Diese Ausarbeitung widmet sich nun der Frage ob, und wenn ja, wie sich die Vorstellungen und Denkfiguren innerhalb rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse im Kontext von Geschlecht und Gender unterscheiden lassen können und welche Funktionen diese jeweils innerhalb ihrer Referenzräume erfüllen. Dabei wird die These vertreten, dass die Berücksichtigung und Einbeziehung des (ideologischen) Hauptdiskurses – die Betonung und Bewertung ethnischer Zugehörigkeit – Rückschlüsse auf die spezifischen ‚Gender‘-Diskurse liefern kann und demnach reflektiert werden muss.
Spätestens im Zuge der Emanzipationsbewegungen der 1960er und 1970er und der institutionellen Frauen- und Geschlechterpolitik gehören Auseinandersetzungen um Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechtergleichheit zum festen Bestandteil politischer und gesamtgesellschaftlicher Diskurse. Der, durch Forderungen nach sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung, eingeleitete Liberalisierungsprozess der Geschlechter-, Familien- und Sexualpolitik, also auch die wissenschaftliche Verankerung der Gender Studies, wird dabei jedoch nicht nur positiv bewertet.
So grassieren seit der Jahrtausendwende Diskurse darüber, dass benannte Veränderungen dieser Art den Zusammenhalt und die gesellschaftliche Ordnung gefährden. (Re-)Naturalisierungsdiskurse, sowie Vorstellungen von essentialistischer Männlichkeit und Weiblichkeit, gelten dabei als die zentralen Denkfiguren. In vielen europäischen Ländern, so auch in Deutschland, sind die tragenden politischen Akteure und Bewegungen, die sich gegen das ‚Gender‘-Konzept aussprechenden, im rechten, rechtspopulistischen und rechtsextremen Lager angesiedelt. Aktuelle Analysen der gegen ‚Gender‘ gerichteten Diskurse, Mobilisierungen und Strategien stehen somit auch im Kontext des Aufstiegs rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien und Diskurse.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Rechtspopulismus
3. Geschlechterdiskurse im Rechtspopulismus
3.1. Politik der Entpolitisierung
3.2. Islam-Sexualitäts-Emanzipations-Nexus
4. Rechtsextremismus
4.1. Grundstruktur rechtsextremer Ideologie
5. Geschlechterdiskurse im Rechtsextremismus
6. Diskussion/Analyse
6.1. Das „Wir“ und die „Volksgemeinschaft“
6.2. Der fundamentale Essenzialismus
6.3. Die leere Signifikante
7. Fazit
Literatur
1. Einleitung
Spätestens im Zuge der Emanzipationsbewegungen der 1960er und 1970er und der institutionellen Frauen- und Geschlechterpolitik gehören Auseinandersetzungen um Ge- schlechtergerechtigkeit und Geschlechtergleichheit zum festen Bestandteil politischer und gesamtgesellschaftlicher Diskurse. Der, durch Forderungen nach sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung, eingeleitete Liberalisierungsprozess der Geschlechter-, Familien- und Sexualpolitik, also auch die wissenschaftliche Verankerung der Gender Studies, wird dabei jedoch nicht nur positiv bewertet. So grassieren seit der Jahrtausendwende Diskurse darüber, dass benannte Veränderungen dieser Art den Zusammenhalt und die gesellschaftliche Ordnung gefährden. (Re-)Naturalisierungsdiskurse, sowie Vorstellungen von essentialistischer Männlichkeit und Weiblichkeit, gelten dabei als die zentralen Denkfiguren. In vielen europäischen Ländern, so auch in Deutschland, sind die tragenden politischen Akteure und Bewegungen, die sich gegen das , Gender‘-Konzept aussprechenden, im rechten, rechtspopulistischen und rechtsextremen Lager angesiedelt. Aktuelle Analysen der gegen ,Gender‘ gerichteten Diskurse, Mobilisierungen und Strategien stehen somit auch im Kontext des Aufstiegs rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien und Diskurse (vgl. Henninger et. al. 2021: 9;13;20).
Diese Ausarbeitung widmet sich nun der Frage ob, und wenn ja, wie sich die Vorstellungen und Denkfiguren innerhalb rechtspopulistischer und rechtsextremer Diskurse im Kontext von Geschlecht und Gender unterscheiden lassen können und welche Funktionen diese jeweils innerhalb ihrer Referenzräume erfüllen. Dabei wird die These vertreten, dass die Berücksichtigung und Einbeziehung des (ideologischen) Hauptdiskurses - die Betonung und Bewertung ethnischer Zugehörigkeit - Rückschlüsse auf die spezifischen ,Gender‘-Diskurse liefern kann und demnach reflektiert werden muss.
Um sich der Fragestellung anzunehmen, werden zuerst die grundlegenden Diskursstrukturen, die immanenten Logiken und die damit verbundenen Weltbilder und daran andockenden Geschlechtervorstellungen und Geschlechterdiskurse des Rechtspopulismus dargestellt. Anschließend wird eine Begriffsklärung des Rechtsextremismus vorgelegt und auf die Vorstellungen und Funktionen von „Geschlecht“ innerhalb rechtsextremer Ideologien eingegangen. Nach benanntem definitorischem Teil folgt die Diskussion bzw. die Analyse, in der zuerst die Überscheidungen und Unterschiede der „Hauptfigur“, daran anschließend die Geschlechterdimension im Kontext der Anti-Gender-Diskurse und deren Funktionen innerhalb der beiden Referenzräume diskutiert werden. Im Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse prägnant zusammengefasst.
2. Rechtspopulismus
Seit Mitte der 1980 haben sich in zahlreichen westeuropäischen Ländern rechtspopulistische Parteien herausgebildet. Die zentralen Themen umkreisten (und umkreisen auch heute noch) die Kritik an Migration und die Kritik am Islam. Nach einer kurzen Phase Mitte der 2000er, in der sich die Erfolgskurve neigte, stieg die Resonanz erneut deutlich an und spätestens mit der Etablierung der AfD und dem kontinuierlichen Erfolg ab 2014/2015 und dem zweistelligen Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 konnte sich eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei in Deutschland - lange Zeit als schwierig geltendes Terrain für rechtspopulistische Parteien - etablieren (vgl. Decker/Lewandowsky 2017: 21-32; Bieber et. al. 2018: 434; Siri 2017: 240). In der Fachliteratur gilt dabei als umstritten, ob die verschiedenen rechtspopulistischen Parteien eine gemeinsame ideologische Basis teilen, ob populistische Parteien als eigenständiger Parteitypus gefasst werden sollen oder ob es sich nur um einen besonderen Politikstil handelt - allgemein formuliert, ob sich der Begriff des Rechtspopulismus überhaupt als Forschungsgegenstand eignet (vgl. Decker/Lewandowsky 2017: 22). Im Folgenden soll nun auf wichtige Merkmale und Logiken des Rechtspopulismus eingegangen werden und eine Begriffsbestimmung dargelegt werden.
Rechtspopulismus gilt nach Reinfeldt als eine spezifische politische Strategie, die „eine politische Formation mit Teilen der Bevölkerung verbindet“ (Reinfeldt 2000: 46). Er gilt als eine spezifische Form der politischen Beziehungen zwischen Volk, Politiker*innen und Parteien. Dem Rechtspopulismus liegt also keine ausgeprägte oder stringente (neue) politische Ideologie zugrunde, noch ist er bloß ein (rhetorischer) Politikstil. Vielmehrkonstituiert sich der Rechtspopulismus als ein spezifisches Weltbild, dem ein Freund-Feind-Schemata unterliegt - unabhängig davon, welches politische Thema erfasst oder diskutiert werden soll (vgl. Mayer 2021: 37; Kowalsky/Schroeder 1994: 11). Charakteristisch ist die agitatorische Strategie der Themenwahl und ihre mediale Lancierung. Insbesondere die Inszenierung, die polemische und polarisierende Zuspitzung aktueller Debattenthemen, sowie ein starker Personenkult, gelten als konstitutiv für den Rechtspopulismus. Das Freund-Feind-Schemata der „dünnen Ideologie“ Rechtspopulismus wird dann mit verschiedenen ideologischen Versatzstücken gefüllt. Teilweise, jedoch nicht in allen Fällen, weisen populistische Parteien - zumal, wenn es um die Einschätzung der AfD geht - eine Affinität zu rechtsextremen Ideologien und deren Weltbild einer gut/böse besser/schlechter Aufteilung auf. Pluralistischen Vorstellungen wird mit Verweis auf das Freund-Feind-Schemata und dem Drang zu einem in sich geschlossenen Weltbild strukturell widersprochen (vgl. Mayer 2021: 37; Salzborn 2014: 16; Decker/Lewandowsky 2017: 31).
Die Dynamik, sowie die immanente Logik des Rechtspopulismus, wird anhand zweier Dimensionen (alternativ auch in Form eines Vierecks) beschrieben. Die grundlegende Struktur rechtspopulistischer Diskurse unterteilt sich in eine vertikale und eine horizontale Dimension und deren Polarisierung. In der vertikalen Dimension steht das populistische „Wir hier unten“, die In-Group, in Form der jeweiligen Partei oder Gruppe und ihrer An- hänger*innen, sowie die Adressierten des Diskurses, das vermeintlich ,einfache, missachtete und betrogene Volk‘, zu dem eine Verbindung hergestellt werden soll. Der politische Gegner, gegen den es sich scharf abzugrenzen und zu positionieren gilt, sind in der vertikalen Dimension „die da oben“ - die Eliten, die Medien, die Politik. Sie sind Akteure aber auch Vertreter*innen abgelehnter institutioneller Systeme (etwa die EU), die im rechtspopulistischen Weltbild explizit gegen die Interessen des „Volkes“ Politik betreiben. Populistische Parteien agieren somit gezielt gegen die gesellschaftlichen „Konsens-Eliten“. Damit kann die im Kern antidemokratische Behauptung einhergehen, dass ,nur wir das Volk repräsentieren[4] und alle anderen tendenziell kriminell seien und nicht das ,wahre Volk‘ repräsentieren. Zugleich zeigt sich, dass die Verortung „Wir hier unten“ und die Prämisse die Interessen des ,Volkes‘ zu vertreten als faktisch fragwürdig, da sich oftmals einer sozialdarwinistischen Abgrenzungslogik von ,Sozialschmarotzern‘ oder ,Sozialstaatsprofiteuren‘ bedient wird und von einer moralischen Homogenität des ,Volkes‘ ausgegangen wird. Integrationskraft dieser Logik findet der Rechtspopulismus in der horizontalen Dimension (vgl. Küpper 2018: 63; Mayer 2021: 37; Bieber et. al. 2018: 436; Priester 2008: 21).
Die horizontale Dimension des Rechtspopulismus differenziert hinsichtlich eines nicht näher benannten, vage gehaltenen „Wir“, das antagonistisch gegen „die Anderen“ in Stellung gebracht, positioniert und polarisiert werden soll. Die inhärente Abwertungskomponente „der Anderen“ weist den Populismus als Rechts populismus aus und gilt als eines der wichtigsten konzeptionellen Merkmale. Im Unterschied zum dehnbaren „Wir“, unter dem sich recht unterschiedliche Personen und Gruppen angesprochen fühlen können, wird die Konstruktion „der Anderen“ dadurch zusammengehalten, dass sie vom - wie auch immer konstruierten - „Wir“ abweichen. Die Zuschreibung „die Anderen“ wird recht flexibel mit unterschiedlichen, oftmals marginalisierten, sozialen Gruppen gefüllt. Entscheidend ist hierbei die kulturelle Dimension des Rechtspopulismus. Soziale Gruppen, „die er nach seinem Volksbegriff als ,Fremde‘ identifiziert [...] können dabei ist Visier geraten“ (De- cker/Lewandowsky 2017: 25). Oftmals verbunden mit dem Kriterium der medialen Lancierung und der politischen Situation sind es dann Eingewanderte, Geflüchtete, Menschen mit einem „anderen“ Glauben, wie etwa Muslim*innen, Jüd*innen oder auch homosexuelle, armen oder behinderte Menschen, die abgewertet und als auszugrenzend gegenüber dem „Wir“ gelten. Explizit werden auch all jene politischen Akteure - etwa Linke oder Feministinnen - miteingeschlossen, die sich für die objektive Realisierung der Gleichwertigkeit und Gleichstellung benannter sozialer Gruppen einsetzen (vgl. Küpper 2018: 63; Decker/Lewandowsky 2017: 25).
Dabei werden die Anhänger*innen des Rechtspopulismus primär aus drei sozialstrukturellen Gruppen rekrutiert - der konservativen Oberschicht, dem strukturbenachteiligten Milieu der traditionellen Mittelschicht, sowie der autoritären Milieus der prekären Unterschicht (vgl. Koppetsch 2018: 387)
3. Geschlechterdiskurse im Rechtspopulismus
Die AfD wird als „das Ergebnis eines lange währenden, bürgerlich-konservativen Protestes gegen die Europolitik der Bundesregierung Angela Merkels (und ihrer Vorgänger) interpretiert“ (Decker/Lewandowsky 2017: 32). Jedoch hat sich schon nach der Bundestagswahl 2013 gezeigt, dass die Unterstützung der AfD vielmehr aus dem Unbehagen weiter Bevölkerungskreise an der Integrations- und Migrationspolitik resultierte und weniger dem Euro-Thema. Ab 2014 stellte die Partei dann auch gesellschaftspolitische Themen stärker in den Mittelpunkt, warb mit einer restriktiven Einwanderungspolitik und bildete zunehmend ein rechtspopulistisches Profil aus. Im ersten Grundsatzprogram 2016 findet sich dann auch die Selbstbeschreibung einer Alternative zu den ,Etablierten‘, das Bekenntnis zur traditionellen Mehrkindfamilie und vermehrt kritische Passagen gegen den Islam (vgl. ausführlich: Decker/Lewandowsky 2017: 32 - 34).
Seit 2012 wird in der AfD und in rechtspopulistischen, bis rechtsextremen Organisationen und Bewegungen nun vermehrt auch der Themenkomplex Natur, Sexualität und Geschlecht, sowie das damit verbundene Politikfeld der Familien- und Geschlechterpolitiken des „Gender-Mainstreamings“ verhandelt (vgl. Siri 2015: 240; FES 2016: 19). In der Forschung wird in diesem Zusammenhang das Feindbild „Gender“ konstatiert, der begrifflich-konzeptuell als „Anti-Genderismus“ gefasst wird (vgl. Lang 2017: 167). Die Positionierungen rechtspopulistischer Diskurse um „Gender“ wird dabei aus unterschiedlichen Milieus, Gruppierungen und Bürgerbewegungen gewonnen und greift somit auf eine europaweite „Allianz im Geiste zur Bekämpfung jener vermeintlich ebenso dubiosen wie gesellschaftliche Fundamente zersetzenden ,Gender-Ideologie‘“ (Hark/Villa 2015: 17) zurück. So konstatiert auch Birgit Sauer, dass Geschlecht längst „zu einem Kernelement rechtspopulistischer Mobilisierung“ (Sauer 2017: 10) avanciert ist.
Relevante Akteure in Deutschland sind u. a. die verschiedenen -gida Proteste, Bewegungen wie die selbsternannten „Lebensschützer“ und die „Besorgte Eltern“, fundamentalistische Christ*innen, Maskulist*innen oder auch nationalkonservative und ökologisch-konservative Gruppen, sowie der Verein „Demo für Alle“.1
[...]
1Als erster Akteur, der in Folge der UN-Welt-Frauen-Konferenz 1995 dem Gender-Konzept den Kampf ansagte, gilt der Vatikan (vgl. Sauer 2017: 12). Und auch historisch geht die Ungleichheit der Geschlechter auf die frühen Phasen des Aufbaus religiöser Institutionen und der Bildung hierarchischer Strukturen religiöser Lehre zurück (vgl. Hennig 2018: 204).