Mit der Präsidentschaft Macrons in Frankreich ist neue Bewegung in die Bemühungen und Auseinandersetzungen um eine stärkere Integration der europäischen Verteidigungspolitik gekommen. So fordert der französische Präsident ein „Europa der Verteidigung“ mit einer gemeinsamen „strategischen Kultur“. Damit betritt er keineswegs unbekanntes Terrain. Erste Ansätze für eine europäische Verteidigung gab es bereits in den 1950er Jahren mit der letztlich gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Und auch im Koalitionsvertrag bekundet die neue Bundesregierung „auf dem Weg zu einer ‚Armee der Europäer’ die Europäische Verteidigungsunion mit Leben füllen“ zu wollen. Das so oft bemühte und zum Teil recht erfolgreiche deutsch-französische Tandem verspricht damit für das Feld der Verteidigungspolitik neues Integrationspotential, welches für die nächsten Jahre den Weg zu einer vertieften politischen Union ebnen könnte.
Welche Perspektiven es für eine solche Entwicklung gibt, soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden. Dabei ist auch ein Blick auf die bisherige Entwicklung der Verteidigungspolitik der EU zu werfen, um daraus Entwicklungslinien und Herausforderungen für die Zukunft abzuleiten. Eine Bestandsaufnahme der europäischen Verteidigungspolitik heute dient der Erkenntnis, welche integrativen Schritte bereits getan wurden.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. Einleitung
II. Status quo einer europäischen Verteidigung
1. Begriffsabgrenzung
2. Institutionen
3. Instrumente
4. Verfahren (Beschlussfassung)
5. Beschränkungen
6. Zwischenergebnis
III. Historische Entwicklung einer europäischen Verteidigung
1. Das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft
2. Die Entwicklungsschritte zur GSVP
3. Zwischenergebnis
IV. Perspektiven einer europäischen Verteidigung
1. Ziele der Weiterentwicklung einer europäischen Verteidigung
2. Ansätze zur Weiterentwicklung einer europäischen Verteidigung
3. Herausforderungen und Probleme bei der Weiterentwicklung einer europäischen Verteidigung
V. Schlussbetrachtung
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von der Groeben, Hans/Schwarze, Jürgen/Hatje, Armin : Nomos Kommentar Europäisches Unionsrecht. Band 1, 7. Auflage, Baden-Baden 2015
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I. Einleitung
Mit der Präsidentschaft Macrons in Frankreich ist neue Bewegung in die Bemühungen und Auseinandersetzungen um eine stärkere Integration der europäischen Verteidigungspolitik gekommen. So fordert der französische Präsident ein „Europa der Verteidigung“ mit einer gemeinsamen „strategischen Kultur“.1 Damit betritt er keineswegs unbekanntes Terrain. Erste Ansätze für eine europäische Verteidigung gab es bereits in den 1950er Jahren mit der letztlich gescheiterten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG).2 Und auch im Koalitionsvertrag bekundet die neue Bundesregierung „auf dem Weg zu einer ‚Armee der Europäer’ die Europäische Verteidigungsunion mit Leben füllen“ zu wollen.3 Das so oft bemühte und zum Teil recht erfolgreiche deutsch-französische Tandem verspricht damit für das Feld der Verteidigungspolitik neues Integrationspotential, welches für die nächsten Jahre den Weg zu einer vertieften politischen Union ebnen könnte.4
Welche Perspektiven es für eine solche Entwicklung gibt (IV.), soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden. Dabei ist auch ein Blick auf die bisherige Entwicklung der Verteidigungspolitik der EU zu werfen (III.), um daraus Entwicklungslinien und Herausforderungen für die Zukunft abzuleiten. Eine Bestandsaufnahme der europäischen Verteidigungspolitik heute dient der Erkenntnis, welche integrativen Schritte bereits getan wurden (II.).
II. Status quo einer europäischen Verteidigung
Zentrale rechtliche Grundlage für die europäische Verteidigungspolitik ist der Vertrag von Lissabon, der seit 2009 in Kraft ist. Der durch ihn reformierte Vertrag über die Europäische Union (EUV) behandelt in seinem Titel V. das auswärtige Handeln der Union allgemein (Kap. 1) sowie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) im Besonderen (Kap. 2). Zu Letzterer gehört auch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), deren rechtlicher Rahmen in den Artikeln 42 bis 46 EUV ausgestaltet ist.
Im Folgenden sollen die grundlegenden Inhalte und Wertungen der GSVP herausdestilliert werden, um anschließend ein zusammenfassendes Bild der gegenwärtigen Ausrichtung und der charakteristischen Merkmale der europäischen Verteidigungspolitik zu zeichnen. Dazu ist zunächst der Regelungsgegenstand der GSVP näher zu bestimmen (1.).
1. Begriffsabgrenzung
Auffällig ist zunächst die semantische Zweiteilung in „Verteidigungspolitik“ und gemeinsame „Verteidigung“.5 Während Erstere bereits als integraler Bestandteil der GASP vertraglich anerkannt und dem Zuständigkeitsbereich der Union zugeordnet ist, ist Letztere ihrem Wortlaut nach („führt“) als erst noch herzustellender Zustand6 beschrieben, der unter dem Vorbehalt eines einstimmigen Beschlusses des Europäischen Rates und der Ratifikation durch die EU-Mitgliedsstaaten steht.7 Rechtsmethodisch handelt es sich hierbei um eine Vertragsergänzungs- oder Evolutivklausel, die gegenüber dem förmlichen ein etwas erleichtertes Vertragsänderungsverfahren erlaubt.8 Formuliert wird damit ein integrationspolitisches „Fernziel“.9 Auf dem Weg dorthin sollen sich die Mitgliedsstaaten über die „Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik“10 niedrigschwelliger einander annähern.
In der begrifflichen Dichotomie des Art. 42 EUV wird zweierlei deutlich. Zum Ersten, dass es sich bei der Etablierung einer gemeinsamen Verteidigung um einen noch andauernden allmählichen Annäherungsprozess11 und nicht etwa bereits um eine rechtliche geschweige denn politische Realität handelt.12 Zum Zweiten sichert diese Zweiteilung die „verteidigungspolitische Souveränität der Mitgliedsstaaten“,13 die zu deren nationalstaatlichem Kernbereich zählt14 und die aufzugeben sowohl verfassungs-15 als auch unionsrechtlich16 an hohe Hürden geknüpft ist. In diesem Souveränitätsmoment dürfte damit auch das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen gemeinsamer Verteidigung und gemeinsamer Verteidigungs politik liegen. Regelungsbereiche, die die mitgliedsstaatliche Souveränität in Verteidigungsfragen ganz oder teilweise aufheben, unterfallen dem Bereich der gemeinsamen Verteidigung.17 Hierzu zählt etwa die Begründung einer Rechtspflicht zur Bereitstellung nationaler Streitkräfte unter einem supranationalen Kommando.18 Dahinter zurückbleibende Maßnahmen, die unterhalb einer „deutlich neuen Stufe der sicherheitspolitischen Integration“ bleiben und das noch näher zu erläuternde Freiwilligkeitsprinzip19 nicht beschränken, sind hingegen der gemeinsamen Verteidigungspolitik zuzuordnen.20 Diese ist im EUV nicht näher definiert. Nach dem klassischen Verständnis umfasst sie die Vorbereitung individueller oder kollektiver militärischer Selbstverteidigung.21 In diesem Zusammenhang steht vor allem die Beistandsklausel des Art. 42 VII EUV,22 die die GSVP bedeutend weiterentwickelte.23 Weitergehend bezeichnet Verteidigungspolitik das „militärische Krisenmanagement“ und die sonstige Nutzung militärischer Mittel in der Außen- und Sicherheitspolitik.24 Die Missionen, die sowohl mit militärischen als auch zivilen Mitteln durchgeführt werden können, werden in Art. 43 I S.1 EUV abschließend aufgeführt.25 Neben den bereits im Vertrag von Amsterdam kodifizierten Petersberg-Aufgaben26 fallen hierunter nun auch Abrüstungsmaßnahmen, die militärische Beratung sowie stabilisierende Einsätze nach Konflikten.27 Besondere Erwähnung verdient hier die in Art. 43 I S. 2 EUV ausdrücklich genannte Bekämpfung von Terrorismus.
Nachdem der definitorische Kern und die wesentliche Begriffsabgrenzung hinsichtlich einer gemeinsamen Verteidigungspolitik herausgearbeitet wurden, soll in den nächsten Kapiteln aufgezeigt werden mit Hilfe welcher Institutionen (2.), Instrumente (3.) und Verfahren (4.) die gemeinsame Verteidigungspolitik der EU verfolgt wird und welchen Beschränkungen sie dabei unterliegt (5.).
2. Institutionen
Eine markante Weiterentwicklung der GASP durch den Vertrag von Lissabon liegt in der Einführung des Amtes des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik.28 In seiner Position und in Personalunion als Vizepräsident der Europäischen Kommission29 sowie als Vorsitzender des Rates für „Auswärtige Angelegenheiten“30 bündelt er Repräsentations-, Exekutiv- und Initiativfunktionen.31 Letztere äußert sich in seinem Initiativrecht zu Ratsbeschlüssen in der GSVP.32 Der Hohe Vertreter ist für die Kohärenz des auswärtigen Handelns der Union verantwortlich.33 Auf dem Gebiet der GSVP äußert sich diese Verantwortung in den Koordinierungsaufgaben bei der Durchführung von EU-Missionen.34
Zur wirksamen Erfüllung dieser Aufgaben stützt sich der Hohe Vertreter gem. Art. 27 III S.1 EUV auf den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD).35
Das Europäische Parlament spielt auf dem Gebiet der GVSP nur eine Außenseiterrolle. Es muss lediglich über grundlegende „Weichenstellungen“ der GSVP angehört und unterrichtet werden.36 Weitergehende parlamentarische Einflussmöglichkeiten ergeben sich zumindest im Zusammenhang mit der Finanzierung der operativen GASP-Politik aus dem EU-Haushalt,37 der jährlich von Europäischen Parlament und vom Rat festgelegt wird.38 Dies gilt aber wiederum nur, wenn die zu Rede stehende Maßnahme keine militärischen oder verteidigungspolitischen Bezüge aufweist, sodass letztlich allein der zivile Bereich der GASP (z.B. Ausgaben des EAD) über den Haushalt der EU finanziert wird39 und damit nur dieser dem haushaltspolitischen Einfluss des Parlaments unterliegt.
Die 2004 gegründete und im Vertrag von Lissabon primärrechtlich ausdrücklich verankerte40 Europäische Verteidigungsagentur (EVA) ist ihren Aufgaben nach auf eine „Effektivierung und Koordinierung der nationalen Verteidigungspolitiken angelegt“.41 Beispielhaft hierfür steht etwa die Tätigkeit der EVA in der Rüstungsplanung, -beschaffung und –forschung,42 um so die „militärische Fähigkeitsentwicklung“43 der EU unter Nutzung von Synergieeffekten voranzutreiben. Anders als etliche andere EU-Agenturen44 arbeitet die EVA nicht unabhängig von den Organen der EU, sondern ist dem Rat unterstellt.45 Dementsprechend wird die Agentur von einem Lenkungsausschuss der Verteidigungsminister oder der zuständigen Staatssekretäre der Mitgliedsstaaten geleitet.46
Komplementär zu den geringen parlamentarischen Kompetenzen im Rahmen der GSVP steht die herausgehobene Rolle des Rates. Das kompetenzielle Ungleichgewicht zwischen Rat und Europäischem Parlament verdeutlicht den „intergouvernementalen Charakter der GASP“47 und untermauert, dass es hierbei nicht vorwiegend um die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Organisation, sondern vielmehr um die Koordination mitgliedsstaatlicher Befugnisse zur effektiveren Verfolgung eines gemeinsamen Interesses geht.48 Die die GSVP prägende starke Stellung des Rates zeigt sich unter anderem in seinen Kompetenzen zur Lenkung der EVA, zur Gestaltung der GVSP, zur Einleitung und Übertragung von Missionen sowie zur Begründung der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit.49 Bei der Ausübung dieser Kompetenzen ist der Rat an den vom Europäischen Rat vorgegebenen strategischen Rahmen gebunden.50
Ferner beaufsichtigt und beauftragt51 der Rat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) bei der Koordinierung der Durchführung von EU-Missionen, die dieser gemeinsam mit dem Hohen Vertreter zu leisten hat.52 In diesem Rahmen kann der Rat sogar Entscheidungsbefugnisse an die niedrigere Ebene der PSK delegieren,53 was dessen Bedeutung als maßgebliches außenpolitisches Gremium des Rates unterstreicht54 und zeitnahe Reaktionen im Bereich des Krisenmanagements ermöglicht.55 In der Praxis tagt das PSK mindestens zwei Mal wöchentlich und damit wesentlich häufiger als der Rat.56 Jeder Mitgliedsstaat ist darin durch einen ständigen Vertreter auf Botschafterebene repräsentiert.57 Neben den Aufgaben im Krisenmanagement beobachtet das PSK die internationale Lage und unterstützt den Rat mit Stellungnahmen bei der Politikgestaltung und ‑umsetzung.58 Insgesamt veranschaulicht das Beispiel der PSK, dass die durch das Kompetenzübergewicht des Rates stark exekutive Prägung der GSVP das Bedürfnis nach weiterer institutioneller Differenzierung unterhalb des Rates hervorgerufen hat, um die Entscheidungsfindung zu fundieren (Beobachtungs- und Beratungsfunktion) und zu flexibilisieren (Krisenmanagementfunktion).
Ebenfalls Ausdruck dieser Entwicklung ist der Militärausschuss der Generalstabschefs der Mitgliedsstaaten (EUMC) und der Militärstab der EU, der aus detachierten mitgliedsstaatlichen Armeeangehörigen besteht (EUMS).59 Ersterer sichert die Entscheidungsqualität durch Beratung des PSK sowie des Rates, Letzterer stellt die operative Handlungsfähigkeit bei der Umsetzung speziell militärischen Krisenmanagements her60 und entwirft seinerseits militärische Optionen zur Beratung des ihm übergeordneten EUMC.61
Im Gegensatz zum Rat mit seinem GSVP-spezifischen Unterbau62 sind die anderen EU-Organe kompetenziell nur schwach in das System der GSVP eingebunden.63 Die Europäische Kommission kann seit dem Vertrag von Lissabon nicht mehr eigenständig Beschlüsse im Bereich der GASP anregen und ist für die GSVP auf das Zusammenwirken mit dem Hohen Vertreter angewiesen.64 Auf das sonst regelmäßig bei der Kommission liegende Initiativrecht65 wird im Bereich der GSVP verzichtet, sodass der Rat von ihr losgelöst auf Initiative einzelner Mitgliedsstaaten hin Beschlüsse fasst.66
Die Kontrolle durch den Europäischen Gerichtshofs ist für den Bereich der GASP eingeschränkt.67 Sie erstreckt sich zunächst auf Fragen der Kompetenzabgrenzung zwischen der intergouvernementalen Rechtssphäre der GASP auf der einen und dem supranational organisierten Bereichen auswärtigen Handelns auf der anderen Seite.68 Des Weiteren sind seit dem Vertrag von Lissabon auch Nichtigkeitsklagen natürlicher oder juristischer Personen direkt gegen sie restringierende GASP-Beschlüsse möglich.69 Festgehalten werden kann, dass mit den, wenn auch beschränkten, Kontrollkompetenzen des EuGH auf dem Feld der GASP eine potentielle Einflussquelle zur weiteren Vereinheitlichung des auswärtigen Handelns der EU-Staaten offenbar wird. In der Ausgestaltung der Abgrenzung zwischen bereits supranational organisiertem auswärtigen Handeln der EU und dem intergouvernementalen Bereich der GASP könnte der EuGH mögliche Spielräume zu einer weiteren „Integration durch Recht“70 nutzen.71
3. Instrumente
Für die GASP, deren „integraler Bestandteil“ die GSVP dem Wortlaut nach ist,72 ist der Erlass von Gesetzgebungsakten ausgeschlossen.73 Nun unterscheidet Art. 288 AEUV in seinem numerus clausus der Handlungsformen Union jedoch nicht zwischen Gesetzgebungs- und anderen Rechtsakten, was auch mit dem Scheitern der Einführung des Gesetzesbegriffs im Zuge der Ablehnung des Verfassungsvertrags in Verbindung steht.74 Abzugrenzen ist demnach prozessual und zwar danach, ob der schlussendliche Rechtsakt,75 eines der in Art. 289 AEUV genannten Gesetzgebungsverfahren durchlaufen hat.76 Damit sind jene Verfahren von der GASP ausgenommen, in denen das Europäische Parlament zu beteiligen ist,77 was noch einmal dessen schwache Stellung in der GSVP unterstreicht.78 Im Rahmen der GSVP, so ergibt es sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen, ist seitens der Unionsorgane der vom Rat bzw. Europäischen Rat zu treffende Beschluss die zentrale und singuläre rechtliche Handlungsform.79
[...]
1 Macron, Rede an der Sorbonne vom 26.09.17 (Initiative für Europa), https://de.ambafrance.org/Initiative-fur-Europa-Die-Rede-von-Staatsprasident-Macron-im-Wortlaut (zuletzt abgerufen am 12.03.18).
2 Vgl. Loth, S. 91 ff.
3 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/StatischeSeiten/Breg/koalitionsvertrag-inhaltsverzeichnis.html (zuletzt abgerufen am 31.03.18).
4 Kotthoff, S. 266; beispielhaft hierfür sei die dt.-frz. Initiative zur Einrichtung der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA) genannt.
5 Art. 42 I S. 1, II UAbs. 1 S. 2 EUV; vgl. Geiger/Khan/Kotzur/ Geiger EUV Art. 42 Rn. 8.
6 von Kielmansegg, S. 127.
7 Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 42 EUV, Rn. 10.
8 Ebd., Art. 42 EUV Rn. 7; Geiger/Khan/Kotzur/ Geiger EUV Art. 42 Rn. 8.
9 Frenz, Europarecht, Rn. 964.
10 Vgl. Art. 42 II UAbs. 1 S. 1 EUV.
11 von Kielmansegg, S. 143; vgl. III.
12 Vgl. dazu auch - mit zutreffendem Verweis auf die Bezeichnung der GASP als „gemeinsame“, aber nicht als „gemeinschaftliche“ Außen- und Sicherheitspolitik - Renne, S. 30.
13 von Kielmansegg, S. 455.
14 Renne, S. 41.
15 Vgl. insofern die Lissabon-Entscheidung des BVerfG [BVerfGE 123, 267 /426] bzgl. des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts.
16 Vgl. etwa II. 5.
17 von Kielmansegg, S. 455.
18 von Kielmansegg, S. 455; Geiger/Khan/Kotzur/ Geiger EUV Art. 42 Rn. 9.
19 Siehe dazu II. 5. (S.12).
20 Geiger/Khan/Kotzur/ Geiger EUV Art. 42 Rn. 7.
21 Dietrich, S. 170; von Kielmansegg, S. 127.
22 Ausführlicher dazu siehe Fn. 182.
23 Oppermann/Classen/ Nettesheim, § 39 Rn. 36.
24 von Kielmansegg, S. 125 f.
25 Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 43 EUV, Rn. 2.
26 Hierzu gehören gem. Punkt II. 4. der Petersberg-Erklärung humanitäre und friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung; siehe auch III. 2. (S.20).
27 Streinz/ Regelsberger/Kugelmann, EUV/AEUV, Art. 43 EUV Rn. 1.
28 Vgl. Art. 18 EUV.
29 Art. 18 IV S. 1 EUV.
30 Art. 18 III EUV.
31 Kuhn, S. 53.
32 Art. 42 IV EUV; dieses stellt für die Kommission den probatesten Weg dar, GASP-Akte des Rates anzustoßen nachdem sie nun kein eigenes Initiativrecht mehr inne hat; Kuhn, S. 58.
33 Art. 18 IV S. 2 EUV.
34 Vgl. Art. 43 II S. 2 EUV; einem ähnlichen Zweck dürfte die Verpflichtung zur Absprache einer Gruppe von Mitgliedsstaaten, die eine Mission durchführen sollen, mit dem Hohen Vertreter dienen (Art. 44 I S. 2 EUV).
35 Struck sieht darüberhinaus den EAD als „Kerninstrument“ zur Weiterentwicklung der GSVP, in Kaldrack/Pöttering, Armee für Europa, 82, 90.
36 Art. 36 I S.1 EUV; zur schwachen parlamentarischen Rückkoppelung auf EU-Ebene siehe IV. 3. (S. 32 f.).
37 Streinz/ Regelsberger/Kugelmann, EUV/AEUV, Art. 36 EUV Rn. 4.
38 Vgl. 314 AEUV.
39 Marquardt/Gaedtke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 41 EUV, Rn. 7.
40 Art. 42 III UAbs. 2 EUV, Art. 45 EUV.
41 Terhechte, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, Art. 45 EUV Rn. 4.
42 Vgl. etwa die Aufgaben der EVA in Art. 45 I lit. b), c), d), e) EUV.
43 Kuhn, S. 55.
44 Groß, S. 1087 ff.; dieser nennt beispielhaft FRONTEX sowie die Europäische Bankaufsichtsbehörde; vgl. auch Art. 298 I AEUV, der die europäische Verwaltung als unabhängig charakterisiert.
45 Art. 45 I EUV.
46 Oppermann/Classen/ Nettesheim, § 39, Rn. 40.
47 Cox nach Kuhn, S. 42.
48 Herdegen, § 28 Rn. 1.
49 Vgl. in Reihenfolge der Aufzählung: Art. 45 I EUV; Art. 42 III UAbs. 1 S.1, IV EUV; Art. 42 IV, 44 I EUV; Art. 46 II, III UAbs. 2 S. 1 EUV.
50 von Kielmannsegg, S. 266; vgl. Art. 22 EUV.
51 Terhechte, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, Art. 38 Rn. 5.
52 Art. 43 II S. 2 EUV; Oppermann/Classen/ Nettesheim, § 39 Rn. 30.
53 Art. 38 UAbs. 3 EUV.
54 Terhechte, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, Art. 38 Rn. 2.
55 Marquardt/Gaedtke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 38 EUV, Rn. 8.
56 Terhechte, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, Art. 38 Rn. 4.
57 Marquardt/Gaedtke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Art. 38 EUV, Rn. 5.
58 Vgl. Art. 38 UAbs. 2 EUV.
59 Terhechte, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, Art. 38 Rn. 6.
60 Vgl. ebd.; Kuhn, S. 37.
61 Kuhn, S. 36.
62 Neben dem PSK, EUMS, EUMC kann hier noch auf den Ausschuss für nicht-militärische Aspekte der Krisenbewältigung verwiesen werden (CIVCOM).
63 Siehe dazu etwa die Erläuterungen zu den Befugnissen des Europäischen Parlaments auf Seite 5.
64 Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 30 EUV, Rn. 2; ebd., Art. 42 EUV, Rn. 27; vgl. Art. 42 IV S. 2 EUV.
65 Hobe, § 8 Rn. 303; vgl. Art. 17 II 1 EUV, Art. 289 AEUV.
66 Semrau, S. 127; vgl. Art. 42 IV S. 1 EUV.
67 Vgl. Art. 24 I UAbs. 2 S. 6 EUV, Art. 275 AEUV.
68 Geiger/Khan/Kotzur/ Geiger EUV Art. 40 Rn. 2 ff.; vgl. Art. 24 I UAbs. 2 S. 6, Art. 40 EUV.
69 Marquardt/Gaedtke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vor Art. 23-46 EUV, Rn. 16.
70 Haltern in Bieling/Lerch, Theorien der europäischen Integration, 399 f.
71 Noch weitergehend werten Marquardt/Gaedtke, in: von der Groeben/Schwarze/
Hatje, Vor Art. 23-46 EUV, Rn. 16, die zwar nur „begrenzte“, aber seit dem Vertrag von Lissabon doch neue Zuständigkeit des EuGH als Indiz dafür, dass die GASP bereits „integraler Bestandteil des auswärtigen Handelns der EU geworden ist“; vgl. Fn. 67.
72 Art. 42 I S. 1 EUV.
73 Art. 24 I UAbs. 2 S. 3 EUV; vgl. auch Art. 31 I S. 2 EUV.
74 Thym in Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, 441, 546 f.
75 Vgl. die allgemein gehaltene Überschrift des Abschnitts 1 des Kapitels 2 AEUV („Rechtakte der Union“).
76 Geiger/Khan/Kotzur/ Kotzur AEUV Art. 288 Rn. 4; vgl. Art. 289 III AEUV.
77 Vgl. Art. 289 I, II AEUV.
78 Zur Außenseiterrolle des Europäischen Parlaments in der GASP vgl. III. 2.
79 Vgl. etwa Art. 25 lit. b), Art. 28 I S.1, Art. 29 S.1, Art. 42 IV, Art. 43 II, Art. 46 II EUV. Für den Europäischen Rat vgl. etwa Art. 26 I S. 2, Art. 42 II S. 2 EUV; Marquardt/Gaedtke, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Vor Art. 23 - 46 EUV, Rn. 14.