In Deutschland wurde ab 1945 ein starker Fokus auf die Werke Sartres gelegt. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit ein direkter Einfluss Sartres auf die Nachkriegsliteratur in Deutschland zu erkennen ist. Die literaturwissenschaftliche Nachkriegsforschung widmet sich verstärkt dem individuellen Schaffen von Autoren in der Nachkriegszeit sowohl in Frankreich als auch in Deutschland. Ein möglicher Zusammenhang wird allerdings nur am Rande betrachtet, sodass diese Arbeit einen neuen kulturellen Aspekt in dem deutsch-französischen Verhältnis aufzeigen soll.
Zunächst wird die Situation der deutschen Schriftsteller ab 1945 definiert, die beurteilt, ob die deutsche Literatur Raum für die Existentialismustheorie Sartres bieten kann. Im Folgenden wird die Freiheitstheorie Sartres sowie sein Leitsatz für aktive Schriftsteller betrachtet, um basierend auf diesen Erkenntnissen einen möglichen Einfluss auf die deutsche Literatur auszumachen. Anhand des Vergleichs mit Bertold Brecht, der nach dem Krieg zu einem bedeutenden deutschen Nachkriegsautor heranwuchs, soll die Frage beantwortet werden, in welchen Aspekten der Existentialismus zu erkennen ist.
Inhalt
1. Einleitung
2. Bedingungen im Nachkriegsdeutschland
3. Sartres Werke
3. 1 Der Existentialismus Sartres
3.2 Aufgabe eines Schriftstellers
4. Einfluss auf die deutschen Intellektuellen
4.1 Vergleich Sartres mit Bertolt Brecht
4.2 Bedeutung Sartres für das Nachkriegsdeutschland
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Welt wird von Kriegen geprägt. Doch genauso wie der Kriegsbeginn bringt auch das Kriegende eine komplette Umstrukturierung nicht nur der politischen Ordnung, sondern vor allem auch der gesellschaftlichen Realität mit sich. Für die betroffene Bevölkerung folgen häufig Zeiten der Ungewissheit, Armut und Angst.
Auch für die Menschen in Deutschland hatte die Kapitulation der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und somit das Ende der militärischen Auseinandersetzungen im Mai 1945 weitreichende Auswirkungen. Die Bevölkerung geriet in eine Situation der Ohnmacht, da ihr jegliche Autonomie entzogen wurde und die Alliierten in kürzester Zeit die Oberhand im Regierungsapparat übernahmen. Mit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Reiches änderte sich schlagartig das internationale politische Machtgefüge. Die Niederlage Deutschlands wurde als Endpunkt gesehen, sie bot eine Chance für einen politischen und gesellschaftlichen Neubeginn. Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht wird häufig als „Stunde Null“ definiert.
Besonders in dem kulturellen Auftrag gestaltete sich dieser plötzliche Neuanfang aufgrund der braun durchtränkten Literatur als schwierig, sodass das Interesse an Anregungen und Erfahrungen aus dem Ausland wuchs. Paris galt als literarische Hauptstadt des 20. Jahrhunderts und mit dem Intellektuellen Jean-Paul Sartre wirkte in Frankreich eine national Größe, die mit seiner Philosophie des Existentialismus den Zeitgeist der Bevölkerung traf und die Rolle eines Literaten dieser Zeit neu definierte.
Auch im Nachbarland Deutschland wurde ab 1945 ein starker Fokus auf die Werke Sartres gelegt. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit ein direkter Einfluss Sartres auf die Nachkriegsliteratur in Deutschland zu erkennen ist. Die literaturwissenschaftliche Nachkriegsforschung widmet sich verstärkt dem individuellen Schaffen von Autoren in der Nachkriegszeit sowohl in Frankreich als auch in Deutschland, betrachtet allerdings einen möglichen Zusammenhang nur am Rande, sodass diese Arbeit einen neuen, kulturellen Aspekt in dem deutsch-französischen Verhältnis aufzeigen soll.
Zunächst wird die Situation der deutschen Schriftsteller ab 1945 definiert, die beurteilt, ob die deutsche Literatur Raum für die Existentialismustheorie Sartres bieten kann. Im Folgenden wird die Freiheitstheorie Sartres sowie sein Leitsatz für aktive Schriftsteller betrachtet, um basierend auf diesen Erkenntnissen einen möglichen Einfluss auf die deutsche Literatur auszumachen. Anhand des Vergleiches mit Bertold Brecht, der nach dem Krieg zu einem bedeutenden deutschen Nachkriegsautor heranwuchs, soll die Frage beantwortet werden, in welchen Aspekten der Existentialismus zu erkennen ist.
2. Bedingungen im Nachkriegsdeutschland
„Nach zwei Weltkriegen lag alles in Trümmern: Verlagshäuser und Redaktionsgebäude, Theater der Reichshauptstadt und Verkehrswege, Buchläden und Büchereien. Dem verlorenen Staat entsprach der tief einschneidende Verlust eines kulturellen Zentrums auf deutschem Boden.“1
Deutschland sah sich plötzlich mit dem Verlust seiner gesamten literarischen Tradition konfrontiert. An die Literatur des Nationalsozialismus wollte und konnte niemand anknüpfen, qualifizierte Autoren waren ins Exil ausgewandert und ausländische Literatur wurde in Deutschland bisweilen nicht rezipiert. Es musste ein neues Lernen beginnen. Im allgemeinen Bewusstsein war unbestritten, dass man „die großen Vorbilder und Lehrer von einst, die man getötet, verjagt, geächtet hatte“2 wiederfinden musste, doch „längst vergessene Müdigkeiten, Überlieferungen und Vorurteile konnten die deutschen Schriftsteller nicht abtun“3.4 Auch stürzte sich niemand „auf die zwölf Jahre lang verdrängten und beschwiegenen Schriftsteller“5. Die Menschen verlangten etwas Neues. Literatur sollte eine Antwort auf individuelle und kollektive Lebensfragen geben. Doch die Deutschen waren geprägt von Angst und Unsicherheit und wussten nicht, wie sie den Krieg literarisch verarbeiten konnten.
Deshalb war es verständlich und wenig überraschend, dass „sich Neugier und Informationsbedürfnis der besiegten Deutschen zunächst allem zuwandte, was als ‚nicht deutsch‘ gelten durfte.“6 Durch die politischen Umstände wurde dieses kulturelle Bedürfnis erleichtert. Im Rahmen des Demokratisierungsprozesses zielten die vier Besatzungsmächte auf eine Verhinderung der erneuten Entstehung eines autoritären Systems, indem sie das grundlegende Wertekonzept der Bevölkerung verändern wollten sowie Einfluss auf die Pädagogik und das kulturelle Leben nahmen. So waren in Deutschland ab 1945 Rundfunk, Theater, Film, Verlage, Erziehungs- und Hochschulwesen unter ausländischer Kontrolle und durch diesen Einfluss geprägt. „Die Besatzungsbehörden [versuchten] im Sinne ideologischer Prinzipien den Literaturfluss zu kanalisieren“7 und besonders die Franzosen sahen in der Kulturarbeit ihren spezifischen Beitrag, mithilfe dessen sie die Demokratisierung vorantreiben und „zur Weckung eines kritischen Geistes beitragen“ konnten8. Sie „waren vor allem daran interessiert, dass in der ihnen zugefallenen Zone die traditionellen Werke französischer Kunst und Literatur den ausgehungerten Deutschen zugänglich gemacht wurden.“9
Die Franzosen waren sich dem hohen Potential, welches Kunst und Literatur bieten kann, um eine Gesellschaft über kulturelle Werte positiv zu verändern, bewusst und wollten es nutzen. Es folgten deutsch-französische Schriftstellerstreffen. Diese waren „der physische Ausdruck eines neuen Verhältnisses, eines beginnenden Dialogs, der die Abschottung überwand und wohl auch bestimmt war durch die gemeinsame Erfahrung eines Neubeginns und damit auch der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen kulturellen Raum, den es aufzubauen galt“10. Französische Autoren wurden in der französischen Besatzungszone zunehmend wiedergegeben und der französische Existentialismus Jean-Paul Sartres traf auch in der deutschen Bevölkerung auf Interesse.
[...]
1 Hans Mayer: Die umerzogene Literatur. Deutsche Schriftsteller und Bücher 1945 – 1967. Frankfurt a. M., 1991, S.16.
2 Mayer, 1991, S. 18.
3 Mayer, 1991, S. 19.
4 Vgl. Mayer, 1991, S. 18 f.
5 Mayer, 1991, S. 55.
6 Mayer, 1991, S. 53.
7 Joseph Jurt: Ein transnationales deutsch-französisches Feld nach 1945? In: Patricia Oster, Hans-Jürgen Lüsebrink (Hg.): Am Wendepunkt. Deutschland und Frankreich um 1945 - zu Dynamik eines >transnationalen< kulturellen Feldes. Dynamiques d'un champ culturel >transnational< - L'Allemagne et la France vers 1945. Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes. Band 7. Bielefeld, 2008, S. 205.
8 Vgl. Jurt, 2008, S. 218.
9 Mayer, 1991, S. 43.
10 Jurt, 2008, S. 213 ff.