Die Forschung widmet sich seit Anfang der Achtzigerjahre“ der linguistischen Analyse der Jugendsprache in Frankreich und verzeichnet deutliche Abweichungen von der Standardsprache. Betrachtet man die sozialpolitische Situation Frankreichs, ist die hohe Anzahl maghrebinischer Einwanderer unverkennbar. Ein kreativer Sprachwandlungsprozess muss die Folge sein; Immigranten treiben den Sprachwandel verstärkt voran.
Im Hinblick auf diese These ist zu untersuchen, wie weitreichend die Rolle der frankophonen Staaten – fokussiert auf die Staaten Nordafrikas – für die Entwicklung der französischen Standardsprache ist. Zunächst werden die veränderten Lebensumstände bedingt durch die maghrebinischen Migranten der letzten drei Generationen beleuchtet. Daraufhin soll die Sprachentwicklung, die sich dieser Sprachkontaktsituation resultierend ergeben hat, aufgezeigt werden, sodass im nächsten Schritt eine Analyse der Sprachentwicklung veranschaulicht, ob und inwiefern die Einwanderer maghrebinischer Staaten das Standardfranzösisch beeinflussen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Nationale Dimensionen der Frankophonie
2.1. Historisch-politischer Hintergrund
2.2. Sprache der Jugend in den banlieus
2.2.1. Le Verlan
2.2.2. Arabismen
2.2.3. Sonstige Wortbildungsverfahren
3. Auswirkungen auf das Standardfranzösische
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
5.1. Sekundärliteratur
5.2. Internetquellen
1. Einleitung
„Kommunikation bezeichnet den Austausch von Informationen zwischen zwei oder mehreren Personen. [Sie gilt] als elementare Notwendigkeit menschlicher Existenz und wichtigstes soziales Bindemittel“1.
Zwischenmenschliche Begegnungen fordern eine Kommunikation, die im Allgemeinen einer gemeinsamen Sprachbasis entwächst. In Kindesalter wird der Zugang zur Normsprache gelehrt, doch verstärkt versuchen sich Jugendliche von der auferlegten, strikten, organisierten Erwachsenenwelt abzugrenzen. Sie präsentieren sich in einer Kommunikation einfallsreich und haben eine kreative, schnelle Jugendsprache entwickelt.
Die Forschung widmet sich „seit Anfang der achtziger Jahre“ der „linguistischen[n] Analyse der Jugendsprache in Frankreich“2 und verzeichnet deutliche Abweichungen von der Standardsprache.
Betrachtet man die sozialpolitische Situation Frankreichs ist die hohe Anzahl maghrebinischer Einwanderer unverkennbar. In den 60er Jahren ist die Zuwanderung französischer Staatsbürger aus den ehemaligen Kolonien aufgrund der Unabhängigkeitsbewegungen im Maghreb und dem Bedarf ausländischer Arbeitskräfte für die innerstaatliche französische Nationalwirtschaft rasant angestiegen, sodass aktuell 11% der Bürger Frankreichs Migranten sind3. Von diesen sind nach einer Studie des Institut national de la statistique et des études économiques (INSEE) aus dem Jahr 2007 wiederum 30,6% maghrebinischer Herkunft.4 Sprachkontaktsituationen sind in diesem multikulturellen Zusammenleben nicht zu vermeiden und die französische Standard- und Umgangssprache ist ständigem Einfluss ausgesetzt.
Ein kreativer Sprachwandlungsprozess muss die Folge sein; Immigranten treiben den Sprachwandel verstärkt voran.
Im Hinblick auf diese These ist zu untersuchen, wie weitreichend die Rolle der frankophonen Staaten – fokussiert auf die Staaten Nordafrikas – für die Entwicklung der französischen Standardsprache ist.
Zunächst werden die veränderten Lebensumstände bedingt durch die maghrebinische Migranten der letzten drei Generationen beleuchtet. Daraufhin soll die Sprachentwicklung, die sich dieser Sprachkontaktsituation resultierend ergeben hat, aufgezeigt werden, sodass im nächsten Schritt eine Analyse der Sprachentwicklung veranschaulicht, ob und inwiefern die Einwanderer maghrebinischer Staaten das Standardfranzösisch beeinflussen.
2. Nationale Dimensionen der Frankophonie
2.1. Historisch-politischer Hintergrund
Unterstützt durch die Unabhängigkeitsanerkennungen Frankreichs ehemaliger Kolonien Marokko und Tunesien im Jahr 1956 sowie Algerien infolge eines achtjährigen Krieges im Jahr 1962 und verstärkt durch Frankreichs „hohen Bedarf an ungelernten und billigen Arbeitskräften“5 wurde Anfang der 60er Jahre eine große Immigrationswelle ausgelöst, die neben europäischen Einwanderern viele maghrebinische Arbeiter, die ohne ihre Familien kamen, nach Frankreich brachte. Zwar schloss die französische Regierung bereits 1974 die Grenzen, jedoch führte das „regroupement familial“ – die gesetzlich bestehende Möglichkeit der Familienzusammenführung innerhalb Frankreichs – zu einem fortschreitenden Wachstum der Migrantenanzahl.6
Aktuell immigrieren jährlich aus unterschiedlichen Gründen über 60.000 Maghrebiner nach Frankreich. Mittlerweile sind etwa 1,5% der französischen Bevölkerung Kinder unter 18 Jahren, die in einer Einwanderungsfamilie maghrebinischen Hintergrunds leben.7 Sie wachsen häufig in maghrebinischen Kulturkreisen auf und besonders die Kinder, die mittlerweile in der dritten Generation in Frankreich beheimatet sind, verfügen nur noch selten über die muttersprachliche Kompetenz ihrer Großeltern. Der schwierige Zugang zum Arbeitsmarkt und die resultierenden finanziellen Gegebenheiten zwingen die Familien unaufhörlich zu erschwinglichen Unterkünften in den tristen Randbereichen französischer Großstädte. Diese Wohnbereiche – die banlieus – sind von hoher Armutsrate, Arbeitslosigkeit und Gewaltpotential geprägt, sodass besonders der Jugend eine hohe Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit zugeschrieben wird.
Aus linguistischer Betrachtung sind diese Ballungszentren aber von großem Interesse, da „in Teilbezirken großstädtischer Agglomerationen [ ] nichteinheimische Sprecher oft die Mehrheit [bilden]“8 und Bezirke existieren, „die in Bezug auf die ursprüngliche allochthone Sprecherprovenienz sogar recht homogen sind“9.
Trotzdem, da auch französische Muttersprachler in den banlieus aufwachsen, bietet diese mehrsprachige Kommunikationsgemeinschaft, die als Glossotop, d.h. „kleinstmögliche und deshalb grundlegende[ ] Einheit[ ] des kommunikativen Raums“10, bezeichnet werden kann, eine Steuerung des „lokalen Gebrauch[s] der sprachlichen Varietäten in einer bestimmten lebensweltlichen Gruppe“ und kann unter der „Gesamtheit der Regularitäten (der kommunikativen Reichweiten)“11 besonders effizient zu Forschungszwecken genutzt werden.
2.2. Sprache der Jugend in den banlieus
Die als banlieus bezeichneten Vororte französischer Großstädte bietet zunehmend Wohnraum für die sozial schwachen Bevölkerungsgruppen. Viele Migranten teilen sich neben arbeitslosen und entmutigten Franzosen die großen Betonbauten als Wohngebiet. Häufig gibt es in den banlieus weder öffentliche Gebäude noch kulturelle Institutionen - von Sportvereinen oder Jugendzentren ganz zu schweigen - sodass den Jugendlichen nur die Straße als ihr sozialer Treffpunkt geboten wird. Die Jugendlichen besuchen eine französische Schule und „die Migranten aus den ehemaligen Kolonien kommen entweder bereits mit Französisch- oder Französisch-Kreol-Kenntnissen oder zumindest mit einem irgendwie frankophon geartetem Wissenshintergrund in Frankreich an“12. Trotzdem unterscheidet sich ihre Sprache grundlegend von dem staatlich geforderten Normfranzösisch.
In den banlieus ist eine Jugendsprache präsent, die von „Einflüsse[n] der Herkunftssprache [der Migranten] in die Form der von ihnen gesprochenen Sprache des Aufnahmelandes“13 gebracht wird und von „Sprachalternation“ bedingt durch ihre Zweisprachigkeit sowie „weitere[n] Produkte[n] sprachlicher Art“ geprägt ist. Da Sprache immer ein Ausdruck von Identität ist, wollen sich die Sprecher in dieser „Art von interethischen Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen“14 bewusst von ihrem erwachsenen Umfeld abgrenzen und setzen ihre Sprache als Element der Identifikation mit der eigenen Gruppe ein.15
[...]
1 Schubert, Klaus/Martina Klein (2006)4: Das Politiklexikon. Bonn.
2 Zimmermann, Klaus (2003): Jugendsprache in Frankreich: ein Resümee. In: Hinz, Michael (Hg.): Jugend und Immigration. Neue Romania 27, S. 42.
3 Guillet, Alexandra (2010): Les immigrés constituent 11% de la population française. In : http://lci.tf1.fr/france/societe/2010-11/les-immigres-constituent-11-de-la-population-francaise-6161732.html. (02.07.11).
4 INED (Institution national d’études démographiques) (2011): Immigrés par pays de naissance. In : http://www.ined.fr/fr/immigres_etrangers/pays_naissance_1999/. (02.07.11).
5 Schuhmann, Adelheid (2002): Zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung: die Beurs, Kinder der maghrebinischen Immigration in Frankreich. Untersuchungen zur Darstellung interkultureller Konflikte in der Beur -Literatur und in den Medien. Frankfurt a.M. S. 108.
6 Vgl.: Cuddle, Edda (2004): Migration in Europa. Daten und Hintergründe. Stuttgart. S. 83.
7 INSEE (2011): Enfants de moins de 18 ans vivant dans une famille. In : http://www.insee.fr/fr/themes/tableau.asp?reg_id=0&ref_id=ENFAMIMMI (02.07.11).
8 Krefeld, Thomas (2004): Einführung in die Migrationslinguistik. Von der Germania italiana in die Romania multipla. Tübingen. S. 24.
9 ebd.
10 ebd. S. 26.
11 ebd.
12 Zimmermann, Klaus (2003): Postkoloniale Migration, Jugend und Sprache in Frankreich. In: Hinz, Michael (Hg.): Jugend und Immigration. Neue Romania 27, S. 78.
13 ebd. S. 79.
14 ebd. S. 81.
15 Oberti, Marco (2008): Die Unruhen in den französischen Städten, In: http://www.eurotopics.net/de/home/presseschau/archiv/magazin/politik-verteilerseite/frankreich-2008-07/oberti/ (05.07.11).