Die Studienarbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen der alltäglichen Übergänge auf das Wohlbefinden der Kinder im U3 Bereich und unterstreicht die Notwendigkeit der methodischen und fachlichen Begleitung für deren Ausgestaltung. Die Entwicklung der pädagogischen Qualität wird dabei exemplarisch am Dresdner Modell untersucht.
An die Fachkräfte in der Kinderkrippe werden besondere Anforderungen gestellt. Sowohl sie als auch die Kinder verbringen einen großen Teil des Tages in sogenannten Mikroübergängen, welche häufig von Übergriffigkeit und Stress gekennzeichnet sind. Die Fachkräfte sind emotional und körperlich gefordert und müssen gleichzeitig professionell reagieren. Sie sollen die Bedürfnislage mehrerer Kinder wahrnehmen, deren Regulationsfertigkeiten kennen und über Handlungsstrategien verfügen, so dass die Kinder lernen, eigenständig und konstruktiv zu handeln. Das professionell responsive Verhalten der Fachkräfte kann zu einer deutlichen Verbesserung der pädagogischen Qualität in den Mikrotransitionen und darüber hinaus führen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Pädagogische Qualität in der Kinderkrippe
2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
2.2 Indikatoren von pädagogischer Qualität
3. Mikrotransitionen in der Kinderkrippe
3.1 Mikrotransitionen im pädagogischen Alltag
3.2 Abgrenzung zu anderen Übergängen
4. Qualitätssicherung am Beispiel des Dresdner Modells
4.1 Aufbau und Verwendung des Dresdner Modells
4.2 Prinzipien des Dresdner Modells
5. Das Dresdner Modell als Methode für eine stressreduzierte Krippenpädagogik
5.1 Erkenntnisse aus der Hirnforschung
5.2 Interaktionsgestaltung in den Mikroübergängen
5.3 Zusammenarbeit mit Eltern
5.4 Herausforderungen und Aufgaben für die Zusammenarbeit im Team
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Zum 1. März 2019 wurden in Deutschland annähernd 818.500 Kinder unter 3 Jahren in einer Kindertageseinrichtung oder in einer Kindertagespflege betreut. Das entspricht einer Betreuungsquote von 34,3%, Tendenz steigend. Damit besucht jedes dritte Kind unter 3 Jahren eine Kindertageseinrichtung (vgl. Statistisches Bundesamt 2019).
Mit dem Rechtsanspruch und dem steigenden Bedarf an Betreuungsplätzen kommt der Kinderkrippe als familienergänzender Bildungsort eine größere Bedeutung zu. Die traditionelle Sorgefunktion und das Ermöglichen von Erwerbstätigkeit für die Eltern wird erweitert durch einen Bildungsauftrag. Deshalb haben Kindertageseinrichtungen und deren Träger die Aufgabe, den ihnen anvertrauten Kindern, einen Wohlfühlort mit anregenden Materialien zum Lernen und Konstruieren zu ermöglichen (vgl. Tietze & Viernickel 2016: S. 13).
An die Fachkräfte in der Kinderkrippe werden besondere Anforderungen gestellt. Sowohl sie als auch die Kinder verbringen einen großen Teil des Tages in sogenannten Mikroübergängen, welche häufig von Übergriffigkeit und Stress gekennzeichnet sind. Die Fachkräfte sind emotional und körperlich gefordert und müssen gleichzeitig professionell reagieren. Sie sollen die Bedürfnislage mehrerer Kinder wahrnehmen, deren Regulationsfertigkeiten kennen und über Handlungsstrategien verfügen, so dass die Kinder lernen, eigenständig und konstruktiv zu handeln (vgl. Neher 2019: S. 11). Das professionell responsive Verhalten der Fachkräfte kann zu einer deutlichen Verbesserung der pädagogischen Qualität in den Mikrotransitionen und darüber hinaus führen.
Das Dresdner Modell als Ergebnis einer Aktionsforschung bietet den Fachkräften im Krippenbereich ein methodisches Verfahren, um pädagogische Qualität zu entwickeln. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob dieses Verfahren auch für die Entwicklung pädagogischer Qualität in den Mikroübergängen geeignet ist.
Im zweiten Kapitel werden die Entstehung und die Inhalte pädagogischer Qualität in Kindertageseinrichtungen ausführlich beschrieben. Im dritten Kapitel wird der Begriff Mikroübergänge erläutert. Die Kapitel vier und fünf bilden das Kernstück der Seminararbeit und befassen sich mit dem Antwortverhalten der Fachkräfte in den Mikrotransitionen und dessen Auswirkung auf die pädagogische Qualität am Beispiel des Dresdner Modells.
2. Pädagogische Qualität in der Kinderkrippe
Im Folgenden geht es um die Entwicklung des Anspruchs an pädagogische Qualität und den daraus entstandenen Leitlinien, wie sie zum Beispiel im aktuellen Nationalen Kriterienkatalog von Tietze und Viernickel von 2016 zu finden sind.
2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
Der Anspruch an pädagogische Qualität und deren Sicherung und Weiterentwicklung begann Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die Bundesregierung gab eine empirische Studie zur Untersuchung der Qualität in Kindertageseinrichtungen in Auftrag. Mit dem Ergebnis, dass in mehr als 66% der Kindergärten nur mittelmäßige bis sogar schlechte pädagogische Qualität geleistet wurde. Dies führte zu einer Entwicklung von verschiedenen Evaluationsverfahren (vgl. Krenz 2010: S. 50 f.).
Darüber hinaus unterstützt der Gesetzgeber die Entwicklung pädagogischer Qualität durch eine Reihe von Gesetzen und Investitionsprogrammen. Zum einen werden durch die Neuregelungen im SGB VIII der quantitative Ausbau des Bedarfs und zum anderen die Qualität von Förderung geregelt (vgl. Herrnberger & Schubert 2010: S. 28-31). Der Auftrag umfasst somit die drei Grundsätze: Bildung, Betreuung und Erziehung.
Der 2013 in Kraft getretene Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr und das 2018 verabschiedete Gute-Kita-Gesetz sind ebenso erwähnenswert in der Qualitätsdebatte. Das jüngste Gesetz beinhaltet einheitliche Rahmenvorgaben und hat sich die Einführung gleichwertiger, bundesweit geltender Standards als langfristiges Ziel gesetzt (vgl. Neher 2019: S. 7). Aus der Qualitätsdebatte haben sich unter anderem Nationale Kriterienkataloge und individuelle Bildungspläne für jedes Bundesland entwickelt.
2.2 Indikatoren von pädagogischer Qualität
Kindertageseinrichtungen haben die Aufgabe Kinder in enger Zusammenarbeit mit ihren Familien zu bilden, in ihrer Entwicklung zu fördern und zu begleiten. Das erfordert ein hohes Maß an pädagogischer Qualität. Krippenkinder haben dabei besondere Bedürfnisse und brauchen intensive individuelle Zuwendung von den Fachkräften (vgl. Tietze & Viernickel 2016: S. 10). In der Fachliteratur zu pädagogischer Qualität beziehen sich verschiedene Autoren inhaltlich vorrangig auf den Nationalen Kriterienkatalog von Viernickel und Tietze, im Folgenden mit NKK abgekürzt. Inhaltlich gliedert sich der NKK in 20 Qualitätsbereiche, denen verschiedene Kriterien zugeordnet sind. Die sechs Leitgesichtspunkte bilden die Grundlage für die konkrete Gestaltung pädagogischer Arbeit. Damit sind die zwei Dimensionen in der Struktur deutlich. Ein Symbol, welches an eine Rassel erinnert, dient als Markierung für krippenspezifische Inhalte. Der Beobachtung und Dokumentation wird ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt. Im NKK ist es „in jedem Qualitätsbereich Aufgabe einer pädagogischen Fachkraft, die Kinder zu beobachten oder die Arbeit zu dokumentieren.“ (Tietze & Viernickel 2016: S. 40). Die pädagogische Fachkraft beobachtet im Alltag das Verhalten des Kindes als gezielten, systematischen und absichtsvollen Vorgang, um mit ihren Erkenntnissen auf die Bedürfnisse und Interessen der Kinder einzugehen und entsprechenden Unterstützungsbedarf abzuleiten. In Kapitel 4.1. wird mit der Videografie als Methode im Dresdner Modell im Krippenbereich näher darauf eingegangen.
Ein Leitgesichtspunkt ist die Interaktion von Fachkraft und Kind. Eine vertrauensvolle, auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtete Beziehungsgestaltung unter dem Fokus der Eigenaktivität des Kindes ist eine Grundvoraussetzung für gelingende Bildungsarbeit. Im NKK wird mehrfach deutlich, dass die pädagogische Fachkraft die Signale der Krippenkinder achtsam wahrnimmt und entsprechend beantwortet, vor allem im Qualitätsbereich Schlafen und Ruhen (vgl. Tietze & Viernickel 2016: S. 109f).
Die Auffassung einer grundsätzlichen Dialog- und Beteiligungsbereitschaft bringt die Sichtweise von Kindern als Akteure ihrer eigenen Welt zum Ausdruck. Diese Grundhaltung zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Lebens- und Aufenthaltsort Kindertageseinrichtung. Auch die Prozesse zwischen Fachkräften untereinander und zwischen Fachkräften und Eltern sind Inhalt pädagogischer Qualität. Einhergehend mit einer angemessenen Beobachtung gehört die systematische Planung pädagogischer Praxis zu den Schlüsselkompetenzen pädagogischer Qualität. Gute Planung orientiert sich an den gegebenen Möglichkeiten und schöpft diese optimal aus, erkennt Handlungsspielräume und -bedarfe. Die Dokumentation ist ebenfalls wichtiger Bestandteil von systematischer Planung. Dokumentiert werden Beobachtungen, bestimmte Inhalte pädagogischer Arbeit und Informationen über die Kinder. Die Bildungs- und Entwicklungsdokumentation schafft eine Grundlage für einen erziehungspartnerschaftlichen Austausch mit den Eltern und die Entwicklungsförderung des Kindes. Darüber hinaus tragen die räumlichen Gegebenheiten im Wesentlichen dazu bei, wie intensiv sich das Kind mit seiner Lernumgebung auseinandersetzt und Erfahrungen sammelt, die seiner Entwicklung dienlich sind. Die Gestaltung der Räume sollte flexibel sein und als bedürfnisorientierter Lebensraum verstanden werden. Das beinhaltet das Vorhandensein von vielfältigen, anregungsreichen und entwicklungsangemessenen Materialien (vgl. Tietze & Viernickel 2016: S 41ff). Doch auch der Personalschlüssel, die Gruppengröße und die Qualifikation der Fachkräfte beeinflussen pädagogische Qualität. Hinzu kommt die Orientierungsqualität bei pädagogischen Fachkräften und die Ergebnisqualität als Resultat des Zusammenwirkens von Orientierungs-, Struktur- und Prozessqualität (vgl. Neher 2019: S. 17).
[...]