John Harris’ erklärtes Ziel im neunten Kapitel seines Buches „Der Wert des Lebens“ ist es, zu „...zeigen, daß es so etwas wie Sexualmoral nicht gibt...“ . Er versucht, diese These mit Argumenten zu belegen, deren Schlüssigkeit in der vorliegenden Arbeit geprüft werden soll. Ziel dieser Arbeit wird sein, nachzuweisen, dass seine These nicht haltbar ist und dass es sehr wohl, und durchaus zu recht, eine Sexualmoral gibt.
Ein Problem beim Umgang mit dem Text ergibt sich aus seinem Alter, denn gerade in der Ethik und im gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität hat sich in den zwanzig Jahren seit seinem Erscheinen in englischer Fassung sehr viel verändert. Viele der Missstände, die Harris zurecht kritisiert, sind heute längst behoben, und bei der Recherche fällt es schwer, seine Anprangerung etwa der damaligen englischen Gesetzgebung nachzuvollziehen; zumal bei den Quellenangaben teilweise Fehler auftraten und er sich auf Bücher bezieht, die schon beim Erscheinen seines Textes veraltet waren. Wo es mir nicht gelang, zu meinem Standpunkt passende Literatur zu finden, habe ich seine Argumente selbst untersucht und - logisch wie semantisch – analysiert.
Ein weiterer schwer nachvollziehbarer Aspekt in Harris´ Umgang mit dem Thema ist seine Undifferenziertheit. Er unterscheidet in seiner Untersuchung sexueller Praktiken auf ihren moralischen Gehalt kaum zwischen solchen, die tatsächlich auch moralisch bedenklich sein können und denen, die nur unter die Kategorie `gesellschaftlich missbilligt´ fallen. Dabei gab es auch schon zum Zeitpunkt seiner Arbeit etwa in soziologischer, psychologischer und juristischer Praxis längst eine solche Trennung.
Da sich Harris´ Textaufbau anbietet, um schlussfolgernd zu einer Bejahung oder Verneinung von Sexualmoral zu gelangen, und da er Kapitel auf Kapitel aufbaut, bin ich weitgehend dieser Struktur gefolgt. Kritische Punkte in seiner Argumentation habe ich jeweils direkt herausgestellt. Die wichtigsten von mir verwendete Arbeiten sind Schmidts „Das Verschwinden der Sexualmoral“, Fiedlers „Sexuelle Orientierung und Abweichung“ und Runkels „Sexualität in der Gesellschaft“.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Harris´ Konzept zum Beweis der Nichtexistenz einer Sexualmoral
2. Moralisch fragwürdige sexuelle Handlungen
3. Obszönität und Ekel
4. Perversion und das Unnatürliche
III. Fazit
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
John Harris’ erklärtes Ziel im neunten Kapitel seines Buches „Der Wert des Lebens“ ist es, zu „...zeigen, daß es so etwas wie Sexualmoral nicht gibt...“[1]. Er versucht, diese These mit Argumenten zu belegen, deren Schlüssigkeit in der vorliegenden Arbeit geprüft werden soll. Ziel dieser Arbeit wird sein, nachzuweisen, dass seine These nicht haltbar ist und dass es sehr wohl, und durchaus zu recht, eine Sexualmoral gibt.
Ein Problem beim Umgang mit dem Text ergibt sich aus seinem Alter, denn gerade in der Ethik und im gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität hat sich in den zwanzig Jahren seit seinem Erscheinen in englischer Fassung sehr viel verändert. Viele der Missstände, die Harris zurecht kritisiert, sind heute längst behoben, und bei der Recherche fällt es schwer, seine Anprangerung etwa der damaligen englischen Gesetzgebung nachzuvollziehen; zumal bei den Quellenangaben teilweise Fehler auftraten und er sich auf Bücher bezieht, die schon beim Erscheinen seines Textes veraltet waren.[2] Wo es mir nicht gelang, zu meinem Standpunkt passende Literatur zu finden, habe ich seine Argumente selbst untersucht und - logisch wie semantisch – analysiert.
Ein weiterer schwer nachvollziehbarer Aspekt in Harris´ Umgang mit dem Thema ist seine Undifferenziertheit. Er unterscheidet in seiner Untersuchung sexueller Praktiken auf ihren moralischen Gehalt kaum zwischen solchen, die tatsächlich auch moralisch bedenklich sein können und denen, die nur unter die Kategorie `gesellschaftlich missbilligt´ fallen. Dabei gab es auch schon zum Zeitpunkt seiner Arbeit etwa in soziologischer, psychologischer und juristischer Praxis längst eine solche Trennung.[3]
Da sich Harris´ Textaufbau anbietet, um schlussfolgernd zu einer Bejahung oder Verneinung von Sexualmoral zu gelangen, und da er Kapitel auf Kapitel aufbaut, bin ich weitgehend dieser Struktur gefolgt. Kritische Punkte in seiner Argumentation habe ich jeweils direkt herausgestellt. Die wichtigsten von mir verwendete Arbeiten sind Schmidts „Das Verschwinden der Sexualmoral“, Fiedlers „Sexuelle Orientierung und Abweichung“ und
Runkels „Sexualität in der Gesellschaft“.
II. Hauptteil
1. Harris´ Konzept zum Beweis der Nichtexistenz einer Sexualmoral
Harris Gesamt-Argumentation ist folgende:
P1: Wenn es eine Sexualmoral gibt, muss es unmoralische sexuelle Handlungen geben.
P2: Der unmoralische Aspekt der Handlungen muss in ihrer sexuellen Natur liegen.
P3: Der sexuelle Aspekt von Handlungen ist niemals unmoralisch.
C: Es gibt keine Sexualmoral.
Das Argument ist schlüssig, denn die Konklusion folgt logisch aus den Prämissen. Dennoch ist es kein gutes Argument, da P2 falsch ist: Es genügt, festzustellen, dass es im Bereich der Sexualität unmoralische Handlungen gibt, um eine Sexualmoral zu begründen; ganz gleich, was die Handlungen zu unmoralischen macht.[4] Harris wendet jedoch den Großteil seiner Darstellung auf, um P3 zu beweisen. Im Folgenden ist also die Frage zu untersuchen: Gibt es eo ipso unmoralische Sexualität?
Um P3 zu belegen, ordnet Harris den `bedenklichen´ Praktiken Adjektive zu, die er dann auf ihren moralischen Gehalt untersucht:
P*1: Manche Praktiken wirken unmoralisch, weil sie pervers, unnatürlich, obszön oder
ekelerregend sind.
P*2: Keiner dieser Begriffe ist moralisch relevant.
C*: Die fraglichen Praktiken mögen als unanständig wahrgenommen werden, sind aber
allein deshalb noch nicht unmoralisch.
Dieses Argument ist besser, jedoch schon in den Ansätzen unzureichend. Harris klärt über etliche Zwischenkapitel logisch korrekt P*2; er täte jedoch besser daran, eine Definition von `Moral´ zu liefern, denn für die Frage nach moralischem Gehalt ist durch das von ihm selbst eingangs abgelehnte Verständnis von Moral als rein normativem Konstrukt[5] die so erreichte Konklusion schlicht uninteressant: Dass es unterschiedliche Wahrnehmung und Wertschätzung von Handlungen gibt, ist bekannt; ihre tatsächliche moralische Einschätzung wird jedoch auch auf keinem anderen ethischen Gebiet hiervon abhängig gemacht. Die untersuchten Begriffe allein sind selbstverständlich nicht die Gründe für den unmoralischen Charakter von Handlungen, doch sie können Anzeichen sein für Untersuchungsbedarf: Einen blutigen Kindermord etwa könnte man auch mit diesen vier Begriffen beschreiben; und er bleibt unmoralisch, auch wenn diese Adjektive moralisch irrelevant sind. Nicht, dass wir etwas als pervers o.ä. empfinden, macht es unmoralisch, sondern gerade unmoralische Handlungen lassen manche Betrachter so empfinden.[6]
[...]
[1] Harris, John (1995), Der Wert des Lebens, S.245
[2] etwa `Sexual Offences Act 1956´; in der Quelle falsch geschrieben und zitiert ohne Berücksichtigung der damals schon vorgenommenen Änderungen durch SOA 1967...
[3] vgl. dazu: Fiedler, Peter (2004), Sexuelle Orientierung und Sexuelle Abweichung, Geleitwort S.VII f
[4] vgl. Runkel, Gunter (2003), Die Sexualität in der Gesellschaft, S. 39 f
[5] Harris, S.246
[6] vgl. hierzu: Schmidt, Gunter (1996), Das Verschwinden der Sexualmoral, S.100 f