbeit – Öffentliches Recht: Staatsorganisationsrecht – Bundestagspräsident im politischen Wettbewerb, JuS 2019, 868 ff.
8. Häberle, Peter: Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zwischen Parteien- und Bürgerdemokratie, JZ 1977, 361ff.
9. Hömig, Dieter/Wolff, Heinrich Amadeus (Hrsg.): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Aufl. 2018.
10. Ipsen, Jörn: Staatsrecht I, 31. Aufl. 2019.
11. Kersten, Jens: Parlamentarismus und Populismus, JuS 2019, 929ff.
12. Korioth, Stefan: Staatsrecht I, 4. Aufl. 2018.
13. Lechner, Hans/Zuck, Rüdiger: Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BverfGG, 8. Auflage 2019.
14. Mangoldt, Hermann von/Klein, Friedrich/Starck, Christian: GG, Bd. 2, 7. Aufl. 2018.
15. Maunz, Theodor/Dürig, Günter: Grundgesetz-Kommentar, 89. EL Oktober 2019
16. Maunz, Theodor/Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Bethge, Herbert: Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Bd. 1, 57. Aufl. 2019.
17. Merten, Detlef: Das konfuse Konfusionsargument, DÖV 2019, 41ff.
18. Milker, Jens: Äußerungen von Hoheitsträgern im Wahlkampf und darüber hinaus, JA 2017, 647ff.
19. Münch, Ingo von/Kunig, Philip (Hrsg.): Grundgesetz Kommentar, Bd. 1, 6. Aufl. 2012.
20. Sachs, Michael: GG, 8. Aufl. 2018.
21. Schlaich, Klaus/Korioth, Stefan: Das Bundesverfassungsgericht, 11. Auflage 2018
22. Spitzlei, Thomas: Die politische Äußerungsbefugnis staatlicher Organe, JuS 2018, 856ff.
23. Stern, Klaus (Hrsg.)/ Becker, Florian: Grundrechtekommentar, 3. Aufl. 2019.
24. Voßkuhle, Andreas/Kaiser, Anna-Bettina: Grundwissen – Öffentliches Recht: Informationshandeln des Staates, JuS 2018, 343ff.
25. Voßkuhle, Andreas/Kaufhold, Ann-Katrin: Grundwissen – Öffentliches Recht: Die politischen Parteien, JuS 2019, 763ff.
26. Voßkuhle, Andreas/Kaufhold, Ann-Katrin: Grundwissen – Öffentliches Recht: Die Wahlrechts-grundsätze, JuS 2013, 1078ff.
27. Zippelius, Reinhold/Würtenberger, Thomas: Deutsches Staatsrecht, 33. Aufl. 2018.
Frage 1:
Der Antrag der Y-Partei hat Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit des Organstreitverfahrens
Der Antrag müsste zunächst zulässig sein.
I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 ff. BVerfGG
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist für Organstreitverfahren nach Art. 93 I Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG zuständig.1
II. Beteiligtenfähigkeit, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 ff. BVerfGG
Der Antragsteller und der Antragsgegner müssten nach Art. 93 I Nr. 1 GG, § 63 ff. BVerfGG beteiligtenfähig sein.
1. Antragsteller
Zunächst müsste der Antragsteller beteiligtenfähig sei. Hier stellt die Partei Y den Antrag beim BVerfG. Bei ihr handelt es sich ersichtlich um eine politische Partei i.S.d. Legaldefinition des § 2 PartG, die ebenfalls vom BVerfG als treffende Umschreibung des verfassungsrechtlichen Terminus der Parteien i.S.d. Art. 21 GG angesehen wird.2 Fraglich ist, ob eine politische Partei in einem Organstreitverfahren antragsberechtigt ist.
a. Beteiligungsfähigkeit gemäß § 63 BVerfGG
Gemäß § 63 BVerfGG sind der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung oder Teile dieser Organe, die in den Geschäftsordnungen des Bundestages oder Bundesrates oder im Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet sind, beteiligtenfähig.
Die Y-Partei könnte gemäß § 10 GOBT als „Teil“ des Bundestages gelten. Zwar sind Fraktionen „Teile“ des Bundestages i.S.v. § 22 I 2 BVerfGG, da sie ständige Untergliederungen des Bundestages sind3, allerdings sind Fraktionen von Parteien zu unterscheiden. Fraktionen sind schließlich von den politischen Parteien rechtlich unabhängige Vereinigungen von Bundestagsabgeordneten (vgl. § 45 AbgG).4 Sie spiegeln lediglich die parteipolitische Aufteilung der politisch-gesellschaftlichen Sphäre im Parlament wider.5 Somit ist die Y-Partei nicht nach § 63 BVerfGG beteiligtenfähig.
b. Beteiligungsfähigkeit gemäß Art 93 I Nr. 1 GG
Da eine politische Partei nicht zu den obersten Bundesorganen gezählt werden kann, ist folglich zu diskutieren, ob eine politisch Partei nach Art. 93 I Nr. 1 GG als „anderer Beteiligter“, die im Grundgesetz oder der Geschäftsordnung einer der obersten Bundesorgane mit Rechten ausgestattet sind, antragsberechtigt sein könnte. Dass dieses nicht mit der Aufzählung der Beteiligungsfähigen in § 63 BVerfGG übereinstimmt, ist nicht hinderlich, da es sich bei dem Art. 93 I Nr. 1 GG um ein Gesetz von Verfassungsrang handelt, dass ohnehin nicht von einem einfachen Gesetz eingeschränkt werden kann.6 Hier könnte sich nur aus dem Art. 21 I GG ergeben, dass politische Parteien zu den „anderen Beteiligten“ gezählt werden können. Strittig ist jedoch, inwiefern man politische Parteien verfassungsrechtlich ihrem Wesen nach einordnet.
(1) Frühe Ansicht des BVerfG
In frühen Entscheidungen des BVerfG wird politischen Parteien eine staatsorganähnliche Qualität beigemessen, sodass man daraus die Beteiligtenfähigkeit in einem Organstreitverfahren ziehen könnte.7 Argumentiert wurde damit, dass der Art. 21 GG den Telos hat, die in der Weimarer Republik zwischen der politischen Wirklichkeit und dem geschriebenen Verfassungsrecht bestehenden Spannungen zu beseitigen, indem man den demokratischen Parteienstaat legalisiert.8 Dies scheint jedoch aus heutiger Sicht nicht zweckmäßig, da man der politischen Partei folglich die Grundrechtsfähigkeit absprechen würde9, welches nicht vereinbar mit der Rolle wäre, die politische Parteien in der Gesellschaft und der außerstaatlichen politischen Willensbildung einnehmen.
(2) Zutreffende Ansicht
Somit scheint es gerechtfertigter, politischen Parteien eine gewisse Staatsferne zuzuschreiben, da dem Staat die Einflussnahme auf die politische Willensbildung verwehrt sein sollte (Art. 20 I, II GG).10 Somit wären politische Parteien keine verfassungsrechtlichen Teile der Staatlichkeit, sondern vielmehr juristische Personen des Zivilrechts. Sie wären durch den Art. 21 GG staatlichem Schutz unterstellt. Es lässt sich also schlussfolgern, dass man politischen Parteien die Grundrechtsfähigkeit zusprechen könnte und sie diese nur durch die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG) geltend machen könnten und nicht durch ein Organstreitverfahren.11
(3) Heutige Ansicht des BVerfG
Trotz dieser modernen und zutreffenden Ansicht hält das BVerfG politische Parteien weiterhin für beteiligtenfähig in einem Organstreitverfahren.12 Politische Parteien haben aufgrund ihrer maßgeblichen Mitwirkung am Verfassungsleben und der politisch-gesellschaftlichen Willensbildung einen besonderen Status.13 Das BVerfG unterscheidet daher, ob die politischen Parteien ihren verfassungsrechtlichen Status oder die jedermann zustehenden Grundrechte geltend machen.14 Folglich gewährt das BVerfG politischen Parteien bei einer Rügung der Verletzung ihres verfassungsrechtlichen Status gemäß Art. 21 I GG durch ein Verfassungsorgan des Bundes den Weg des Organstreitverfahrens.15
(4) Streitentscheid
Da diese Ansicht des BVerfG für die heutige Praxis weiterhin maßgeblich ist, wird sie auch in dieser Fallbearbeitung angewendet werden. Ferner stellt sie sich auch als effizienter für die politische Partei als Antragssteller dar, da sie bei dem Organstreitverfahren nicht wie bei der Verfassungsbeschwerde erst über § 90 II BVerfGG alle Rechtsmittel ausschöpfen muss, um das Rechtsschutzbedürfnis erfüllen zu können.
Folglich ist die Y-Partei als politische Partei als Antragssteller beteiligtenfähig.
2. Antragsgegner
In ihrer Funktion als Bundesministerin gehört M der Bundesregierung an und ist somit nach § 63 BVerfGG beteiligtenfähig.
III. Streitgegenstand, Art. 93 I Nr.1 GG, § 64 I BVerfGG
Nach § 64 I BVerfGG ist ein tauglicher Streitgegenstand jede Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners, die rechtserheblich ist.
Zunächst ist zu thematisieren, ob eine Äußerung eine Maßnahme i.S.d. § 64 I BVerfGG sein kann. Der Begriff der Maßnahme ist weit auszulegen, und unter diesen Begriff fallen neben Rechtsakten auch Realakte.16 Eine Äußerung ist somit als eine Maßnahme i.S.d. § 64 I BVerfGG anzusehen.
Fraglich ist, ob die vorliegende Maßnahme der M und des Bundesministeriums überhaupt rechtserheblich ist. Als rechterhebliche Maßnahme kommt jedes Verhalten des Antragsgegner in Betracht, das geeignet ist, die Rechtsstellung des Antragsstellers zu verletzten oder unmittelbar zu beeinträchtigen.17
Hier gibt M in einem Tweet eine Äußerung über die Y- Partei bekannt und fordert die Einwohner des Bundeslandes Z dazu auf, bei der nächsten Wahl die Y-Partei nicht mehr zu wählen.
Durch ihre Äußerung könnte M Wähler beeinflusst haben. Vor allem M, die sowohl Bundesministerin und Parteivorsitzende der U-Partei ist und auf Twitter aufgrund der ca. 120.000 „Follower“ eine große soziale Reichweite und Bekanntheitsgrad genießt, kann durch ihre Äußerung Einfluss auf die Wahrnehmung von Wählern nehmen.
Dass das Bundesministerium mit ihren ca. 60.000 „Follower“ den Tweet der M ebenfalls veröffentlicht, bestärkt die Ansicht nur, dass die Äußerung rechtserheblich sein kann. Folglich ist die Maßnahme der M und die des Bundesministeriums als rechtserheblich anzusehen. Es liegt eine rechtserhebliche Maßnahme der M und des Bundesministeriums vor und damit ein tauglicher Streitgegenstand.
IV. Antragsbefugnis, § 64 I BVerfGG
Ferner müsste der Antragsteller antragsbefugt sein. Der Antragsteller muss geltend machen, durch die rechtserhebliche Maßnahme in seiner verfassungsrechtlichen Rechtsstellung verletzt zu sein (§ 64 I BVerfGG).18 Es muss die tatsächliche Möglichkeit bestehen, dass der Antragsteller durch die Maßnahme in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt ist.19
Hier verweist die Y-Partei auf die Verletzung der Chancengleichheit der politischen Parteien. Die Chancengleichheit der politischen Parteien ergibt sich aus Art. 21 I i.V.m. Art. 38 I 1 GG.20 Bei der durch M veröffentlichten, negativ formulierten Äußerung über die Y-Partei und dem Retweet des Bundesministeriums ist eine solche Verletzung zumindest denkbar. M könnte die Y-Partei durch ihre Äußerung auf Twitter als nicht wählbar dargestellt und sie durch ihre Äußerung kompromittiert haben.
Die Äußerung der M und der Retweet des Bundesministeriums könnte die öffentliche Wahrnehmung der Y-Partei durch die Wähler negativ beeinflusst haben, somit auf die politische Willensbildung Einfluss genommen haben und dadurch das Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 I i.V.m. Art. 38 I 1 GG verletzt haben. Folglich ist die Y-Partei antragsbefugt.
V. Form und Frist, §§ 23 I, 64 II, III BVerfGG
Dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass die Schriftform des § 23 I BVerfGG gewahrt wurde, das verletzte Recht bezeichnet ist (§ 64 II BVerfGG) und die 6-Monats-Frist nach § 64 III BVerfGG eingehalten wurde.
VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Ferner müsste das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein. Die alleinige Tatsache, dass die beanstandete Rechtsverletzung in der Vergangenheit liegt, berührt das Rechtschutzbedürfnis jedoch grundsätzlich nicht21, und ob in solchen Fallkonstellationen ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse22 gegeben sein muss, kann ferner offenbleiben, soweit dieses besteht. Solch ein Interesse könnte schon durch die Gefahr der Wiederholung oder dem Wunsch nach objektiver Klarstellung begründet werden.23 M verdeutlicht durch ihre Argumentation, dass sie ihr Handeln bzw. die des Bundesministeriums als verfassungsrechtlich gerechtfertigt ansieht. Somit scheint eine Möglichkeit der Wiederholung nicht ausgeschlossen. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben.
VII. Zwischenergebnis
Alle Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor. Die Anträge sind somit zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag der Y-Partei ist begründet, wenn M mit ihrer Äußerung oder das Bundesministerium mit der Veröffentlichung dieser Äußerung die Y-Partei in ihren verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 21 I i.V.m. Art. 38 I 1 GG verletzt. Im vorliegenden Fall liegt objektive Antragshäufung vor. Folglich wird zunächst der Antrag auf Entfernung des Tweets von dem privaten Account der M behandelt und daraufhin der Antrag auf Entfernung des Bundesministeriums.
[...]
1 Korioth, Staatsrecht I, § 29 Rn. 790.
2 Vgl. etwa BVerfGE 89, 266 (269) (Beschluss v. 21.10.1993 – 2 BvC 7, 8, 9, 10, 11, 12/91)
3 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, BVerfGG § 63 Rn. 71.
4 Korioth, Staatsrecht I, § 23 Rn. 432
5 Korioth, Staatsrecht I, § 23 Rn. 432.
6 Korioth, Staatsrecht I, § 31 Rn. 855.
7 BVerfGE 1, 208 (225) (Urteil v. 05.04.1952 – 2 BvH 1/52).
8 BVerfGE 1, 208 (225) (Urteil v. 05.04.1952 – 2 BvH 1/52).
9 Mangoldt/Klein/Starck/ Streinz, GG, Art. 21 Rn. 146.
10 BVerfGE NJW 2002, 2227 (Beschluss v. 28.03.2002 – 2 BvR 307/01).
11 S. etwa BVerfGE 84, 290 (299) (Beschluss vom 10.07.1991); heutige ganz herrschenden Meinung.
12 Vgl. etwa BVerfG NVwZ 2004, 850 (851) (Beschluss v. 26.02.2004 – 2 BvH 1/04); BVerfGE 82, 322 (335) (Urteil v. 29.09.1990 – 2 BvE 1/90), (st. Rspr.).
13 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 11 Rn. 2.
14 Mangoldt/Klein/Starck/ Streinz, GG, Art. 21 Rn. 146.; St. Rspr..
15 Mangoldt/Klein/Starck/ Streinz, GG, Art. 21 Rn. 146.
16 Lechner/Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 64 BVerfGG Rn. 8.
17 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 93.
18 Ipsen, Staatsrecht I, § 18 Rn. 887.
19 Geis/Meier, JuS 2011, 699 (702).
20 BVerfGE 82, 322 (337) (Beschluss v. 29.09.1990 – 2 BvE 1, 3, 4/90, 2 BvR 1247/90); BVerfGE 104, 14 (19f.) (Beschluss v. 22.05.2001 – 2 BvE 1, 2, 3);; Hömig/Wolff/ Risse/Witt, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 21 Rn. 10.
21 BVerfGE 131, 152 (193) (Urteil v. 19.06.2012 – 2 BvE 4/11) mwN.
22 BVerfGE 131, 152 (193f.) (Urteil v. 19.06.201 – 2 BvE 4/11),
23 Grosche, JuS 2019, 868 (870).